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Frage von Markus W. •

Frage an Lothar Binding von Markus W. bezüglich Verbraucherschutz

Sehr geehrter Herr Binding

Die regierenden Parteien tragen hierfür die Verantwortung!
Das Kapitel Mehdorn - Tiefensee scheint einer Lösung seit Jahren überfällig. Im bürgerlichen Rechtsempfinden gibt es hierfür eine landläufige Redewendung “Mitgehangen, mitgefangen”. Seit Jahren segnet ein Minister Tiefensee jeden noch so kümmerlich, dämlichen Privatisierungsvorschlag eines Herrn Mehdorns ab, statt sich der, sich in ihren Ergebnissen gleichenden, Vorschläge zahlloser Expertenkommissionen zu bedienen. Jetzt aber scheint der Zenit überschritten. Während tausende von Fahrgästen täglich in den Genuss von Verspätungen, völlig überfüllter Züge und verpasster Anschlüsse kommen, und das wohl noch bis Weihnachten, genehmigen sich Mehdorn und Konsorten, vom Eigentümer völlig unkontrolliert?, satte Provisionen für sichtbar gute Leitungen? Das geschieht ganz im Stile der Kollegen aus der Bankenbrache, gerade so als stünde jene dreiste Selbstbedienung nicht aktuelll am Pranger ! Die Verantwortung für die jetzt sichtbar gewordenen Mängel am ICE ausschließlich auf andere zu schieben ist wohlfeil und lenkt davon ab, dass seit Jahren systematisch Einsparungen an der Wartung und eine Verlängerung der Wartungsintervalle betrieben wurde. Wann handelt die Politik oder bleibt dies dem Souverän bei der nächsten Wahl vorbehalten?

Mit freundlichem Gruss
Markus Wolf

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Wolf,

vielen Dank für Ihre Frage und Ihre strenge Betrachtung. Als Souverän oder vielleicht genauer: als Teil des Souveräns steht Ihnen das gut – und ich freue mich stets über die Wortmeldung von Bürgerinnen und Bürgern. Als Souverän (abgeleitet vom Lateinischen: superamus = über allen stehend) ist es dabei aus meiner Sicht von Vorteil, wenn man selbst vorsichtig ist mit einem vorschnellen Urteil, einem Vorurteil und wenn man darüber hinaus selbst um Exaktheit bemüht ist.

Bitte entschuldigen Sie meine recht lange Antwort, aber die Art Ihrer Frage erfordert eine etwas ausführlichere Erörterung und den Rückgriff auf eine meiner Antworten auf frühere Briefe.

Anders als Sie schreiben gibt es keine „regierenden Parteien“. Parteien wirken an der Willenbildung mit. Regierungen regieren. Im Parlament arbeiten die Volksvertreter und organisieren sich bei uns in Fraktionen. Sie schreiben weiter: „… segnet ein Minister Tiefensee jeden … Privatisierungsvorschlag eines Herrn Mehdorns ab, …“. Das ist falsch. Im Ergebnis – also etwas ganz anderes als vom Bahnvorstand zunächst vorgeschlagen – geht es nun um den Börsengang eines Teils von einem Teil der Bahn:

Da Sie sich genauer interessieren, gebe ich hier noch einmal einige fachliche Hintergrundinformationen, an deren Ende ich auch etwas zum „Souverän bei der nächsten Wahl“ sage und zu den Provisionen, die ich für falsch und unangemessen halte.

Die Diskussion über die „Privatisierung“ der Deutschen Bahn AG macht vergessen, dass der eigentliche Schritt zur Privatisierung der Bahn bereits im Jahr 1993 beschlossen wurde. Ich war und bin ein scharfer Kritiker der damaligen Entscheidung, weil damit weitere Schritte vorbereitet wurden, die schon absehbar waren. In der aktuellen Diskussion verwende ich deshalb den Begriff „Kapitalisierung“ – denn in der nun geplanten Form ist diese Kapitalisierung nur möglich, weil es vor etwa 15 Jahren bestimmte Entscheidungen gab.

Heute geht es also darum, im Rahmen dieser Vorentscheidungen Lösungen zu erarbeiten, die dem im Grundgesetz verankerten Staatsauftrag, den Interessen der Bürgerinnen und Bürger und den notwendigen betriebswirtschaftlichen Bedürfnissen der Bahn AG, Rechnung trägt. Es geht darum, die Bahn zukunftsfähig zu machen, allerdings ohne sie in die Hand von Spekulanten zu geben, die einzig und allein auf die Rendite ihrer Anteile schauen.

