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Lothar Binding
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Frage von Mario S. •

Soll das SPD-TabStMoG durch E-Zig-Prohibition einen Raucheranstieg wie in Ungarn+Italien [https://3.ly/aaBzW], oder eine Tabak-Renaissance wie bei US-Jugendlichen erwirken [https://3.ly/aaBAg]?

▸ Die SPD-Steuersuggestion, Krebsstengel seien das kleinere Risiko (~7€/Pkg) gegenüber E-Liquids (~10€) basiert wirklich nicht auf Kompensieren von Strohmannargumenten?
▸ Feedback aus Medizin/Wissenschaft haben Sie bemerkt? [https://3.ly/aaHgh]
▸ Sie bleiben bei ihrer Blog-Insinuierung Nikotin sei "hochtoxisch" und "stark krebserregend"?
▸ Unterschied Nikotinabhängigkeit und Tabaksucht bleibt Tabuthema?
▸ Behauptung die US-EVALI-Todesfälle entsprangen ENDS/E-Zigaretten statt gestreckter THC-Öl-Schmuggelcarts kommt aus SPD oder ABNR? [https://www.qeios.com/read/ZGVHM7.3]
▸ Woher motiviert sich denn die FUD-Kampagne der Krebsgesellschaften (ABNR) bzgl. E-Zigareten, wenn doch deren Krebsrisiko als 99.5% geringer [https://3.ly/aaBAp] abgeschätzt wird?
▸ Sind Pharma-Erträge durch Folgen des Rauchens doch vergleichbar mit denen der Tabakindustrie? (Proxy-Frage; unklar wie sehr Ihre Sachverständigen den öffentlichen Diskurs meiden)

P.S.: 140.000 Tote pro Jahr.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Salzer,

vielen Dank für Ihre Frage hier bei Abgeordnetenwatch. Ich greife gerne noch einmal einige Argumente aus unserem kürzlich geführten Mailaustausch auf, da diese offensichtlich falsch angekommen sind.

Ist es nicht ein wenig merkwürdig, dass es beim Thema Sucht oft zu kraftstrotzenden Formulierungen, zu Unterstellungen oder zu beleglosen Behauptungen kommt, anstatt sich in Ruhe damit zu beschäftigen, wie man der Sucht begegnet. Manchmal entsteht sogar der Eindruck, als solle die Sucht als unvermeidbar verteidigt werden… unabhängig davon wie sehr die Sucht den Süchtigen schadet.

Sie schreiben: „Die SPD-Steuersuggestion, Krebsstengel seien das kleinere Risiko (~7€/Pkg) gegenüber E-Liquids (~10€) basiert wirklich nicht auf Kompensieren von Strohmannargumenten?“

Wie kommen Sie denn darauf, dass Zigaretten weniger schädlich seinen als E-Zigaretten? Sie können von mir vielfach lesen, dass Verdampfen von Glyzerin, Propylenglykol, Aroma und Wasser, gegebenenfalls unter Beifügung von Nikotin, dem am schnellsten süchtig machenden Stoff… weniger schädlich ist, als das Rauchen von Tabakzigaretten. Weniger schädlich ist gleichwohl schädlich.

Ich habe mal bei Wikipedia nachgeschaut: „Mit einem Strohmann-Argument wird ein Streitgespräch mit der Gegenposition fingiert, indem den eigenen Argumenten angebliche Argumente der Gegenseite gegenübergestellt werden. Statt auf die tatsächliche Position des Gegners und seine Argumente einzugehen, wird gegen einen nicht anwesenden, fiktiven Gegner – den „Strohmann“ – argumentiert; dabei werden diesem oft verzerrte und undifferenzierte Versionen der gegnerischen Argumentation in den Mund gelegt. Es wird dann behauptet, die Widerlegung der Strohmann-Position wäre eine Widerlegung der tatsächlichen Position des Diskussionsgegners. Da der Strohmann im Gegensatz zu einem realen Streitgegner nicht auf differenzierte Einwände eingehen oder sie gar zurückweisen kann, handelt es sich dabei aber um ein Sophisma der Sorte Argumentum ad populum. Alternativ kann das Strohmann-Argument als Spezialform der falschen Prämisse betrachtet werden.“ Hoffentlich können Sie verstehen, warum sich Ihre Frage nach der Kompensation „von Strohmannargumenten“ in einem leeren Anwendungsbereich findet.

