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Frage von Hubert J. •

Frage an Lothar Binding von Hubert J. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Binding.

In der BT-Sitzung vom 5.Juni 2008 ging es unter anderem bei den TOP 7a-7c um 3 Anträge der Oppositionsparteien bezgl. der Beseitigung der katastrophalenen Steuerausfälle und Steuerhinterziehungstatbeständen,welche seit Jahren bekannt sind und zu jährlichen Schadenshöhe von rund 100 Milliarden Euro führen.
Diese Schadenssumme ergibt sich ua. aus dem Karussellbetrug bei der Umsatzsteuer, dem Kettenbetrug im Baugewerbe, durch Steuerausfälle wg. nicht gewollten/ nicht durchgeführten Betriebsprüfungen, sowie durch die sogenannten aggressiven Steuermodelle.
Die Anträge wurden von der Regierungsmehrheit abgelehnt, in die Ausschüsse verwiesen. Dort werden sie, wenn überhaupt, zerredet, weichgespült oder verschwinden ganz in der Versenkung, ohne dass sich an der unhaltbaren Situation etwas ändert.
In ihrem Redebeitrag haben Sie ein regierungseigenen Antrag erwähnt, mit welchem der beschriebenen Problematik begegnet werden soll.
Frage: Wo kann Mann/Frau diesen Antrag nachlesen, und wann gedenkt die Regierungskoalition diese staats- und gesellschaftsgefährdenten Missstände abzustellen.

MfG
Hubert Jenni

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Jenni,

vielen Dank für Ihre Fragen zum Thema Steuerbetrug und insbesondere Hinterziehung der Umsatzsteuer. Sie haben Recht: Die Liechtenstein-Affaire hat die Öffentlichkeit einmal mehr aufgeschreckt und gezeigt, dass es vermögende Privatanleger und international operierende Konzerne gibt, die häufig mit Unterstützung von professionellen Anlageberatern, im großen Stil Steuern hinterziehen, was nach nationalem und internationalem Recht strafbar ist. Nicht nur unserem Staat gehen dadurch hohe Steuereinnahmen verloren - andere Steuerzahler, die sich fair an den Gemeinschaftsaufgaben beteiligen, bezahlen diesen Betrug. Außerdem wird die Handlungsfähigkeit des Staates eingeschränkt. Den Fachpolitikern sind diese Prozesse bekannt. Deshalb ist die Bekämpfung von Steuerbetrug und exzessiver Anwendung von Steuergestaltungen ein dauerhafter Prozess. Nicht selten sind es die gleichen, die jeden Trick zur Steuervermeidung anwenden, um uns anschließend Anzahl und Komplexität der Steuergesetze vorwerfen, die erst in Folge dieser Tricks notwenig werden.

Deshalb arbeiten wir seit Jahren gemeinsam mit den Bundesländern auf nationalstaatlicher Ebene und im Austausch mit den anderen Mitgliedstaaten auch auf europäischer Ebene gegen den Steuerbetrug in allen Steuerarten. Diese ständige gesetzliche Fortentwicklung zur Bekämpfung von Steuerdelikten ist und bleibt notwendig. Gegenwärtig arbeiten wir im Finanzausschuss an einem Gesetzentwurf. Ziel ist, die bestehenden gesetzlichen Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten zu überprüfen und weiterzuentwickeln.

Sie schreiben: " Dort werden sie, wenn überhaupt, zerredet, weichgespült oder verschwinden ganz in der Versenkung,…" Ich finde es ein wenig schade, dass Sie Ihre wichtigen und guten Fragen in den Kontext solcher Klischees stellen.

Im Folgenden möchte ich Ihnen einige unserer Überlegungen erläutern.

