Frage an Lothar Bisky von Dieter K. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Bisky!
Bei abgeordnetenwatch lese ich in einer ihrer E-Mail-Antworten, dass sich der Begriff"Neoliberalismus" vor 20Jahren gewandelt hätte,früher diente der Begriff auch wegen der Ökonomen Walter Eucken und Wilhelm Röpke als theoretische Grundlage der "sozialen Marktwirtschaft",jetzt wird er nach ihrer Meinung aber nur noch als Synonym einer "angebotsorientierten Wirtschaftspolitik",d.h.als Marktfundamentalismus verwandt!
Herr Bisky, kann es vielleicht sein,dass der Linkspartei das gut zu passe kommt? Heut braucht man als Linker doch nur noch den Anhängern der "sozialen Marktwirtschaft" den Kampfbegriff"Neoliberalismus" entgegen zu schleudern,schon ist er in eine Ecke gedrängt,aus der er schwer wieder raus kommt!So dass Anhänger der sozialen Marktwirtschaft sich wie der ehemalige Grüne Oswald Metzger sich nun nicht mehr Neoliberale nennen,sondern sich als Ordoliberaler bezeichnet!
Sollte es nicht einzig und allein darum gehen,den Wohlstand einer Nation und ihrer Bürger zu mehren und dafür eine Wirtschaftspolitik zu finden,die angemessen ist und dazu gehören nach meiner Überzeugung sowohl die Angebots-,als auch die Nachfrageseite!Was nützt es ihnen,wenn sie eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik als Teufelszeug und Marktradikalismus und -fundamentalismus diskreditieren,wenn sie temporär zu guten und überzeugenden Ergebnissen führt,das heisst ja nicht,dass es auch Zeiten gibt,wo eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik dringend erforderlich ist!
Wäre es da nicht angezeigt,mit der Verteufelung des "Neoliberalismus" und der Glorifizierung des "Sozialismus" in welcher Form auch immer,aufzuhören?
Sie werden doch nicht bestreiten wollen,dass die überwiegend angebotsorientierte "soziale Marktwirtschaft" Ludwig Erhards der Bundesrepublik Deutschland Wohlstand für die Bürger gebracht hat?Wenn eine SPD geführte Regierung bürokratische Monster ala Hartz4 etc.einführt und den Mittelstand vergisst,kann man das alles dem Neoliberalismus anlasten?
MfG Dieter Kipp
Sehr geehrter Herr Kipp,
für Ihre Sicht der Dinge danke ich Ihnen. Die meinige ist allerdings hinsichtlich des Wohlstandes für die Mehrheit der Menschen – mit Verlaub – eine andere.
Das Ziel linker Wirtschaftspolitik ist meines Erachtens die Verbesserung des Lebensstandards der großen Mehrheit der Bevölkerung. Dazu bedarf es aus meiner Sicht – und aus der meiner Partei - verschiedener Maßnahmen:
I) Wirtschaftliche Stabilisierung
Produktion und Beschäftigung sind durch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage bestimmt. Dies ist die Grundlage der Wirtschaftspolitik der Partei DIE LINKE und ihrer Fraktion im Deutschen Bundestag, denn nur dann, wenn produzierte Güter auch nachgefragt werden, also Unternehmen mit Absatz rechnen können, stellen sie dauerhaft ein entsprechendes Angebot an Waren und Dienstleistungen dem Markt zur Verfügung. Eine Nachfrage, die zu Vollbeschäftigung führt und überdies den Sozialstaat wieder instand setzt, ist nach unserer Ansicht durch die folgenden wirtschaftpolitischen Maßnahmen zu erreichen:
1. Eine Steuerpolitik, die die Gewinn- und Unternehmenseinkommen stärker belastet, des weiteren die hohen Vermögen, Erbschaften und die Börsenumsätze. Dies schließt eine markante Erhöhung des Spitzensteuersatzes ein. Die zusätzlichen Einnahmen des Staates dienen der Finanzierung vermehrter öffentlicher Ausgaben in den Bereichen Soziales und Bildung, im öffentlichen Dienst und im Rahmen staatlicher Investitionen. Dies bedeutet auch eine Vergrößerung des öffentlichen Sektors. Privatisierung von öffentlichem Eigentum findet nicht mehr statt. Stattdessen sind Privatisierungen rückgängig zu machen.
