Frage an Lothar Binding von Daniel B. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Binding,
angesichts der immer noch andauernden Banken- und Finanzkrise: Wie beurteilen Sie die Rollen, die von Banken, Kunden und vom Staat in Fällen wie der bankrotten isländischen Kaupting-Bank oder der Hypo-Real-Estate eingenommen wurden und werden?
Lassen sich hier Schuldige bzw. Unschuldige unterscheiden, oder trägt jeder Beteiligte Mitschuld an den weitreichenden negativen Folgen der Bankenzusammenbrüche?
Herzlichen Dank für Ihre Antwort im Voraus,
Daniel Brauch
Sehr geehrter Herr Brauch,
für Ihre Frage zur Finanz- und Wirtschaftskrise danke ich Ihnen sehr herzlich. Eine fundierte Stellungnahme zu Ursachen, Schuld und Verantwortung erfordert die Einordnung vieler Einzelaspekte in einen Gesamtkontext; meine Erwiderung auf Ihr Schreiben wird daher ausführlicher ausfallen als Sie vielleicht erwarten. Ich hoffe auf Ihr Verständnis und Interesse.
Die isländische Kaupthing-Bank und die deutsche HypoRealEstate, auf die Sie in Ihrer Frage verweisen, sind im Zuge der weltweiten Finanzmarktkrise in eine bedrohliche Schieflage geraten – viele Medien berichten seit Wochen und Monaten über die dafür verantwortlichen Verwerfungen auf den Finanzmärkten. „Verwerfungen auf den Finanzmärkten“ „oder in Schieflage geraten“ sind mittlerweile zu eigentümlich unpersönlichen Floskeln oder Chiffren geworden, die ich ungern verwende. Denn sie verwischen Fingerabdrücke und Spuren auf den internationalen Finanzmärkten, denen wir bei unserer Suche nach Ursachen und Folgen, nach persönlicher Schuld und individuellem Fehlverhalten, nach mangelhafter Regulierung am Weltmarkt, nach Krisenbewältigung und künftiger Vorbeugung nachgehen.
Ich erfahre – wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen – seit vielen Wochen immer wieder in persönlichen Gesprächen, Briefen und Mails von den Sorgen vieler privater Sparer und Kleinanleger. Sie haben in der Krise teilweise sehr viel Geld verloren, das sie für die eigene Altersvorsorge, für größere Investitionen oder für die Kinder sicher bei ihrer Hausbank anlegen wollten – sicherlich in den meisten Fällen keine „Zocker“. Jetzt fühlen sich viele Anleger enttäuscht, sogar getäuscht und wissentlich hinters Licht geführt – nach meinem Eindruck leider oft zu Recht. Auch, weil Transparenz und Beratung dem Streben nach Provision gewichen sind. Wenn wir an Lösungen interessiert sind müssen wir uns dabei allerdings vor Pauschalurteilen hüten – es gibt auch gute Berater, Verkäufer, Bänker.
An dieser Stelle eine kurze Zwischenbemerkung: Ich beobachte den schon wieder erwachenden „Renditehunger“ einiger Anleger mit Sorge. Darauf deuten seit kurzem steigende Einlagen bei Zweigstellen ausländischer Banken hin, die zwar höhere Zinsen versprechen, allerdings auch weiterhin ein hohes Verlustrisiko der Einlagen im Insolvenzfall bergen. Es fehlt mir jegliches Verständnis dafür, wenn Aktiengesellschaften trotz erheblicher Verluste im abgelaufenen Geschäftsjahr und einer wirtschaftlichen Rezession noch einmal üppige Dividenden an ihre Aktionäre ausschütten, Sonderzahlungen an Manager – und gleichzeitig nach staatlicher Unterstützung in Form von Konjunkturprogrammen, Bürgschaften und Krediten rufen.
Die Hiobsbotschaften von den internationalen Finanzmärkten in den vergangenen Wochen und Monaten haben bei vielen Beteiligten – Banken und Fondsgesellschaften, Wirtschaftsprüfern und Rating-Agenturen, unseriösen Anlageberatern und renditeverwöhnten Investoren – einen schockierenden Mangel an Verantwortungsbewusstsein, Selbstdisziplin und internen Kontrollen zu Tage gefördert.