Unser Ziel ist es, Steuerbetrüger zu entdecken bzw. das Risiko entdeckt zu werden, deutlich zu steigern. Denn ein System, das steuerehrliche Personen oder Unternehmen nicht vor Wettbewerbsnachteilen schützt und betrügerischen Gestaltungen keinen Einhalt bietet, hat schwerwiegende Gerechtigkeitsdefizite und Akzeptanzprobleme. Deshalb ist es zunächst wichtig, die Steuerprüfung und Steuerfahndung, also den Vollzug der existierenden Gesetze, zu verstärken. Leider engagieren sich nicht alle Länder gleichermaßen bei der Steuerfahndung. Der rechtliche und technische Rahmen auch auf der Basis einer hinreichenden also verstärkten Personalausstattung wird nicht in allen Ländern konsequent genutzt. Hinter vorgehaltener Hand gilt eine schlechtere Steuerfahndung bei einigen Unternehmen sogar als Vorteil für den Wirtschaftsstandort. Deshalb haben die Finanzpolitiker der SPD Fraktion Bundesminister Steinbrück sehr dabei unterstützt, eine Bundessteuerverwaltung einzurichten, um solchen Effekten zu begegnen. Leider stieß dieses wichtige Projekt bisher bei der CDU/CSU auf Ablehnung.

Wichtig ist auch, Betrug und Missbrauch des geltenden deutschen Umsatzsteuerrechts weiter zu reduzieren. Komplizierte Prozesse müssen untersucht werden. Dafür wird Zeit benötigt. Deshalb muss die Verjährungsfrist für die Verfolgung von Straftaten verlängert werden. Auf europäischer Ebene ist die Koordination der steuerlichen Missbrauchsbekämpfung zu verbessern und auf internationaler Ebene müssen Maßnahmen gegen Staaten vereinbart werden, die es Steuersündern besonders einfach machen, ihr Geld im Ausland anzulegen, weil mit manchen Staaten und Gebieten kein ausreichender Zugang und Austausch von Bankinformationen stattfindet. Das bedeutet, dass wir mit Ländern, die es Steuerbetrügern besonders leicht machen, Geld zu verstecken, besser kooperieren müssen. Das kling gut, setzt aber auch die Kooperationsbereitschaft anderer Länder voraus. Deshalb sind Anträge im Bundestag, die etwa so beginnen: "Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, kurzfristig Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung im Bereich der internationalen und nationalen Besteuerung zu ergreifen…. (wie) die Ergreifung einseitiger Maßnahmen,… Ausschluss von Bankinstituten aus nicht kooperierenden Staaten vom inländischen Kapitalmarkt,… Kündigung von Doppelbesteuerungsabkommen…" gut klingend, aber nicht zielführend. Hier gilt es die Konsequenzen mitzudenken, wenn Deutschland ohne Abstimmung mit anderen Ländern solche Strafaktionen beschließen würde. Warum sollten sich eigentlich andere Länder an einseitigen Deutschen Strafaktionen beteiligen? Auf lange Sicht hätten viele Staaten von dieser Deutschen Dummheit einen Vorteil. Was würden Sie mir dann schreiben?

Umsatzsteuerbetrug bzw. Karussellgeschäfte
Sie sprechen das wichtige Thema Umsatzsteuerbetrug bzw. Karussellgeschäfte an. Umsatzsteuerbetrug verletzt das Gerechtigkeitsempfinden der Steuerzahler gravierend und belastet die steuerehrlichen Unternehmen übermäßig stark. Umsatzsteuerhinterziehung schädigt, wie Sie zu recht erwähnen, den Staat auf der Einnahmenseite, da durch grenzüberschreitende Karussellgeschäfte, Vorsteuererschleichung durch sogenannte Gründungstäter oder Steuerhinterziehung mit gefälschten Rechnungen große Steuermindereinnahmen entstehen.

Auch in gesamtwirtschaftlicher Perspektive richtet der Umsatzsteuerbetrug erheblichen Schaden an. Steuerehrliche Unternehmen haben im Wettbewerb mit steuerunehrlichen Unternehmen eine deutlich schlechtere Ausgangssituation. Sie werden womöglich vom Markt verdrängt, Arbeitsplätze werden vernichtet, der Staatshaushalt wird mit den Folgekosten der Arbeitslosigkeit belastet.