2. Stärkung der Gewerkschaften in ihrer Position bei Lohntarifverhandlungen. Dies erfordert vor allem mehr Kündigungsschutz, Zahlung von Kurzarbeitergeld bei streikbedingten Produktionsausfällen und die bessere Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (Überwindung von Hartz IV).
3. Niedrige Zinsen, um die privaten Investitionsausgaben zu erhöhen. Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) muss grundlegend revidiert werden. In einem ersten Schritt ist gemeinsam mit anderen europäischen Parteien darauf zu dringen, dass die EZB ihre Geldpolitik öffentlich rechtfertigt. Besonders ist sie anzuhalten, die fragwürdige Geldtheorie zur Debatte zu stellen, die als Grundlage ihrer Politik dient.
4. Staatsdefizite dann, wenn es für die Verteilungspolitik (etwa in wirtschaftlichen Depressionsphasen) an Masse fehlt und wenn die privaten Investitionen auf niedrige Zinsen nicht im erforderlichen Ausmaß reagieren. Bei Staatsdefiziten gilt der Grundsatz: In der konjunkturellen Flaute das Wachstum erhöhen durch kreditfinanzierte Staatsausgaben, das Wachstum absichern durch Verteilungs- und Zinspolitik.
Die Verteilung zugunsten der Staatsausgaben, der Sozialeinkommen und der Löhne erhöht zuverlässig die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und damit das Wachstum. Ein hoher Gewinnanteil am Volkseinkommen dagegen führt nicht zu mehr privaten Investitionen, mehr noch: er behindert sie sogar. Denn wenn bei niedrigem privatem und öffentlichem Verbrauch – als Folge geringer Löhne, Sozialeinkommen und Staatsausgaben – die Endnachfrage gering ist, werden die Unternehmen ihre Kapazitäten nicht vergrößern, auch wenn sie dies wegen der hohen Gewinne finanzieren könnten. Ebenfalls eröffnet der technische Fortschritt nicht deswegen vermehrte Investitionsmöglichkeiten, weil die Gewinne hoch sind. Aus diesen Gründen legen die Unternehmen ihre Gewinne auf den Finanzmärkten an oder kaufen fremde Unternehmen auf: Übermäßige Gewinne fördern daher nicht das Wachstum, sondern stattdessen die Konzentration und Monopolbildung. Ähnliche Nachfragewirkungen hat die Verteilung der Einkommen im Sektor privaten Haushalte. Bei den hohen Haushaltseinkommen handelt es sich im Wesentlichen um Unternehmens- und Vermögenseinkommen, die zu einem verhältnismäßig geringen Anteil für den Konsum ausgegeben werden. Eine Verteilung zugunsten der niedrigen Einkommen und zugunsten des Staates erhöht die Ausgaben je Einkommenseuro.
II) Wachstum und Umwelt
Diese Politik zur wirtschaftlichen Stabilisierung ist nicht auf ein Wachstum angewiesen, das die Umwelt belastet. Im Gegenteil: Da sie auf mehr Sozialstaat und öffentlichen Dienst und auf Arbeitszeitverkürzungen setzt, eröffnet sie erst die Chance, den ökologischen Strukturwandel rasch und umfassend voranzubringen. Ressourcenschonung, Energieeffizienz und der weitgehende Ersatz von schädlichen durch regenerative Energiequellen gehen damit Hand in Hand mit Vollbeschäftigung und einem leistungsfähigen Sozialstaat. Qualitatives Wachstum verbindet mehr Lebensstandard mit dem erforderlichen grundlegenden Wandel der Nutzung der Ressourcen.
III) Arbeitsproduktivität und Wohlfahrt
Grundlage für eine Besserung der Lebensverhältnisse der großen Mehrheit der Bevölkerung ist die hohe und steigende Arbeitsproduktivität. Während vor rund 35 Jahren in einer Erwerbstätigenstunde ein Wert von 20 Euro hergestellt wurde, sind es 40 Euro im Jahr 2007. Alles spricht dafür, dass sich die Produktivität in den kommenden 35 oder 40 Jahren erneut verdoppeln wird. Dies ist die Grundlage für mehr allgemeine Wohlfahrt, für mehr Lohn, mehr Altersrente, mehr Sozialstaat. Dass seit Jahrzehnten die Menschen bei ihrer Arbeit immer produktiver und gleichzeitig immer ärmer werden, ist absurd. Die LINKE will dieser Absurdität ein Ende setzen. Die Lösung dieser Frage fordert eine andere Verteilung des produzierten Reichtums.