Diese Krise – insbesondere auch ihre akute und mittelfristige Bewältigung – wird bleibende Spuren in unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung hinterlassen. Und nicht nur das: sie prägt auch das Aufgabenprofil und den finanziellen Handlungsspielraum unserer politischen Arbeit nachhaltig. Umso wichtiger sind die gegenwärtigen Überlegungen und Planungen der SPD- Bundestagsfraktion, für den Finanzmarkt und Finanzprodukte weltweit eine bessere und strengere Regulierung zu entwickeln, wie ich Ihnen kurz skizzieren möchte. Die möglichst weltweite Abstimmung ist dabei einer wichtigsten Anliegen.
Es ging zunächst und geht weiterhin um die Abfederung der Folgen für Bürger und Unternehmen. Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen haben in den letzten Wochen und Monaten vorausschauend und im Bemühen um problemangemessene Lösungen gehandelt; ich denke an die Garantieerklärung für viele Spareinlagen an den auch im internationalen Vergleich sehr großflächigen und belastbaren Schutzschirm für Privathaushalte und Unternehmen, an die breit gefächerten Maßnahmen der Konjunkturpakete I und II. Viele Regierungsmitglieder und Parlamentarier haben dabei ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein, Seriosität und Differenzierungsvermögen gezeigt, das vielen „Zockern“ auf den internationalen Finanzmärkten leider fehlte.
Dass in der Krise nun auch jene nach dem Staat rufen, die ihrer neoliberalen Ideologie folgend noch vor kurzen alles daran gesetzt haben ihn zu schwächen, ist keine(!) Kuriosität, wie viele meinen – es zeigt einfach, wie selbstverständlich es für Einzelne geworden ist, sich auf dem Rücken der Gemeinschaft zu bereichern. Selbst jetzt fordern manche Steuersenkungen und gleichzeitig Milliarden zur Bekämpfung der Krise.
Auf nationaler Ebene springt der Staat für die angeschlagenen Banken in die Bresche, um die Ersparnisse der Bürgerinnen und Bürger zu schützen, neues Vertrauen unter den Banken zu stiften und die Kreditversorgung für den Mittelstand zu sichern. Es geht also hauptsächlich nicht um Banken, sondern um die Sparer und die Kreditnehmer. Dafür soll das Finanzmarktstabilisierungsgesetz mit seinem großen Bürgschaftsrahmen sorgen. Der gesetzlich eingerichtete Stabilisierungsfonds ist von zentraler Bedeutung für den Staatshaushalt und damit für alle Bürgerinnen und Bürger. Denn wenn Investitionen, Löhne und Gehälter oder der Konsum in Folge der Bankenkrise gefährdet sind, dann wirken sich ausbleibende Steuereinnahmen auch negativ auf die Möglichkeiten politischer Gestaltung aus.
Für die SPD-Bundestagsfraktion sind Familien und Kommunen die wichtigsten Adressaten für Investitionen in die Zukunft des Landes. Mit dem kommunalen Investitionsprogramm des zweiten Konjunkturpakets sind etwa für das Land Baden-Württemberg zusätzliche Investitionen im Gesamtvolumen von 1,6 Mrd. € geplant. Zwei Drittel dieser Gelder sollen in den Bildungsbereich fließen und stehen für Kindergärten, Schulen, Hochschulen und Forschung zur Verfügung. Für meinen Wahlkreis Heidelberg-Weinheim ist mit einem zweistelligen Millionenbetrag zu rechnen – eine Menge Geld, mit dem viele sinnvolle Projekte verwirklicht werden können. Die Mitteilungen über die Höhe der Mittel sind in den vergangenen Tagen bei den Kommunen eingegangen.
Weiterführende Informationen zu den Konjunkturpaketen, Stellungnahmen und Berichte können Sie auf abgeordnetenwatch.de sowie insbesondere auch auf meiner Homepage http://www.lothar-binding.de nachlesen. Dort finden Sie auch Hinweise auf eigene Veranstaltungen zur Finanzkrise im Wahlkreis sowie in ganz Baden-Württemberg. Über einen Besuch auf meiner Homepage würde ich mich freuen.