Den Kampf gegen den Umsatzsteuerbetrug führen wir gemeinsam mit den Ländern auf nationalstaatlicher Ebene und im Austausch mit den anderen Mitgliedstaaten auch auf EU- Ebene. Wir haben in den vergangenen Jahren Instrumente entwickelt, die den Missbrauch von Regelungen im Umsatzsteuerrecht bekämpfen helfen. Folgende Ausführungen sollen Ihnen einen kurzen Überblick verschaffen.

Anfang 2001 trat das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz in Kraft und verbesserte die Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten der Finanzbeamten vor Ort:

Neugegründete Unternehmen sind verpflichtet, ihre Umsatzsteuer- Voranmeldung monatlich abzugeben, um kurzlebige Firmen zu identifizieren, die nur zum Zweck des Umsatzsteuerbetrugs gegründet wurden.
Finanzbeamte können unangemeldet eine Umsatzsteuer- Nachschau durchführen, um sich einen objektiven Eindruck eines Unternehmens zu verschaffen.
Unternehmer haften für schuldhaft nicht abgeführte Umsatzsteuer.
Um insbesondere den Umsatzsteuerkarussellbetrug zu bekämpfen, wurde die gewerbs- oder bandenmäßige Nichtbezahlung der Umsatzsteuer als Straftat definiert und kann seither auch entsprechend bestraft werden.

Wir haben in den vergangenen Jahren weitere Instrumente der Strafverfolgung und Ahndung von Steuerstraftaten eingesetzt, die den Missbrauch bekämpfen sollen.

Die Abgabenordnung in § 370 zur Ahndung von Steuerhinterziehung sieht neben Geld- auch Freiheitsstrafen vor, in besonders schweren Fällen sogar mit einem Höchststrafmaß von zehn Jahren. Gegen Zahlung einer Geldbuße kann zur Beschleunigung des Verfahrens die Einstellung der Ermittlungen erfolgen. Bei Verdacht der bandenmäßigen fortgesetzten Umsatzsteuer- und Verbrauchsteuerhinterziehung besteht inzwischen die Möglichkeit der Telefonüberwachung.

Auch mit dem Steueränderungsgesetz 2003 und dem Haushaltsbegleitgesetz 2004 wurden gesetzliche Regelungen im Interesse einer effektiveren Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung erlassen. Die beim Bundeszentralamt für Steuern eingerichtete Zentrale Datenbank zur Speicherung und Auswertung von Umsatzsteuerbetrugsfällen und Entwicklung von Risikoprofilen erfasst bundesweit Betrugsfälle und ermöglicht somit einen schnellen Informationsaustausch. Sie ist daher ein wichtiges Instrument, das die Finanzbehörden in die Lage versetzt, Scheinunternehmen frühzeitig aufzudecken. Die Zentrale Koordinierungsstelle beim Bundeszentralamt für Steuern wurde als Ansprechpartner für die zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union bei Umsatzsteuerbetrug eingerichtet. Die Zentrale Stelle koordiniert aber auch bundesweit die erforderlichen Maßnahmen in staaten- und länderübergreifenden Umsatzsteuerfällen: Umsatzsteuer-Sonderprüfungen und Steuerfahndung.

Das Verfahren zur länderübergreifenden Namensabfrage LUNA ermöglicht u.a. bei der erstmaligen Vergabe einer Steuernummer den bundesweiten Online-Zugriff auf Grunddaten von privaten Steuerzahlern und Unternehmen. Dieses Verfahren wird erweitert, indem Zugriffsmöglichkeiten ausgebaut und eine Vernetzung mit der Informationsdatenbank ZAUBER geschaffen wird. Damit steht eine bundesweit nutzbare Informationsbasis zur Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug zur Verfügung.