IV) Arbeitsproduktivität, Arbeitsstress und Umwelt
Die Steigerung der Arbeitsproduktivität darf nicht einfach den privaten Unternehmen überlassen werden. Denn deren Ziel ist einzig ein höherer Gewinn. Bei der Verfolgung dieses Zieles setzen die Unternehmen nicht zuletzt neue Produktionstechniken ein, die den Arbeitsstress erhöhen und die Umwelt schädigen. Die Arbeitswelt muss humanisiert werden, öffentliche Kontrollen und Normen müssen dafür sorgen, dass nicht alles, was technisch möglich ist, auch erlaubt wird. Um eine solche Entwicklung zu erreichen, muss die Wirtschaft demokratischen regeln unterworfen werden.
V) Demokratisierung der Wirtschaft
Eine linke Wirtschaftpolitik kann sich nicht einfach darauf verlegen, den produzierten Reichtum angemessen zu verteilen. Der Arbeitsprozess, die Art und Weise der Produktion ist nicht Privatsache der Unternehmen. All dies ist eine öffentliche, eine politische Angelegenheit. Maßgeblich darf nicht das Eigentümerinteresse allein sein. Vielmehr müssen alle, die Beschäftigten, die Gemeinden, das Wohnumfeld, das Konsumenteninteresse ein Recht auf Mitsprache haben. Mittel hierzu sind mehr Mitbestimmung, verbindliche Verhaltensstandards und Rechenschaftspflichten für Unternehmen. Der Staat als großer Auftraggeber für die private Wirtschaft muss Standards setzen und soziale und ökologische Kriterien mit seiner Auftragsvergabe verknüpfen.
VI) Kleine und mittlere Unternehmen, das Kleingewerbe
Die Existenzbedingungen des Kleingewerbes sind zu verbessern. Bedrohlich für diesen Wirtschaftsbereich sind nicht die Löhne und Sozialabgaben. Entscheidend sind vielmehr die Auftragslage, die Beschaffungs- und Absatzpreise und die technischen Verbesserungen im Produktionsprozess. Für mehr Aufträge sorgt die Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage im Binnenland. Zu geringe Gewinne im Kleingewerbe sind nicht eine Folge zu hoher Lohnkosten. Ausschlaggebend sind in den überaus meisten Fällen zu geringe Absatz- und zu hohe Beschaffungspreise, d.h. eine ungleiche Verteilung der Rentabilität als Folge von Marktmacht: Großunternehmen als Zulieferer oder Abnehmer sind in der Lage, dem Kleingewerbe Preise zu diktieren, die ihnen eine rentable Produktion kaum ermöglichen. Die Lösung kann nicht in niedrigeren Arbeitskosten und Kombilöhnen gesucht werden. Vielmehr ist es Aufgabe des Kartellamtes, diesem Missbrauch von wirtschaftlicher Macht ein Ende zu setzen. Die Missbrauchsaufsicht der Behörde muss vermehrt auf diese Wirtschaftsbereiche ausgedehnt werden.
Die Produktionstechnik des Kleingewerbes ist zu verbessern. Hier müssen das ERP-Sondervermögen und die Kreditanstalt für Wiederaufbau als Spezialbanken im Bundeseigentum ihren Aufgaben besser als bisher nachkommen. Das ERP-Sondervermögen darf nicht zur Sanierung des Bundeshaushaltes herangezogen werden. Öffentliche Beratungsstellen sind vermehrt notwendig, um den Mittelabfluss dieser Spezialeinrichtung zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen sicher zu stellen. Wichtig sind hier ebenfalls die Leistungen der Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Die Förderung des Kleingewerbes ist mit einem privatisierten Sparkassensektor nicht möglich. Wir lehnen daher eine Politik ab, die auf Kombilöhne für kleine und mittlere Unternehmen und gleichzeitig auf eine Privatisierung der Sparkassen setzt.
VII) Vergrößerung des öffentlichen Sektors
Eine erfolgreiche Wirtschaftpolitik braucht einen hinreichend großen öffentlichen Sektor im Rahmen eins gemischtwirtschaftlichen Systems. Die Aufgaben des öffentlichen Sektors sind:
1. Die öffentliche Daseinsvorsorge sicherstellen. Dies betrifft vor allem Bereiche wie Gesundheit, Erziehung, soziale Dienste, Wohnen, Wasser- und Energieversorgung, Transport.