In den vergangenen Wochen und Monaten wurde das Vertrauen vieler Sparer und Anleger in die Sicherheit ihrer Ersparnisse und der angelegten Gelder auf die Probe gestellt. Die Garantieerklärung der Bundesregierung für die Spareinlagen vieler Bürgerinnen und Bürger hat im Zusammenwirken mit den gesetzlichen Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsregeln, der Institutssicherung der öffentlich-rechtlichen und genossenschaftlichen Banken sowie den freiwilligen Sicherungseinrichtungen der privaten Banken viel dazu beigetragen, Zweifel an der Sicherheit der Ersparnisse zu beseitigen. Leider war dieses Netz aus gesetzlich vorgeschriebenen und freiwilligen privaten Sicherungszusagen nicht so dicht, um alle Risiken aller Anlegerinnen und Anleger aufzufangen.
Die Kunden der deutschen Kaupthing-Niederlassung mussten dies erfahren und bemühen sich – mit Unterstützung der Bundesregierung – weiter um die Erstattung ihrer Anlagesumme durch die isländische Regierung. Ursprung aller Anlegerschutzdefizite der Kaupthing-Bank-Kunden war dabei der Status dieses Instituts als örtliche Zweigniederlassung der isländischen Bank. Sie ist also keine rechtlich selbständige deutsche Tochter.
Island gehört zwar nicht der Europäischen Union, aber dem Europäischen Wirtschaftsraum EWR an. Dieser Wirtschaftsraum umfasst neben der Europäischen Union auch die Staaten der Europäischen Freihandelszone. Kreditinstitute aus dem Europäischen Wirtschaftsraum dürfen nach europäischem Recht ohne zusätzliche Erlaubnis Niederlassungen in anderen EWR-Staaten betreiben. Diesen Weg ist die Kaupthing-Bank gegangen. In Übereinstimmung mit europäischem Recht untersteht ihre deutsche Niederlassung der isländischen Bankenaufsicht. Der deutschen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin steht über solche Niederlassungen nur eine eingeschränkte Aufsicht zu.
Anders als bei rechtlich selbständigen Tochtergesellschaften sind Einlagen bei sog. EWR-Niederlassungen auch nicht durch die deutsche gesetzliche Einlagensicherung abgedeckt, sondern fallen unter die Einlagensicherung des Herkunftslandes. Es gibt zwar eine Reihe von Bankniederlassungen aus dem Europäischen Wirtschaftsraum, die sich freiwillig zusätzlich der sehr umfassenden Einlagensicherung des Bundesverbandes deutscher Banken angeschlossen haben; die Kaupthing-Bank gehört jedoch nicht dazu. Einlagen bei dieser Bank sind somit nicht von der Garantieerklärung der Bundesregierung umfasst; sie gilt grundsätzlich nur für Kreditinstitute, die Teil der deutschen Einlagensicherung sind.
Für den Schutz der Einlagen bei der deutschen Niederlassung der Kaupthing-Bank ist also die isländische Einlagensicherung zuständig. Der Zorn über die Kaupthing-Niederlassung und ihre „Lockvogelangebote“ ist berechtigt. Die Bank hat nach meinen Erkenntnissen jedoch darauf verwiesen, dass Einlagen bei ihr nicht durch die deutsche, sondern durch die isländische Einlagensicherung geschützt werden. Denn für ein Kreditinstitut besteht die gesetzliche Verpflichtung, Privatkunden vor Aufnahme der Geschäftsbeziehung über die Einlagensicherung des Kreditinstituts und deren Bestimmungen zu informieren. „Die Kaupthing-Bank hf Niederlassung Deutschland ist dem isländischen Einlagensicherungsfonds angeschlossen. Dieser Fonds schützt die Einlagen jedes einzelnen Kunden – auch in Deutschland – bis zu einer Höhe von 20.887,00 Euro.“ So heißt es in einer Werbeinformation der Bank, die unter der Überschrift „Tagesgeldkonto mit besonders attraktivem Zinssatz“ im Internet zu finden ist.