Auch im Bereich der Überprüfung von Umsatzsteuer-Voranmeldungen wurden mittlerweile wirksame Instrumente entwickelt. Fast alle Bundesländer setzen ein sog. regelbasiertes Entscheidungssystem ein, mit dem alle eingehenden Umsatzsteuer-Voranmeldungen bezüglich ihres typischen Risikos hinsichtlich eines Umsatzsteuer-Betrugsversuches oder einer ungerechtfertigten Erstattung bewertet werden.

Trotz der erwähnten Maßnahmen sind laut Ifo-Wirtschaftsinstitut die Umsatzsteuerausfälle noch immer inakzeptabel hoch. Für 2007 belaufen sich die Schätzungen auf 14 Mrd. Euro, wobei 11,3 Mrd. Euro allein auf Umsatzsteuerbetrug zurückgehen, die übrigen Ausfälle betreffen Insolvenzen.

Die Zahlen belegen, dass es trotz vieler gesetzlicher Maßnahmen noch immer immanente Schwächen im Umsatzsteuerrecht gibt. Daher bin ich für eine grundlegende Systemänderung. Diese Konstruktionsfehler sind mit der Vollendung des EG- Binnenmarktes 1993 und dem Wegfall der innergemeinschaftlichen Grenzkontrollen zu Tage getreten. Sie lassen sich – in aller Kürze – folgendermaßen skizzieren.

Die Umsatzsteuer ist in Deutschland als Allphasen-Netto- Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug ausgestaltet. Eine Besteuerung ist in jeder Phase der Wertschöpfung vorgesehen. Durch den Vorsteuerabzug wird hingegen erreicht, dass effektiv nur die Schöpfung des Mehrwerts beim Letztabnehmer besteuert wird. Mit der Berechnung der Umsatzsteuer auf jeder Liefer- und Leistungsstufe im Wertschöpfungsprozess wird ein enormes Berechnungs-, Verrechnungs- und Zahlungsvolumen zwischen den Unternehmen sowie zwischen den Unternehmen und dem Fiskus freigesetzt, das sich im Jahr 2001 auf etwa 513 Mrd. Euro belief. Diese gewaltige Summe löst Begehrlichkeiten aus – und leider sind die Regelungen zum Vorsteuerabzug anfällig für Steuerausfälle durch Betrug oder im Falle von Insolvenzen.

Missbrauch ist etwa in den sog. Karussellgeschäften möglich. Karussellbetrug liegt – oft im innergemeinschaftlichen Handel - vor, wenn eine Kette von Warenlieferungen besteht und einer oder mehrere Händler in dieser Kette die von seinen Kunden bezahlte Umsatzsteuer nicht ans Finanzamt abführt, der Einkäufer für seine Einkäufe aber einen Vorsteuerabzug geltend macht.

Insolvenzen schaden dem Finanzamt oft gleich doppelt, wenn sowohl das leistende wie auch das leistungsempfangende Unternehmen zahlungsunfähig werden. Im ersten Fall kann das Unternehmen die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nicht mehr abführen; im zweiten Fall kann das Unternehmen den Vorsteuerabzug aus der Eingangsrechnung beim Finanzamt geltend machen, ohne die Rechnung zahlen zu können. Rückforderungen des Finanzamts scheitern dann in der Regel an der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens.

Über die oben dargestellten Maßnahmen hinaus diskutieren wir zwei Methoden zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs:

Ist-Versteuerung:
Die Verrechnung der Vorsteuer mit der Mehrwertsteuerschuld und der Verzicht auf die Vorsteuererstattung durch den Fiskus diskutieren wir unter dem Begriff der Ist- Versteuerung. Bei diesem Modell ist die Bezahlung des Preises durch den Abnehmer einer Ware oder Dienstleistung die zentrale Stellgröße für die Bemessung der Steuerschuld. Erst wenn der leistende Unternehmer den Preis für seine Lieferung einnimmt, der Abnehmer also die Rechnung bezahlt, entsteht die Pflicht zur Abführung der Steuer. Er muss die Steuer also nicht mehr gegenüber dem Fiskus vorfinanzieren. Anders als im jetzigen Verfahren entsteht auch das Recht zum Vorsteuerabzug beim Unternehmen, das eine Leistung oder Ware empfängt, erst zum Zeitpunkt der Bezahlung der Rechnung – also eine Verschiebung des Besteuerungszeitpunkts vom Zeitpunkt der Leistungserbringung auf den Zeitpunkt der Vereinnahmung des Entgelts.