Wie Sie über die Maßeinheit „Pkg“ zum Begriff „Steuersuggestion“ kommen, müssten Sie auch ein wenig erläutern, denn ist ja nur sinnvoll Vergleichbares miteinander zu vergleichen.

Wenn ich versuche Ihren Gedanken hinter diesen Irrtümern zu erfassen, ist das Gegenteil der Fall und daher ist es umso gefährlicher, wenn über die E-Zigarette der Einstieg ins Rauchen gewählt wird und über das vermeintlich harmlose Dampfen der Weg zur wesentlich schädlicheren Produkten wie z.B. der Zigarette gewählt wird.

So sehe ich in der Werbung z.B. für IQOS, junge, glückliche Menschen, die an einer Zigarette ziehen, Rauchen oder Dampfen..... Viele Geschmacksrichtungen und Liquid-Designs zielen auf ein junges, gar jugendliches Publikum ab. Eine repräsentative Studie [1] kommt passenderweise zu dem Ergebnis, dass E-Zigaretten in Deutschland am weitesten bei 18 bis 24 Jährigen, dann bei 25 bis 39 Jährigen, und fast gleichauf an dritter Stelle in der Altersgruppe 14(!) bis 17 verbreitet sind. Das sind keine Aussteiger, das sind Einsteiger. Es sieht ganz danach aus, als erhöhe der Konsum von E-Zigaretten bei Kindern und Jugendlichen die Wahrscheinlichkeit, auch mit "echten" Zigaretten anzufangen [2]. Alles andere wäre ja betriebswirtschaftlich unsinnig: Warum sollten Tabakkonzerne Milliarden dafür investieren, dass Ihnen die Kundinnen und Kunden weglaufen und warum sollten Anbieter von E-Zigaretten/Liquids und Heat-not-Burn-Produkten Unsummen ausgeben in einen Markt ohne Zukunft? Und ein Markt ohne Nachwuchs, ohne Kinder und Jugendliche, ist ein Markt ohne Zukunft. Ähnlich wie Alkopops für den Alkohol (besonders süße alkoholhaltige Getränke, meist Limonadenmischungen) führen süße Liquids und offensiv beworbene Erhitzer also junge Menschen in die Nikotinsucht.

[1]          Kotz D & Kastaun S (2018) E-Zigaretten und Tabakerhitzer: repräsentative Daten zu Konsumverhalten und assoziierten Faktoren in der deutschen Bevölkerung (die DEBRA-Studie). Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 61: 1407-1414

[2]          National Academies of Sciences, Engineering & and Medicine (2018) Public health consequences of e-cigarettes. The National Academics Press, Washington, D.C

Sie sprechen auch die geringere Gefahr von E-Zigaretten an. Eine Vielzahl von neuesten Studien bestätigen unter anderem die Schädigung fast aller Organsysteme [3], das Auslösen von gefährlichem oxidativen Stress [4], sowie die Beeinträchtigung der Wundverheilung [5] durch E-Zigaretten. Der Dampf enthält mehrere krebserregende Stoffe, selbst wenn er nikotinfrei ist [6].

Da die Produkte noch nicht lange auf den Markt sind, gibt es noch keine Langzeitstudien, weitere Gefahren wie das langfristige Krebsrisiko oder die Folgen der Lungenablagerungen sind uns also noch gar nicht bekannt, können es noch nicht sein. Die heutige Forschungslage zeigt aber schon jetzt, dass E-Zigaretten grundsätzlich enorm schädlich sind!

