Sehr geehrter Herr Schauder, wie ist Ihre persönliche Meinung bezüglich gendergerechter Sprache?
Sehr geehrter Herr Schauder,
meine Frage an Sie bezieht sich auf ein äußerst aktuelles und kontrovers diskutiertes Thema, nämlich die gendergerechte Sprache.
Wie ist Ihre persönliche Meinung (unabhängig von Ihrer Partei) hinsichtlich dieser Angelegenheit? Befürworter argumentieren, dass es ein wichtiger Schritt für die Gleichberechtigung der Geschlechter sei, vor allem aber auch für diejenigen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen zuordnen können oder wollen. Teilen Sie auch diese Meinung oder halten Sie die gendergerechte Sprache für ein weniger relevantes Thema oder sogar für einen irrtümlicher Versuch der Geschlechtergleichheit?
Über eine schnelle und ausführliche Antwort würde ich mich sehr freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Nadine K.
Sehr geehrte Frau K.,
ich freue mich, dass Sie sich so intensiv mit dem Thema der
gendergerechten Sprache auseinandersetzen und möchte Ihnen gerne die an
mich gestellten Fragen beantworten:
Ich persönlich vertrete die Meinung, dass gendergerechte Sprache ein
sehr wichtiges Instrument ist, um auf strukturelle Missstände in unserer
Gesellschaft aufmerksam zu machen und so einen positiven Beitrag zur
Geschlechtergerechtigkeit leisten kann.
Fest steht, dass unsere Sprache nicht nur Informationen transportiert,
sondern immer auch unsere Gedanken und Emotionen beeinflusst. Jedes
Wort, das wir lesen oder hören, ist stets mit einem gedanklichen Bild
verknüpft und formt daher auch die Art und Weise, wie wir unsere Umwelt
wahrnehmen. Besonders bei kontroversen Sachverhalten, zum Beispiel bei
politischen oder gesellschaftlichen Themen, werden häufig bewusst
Ausdrucksweisen verwendet, welche bestimmte Assoziationen wecken und
dadurch unsere Denkweise und Gefühle manipulieren sowie öffentliche
Diskurse in eine bestimmte Richtung lenken. Daher empfinde ich es als
sehr wichtig, meine Wortwahl und Formulierungen stets genau abzuwägen.
Gerade mit dem Anspruch, der Gestaltung einer offenen, gerechten und
pluralistischen Gesellschaft bietet eine gendersensible Ausdrucksweise
eine hervorragende Möglichkeit, um in unserer Sprache Wertschätzung und
Respekt gegenüber allen Menschen, unabhängig ihres Geschlechts, zum
Ausdruck zu bringen.
Gleichermaßen handelt es sich bei Sprache immer auch um einen
dynamischen Prozess, der sich in der Vergangenheit stetig gewandelt hat
und sich in Zukunft kontinuierlich an unsere aktuelle Lebensrealität
anpassen wird. In den letzten Jahren haben in unserem Land dabei vor
allem rechtsextreme und rechtspopulistische Bewegungen sowie
fundamentalchristliche Bündnisse den öffentlichen Diskurs über die
Etablierung einer gendergerechten Sprache stark beeinflusst. Hinter dem
Deckmantel der Verteidigung von konservativen und bürgerlichen Werten
geht es diesen meist antifeministischen Gruppierungen in erster Linie um
den Kampf gegen Gleichberechtigung und geschlechtliche Vielfalt sowie
die Aufrechterhaltung patriarchaler Strukturen. Das wissenschaftliche
Fachgebiet der „Gender Studies“, welche die Bedeutung von Geschlecht
interdisziplinär in allen Bereichen des menschlichen Lebens erforscht,
wird hierbei häufig durch irreführende Verschwörungsideologien
diffamiert. In diesem Kontext werden Gender-Themen sowie gendergerechte
Sprach gerne als repressive Zwangsmaßnahmen oder gar als „Angriffe gegen
die Kultur“ und „das deutsche Volk“ propagiert, welche es zu bekämpfen
gilt. Negative Wortneuschöpfungen wie „Genderwahn“, „Gendergaga“ oder
„politische Korrektheit“ sind hierbei Kampfbegriffe, um mithilfe von
sprachlicher Manipulation ein angebliches Bedrohungsszenario in den
Köpfen der Menschen aufzubauen. Ziel dieser Aktivitäten ist es,
differenzierte Auseinandersetzungen sowie gewinnbringende Debatten über
die Themen geschlechtliche Vielfalt und Gleichberechtigung in unserer
Gesellschaft zu verhindern.
Ich selbst vertrete die Ansicht, dass es sich bei gendergerechten
Sprache keineswegs um eine Maßnahme handelt, welche den Menschen „von
Oben“ aufgezwungen wird. Vielmehr ist es als ein Angebot zu verstehen,
um unsere Sprache fairer, eindeutiger und auch vielfältiger zu
gestalten. In der Vergangenheit hat es sich dabei eingebürgert, dass
wenn Menschen über Personengruppen sprechen, bei denen die Geschlechter
unbekannt sind, häufig die männliche Variante, das generische Maskulin,
verwendet wird. Es könnte also davon ausgegangen werden, dass die
männliche Pluralform die Funktion erfüllt, für alle Geschlechter
gleichermaßen zu stehen. Diverse Studien der vergangenen Jahrzehnte
zeigen allerdings, dass auch an dieser Stelle selbstverständlich unsere
Worte unsere Gedanken beeinflussen und das generische Maskulin doch
zumeist eher mit einem männlichen Bild verbunden wird. Gendergerechte
Sprache setz genau an diesem Widerspruch an, da angestrebt wird, alle
Geschlechter gleichermaßen sicherbar zu machen und damit gedanklich
miteinzubeziehen. Besonders bei der Berufswahl ist hierbei zu
beobachten, dass zum Beispiel neutral formulierten
Stellenausschreibungen auch dazu führen, ein diverseres Publikum
anzusprechen, während gleichzeitig auch deren Chancen erhöht werden.
Zudem ist gerade auch bei Kindern wichtig, bestehende Klischees, also
die Vorstellung stereotyper „Männer-“ oder „Frauenberufe“, aufzubrechen.
Gendergerechte Sprache motiviert hierbei, dass jeder Mensch, frei und
unabhängig des Geschlechts, nach der Berufung streben kann, welche den
eigenen Vorstellungen und Wünschen entspricht.
Folglich ist es auch als durchwegs positiv anzusehen, dass gerade
behördliche Einrichtungen, Hochschulen und Personen des öffentlichen
Lebens mit ihrer gesellschaftlichen Vorbildfunktion sich für die
gendergerechte Sprache und damit für mehr Respekt und Wertschätzung
sowie gegen Diskriminierung aussprechen. Auch wenn eine gendersensible
Neugestaltung unsere Sprache sicherlich ein wegweisender Schritt in die
richtige Richtung ist, muss jedoch klar benannt werden, dass eine
ausschließliche Fokussierung auf gendergerechte Sprache niemals im
Alleingang alle gesellschaftlich gewachsenen Missstände lösen kann.
Selbst in unserem demokratischen und fortschrittlichen Land sind auch
heute noch massive Ungleichheiten u. a. in der Arbeitswelt, der Politik
und der Familie wiederzufinden. Hierfür braucht es eine angemessene
gesellschaftliche Debatte, ohne Verunglimpfungen und
Verschwörungsglauben, sowie eine Vielzahl an Maßnahmen, um für mehr
Anerkennung, Chancengleichheit und Gleichberechtigung zu sorgen.
Mit freundlichen Grüßen
Lukas Schauder