In diesem Sinne werden, im Rahmen des Kompromisses mit dem Koalitionspartner CDU/CSU, eine ganze Reihe an Zielen verfolgt, die eine klare sozialdemokratische Handschrift tragen.

Wir wollen und müssen die Eigenkapitalbasis und damit die Investitionskraft der DB AG stärken, um einerseits das Unternehmen entsprechend den Herausforderungen des europäischen Schienenverkehrsmarktes aufzustellen, andererseits die technisch notwendigen Sanierungen (Schienennetz und rollendes Material) zu ermöglichen. Das Ziel dabei muss auch sein, weiteres Wachstum des Schienenverkehrs zu ermöglichen und weitere Investitionen in den umweltschonenden Verkehr zu tätigen.

Die Gewinnung von zusätzlichem Kapital ist notwendig, um das Schienennetz auszubauen, die vielen „Langsamfahrstellen“ zu beseitigen, bestehende Kapazitätsengpässe zu beseitigen und Investitionen in Lärm- und Bahnhofssanierungen sowie neues Fahrzeugmaterial zu beschaffen.

Bisher wurde vereinbart, dass die Beteiligung privaten Kapitals an den Bereichen Verkehr und Logistik der DB AG unter folgenden Voraussetzungen erfolgen soll:

1. Der integrierte Konzern der DB AG bleibt erhalten und wird gesichert. Private Investoren erhalten keinen bestimmenden Einfluss auf den Kernbereich der Unternehmenspolitik der Deutschen Bahn AG. Wir sagen, es gibt keine Sperrminorität.

2. Privates Kapital darf höchstens bis zu 24,9 % an den Bereichen Verkehr und Logistik der DB AG beteiligt werden. Dafür werden der Güter-, der Fern- und der Regionalverkehr sowie dazugehörende geeignete Dienstleistungen der DB AG zu einer Gesellschaft zusammengefasst.

3. Die Aktiengesellschaft (AG) bleibt zu 100 Prozent im Bundesbesitz und behält die Aktienmehrheit an dieser Gesellschaft.

4. Die Eisenbahninfrastrukturunternehmen bleiben dauerhaft und vollständig bei der DB AG und damit zu 100 Prozent im Bundesbesitz.

5. In einem Beteiligungsvertrag des Bundes mit der DB AG wird die oben beschriebene Struktur einschließlich der Beteiligung Dritter geregelt. Hierbei wird Bezug genommen auf die im Grundgesetz festgelegte Infrastruktur- und Angebotsverantwortung. Hierzu gehört, dass der Bund dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz - als Ausdruck der Daseinsvorsorge für den Bürger - Rechnung trägt. Soweit die Verkehrsangebote auf dem Schienennetz den Schienenpersonennahverkehr betreffen, obliegen die Verpflichtungen zur Daseinsvorsorge nach geltendem Recht den Bundesländern. Der Bund wird die Länder weiterhin bei der Erfüllung dieser Verpflichtungen mit Finanzmitteln unterstützen, wie sie derzeit im Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (RegG) vorgesehen sind. An der Dynamisierung wird festgehalten, eine Revision ist für 2014 vorgesehen. Entsprechend den gesetzlichen Aufgaben der Länder (Bestellorganisationen, Verkehrsverbände) soll eine Vernetzung und Vertaktung von Nah- und Fernverkehrsangeboten erfolgen.

6. Der konzerninterne Arbeitsmarkt muss auch nach der Anteilsveräußerung langfristig gesichert bleiben – hier wird eine der wichtigsten Forderungen der SPD und der Gewerkschaften erfüllt.

7. Der Veräußerungserlös wird zu etwa gleichen Teilen für ein Innovations- und Investitionsprogramm für den Schienenverkehr und für die Aufstockung des Eigenkapitals der DB AG und für den Bundeshaushalt verwandt. Der Bund erwartet, dass die der Bahn zur Verfügung gestellten Mittel für nationale Innovationen und Investitionen der Bahn verwandt werden.

8. Die Gesetzgebungskompetenz des Deutschen Bundestages für die wesentlichen eisenbahnpolitischen Steuerungsinstrumente bleibt unberührt (z.B. Allgemeines Eisenbahngesetz, Bundesschienenwegeausbaugesetz, Regionalisierungsgesetz).