[3]          Sailer-Ramadas R, Sandner I, Haider S, Grabovac I & Dorner TE (2020) Health effects of electronic cigarette (ecigarette) use on organ systems and its implications for public health. Wien Klein Wochenschr. Online ahead of print.

[4]          Rankin GD, Wingfors H, Uski O, Hedman L, Ekstrand-Hammarström B, Bosson J & Lundbäck M (2019) The toxic potential of a fourth-generation E-cigarette on human lung cell lines and tissue explants. J Appl Toxicol doi: 10.1002/jat.3799

                National Academies of Sciences, Engineering & and Medicine (2018) Public health consequences of e-cigarettes. The National Academics Press, Washington, D.C.

                Pisinger C & Dossing M (2014) A systematic review of health effects of electronic cigarettes. Prev Med 69: 248-260

[5]          Fracol M, Dorfman R, Janes L, Kulkarni S, Bethke K, Hansen N & Kim J (2017) The surgical impact of e-cigarettes: a case report and review of the current literature. Arch Plast Surg 44: 477-481

                Rau AS, Reinikovaite V, Schmidt EP, Taraseviciene Stewart L & Deleyiannis FW (2017) Electronic cigarettes are as toxic to skin flap survival as tobacco cigarettes. Ann Plast Surg 79: 86-91

                Krishnan NM, Han KD & Nahabedian MY (2016) Can e-cigarettes cause free flap failure? A case of arterial vasospasm induced by electronic cigarettes following microsurgical breast reconstruction. Plast Reconstr Surg Glob Open 4: e596

[6]          National Academies of Sciences, Engineering & and Medicine (2018) Public health consequences of e-cigarettes. The National Academics Press, Washington, D.C Deutsches Krebsforschungsinstitut (2020) E-Zigaretten und Tabakerhitzer – Ein Überblick. Heidelberg, DE

Sie haben absolut Recht, dass etwa 140.000 Tote durchs Rauchen pro Jahr, davon auch tausende durchs Passivrauchen 140.000 Tote zu viel sind. Daher sollten wir gemeinsam dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen erst gar nicht anfangen zu rauchen.

Wenn es Menschen gelingt, mit dem Rauchen aufzuhören, freut mich das enorm. Und wenn sie dann Dampfen bei geringerer Belastung, freut mich das natürlich auch. In Einzelfällen mag sie auch ein erfolgreicher Weg zur Rauchentwöhnung sein, wird aber etwa von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGB) nicht zur Tabakentwöhnung im Sinne von „harm-reduction“ empfohlen. (Quelle: https://www.gesundheitsstadt-berlin.de/die-e-zigarette-ist-zur-raucherentwoehnung-nicht-geeignet-14796/ und https://www.mein-allergie-portal.com/asthma/3053-eine-ad-hoc-stellungnahme-der-deutschen-gesellschaft-fuer-pneumologie-und-beatmungsmedizin-dgp.html). Allerdings sehe ich in E-Zigaretten und Tabakerhitzern in erster Linie eine Gefahr für viele junge Leute, die vor einem Einstieg und einem Leben mit der Sucht geschützt werden müssen. Deshalb ist die Steuererhöhung ein Schritt in die richtige Richtung, da insbesondere sehr junge Menschen durch einen höheren Preis abgehalten, jedenfalls weniger stark gelockt werden [7]. Damit bleiben aber grundsätzlich E-Zigaretten weiterhin für jene verfügbar, die mit ihnen den Ausstieg aus dem Rauchen schaffen wollen.

[7]          Deutsches Krebsforschungszentrum (2019) Deutliche Tabaksteuererhöhungen sind die wirksamste Maßnahme, um zum Nichtrauchen zu motivieren. Aus der Wissenschaft – für die Politik, Heidelberg.

Mit freundlichen Grüßen, Lothar Binding