Ob isländisch oder deutsch, eine Garantie über mehr als 20.000 Euro pro Kunde ließe vermutlich die allermeisten Geschädigten aufatmen – zumal sich die Bundesregierung in Verhandlungen mit der isländischen Regierung darauf geeinigt hat, dass die deutschen Privatkunden der Kaupthing-Bank bei der Entschädigung nicht schlechter behandelt werden als isländische. Bisher hat die isländische Regierung allerdings noch keiner dieser Ansprüche erfüllt – auch wenn sich die Bundesrepublik zusammen mit Großbritannien und den Niederlanden zu einer Vorfinanzierung der Entschädigung in Form von Darlehen bereit erklärt hat. Überraschend hat Island die vertragliche Vereinbarung über die Konditionen für diese Darlehensgewährung wieder gekündigt und verzögert damit die Bedienung der Ansprüche der deutschen Kaupthing-Bank-Kunden. Das Finanzministerium setzt die Verhandlungen über die Entschädigung daher im Interesse der Betroffenen fort.
Auch bei der Rettung der auf Immobilienfinanzierungen spezialisierten Bank HypoRealEstate (HRE) ist die Regierungskoalition als Krisenmanager gefragt. Leider haben die Instrumente des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes – Garantieabsicherung, Risikoübernahme und Rekapitalisierung – bislang nicht ausgereicht, die Innenfinanzierung der HypoRealEstate hinreichend zu stärken, ihre Liquiditätssituation zu verbessern und das verlorene Vertrauen von Aktionären und Investoren wiederherzustellen. Die Ursachen hierfür liegen insbesondere bei unternehmensinternen Faktoren, auf die weder Parlament noch Finanzmarktaufsicht in der Vergangenheit Einfluss nehmen konnten. Ich denke hier etwa an die Entscheidung der Geschäftsführung, in spekulative Wertpapiere zu investieren, für die heute kein Markt mehr besteht und die einem erheblichen Abwertungsdruck ausgesetzt sind. Zudem haben sich Geschäftsmodell und Refinanzierungswege als sehr krisenanfällig erwiesen. Leider gelingt es auch "dem Markt" nicht die Kernkapitalquote zu erhöhen. Daran erkennen wir, dass auch jene, die üblicherweise absolut Marktgläubig sind, in Krisenzeiten ihrer eigenen Ideologie misstrauen.
Die Möglichkeit, keine Rettungsmaßnahmen für die gefährdete Bank zu ergreifen und das Risiko einer Insolvenz einzugehen, haben wir in den parlamentarischen Beratungen nicht als ernsthafte Alternative diskutiert. Die Bundesregierung hatte im Rahmen der Beratungen der G8-Staaten über den richtigen Umgang mit der Finanz- und Wirtschaftskrise ihren internationalen Partnern und den Betroffenen in Deutschland die verbindliche Zusage gegeben, dass keine systemrelevante Bank in die Insolvenz gehen darf – eine Lehre aus den schlimmen Folgen der Pleite der amerikanischen Bank LehmanBrothers.
Angesichts der Bilanzsumme in Höhe von 400 Mrd. €, des hohen Marktanteils auf dem Pfandbriefmarkt und angesichts der Tatsache, dass zu den Gläubigern Versicherungen, Pensionsfonds, Banken und die öffentliche Hand gehören, handelt es sich bei der HypoRealEstate um eine systemrelevante Bank. Unsere Maßnahmen waren daher von Beginn an darauf ausgerichtet, diese Bank zum Wohl der Allgemeinheit zu erhalten. Diese Stabilisierungsversuche lagen sicherlich auch im Interesse der Aktionäre.
Aus dieser Konstellation können dem Steuerzahler allerdings hohe Belastungen entstehen. Mit dem Konjunkturpaket I erhielt die HypoRealEstate Holding schon Ende des vergangenen Jahres insgesamt 50 Mrd. Euro Liquiditätshilfen; 30 Mrd. Euro stellten die privaten Geschäftsbanken zur Verfügung, 20 Mrd. Euro stammten aus Finanzmitteln der Bundesbank. Es wurde eine Bundesgarantie in Höhe von 35 Mrd. Euro über die gesamten Bundesbankmittel sowie 15 Mrd. Euro der Privatbanken ausgesprochen. Im Gegenzug hat die Holding dem Bund Sicherheiten übertragen, etwa ihre 100 %-ige Beteiligung an der DEPFA und der HRE Bank.