Auch dieses System ist allerdings betrugsanfällig, denn es besteht – wie nach derzeitigem Recht - das Risiko, dass Vorsteuerbeträge durch Leistungsempfänger angemeldet werden, bevor das Entgelt durch den Leistenden vereinnahmt wurde. Auch dieses Verfahren ist also auf eine effiziente Steuerverwaltung und ein funktionierendes Prüfsystem angewiesen. Der administrative Kontrollaufwand bei Unternehmen und Behörden wächst allerdings deutlich:

Um zu prüfen, ob Leistungsempfänger zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, müsste ein Abgleich zwischen dem Ausgangsumsatz eines leistenden Unternehmers mit dem entsprechenden Eingangsumsatz auf Seiten des Leistungsempfängers vorgenommen werden, das sog. Cross-Check-Verfahren. Dieses Verfahren setzt allerdings voraus, dass Unternehmer alle ihre Ausgangs- und Eingangsumsätze einzeln elektronisch bei der Finanzbehörde anmelden – ein enormer administrativer Aufwand.
Zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Cross-Checks- Verfahrens wäre es auch erforderlich, eine generelle monatliche Steuererklärungs- und Zahlungspflicht für alle Unternehmen einzuführen.

Frankreich und andere Länder praktizieren eine Verrechnung der Vorsteuer. Trotzdem haben diese Länder ebenfalls in erheblichem Ausmaß mit Mehrwertsteuerausfällen zu kämpfen; Frankreich etwa im Jahr 1999 mit betrugsbedingten Ausfällen von 60 Mrd. Franc, was einem Anteil von 9,2% des gesamten Umsatzsteueraufkommens entsprach.

Die Einführung der Ist- Besteuerung mit Cross-Check-Verfahren ist mit einem hohen technischen und administrativen Aufwand für Unternehmen und auch die Finanzverwaltung verbunden. In der Einführungsphase kämen zudem Steuerausfälle in Höhe von 21 Mrd. Euro auf uns zu. Aus diesem Grund verfolgen Bund und Länder gemeinsam auf europäischer Ebene das Ziel eines grundlegende Wechsel des Mehrwertsteuersystems und die Einführung des sog. Reverse Charge- Verfahrens.

Reverse Charge- Verfahrens.
Dabei handelt es sich um ein System, mit dem sich Umsatzsteuerbetrug wirksam bekämpfen lässt. Das Modell verlagert die Steuerschuld für Umsätze zwischen Unternehmen vom leistenden Unternehmer auf den Leistungsempfänger. Davon ausgenommen bleiben hingegen Leistungen an private Endverbraucher und Umsätze unter der Bagatellgrenze von 5.000 Euro; hier soll es bei der Regelung der Steuerschuld des leistenden Unternehmens bleiben.
Die systembedingten Umsatzsteuerausfälle durch Vorsteuerbetrug würden in diesem Verfahren deutlich eingeschränkt. Eine Auszahlung von Vorsteuern, die der Fiskus an anderer Stelle nicht vereinnahmen kann, wird unterbunden, da Umsatzsteuerschuld und Vorsteuerabzug beim selben Steuerpflichtigen anfallen. Das Reverse Charge- Verfahren birgt allerdings die Gefahr des unversteuerten Letztverbrauchs durch Abnehmer, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Zur Sicherung des Umsatzsteueraufkommens müssen deshalb bei Einführung dieses Verfahrens begleitende Kontrollmechanismen eingeführt werden.

