Frage an Lothar Binding von Miguel M. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Binding,
Ich frage mich wie es sein kann, dass es einer jungen Gruppe Zocker vor ihrem PC gelingen kann, so ein Chaos an den Aktienmärkten zu veranstalten? Die Aktienmärkte sind doch für den langfristigen Vermögensaufbau da und nicht fürs kurzfristige zocken. Warum wird so was nicht reguliert? Ich kann es auch nicht verstehen, warum diese Zocker dann auf ihre Gewinne nur 25% Steuern zahlen und ein Arbeitnehmer, der acht Stunden hart arbeitet wie eine Krankenschwester, seine Arbeitskraft zwischen 35% und 42% versteuern muss. Wenn man sich so in den Zockerforen umschaut, verlagern jetzt alle Termingeschäft/Derivate Zocker ihren Fokus auf das Daytrading Aktien Zocken !!! Jetzt werden Aktienwerte auf Daytrading Basis gezockt weil die jetzt mit dem neuen Steuergesetzt keine Termingeschäfte mehr zocken. Darunter leiden jetzt die Anleger, die ihre Aktien länger als 10-15 Jahre auf dem Konto liegen lassen, um ein kleines Vermögen für die Rente aufzubauen. Auch Aktienfonds für den Vermögensaufbau, leiden jetzt unter dem täglichen Aktienhandel der Zocker. Ich habe Angst um mein Aktiendepot, dass für meine Rente gedacht ist. Der Aktienhandel gehört für den Privatanleger reguliert. Was ist eigentlich mit dem Bitcoin Handel ? Das ist genauso eine Zockerei !! Wenn man Bitcoins zehn Jahre hält, muss man keine Steuern auf den Verkauf zahlen ! Na toll ! Da gibt es jetzt Menschen die haben ein Millionen Vermögen mit Bitcoin gemacht und müssen keine Steuern zahlen ! Das finde ich sozial Ungerecht ! Die Finanzmärkte sind doch kein Casino ! und sogar im Casino gibt es Regeln !
Mit freundlichen Grüßen
M. M.
Sehr geehrter Herr Müller,
vielen Dank für Ihre Frage zum Thema Regulierung auf dem Kapitalmarkt. So fasse ich Ihre Frage thematisch zusammen.
Sie schreiben: „Ich frage mich wie es sein kann, dass es einer jungen Gruppe Zocker vor ihrem PC gelingen kann, so ein Chaos an den Aktienmärkten zu veranstalten?“. Vermutlich denken Sie an den „Fall GamesStop“. Hier hat sich eine große Zahl von Privatanlegerinnen und –anleger über Internetforen u.a. zum Kauf der Aktie des US-Unternehmens GamesStop verabredet – soweit ich es der Presse entnehme.
Im Zusammenhang mit dieser Aktie haben verschiedene institutionelle Anleger, u.a. Hedgefonds, auf einen sinkenden Kurs gewettet und Leerverkäufe getätigt. Sie halten Verkaufsoptionen zu einem vereinbarten Preis, ohne die Aktie zu besitzen (ungedeckter Leerverkauf) und hoffen die Aktie kurz vor dem Stichtag günstiger beschaffen zu können. Durch die vielen verabredeten Käufe ist der Kurs der Aktie zeitweise stark gestiegen. Dadurch ist es bei einigen Hedgefonds teilweise zu starken Verlusten gekommen, da sie ihre Leerverkaufspositionen zu den höheren Preisen schließen mussten.
Sie fragen weiter: „Warum wird so was nicht reguliert?“ Dazu ist zunächst zu sagen, dass es hier größtenteils um Transaktionen in den USA geht. In Deutschland und auch der Europäischen Union (EU) sind ungedeckte Leerverkäufe schon lange verboten. Der Leerverkauf einer Aktie ist also nicht möglich, ohne Eigentümer der Aktie zu sein oder einen Anspruch auf den Eigentumsübertrag zu haben.
Darüber hinaus gilt, dass auf den Finanzmärkten stets eine faire Preisbildung stattfinden soll. Marktmanipulationen jedweder Art verzerren die Preisbildung und müssen unterbunden werden und sind nicht zulässig. Es hat sich immer wieder gezeigt, dass z.B. Hedgefonds ihre Marktmacht in unfairer Weise eingesetzt haben. Wenn auf Seiten der Privatanlegerinnen und –anleger durch Schwarmspekulationen als Reaktion auf die Hedgefonds ebenfalls unfaire Handelspraktiken eingesetzt werden, wäre dies natürlich der falsche Weg. Die Antwort auf manipulatives Verhalten darf nicht manipulatives Verhalten sein. Dies würde die Volatilität auf den Finanzmärkten in bedenklichem Ausmaß erhöhen und kurzfristige Spekulationen weiter anheizen.
Als Reaktion auf die Schwarmspekulationen hatten einige sogenannte Online-Broker, wie z.B. RobinHood (USA) oder Trade Republic (Deutschland), den Handel mit der GamesStop-Aktie eingeschränkt, so dass z.B. nur noch Verkäufe, aber keine Käufe mehr möglich waren. In der Folge wird nun diskutiert, ob es sich bei diesen Vorgängen möglicherweise ebenso um Marktmanipulationen handelt.