Mittlerweile belaufen sich die Bundesgarantien auf die Summe von 87 Mrd. Euro; zusammen mit den Garantien der Privatbanken wird die HypoRealEstate somit mit 102 Mrd. Euro gestützt – ohne dass der Staat damit eine einzige Aktie erworben oder sich Stimmrechte im Unternehmen gesichert hat. In der derzeitigen Konstellation schützt also der Steuerzahler den Aktionär vor Verlusten, obwohl er keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftspolitik nehmen kann – ein eklatantes Missverhältnis von Haftung und Verantwortung.
Wo eine solche fehlende Verknüpfung von Verantwortung und Haftung – etwa in den Vorstandsetagen vieler Banken und Fondsgesellschaften – enden kann, führt uns die weltweite Rezession derzeit schmerzhaft vor Augen. Die gegenwärtigen Überlegungen der SPD-Bundestagsfraktion haben daher eine Kontrollmehrheit bei der HypoRealEstate zum Ziel, mit der der Bund wirkungsvoll Einfluss nehmen kann, um das Eintrittsrisiko der Bürgschaften so gering wie möglich zu gestalten, die HRE an den Bestfinanzierungsmöglichkeiten des Bundes zu beteiligen und um schließlich die Sanierung des Instituts rechtssicher zu gestalten.
Eine mögliche Enteignung ist dabei erst der letzte Schritt in einem zweistufigen Rettungsverfahren. Dafür wollen wir mit einer Ergänzung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes (FMStErgG) die rechtliche Grundlage schaffen. Wir beraten derzeit im parlamentarischen Verfahren über Änderungen im Gesellschafts- und Übernahmerecht. Dazu gehören etwa die Herabsetzung der Mehrheitserfordernisse für Kapitalmaßnahmen von ¾ auf ? bzw. auf eine einfache Mehrheit bei Anwesenheit der Hälfte des Grundkapitals auf der Hauptversammlung, die Möglichkeit einer Fristverkürzung bei einem Übernahmeangebot sowie die Änderung der Mindestpreisregelung bei einem Übernahmeangebot.
Als letzten Schritt erleichtern die vorgesehenen Ergänzungen auch Übernahmen zum Zweck der Stabilisierung und im Notfall die Enteignung von Anteilseignern. Die USA, Großbritannien und Schweden sind diesen Weg der Enteignung von Aktionären schon früher gegangen, im Falle der NorthernRock-Bank betrug deren Entschädigung 0 Euro. Angesichts des laufenden parlamentarischen Verfahrens ist es nach meiner Einschätzung allerdings nicht hilfreich, über mögliche Kosten der Mehrheitsübernahme bzw. Entschädigungsenteignung zu spekulieren. Für mich ist der Begriff "Enteignung" dabei nicht treffend. Eigentlich haben sich bestimmte Banken durch Fehlverhalten selbst enteignet und erst nachdem fast alles ruiniert worden ist, muss sich der Staat kümmern um zu versuchen die Folgen neoliberalen Markversagens für die Bürgerinnen und Bürger, die Sparer und Unternehmen, möglichst zu begrenzen.
Wir haben Glück, dass die Möglichkeit einer Enteignung im Grundgesetz schon angelegt ist. Dort heißt es in Artikel 14, Abs. 3:
„Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.“
Wir bewegen uns bei den Überlegungen über eine mögliche Übernahme der HRE und der Enteignung somit innerhalb des rechtlichen Handlungsrahmens des Grundgesetzes. Die entsprechenden Regelungen sollen nur unter strengen Voraussetzungen und zeitlich beschränkt Anwendung finden.
