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Frage von Norbert H. •

Frage an Lothar Binding von Norbert H. bezüglich Gesundheit

Sie haben in der Sendung von Anne Will gesagt, die große Mehrzahl der Wirte ist gesetzestreu und hält sich an das Rauchverbot.

Anscheinend leben Sie in einem anderen Bayern. In den Städten, in denen kontrolliert wird, schießen die Raucherclubs wie Pilze aus dem Boden.
Auf dem Land, wo ich herkomme kümmert sich an den Stammtischen kein Mensch um das Verbot.
"Wir kennen uns doch alle, das ist eine geschlossene Gesellschaft"!

Frage 1:
Ist es für Sie nachvollziehbar, daß auch die Nichtraucher an diesen Stammtischen dieses Totalverbot ablehnen.
Frage 2:
Streiten Sie jedem Raucher die Fähigkeit ab ab, trotz seiner Sucht klar denken und entscheiden zu können?

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Höllerer,

vielen Dank für Ihre Fragen. Ich kenne die Situation, die Sie beschreiben, aus eigener Erfahrung, wenn ich Gaststätten und Kneipen in meinem Wahlkreis Heidelberg- Weinheim oder in Berlin besuche. Die vielerorts entstehenden Raucherclubs oder -vereine werfen ein bezeichnendes Licht auf die Konsequenzen des Verzichts eines bundeseinheitlichen Gesetzes für alle gastronomischen Betriebe. Sie sind unvermeidliche Folge eines Flickenteppichs unterschiedlicher Regelungen, Ausnahmen und Lücken in den Ländern, die bei vernünftiger Betrachtung kaum noch zu verstehen sind. Dabei gibt es immer wieder Missverständnisse darüber, was rechtlich unter einem „Club“ zu verstehen ist.

Mit meiner Bemerkung „… große Mehrzahl der Wirte ist gesetzestreu und hält sich an das Rauchverbot.“ will ich Pauschalurteile abwehren. Unabhängig von ihrer persönlichen Meinung, kenne ich viele Wirte, die sich gesetzestreu verhalten. Natürlich gibt es auch unter den Wirten Gauner: Sei es bei der Buchführung zur Steuerminimierung, sei es bei den Beschäftigungsverhältnissen oder sei es hinsichtlich hygienischer oder gesundheitsbezogener Fragen. Aber deshalb gibt es ja den Wirtschaftskontrolldienst, die Steuerfahnder, die Ordnungsämter oder die Polizei.

Zu Ihrer 1. Frage: Was Sie mit „Totalverbot“ meinen, ist mir nicht ganz klar. Auch in Bayern darf geraucht werden; lediglich in Gasthäusern etc. ist das Rauchen verboten, weil damit stets auch andere Menschen durch die kontaminierte Luft gefährdet werden – es sei denn, wir wollten ihnen den Besuch dieser Räume verwehren. Ich finde es verständlich, dass auch Nichtraucher an den Stammtischen das Rauchverbot ablehnen. Denn der soziale Druck, den die Tabakindustrie bewusst, viele Raucherinnen und Raucher unbewusst und unabsichtlich ausüben, ist leider immer noch und trotz aller bisherigen Erfolge im Nichtraucherschutz beachtlich. Die Tabaklobby geht seit Jahren vehement gegen gesetzliche Regelungen zum Nichtraucherschutz vor. Denn ohne Gesetze keine Rauchverbote, und ohne Verbote kein Unrechtsbewusstsein. Jeder durfte überall rauchen und andere damit unbewusst und ungewollt schädigen.

Die Tabakindustrie will damit eine gesellschaftliche Atmosphäre erzeugen, in der das „genüssliche Rauchen in gemütlicher Runde“, beim Feierabendbierchen, nach dem Sport, am Stammtisch etc. der Normalfall ist, und nicht das angenehme Gespräch in gesunder Luft. Nichtraucher verzichten häufig auf die Bitte, das Rauchen einzustellen oder dafür vor die Tür zu gehen, und atmen lieber weiter den gesundheitsschädigenden Rauch der Freunde und Bekannten am Stammtisch ein. Der Nichtraucher wird in dieser Verzerrung und Verfälschung der Argumente und Positionen implizit zum intoleranten Nörgler und Moralapostel abgestempelt, der dem Raucher seinen Genuss nicht gönnt und sein freies Recht zu rauchen beschneiden will. Er muss sich rechtfertigen, warum ihn der Tabakrauch beim Abendessen stört, er verrauchte Gaststätten und Kneipen nicht mehr besucht oder die Gegenwart von Rauchern meidet. Dies will die Mehrzahl der Menschen nicht mehr akzeptieren. Umfragen verdeutlichen, dass sich 70 Prozent der Bevölkerung für einen besseren gesetzlichen Schutz vor Passivrauchen aussprechen. Die Menschen fordern klare, einheitliche und verständliche Regelungen.

Zu Ihrer zweiten Frage: Niemals würde ich Menschen Fähigkeiten absprechen. Es kommt mir darauf an, ob jemand seine Fähigkeiten auch zur Geltung bringt, bringen kann. Folglich können natürlich auch Raucherinnen und Raucher klar denken und entscheiden – mit einer Einschränkung. Der abhängige, süchtige Raucher verfügt – im Gegensatz zum Nichtraucher – über eine ganz zentrale Entscheidungsfreiheit allerdings gerade nicht: die Freiheit, nicht zu rauchen. Erst wenn der Raucher aber seinen Zwang, rauchen zu müssen, überwunden hat, ist er frei zu entscheiden, ob er rauchen möchte oder nicht.

Die Tabakindustrie versucht in ihren Werbekampagnen oder in den Stellungnahmen ihrer Lobbyisten immer wieder, den Freiheitsbegriff als Kernaussage über die Unternehmens“werte“ zu betonen. Die Tabakindustrie stiftet beispielsweise den Liberty Award und suggeriert damit, dass Freiheit und Selbstbestimmung der Konsumenten höchste Priorität haben. Der Trick der Tabaklobby liegt darin, zwar zuzugeben, dass das Produkt gefährlich sei, gleichzeitig aber dem Raucher die freie Verantwortung dafür zuzuschieben, sich dafür oder dagegen zu entscheiden – was er, wie oben gezeigt, nicht kann. Man betont damit also, es liege in der freien Entscheidung des Rauchers, ob er nun raucht oder nicht. Gleichzeitig werden dem eigenen, giftigen Produkt aber mehr als 600 – im Ergebnis auch krebserzeugende Substanzen – beigemischt, um es bekömmlicher, wohlschmeckender, suchterzeugender zu machen.

Ich hätte mir gewünscht, dass sich alle Raucherinnen und Raucher freiwillig, eigenständig und ihren nichtrauchenden Mitmenschen zuliebe dafür entscheiden, ihre Zigarette dort zu rauchen, wo sie niemanden stören. Leider war dieses Maß an Vernunft, Rücksichtnahme und Verständnis angesichts der geschilderten gesellschaftlichen Situation noch nicht gegeben. Daher brauchen wir eine bundeseinheitliche Regelung, die dem Gesundheitsschutz und der Berufsfreiheit gerecht wird und Wettbewerbsverzerrungen vermeidet.

Mit freundlichem Gruß, Lothar Binding