Frage an Lukrezia Luise Jochimsen von Gerhard R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Dr. Jochimsen,
ist die Aussperrung von Kriegsgegnern bei der Auswahl von Kommentatoren im ARD-Fernsehen
gefährlich für die Demokratie?
Aus der Ihnen übersandten Stellungnahme des Intendanten können Sie ersehen, daß dieser mit der bisherigen Praxis zufrieden ist.
Text der Programmbeschwerde an den NDR-Rundfunkrat:
Antrag: In den TAGESTHEMEN müssen bei der Auswahl von Kommentatoren für den Afghanistankrieg zukünftig die Grundsätze der Meinungsvielfalt und Ausgewogenheit beachtet werden. Ferner soll geprüft werden, ob diese Grundsätze in anderen Redaktionen und in anderen ARD-Sendern ebenfalls mißachtet werden. Ggfs. soll auf Kommentare verzichtet werden.
Begründung:
Die Stellungnahme des Intendanten hat die Notwendigkeit des Antrages bestätigt.
Mehr als zwei Drittel der Deutschen - darunter Helmut Schmidt,
rund 90 Bundestagsabgeordnete, rund 40 Friedensorganisationen - lehnen mit respektablen Gründen den
Afghanistankrieg und insbesondere die deutsche Kriegsbeteiligung ab. In den Tagesthemenkommentaren
und in anderen ARD-Kommentaren wird suggeriert: Die Afghanistanintervention ist so selbstverständlich, daß nur noch über das WIE und nicht über das OB diskutiert werden muß.
Beispiele (zu finden im Archiv von tagesschau.de) :
Zu deutschen Soldaten gibt es keine Alternative (2.9.08)
Abzugsdiskussion ist natürlich falsch (7.10.08)
Afghanistankrieg ist eine Notwendigkeit (2.9.08 tagesschau.de)
Keine Alternative zum Weitermachen (25.6.08)
Truppenabzug bringt nicht hinnehmbare Konsequenzen (21.5.07)
Freiheit Deutschlands wird am Hindukusch verteidigt (7.2.08)
Kommentare von Andersdenkenden konnten innerhalb eines vertretbaren Zeitraumes nicht gefunden werden.
Wenn die ARD es aus personellen oder anderen Gründen nicht schafft, auch Kommentare von Kriegsgegnern zu ermöglichen, ist ein Verzicht auf Kommentare erforderlich. Die bisherigen Kommentare waren ohnehin entbehrlich, da das Publikum das dort Gesagte schon vorher gehört hatte - von Regierungspolitikern.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Reth
Sehr geehrter Herr Reth,
ich habe Frau Dr. Lukrezia Jochimsen, MdB, Ihre Frage zur Beantwortung vorgelegt. Sie wird sich, wenn Sie wieder in Berlin ist, zu dem von Ihnen dargelegten Problem äußern. Bitte haben Sie bis dahin noch etwas Geduld.
Mit freundlichen Grüßen,
im Auftrag
Dr. Detlef Kannapin, Büro Dr. Lukrezia Jochimsen, MdB
Sehr geehrter Herr Reth,
der Intendant Lutz Marmor hat Ihnen recht genaue Auskunft darüber gegeben, wie die Kommentare der "tagesthemen" ausgewählt werden. Seine letzten Sätze lauten: "Ist ein Thema gefunden, haben alle Landesrundfunkanstalten ein personelles Vorschlagsrecht. Bei mehreren Kandidaten entscheidet wieder die Abstimmung aller." Das müßte richtigerweise heißen, mit der Mehrheit der Stimmen. Das Auswahlverfahren ist also demokratisch, aber demokratisch betreffend die Chefredakteure der Landesrundfunkanstalten oder ihre Vertreter. Je nachdem, wie eine Runde besetzt ist, findet sich eine Mehrheit. Das ist das Prozedere seit Jahrzehnten, und ich weiß auch nicht, ob ein anderes besser wäre. Sie sprechen das Grundproblem der Demokratie an. Bevölkerungsmehrheit vs.Regierungsmehrheit. Das öffentlich-rechtliche System orientiert sich an den staatlichen Strukturen und spiegelt damit stets die Regierungsmehrheit.
Inhaltlich haben Sie natürlich recht, aber das ist eine andere Geschichte. Ich hoffe, Ihnen mit dieser Stellungnahme gedient zu haben.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Lukrezia Jochimsen, MdB