Schätzungen einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft haben ergeben, dass sich mit diesem Modell ein positiver Saldo von ca. 3,8 Mrd. € Aufkommenswirkungen pro Jahr erzielen ließe. Allein die Umsatzsteuerausfälle aus Karussellgeschäften, die sich auf etwa 2,1 Mrd. Euro im Jahr beliefen, könnten um 2 Mrd. Euro zurückgehen. Der Karussellbetrug könnte also fast vollständig ausgeschaltet werden, die Umsatzsteuereinnahmen ließen sich erhöhen, die Steuerlast steuerehrlicher Unternehmen könnte verringert werden.

Die Mehrwertsteuer- Systemrichtlinie lässt auf europäischer Ebene die Einführung des Reverse Charge- Verfahrens bislang allerdings nicht(!) zu. Gegenwärtig prüft die Europäische Kommission die Binnenmarktverträglichkeit dieses Verfahrens. Einige Mitgliedstaaten lehnen dieses Verfahren bislang strikt ab. Untersucht werden die Möglichkeit einer gemeinsamen europäischen Grundlage für das Mehrwertsteuerrecht und die Auswirkungen des Reverse Charge- Modells. Für die Umsetzung des Modells ist allerdings ein einstimmiger Beschluss aller Mitglieder erforderlich, da die Entscheidungskompetenz im Bereich des Steuerrechts bei den einzelnen EU- Staaten liegt. Sie könnten versucht sein zu sagen: "Dort werden sie, wenn überhaupt, zerredet, weichgespült…" – aber wir sind nicht allein auf der elt uns erzielen auch noch mahr als 40 % unseres Bruttosozialprodukts im Ausland…

Während der deutschen Ratspräsidentschaft in der EU hat sich der ECOFIN- Rat, der Zusammenschluss der Wirtschafts- und Finanzminister der Mitgliedstaaten, gleichwohl auf eine gemeinsame Linie zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs geeinigt. Vorgesehen sind u.a. ein besserer Informationsaustausch zwischen den Staaten bei innergemeinschaftlichen Lieferungen und eine Neuregelung der oft strittigen Frage der gesamtschuldnerischen Haftung. Außerdem hat die Kommission eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die weitere Vorschläge zur Bekämpfung von Steuerbetrug im bestehenden System entwickeln soll. Umsatzsteuerbetrug wird also auf unterschiedlichen politischen Ebenen – in den Ländern, im Bund und in der Europäischen Union – als Problem wahrgenommen und bekämpft.

Unternehmensteuerreform 2008
Ein großes und wichtiges Projekt zur Sicherung der Steuerbasis war die Unternehmensteuerreform 2008. Damit wurden zahlreiche Steuerschlupflöcher für Unternehmen geschlossen und die Möglichkeiten der Steuergestaltung deutlich eingeschränkt:

Sofortbesteuerung an der Grenze
Begrenzung der grenzüberschreitenden Verlustverrechung
Zinsschranke für Körperschaften bzw. Konzerne
Sicherung der Besteuerung bei grenzüberschreitender Funktionsverlagerung
Einschränkung der Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen der Wertpapierleihe
Verschärfung der Regelung zum Mantelkauf
Hinzurechnungen der Finanzierungsanteile bei Zinsen, Mieten und Pachten
Abschaffung der degressiven Abschreibung

Ich gehe davon aus, dass in der Folge dieser Maßnahmen Unternehmensgewinne wieder verstärkt in Deutschland versteuert werden.

Trotzdem wollen wir in dieser Richtung weiter arbeiten. Allerdings müssen weitergehende gesetzliche Regelungen und Verhandlungsziele – abgesehen von wenigen, nationalstaatlich möglichen Regelungen - "mit Europa abgestimmt" werden, um Erfolg haben zu können. Schnellschüsse helfen nicht weiter.

Weitere Hinweise finden Sie auch unter http://www.campact.de/img/oase/docs/Lothar_Binding_Antworten.pdf

Hoffentlich konnte ich einige Ihrer Bedenken konstruktiv reflektieren.

Mit freundlichen Grüßen
Lothar Binding