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Frage von Sebastian S. •

Frage an Lothar Binding von Sebastian S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Binding,

ein großer Tag für die Befürworter der sogenannten inneren Sicherheit, ein schwarzer Tag für die Bürgerrechte in Deutschland. Frau Zypries und Herr Schräuble haben sich auf einen Kompromiss zum sogenannten Bundestrojaner geeinigt.

Ich möchte Sie bitten, zu einem konkreten Gedankengang Stellung zu nehmen:

Wenn derzeit Rechnersysteme mit einer herkömmlichen Hausdurchsuchung von den Ermittlungsbehörden eingezogen und analysiert werden, muss dringend beachtet werden, dass das als Beweis vorgesehene System auf gar keinen Fall manipuliert wird. Dazu wird üblicherweise ein Abbild der Festplatte im Nur-Lese-Modus erstellt und danach nur noch mit diesem Abbild gearbeitet, weiterhin muss im Prinzip für jeden Menschen nachvollziehbar dokumentiert werden, welche Analyseschritte genau wann von Seiten der Ermittlungsbehörden erfolgten.

Verstöße gegen diese grundsätzlichen Regeln haben üblicherweise zur Folge, dass dadurch erlangte Beweise nicht gerichtsverwertbar sind.

Nun hoffe ich, dass ich Ihnen, als ehemaligen Mitarbeiter des URZ Heidelberg, nicht erklären muss, dass eine externe Onlinedurchsuchung, wie sie der Kompromiss vorsieht, per Definition ein manipulierender Eingriff ist und somit direkt folgt, dass entsprechend gewonnene Beweise niemals vor einem Gericht zugelassen werden dürfen.

Wurden Ihnen dieser Gedankengang von den entsprechenden Gesetzesbefürwortern klargemacht? Wie gedenken Sie, mit dieser offensichtlichen Unmöglichkeit der Onlinedurchsuchung umzugehen? Gelten etwa elementare Verfahrensregeln nicht mehr, wenn es um das Hohe Ziel der inneren Sicherheit geht? Werden Sie nach der Zustimmung zum entsprechenden Gesetz wieder eine dieser unsäglichen Zusatzerklärungen mitunterzeichnen oder werden Sie das einzig Richtige tun und diesem vor blindem Aktionismus strotzenden Gesetz Ihre Zustimmung verweigern?

Vielen Dank im Voraus für Ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen,
Sebastian Sproesser

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Sproesser,

für Ihre Frage vom 16. April danke ich Ihnen recht herzlich. Die im Rahmen der Neufassung des sog. BKA- Gesetzes geplante Onlinedurchsuchung war schon einmal Gegenstand unseres Schriftwechsels über diese Website. An meiner grundlegenden Position, dem Schutz unserer Bürgerrechte Vorrang vor polizeilicher Ermittlungsarbeit bei der Terrorismus und Verbrechensbekämpfung zu geben, hat sich nichts geändert. Ich nehme daher inhaltlich auf meine frühere Antwort Bezug.

Bei der letztjährigen „Langen Nacht der Wissenschaft“ habe ich im Rechenzentrum der Universität Heidelberg einen Vortrag unter dem Titel „Innere Sicherheit kostet uns Persönlichkeitsrechte und Datenschutz – aber alles hat seinen Preis?“ gehalten. Ich beschäftige mich darin mit Fragen der technischen Machbarkeit und rechtlichen Zulässigkeit von Vorratsdatenspeicherung und Onlinedurchsuchung. Sie finden diese Überlegungen auf meiner Homepage unter folgendem Link: http://www.lothar-binding.de/fileadmin/downloads/pdf/Der_Preis_der_Inneren_Sicherheit_Vortrag_bei_der_Nacht_der_Wissenschaft_-_14-12-7.pdf

Der vor den federführenden Ministerien des Inneren und der Justiz erarbeitete Kabinettsentwurf wird demnächst ins parlamentarische Verfahren eingebracht. Es handelt sich dabei um einen Kompromiss, der in den beteiligten Ausschüssen und Arbeitsgruppen sehr genau geprüft werden wird. Ich betone dies deshalb ausdrücklich, weil wir – meine Kolleginnen und Kollegen der SPD- Bundestagsfraktion – hohe rechtsstaatliche Hürden für unsere Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf aufgerichtet haben. Ich bin froh, dass sich die Position des Innenministers in diesem Kompromiss nicht durchsetzen konnte.

Entscheidendes Prüfkriterium wird für mich sein, ob der Entwurf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts präzise und schlüssig umsetzt. Wir hatten uns im Vorfeld der Gesetzesberatungen dafür eingesetzt, den Richterspruch aus Karlsruhe abzuwarten, um das Instrument der Onlinedurchsuchung in vollständiger Übereinstimmung mit unserem Grundgesetz auszugestalten. Diese Strategie hat sich als klug erwiesen. Denn das in diesem Urteil entwickelte Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme ist nicht disponibel.