2. Mit öffentlichen Produktionsunternehmen für Preiswettbewerb sorgen.
3. Marktmacht beschränken. Eine wirksame Sozialstaats- und Beschäftigungspolitik kann nur verwirklicht werden, wenn das Parlament der uneingeschränkte Souverän ist und wenn die Regierung die vom Parlament beschlossenen Gesetze ohne Wenn und Aber ausführt. Dies ist gefährdet, wenn sich Großunternehmen und Lobby allgemein Staatsgewalt erschleichen. Sie dürfen nicht durch Gremien wie Innovations- oder Normenkontrollräte, durch Leihbeamte und –beamtinnen in den Ministerien, durch Formulierungshilfen bei Gesetzesentwürfen oder durch die Finanzierung von Regierungskonferenzen die parlamentarische Demokratie beschränken und die Staatsgeschäfte maßgeblich beeinflussen. Das Parlament, die Öffentlichkeit, die Medien müssen alles daran setzten, damit wirtschaftliche Macht nicht zu politischer Macht wird. Wenn die Souveränität der Demokratie anders nicht geschützt werden kann, ist der Übergriff wirtschaftlicher Macht auf die Verfassungsorgane durch Gemeineigentum an den betreffenden Unternehmen zu unterbinden.
4. Sicherstellen, dass auf lange Sicht die notwendige Verteilungspolitik nicht an den Rentabilitätsforderungen der Großwirtschaft scheitert: Wenn die Ziele Vollbeschäftigung und Sozialstaat nur eine Kapitalrentabilität zulassen, die geringer ausfällt als die stets steigenden Profitratenforderungen der Großunternehmen, dürfen die allgemeinen Sozialstaatsziele diesen Forderungen nicht untergeordnet werden.
Ein umfangreicherer öffentlicher Sektor begründet sich daher nicht nur aus der Notwendigkeit der Daseinsvorsorge und eines wirksameren Preiswettwebs. Grundsätzlich bedeutend ist, die Politik handlungsfähig zu machen und Übergriffe wirtschaftlicher Macht zu verhindern. Die konkreten Eigentumsformen im öffentlichen Sektor sind eine Frage des jeweiligen Zwecks von öffentlichen Unternehmen und Einrichtungen. Der neoliberale wirtschaftsförmige Staat ist zu demokratisieren. Eine staatsförmige Wirtschaft soll das gemischtwirtschaftliche System nicht sein.
VIII) Zukunftsprogramm
Angesichts der gravierenden Vernachlässigung der öffentlichen Infrastruktur, des Erziehungs- und Bildungswesens, der Gesundheitseinrichtungen und anderer Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge müssen die öffentlichen Investitionen und der öffentliche Konsum erhöht werden.
DIE LINKE hat dazu ein Zukunftsprogramm entwickelt, das zur ökologischen Erneuerung, zur wirtschaftlichen Stabilisierung und zur Schaffung von mehr als einer Million Arbeitsplätze beiträgt.
IX) Außenwirtschaftspolitik
Ziel der Außenwirtschaftspolitik muss sein, zu einer ausgeglichenen Leistungsbilanz zu kommen: Der Export und Import von Waren und Dienstleistungen muss sich die Wage halten. Die aggressive deutsche Exportpolitik schafft internationale Ungleichgewichte und erhöht die Gefahr von internationalen Wirtschaftkrisen.
Der freie internationale Waren- und Kapitalverkehr fördert die Entwicklung besonders der ärmeren Länder nicht. Die Entwicklungsländer müssen die Möglichkeit haben, ihre jungen Industrien vor ruinöser Auslandskonkurrenz zu schützen. Es ist daher eine Weltwirtschaftordnung erforderlich, die den Entwicklungsländern diejenige staatliche Souveränität einräumt und zurückgibt, die sie für eine erfolgreiche Entwicklungspolitik benötigen. Direktinvestitionen transnationaler Konzerne sind keineswegs eine angemessene Strategie für die wirtschaftliche Entwicklung.
In der Hoffnung, Ihnen zu Ihrer Zufriedenheit geantwortet zu haben und mit der abschließenden Bemerkung, dass in der Bundesrepublik zu Ludwig Ehrhards Zeiten mitnichten eine überwiegend angebotsorientierte Wirtschaftspolitik vorherrschte, sondern eine, die über steigende Löhne die Beschäftigten stetig in die Lage versetzte, mehr Konsumgüter nachzufragen, verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen,
Lothar Bisky