Wir brauchen hier eine starke Finanzmarktaufsicht, die für Transparenz und die Einhaltung der Handelsregeln auf den Märkten sorgt. Institutionelle Anleger wie Hedgefonds müssen besser reguliert werden und für Leerverkäufe sind noch strengere Regeln nötig. Sicher wissen Sie, dass es die ständige Debatte im politischen Raum gibt… wirksame Regulierung oder Freiheit des Einzelnen, staatliche Ordnungspolitik oder Freiheit (Sie verwenden den Begriff häufig, ich benutze ihn sparsam) des Zockers…
In Bezug auf die Online-Broker muss die Finanzaufsicht genau untersuchen, wie die Handelsbeschränkungen zu bewerten sind und ob diese unter Umständen auf den Einfluss der von der Schwarmspekulation negativ betroffenen Hedgefonds zurückzuführen sind. Die Dienstleistungen der Broker müssen auch bei vermehrter Handelsaktivität zur Verfügung stehen und die Handelsregeln müssen eingehalten werden. Es gilt hier also erst einmal die Ergebnisse dieser Untersuchungen durch die Aufsicht abzuwarten und es wäre nicht klug eilfertig zu (be)urteilen und Beschlüsse zu fassen.
Sie schreiben weiter: „Ich kann es auch nicht verstehen, warum diese Zocker dann auf ihre Gewinne nur 25% Steuern zahlen und ein Arbeitnehmer, der acht Stunden hart arbeitet wie eine Krankenschwester, seine Arbeitskraft zwischen 35% und 42% versteuern muss.“ Gewinne aus Kapital, z.B. aus Aktien, werden derzeit mit dem fixen Steuersatz von 25% in der Abgeltungsteuer versteuert. Diese ist 2009 eingeführt worden, weil zu dieser Zeit die Steuerflucht ein großes Thema war. Vielleicht erinnern Sie sich an den Satz des damaligen Bundesfinanzministers Peer Steinbrück: „Lieber 25% auf X, als 42% auf nix.“. Hier sagen Sie Wahres und Falsches.
Der Satz war damals richtig. Inzwischen konnte die Steuerflucht bei Kapitalgewinnen aber deutlich eingedämmt werden, u.a. durch den automatischen Informationsaustausch zwischen den Finanzbehörden vieler Staaten. Daher ist es fair und gerecht, Kapitalgewinne wieder im Einkommensteuertarif zu versteuern, so wie Sie es ebenfalls anmerken. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass Aktien bereits auf Ebene des Unternehmens mit Körperschaft- und Gewerbesteuer belastet sind. Wir sprechen von Vorbelastung auf Unternehmensebene. Durch Ihre Aktie, Eigenkapital im Unternehmen, entsteht ein Gewinn, der mit 30 % besteuert wird (Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer). Dann bleiben 70 % für Ihre Dividende. Darauf zahlen Sie 25 %, also 17,5 % – und so wird Ihr Gewinn – anders als Sie vermuten – nicht mit 25 % sondern viel höher besteuert. Hier muss also bei einer Reform eine Anrechnung ermöglicht werden.
Sie schreiben: „Die Aktienmärkte sind doch für den langfristigen Vermögensaufbau da und nicht fürs kurzfristige zocken.“ Ich finde es auch sinnvoll Aktien lange zu halten, um Schwankungen im Zeitablauf auszugleichen. Dazu trägt ebenso eine breite Streuung bei. Allerdings ist die Anlagestrategie jedem selbst überlassen. Kurzfristiges Zocken ist nicht verboten, kann aber zu einer stärkeren Volatilität beitragen, wenn dies in großem Stil geschieht. Auch deshalb ist Regulierung wichtig.
Sie schreiben: „Auch Aktienfonds für den Vermögensaufbau, leiden jetzt unter dem täglichen Aktienhandel der Zocker. Ich habe Angst um mein Aktiendepot, dass für meine Rente gedacht ist.“ Bisher habe ich nur davon gelesen, dass einige Hedgefonds durch die Schwarmspekulationen mit der GamesStop-Aktie Verluste erlitten haben. Es ist sicher gut in diesem Raum für die Rente zu sparen.
Bitcoins und andere Kryptowährungen werden steuerlich als sonstige Wirtschaftsgüter eingestuft. Wenn diese innerhalb eines Jahres ge- und wieder verkauft werden, muss der Gewinn über den Einkommensteuertarif versteuert werden. Es existiert eine Freigrenze i.H.v. 600 Euro. Bei einer längeren Haltedauer sind die Gewinne aus dem Verkauf von Kryptowährungen steuerfrei, das ist richtig. Diese werden dem Handel mit Kunstgegenständen o.ä. Wertgegenständen gleichgestellt. Auch hier sind Gewinne nach längerer Haltedauer steuerfrei gestellt. Aus meiner Sicht sollte hier über eine Änderung nachgedacht werden, so dass die Steuerpflicht auch bei längerer Haltedauer besteht. Den Apologeten der Freiheit gefällt diese Überlegung nicht, weil sie vergessen, dass die eigene Freiheit dort endet, wo die des anderen beginnt.
Hoffentlich hilft Ihnen meine Antwort einen Schritt weiter.
Mit freundlichen Grüßen, Ihr Lothar Binding