Meine Skepsis hinsichtlich des rechtsstaatlichen Schutzes von Grundrechten, der informationstechnischen Umsetzbarkeit dieses Eingriffs und der Sinnhaftigkeit dieses Ermittlungsinstruments ist allerdings noch nicht überwunden. Ich denke dabei etwa an die unbedingte Wahrung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung in Art. 13 GG. Der Kompromiss sieht an dieser Stelle vor, dass – entgegen der Pläne von CDU und CSU – Ermittler nicht heimlich in Wohnungen einbrechen dürfen, um sich Zugang zu einem privaten Computer zu verschaffen. Meine Zustimmung setzt auch die Bindung einer Onlinedurchsuchung an einen richterlichen Beschluss und das nachweisbare Vorliegen von Anhaltspunkten für konkrete Gefährdungen zentraler Rechtsgüter voraus. Dies kann ich erst dann beurteilen, wenn der Gesetzentwurf vorliegt.

Noch eine abschließende Bemerkung: Ich möchte Ihre Suggestivfrage mit der Formulierung „eine dieser unsäglichen Zusatzerklärungen mitunterzeichnen“, wie sie in noch schärferer Form in vielen Onlineforen zu Hauf zu lesen sind, nicht unkommentiert stehen lassen. Ich halte diese oft schon zynischen Aussagen der politischen Debatte in einer Demokratie nicht angemessen. Leider prägt dieser Stil immer häufiger die Auseinandersetzung, wie mir in Gesprächen, aus Schreiben oder Emails deutlich wird. In manchen Foren ist deutlich zu spüren, wie sich bestimmte Teilnehmer in einen immer schärferen Stil hineinsteigern. Stets in der Gewissheit absoluter Weisheit.

Ich bin in dieser Hinsicht vorsichtiger und gestehe jedem Bürger, jeder Bürgerin selbstverständlich das Recht zu, eine andere Meinung als ich zu haben. Auch Irrtümer sind denkbar. Ich habe vielleicht in einzelnen Punkten eine andere Meinung als Sie, als der Koalitionspartner, als die eigene Fraktion – aber ich bin bereit, meine abweichenden Ansichten und Einstellungen mit Hilfe des § 31 der Geschäftsordnung des Bundestages (GOBT) öffentlich zu dokumentieren.

Dieses Recht sollte in einem demokratischen System, in dem es keine „herrschende Meinung“ und keine „allwissende Partei“ gibt, eigentlich keiner Erwähnung bedürfen. Ich erwähne unser Recht zur abweichenden Meinung trotzdem, auch um Ihnen die Bedeutung eines pluralistischen, gewaltenteilig organisierten Staates in Erinnerung zu rufen.

Die Verfassungsfestigkeit von Gesetzen, die im Bundestag verabschiedet werden, stellen die sog. Verfassungsressorts, die Bundesministerien des Inneren und der Justiz, fest. Kein Gesetzentwurf, der nach dieser Prüfung als nicht verfassungskonform eingestuft wird, erreicht die zweite und dritte Lesung. Nun gibt es tatsächlich gelegentlich Meinungsunterschiede über die Verfassungsfestigkeit. Ich meine damit nicht das stereotype Muster der politischen Auseinandersetzung: willst Du ein Gesetz verhindern, behaupte zunächst einmal seine Verfassungswidrigkeit.

Nein, manchmal gibt es bei mir oder Kolleginnen und Kollegen begründbare Zweifel politischer, moralischer oder rechtlicher Art, gerade auch bei einem derart wichtigen und sensiblen Thema wie Bürgerrechten und Innerer Sicherheit. Eine Klärung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes kann letztlich nur das Bundesverfassungsgericht leisten. Auf diese Widersprüche kann mit einer Persönlichen Erklärung nach § 31 GOBT hingewiesen werden – ausdrücklich: entweder um eine verfassungsrechtliche Prüfung anzuregen oder um zu dokumentieren, dass es schon bei Abstimmung im Parlament Bedenken gab. Dies dient dem Gericht als Entscheidungshilfe. Denn der Hüter der Verfassung kann nur auf Grundlage eines konkreten Gesetzes tätig werden – denn wo kein Gesetz, da kein Kläger und erst recht kein Richter.

Diese Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative hat sich als großer Vorteil für die Stabilität unserer Demokratie erwiesen. Regierung und Parlament regeln über Gesetze und Verordnungen die Lebenszusammenhänge aller Bürgerinnen und Bürger, das Verfassungsgericht prüft die Verfassungsmäßigkeit dieser Rechtsakte. Diese Arbeitsteilung ist ein zentraler Mechanismus der sorgsamen Weiterentwicklung und des Schutzes unseres Rechtssystems. Sie erleichtert mir die Zustimmung zu diesem Gesetz, denn verfassungswirksame Teile werden mit einer entsprechenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unwirksam – eben ohne Wirkung.

Meine Abschlussbemerkung ist etwas ausführlicher geworden. Dafür bitte ich um Ihr Verständnis. Mir erschien es aber wichtig, auf diese elementaren Zusammenhänge noch einmal hinzuweisen. Eventuell haben wir – Sie und ich –die gleichen Einschätzungen hinsichtlich der Onlinedurchsuchung und doch kann es Gründe geben in einer Abstimmung zu unterschiedlichen Ergebnissen zu kommen, weil die Gesetze stets mehr regeln als den einen Punkt der aus individueller Sicht nicht Zustimmungsfähig ist. Ein Charakteristikum des Kompromisses. Daraus folgende Meinungsunterschiede sollten wir aushalten können.

Mit freundlichem Gruß,
Ihr Lothar Binding