9. und einige weitere Punkte, die Sie auf meiner Website finden: www.Lothar-Binding.de

Der gegenwärtige Diskussionsstand ist der, dass der im Koalitionsantrag von CDU/CSU und SPD vereinbarte Sachverhalt, inzwischen BT-Drucksache 16/9070, im Bundestag beraten wurde. Die noch für dieses Jahr geplante Öffnung der Deutschen Bahn AG für eine Beteiligung Dritter im Verkehrs- und Logistikbereich unter den beschriebenen Bedingungen wurde zunächst verschoben.

Wie bei jeden Kompromiss gibt es extreme Positionen, die von den jeweiligen Partnern oder Kontrahenten aufgegeben werden müssen: Zwischen der einhundertprozentigen Kapitalisierung der Bahn und ihrem vollständigen Staatsbesitz gibt es naturgemäß viele Alternativen.

Ich bin nach wie vor für den vollständigen Staatsbesitz und habe vorgeschlagen, den Kapitalbedarf der Bahn durch eine Staatsanleihe zu sichern. Der Bund würde ein Papier auflegen, die Bürgerinnen und Bürger können das z.B. festverzinsliche Papier kaufen, der Bund könnte die Kapitalverstärkung bei der Bahn zu ähnlichen Konditionen vornehmen zu der sich die Bahn nun ihrerseits am Kapitalmarkt bewegen will. Ein offenes Problem dieses Vorschlags ist die Anrechnung dieser zusätzlichen Staatsverschuldung auf die Schuldenquote nach den Maastrichtkriterien. Die Schuldenquote, hier die Staatsquote, also die Schulden aller Kommunen, aller Länder, des Bundes und der Sozialkassen, darf 60 Prozent des BIP nicht überschreiten. Dieser Wert ist bereits überschritten und es war fraglich, ob eine weitere Verschuldung im zweistelligen Milliardenbereich in Europa problemlos akzeptiert worden wäre. Ich wäre dieses Risiko eingegangen, viele Kolleginnen und Kollegen wollen hier auf der sicheren Seite bleiben. Und in einer Demokratie genügt es nicht Recht zu haben – auch eine Mehrheit ist unverzichtbar.

Übrigens ist das auch ein Problem des Souveräns. Er ist sich mit sich selbst nicht einig. Fast täglich erhalte ich Briefe, die so beginnen: „jetzt will ich Ihnen mal schreiben was das Volk so denkt…“ Leider widersprechen sich die dann gemachten Ausführungen häufig diametral – aber jeder wähnt seine Meinung als die des ganzen Volkes.

Der Begriff „Kompromiss“ zwischen Null und 100 % legt oft nahe sich auf „die Hälfte“ zu einigen. Die „Hälfte“ der Bahn wird kapitalisiert. Das klingt nach einem guten Kompromiss. Allerdings spiegelt diese arithmetische Betrachtung nicht die aktienrechtliche und politische Wirklichkeit wider. Ich möchte diese Vorüberlegung hier abbrechen. Im Ergebnis geht es nun nicht um alle Teilunternehmen der Bahn. Es geht nur um bestimmte Teile der Bahn. Bei diesen Teilen der Bahn geht es wiederum nicht um die Hälfte, sondern nur um 24,9 % die kapitalisiert werden sollen. Das ist ärgerlich und erfreulich zugleich. Das ist ärgerlich, weil es ein Einstieg in die Kapitalisierung ist, das ist erfreulich, weil mit diesem Anteil die Sperrminorität verhindert werden konnte. Für die Zukunft ist damit aber nicht mehr oder weniger festgelegt, als wenn heute nichts beschlossen würde, denn jede neue Regierung, genauer Regierungskoalition, könnte in der Zukunft erneut in die Kapitalisierung einsteigen – in jeder beliebigen Größenordnung. Meine Hoffnung ist auch, dass mit diesem Einstieg, der Kapitalbedarf der Bahn soweit hinreichend gedeckt werden kann, dass eine künftige weitergehende Kapitalisierung nicht begründet werden kann – außerdem, wenn Sie mir die politische Bemerkung erlauben möchten, liegt es in der Hand der Wählerinnen und Wähler sich für eine eher neoliberale Richtung von CDU/FDP/CSU oder eine eher sozialdemokratische Richtung zu entscheiden. Auf der Grundlage dieser Überlegungen und den Freiheitsgraden einer Fraktion in einer Koalition sind die Verhandlungsergebnisse, die meine Fraktion in Kooperation mit Kurt Beck entwickelt hat, im Sinne einer sozial verantwortlichen Verkehrspolitik sehr gut.