Folgendes Verfahren diskutieren wir derzeit in den parlamentarischen Beratungen: Eine Enteignung ist nur zulässig, wenn der Versuch einer Kapitalerhöhung mit dem Ziel einer staatlichen Kontrollmehrheit bei dem betreffenden Unternehmen in einer Hauptversammlung gescheitert ist oder ein entsprechender Beschluss nicht rechtzeitig in das Handelsregister eingetragen wird. Die Enteignungsbehörde muss sich zuvor ernsthaft um den alternativen Erwerb des Unternehmens bemüht haben oder dieses Bemühen muss angesichts der Dringlichkeit keine ausreichende Aussicht auf Erfolg haben.
Der Entwurf für das Rettungsübernahmegesetz – das Ziel ist die Rettung der Bank, nicht die Enteignung der Aktionäre! – sieht zudem vor, dass ein Unternehmen nach seiner Stabilisierung wieder privatisiert werden soll und den betroffenen Anteilseignern über die Entschädigung hinaus dabei auch das Recht auf einen bevorzugten Erwerb eingeräumt werden soll. Ein mögliches Enteignungsverfahren muss bis zum 30. Juni 2009 eingeleitet sein. Die maximale Frist zur Umsetzung einer Enteignung läuft dann spätestens bis zum 31. Oktober dieses Jahres.
Es gelten folgende Voraussetzungen für eine Staatsbeteiligung nach dem Rettungsübernahmegesetz:
• Systemrelevanz des Finanzinstituts,
• rechtssichere, nachhaltige und zumutbare Stabilisierung von Unternehmen, wenn Stabilisierungsmaßnahmen nach dem Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz nicht ausreichen.
Bundestag und Bundesregierung können allerdings nicht nur „Feuerwehrmann“ für die internationalen Finanzmärkte, um inländische Arbeitsplätze und Unternehmen zu retten. Wir brauchen auch einen umsichtigen „Polizisten“, der darauf achtet, dass sich künftig wieder alle an die Verkehrsregeln auf den Finanzmärkten halten – und eventuelle „Verkehrssünder“ bestraft. Die SPD-Bundestagsfraktion hat unter der Federführung von Frank-Walter Steinmeier und Bundesfinanzminister Steinbrück kluge Vorschläge für eine wirksame Neuordnung des Finanzsystems und strengere nationale und internationale Aufsichtsbehörden vorgelegt.
Klare Finanzmarktregeln und eine Stärkung von sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit sind die Wegmarken unseres sozialdemokratischen Wertesystems, mit dem wir Verantwortung neu begründen und Vertrauen wiederherstellen wollen. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hat hierfür die treffende Metapher eines „Kompasses“ für eine neue Weltfinanzordnung geprägt, die sich an unseren folgenden Zielen ausrichtet:
• Erhalt von Arbeitsplätzen und Unternehmen;
• Schutz von Sparern, Anlegern und Kreditnehmern;
• gerechtere Verteilung der Lasten zwischen Arm und Reich in Deutschland, aber auch im Verhältnis zu den Ländern des Südens;
• Begrenzung der Verschuldung kommender Generationen.
Andere Fraktionen haben ihren eigenen neoliberalen Kompass schnell über Bord geworfen. Die Konfrontation mit der Realität der Krise hat hier offensichtlich zu der Einsicht geführt, dass die Parolen: „Mehr Markt, weniger Staat“ und „Mehr Eigennutz, weniger Gemeinsinn“ einen Irrweg im Verhältnis von Bürger, Staat und Gesellschaft markierten. Auch deshalb diskutieren wir derzeit Regelungen für die persönliche Haftung von Managern in Leitungs-, Verwaltungs- und Aufsichtsorganen und damit über Vorschläge, die die SPD-Bundestagsfraktion schon im Jahr 2004 mit dem Gesetzentwurf zur "Verbesserung der Haftung für falsche Kapitalmarktinformationen" auf die Tagesordnung gesetzt hat. Leider fanden diese Argumente damals weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene genügend Unterstützung.
Dieser neoliberale Geist der Deregulierung, Entstaatlichung und Renditeorientierung ist sicherlich ein Grund dafür, warum wir heute über Finanzmarktstabilisierungsgesetze, Konjunkturprogramme oder die Enteignung von Aktionären nachdenken müssen.
In der Hoffnung, Ihnen einen guten Einblick in meine Überlegungen ermöglicht zu haben, verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen,
Ihr Lothar Binding