Sie schreiben weiter: „… sich in ihren Ergebnissen gleichenden, Vorschläge zahlloser Expertenkommissionen… “ – wissen Sie nicht, dass es fast immer so viele Meinungen gibt wie Sie Experten fragen. An anderer Stelle erwähnen Sie die Bankmanager – hätte es ohne diese Experten jemals seine solche Krise wie die gegenwärtige gegeben? Die Idee, Privatisierung der Bahn, geht doch letztlich auf Empfehlungen von Experten während einer CDU/CSU/FDP Regierung zurück. Erst in der Politik, im Parlament, haben wir dann unter Beteiligung der SPD-Fraktion Kompromisse erzielt.

Sie schreiben: „… genehmigen sich Mehdorn und Konsorten, vom Eigentümer völlig unkontrolliert? satte Provisionen für sichtbar gute Leitungen?“ Ich bin gegen die Provisionen und auch dagegen, das Grundgehalt von Herrn Mehdorn anzuheben. Aber Ihre Formulierung „genehmigen sich Mehdorn“ ist falsch. In einer Aktiengesellschaft ist der Aufsichtsrat für die Vergütung der Manager verantwortlich. Nicht der Manager selbst. Deshalb kritisiere ich die heutige Verfahrenspraxis und Kultur in Aufsichtsräten. Dort ist in vielen Fällen ein für mich verständliches Maß für Vergütungen verloren gegangen. In einem Rechtsstaat kann selbst der Eigentümer aktienrechtlich nicht unmittelbar auf solche Vergütungen Einfluss nehmen. Natürlich über die Vertretung im Aufsichtsrat und deshalb war es wichtig, die Vertretungsaufgaben des Regierungsvertreters im AR, einem beamteten Staatssekretär, zu überprüfen.

Ihre Bemerkung zur operativen Führung der Bahn, Sie erwähnen Verspätungen etc., ist mir zu polemisch. Mehdorn hatte einen Auftrag: ich darf das umgangssprachlich formulieren – schwarze Zahlen zu schreiben. Nach jahrelangen dramatischen Verlusten sollte einer die Ertragslage der Bahn verbessern. Das hat er geschafft. Obwohl in Jahrzehnten Netz und rollendes Material vernachlässigt wurden. Dies alles in wenigen Jahren aufzuholen, ohne dass es jemand merkt, war nicht zu erwarten. Mit dem zweiten Auftrag: Mehr Güter auf die Schiene, ist Mehdorn auch auf einem guten Weg.

Ich wollte die wenigen Bemerkungen zu Herrn Mehdorn machen, weil mir die schwarz-weiß Schemata ebenso wenig liegen wie Polemik eine Problemlösung unterstützt.

Sie schreiben am Ende Ihrer Mail: „Wann handelt die Politik oder bleibt dies dem Souverän bei der nächsten Wahl vorbehalten?“ Unabhängig davon wann die Politik handelt, bleibt es dem Souverän vorbehalten, bei der nächsten Wahl zu entscheiden. Wählen Sie FDP als das eine Extrem – der Staat wird zurück gedrängt, Privatisierung beschleunigt, „Eigenverantwortung“ als vornehme Übersetzung von Egoismus gegen eine solidarische Gesellschaft ausgespielt. Da die FDP der Lieblingskoalitionspartner der CDU/CSU ist, können Sie sich vorstellen, wie deren Zusammenspiel hinsichtlich der Bahn sein wird. Wählen Sie die so genannte Linke als das andere Extrem – die Bahn bleibt bestimmt anfangs in Staatshand, wird aber durch die finanzpolitischen Irrwege bereits vorgeschlagener Ausgabesteigerungen in den Ruin getrieben. Deshalb wähle ich die SPD und hoffe auf eine Koalition, die den öffentlichen Verkehr in solidem finanzpolitischem Rahmen ökologisch weiter entwickelt.

Mit freundlichen Grüßen, Ihr Lothar Binding