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Frage von Insa J. •

Frage an Lothar Binding von Insa J. bezüglich Humanitäre Hilfe

Am 04.03.20 haben sie gegen die Aufnahme von 5000 besonders schutzbedürftiger Geflüchteter aus den griechischen Lagern gestimmt, - wieso? Schon damals waren viele Kommunen und Städte bereit, Geflüchtete aufzunehmen und dennoch verhinderten sie dies mit Ihrer Stimme. Erklären Sie mir das bitte. Die Bereitschaft zu Menschlichkeit und Solidarität mit den Menschen auf Lesbos hält in vielen Regionen der BRD an und wird öffentlich kund getan. Die Situation auf Lesbos ist nicht mehr tragbar und schon längst nicht mehr zu verantworten. Was werden Sie tun, um Geflüchtete aufzunehmen und den Menschen auf Lesbos zu helfen?
Danke für Ihre Antwort, Insa Jebens

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Sehr geehrte Frau Jebens,

vielen Dank für Ihre Frage.

Bereits im März 2020, als die Fraktion der Grünen im Bundestag den Antrag gestellt hatte, erreichten uns einige Anfragen, die der Ihren sehr ähnlich sind. Seit der jüngsten Katastrophe von Moria finden sich unter vielen Posts ein Screenshot des damaligen Abstimmungsverhaltens mit dem impliziten Vorwurf, die SPD verweigere sich der Aufnahme von Geflüchteten. Wenn jetzt Kevin Kühnert oder unsere Parteivorsitzende Saskia Esken mit Forderungen an die Öffentlichkeit gehen, Deutschland solle eine hohe vierstellige Anzahl der Geflüchteten aufnehmen, wird ihnen gar Heuchelei vorgeworfen.

Was auf den ersten Blick verständlich scheint, ist auf den zweiten Blick nicht fair oder sogar falsch. Wenn eine Regierung gebildet wird, verabreden die jeweiligen Koalitionspartner (also auf Bundesebene SPD, CDU und CSU), dass sie nicht gegeneinander stimmen, oder genauer: einem Antrag nur zustimmen, wenn alle drei zustimmen. So gibt es sogar den absurden Fall, dass ich gegen einen Antrag stimme, den ich zuvor schon selbst eingebracht habe, der aber nun nur deshalb von der Opposition eingebracht wird, um diesen Widerspruch zu erzeugen.

Diese gegenseitige Versicherung ist eine Notwendigkeit, um verlässliches Regieren zu ermöglichen. Hätte die SPD diesem Antrag der Grünen oder einem anderen Antrag einer Oppositionspartei zugestimmt, hätte sie somit eine der zentralsten Vereinbarungen einer jeden Koalition aufgekündigt. Eine der Folgen wäre gewesen, dass sich die Fraktionen von CDU und CSU – wenn sie die Koalition nicht gleich aufkündigen – zukünftigen sozialdemokratischen Vorhaben mit dem Verweis auf die fehlende Verlässlichkeit der SPD verweigern oder – im Zweifel noch schlimmer – für die Anträge anderer (rechter und rechtsextremer) Oppositionsfraktionen stimmen.

Um ein Beispiel aus einem anderen Themenfeld zu geben: brächte eine Oppositionspartei den Antrag ein, den Mindestlohn auf 14 Euro pro Stunde anzuheben, würden wir wohl auch dagegen stimmen, obwohl wir uns dafür aussprechen, den Mindestlohn auf dieses Niveau zu heben. Außer natürlich, bei CDU und CSU würde die Erkenntnis wachsen, dass genau das angebracht ist. Absurd, nicht wahr?

Nun könnte man sagen, dass es hierbei doch um Menschenleben geht. Leider hätte damals auch eine Zustimmung der SPD zum Grünen-Antrag keine Mehrheit im Parlament ergeben – mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und den Rechtsradikalen wäre der Antrag trotzdem abgelehnt worden. Es wäre folglich keinem einzigen Kind an der griechischen Grenze geholfen worden und Deutschland hätte stattdessen zusätzlich zu den derzeitigen massiven politischen Problemen eine handfeste Regierungskrise.

Anstatt also einem Antrag der Grünen zu folgen und damit effektiv gar nichts zu verbessern, nutzen wir die Möglichkeiten, die uns als Regierungspartei offenstehen: wir arbeiten einerseits mit Hochdruck an einer europäischen Lösung, die sich nicht nur auf die akute Situation in Griechenland konzentriert, sondern auch den dafür ursächlichen Bürgerkrieg in Syrien und die Armut in afrikanischen Staaten im Blick behält. Andererseits konnten wir unseren Koalitionspartnern und Innenminister Seehofer damals nach äußerst zähen, 7,5 Stunden (!) andauernden Verhandlungen die Zusage abringen, an der „Koalition der Willigen“ teilzunehmen und wenigstens einen Teil der unbegleiteten, minderjährigen Kinder aufzunehmen.

Vielleicht können Sie sich die Frustration vorstellen, die sich bei uns breit macht, wenn unsere vermeintlich christlichen Koalitionspartner in den Diskussionen über die Hilfe für Menschen, die alles verloren haben, diesen eklatanten Mangel an Nächstenliebe aufweisen. Im Parlament erleben wir Christentum ohne Nächstenliebe. Mit dem Maßstab der Nächstenliebe wären viele Aufgaben relativ leicht zu lösen. Um uns den Schrecken der großen Zahlen zu nehmen. In Deutschland gibt es etwa 11.000 Kommunen – große und kleine. Wenn die großen Städte einige mehr und die kleinen Gemeinden einige weniger Geflüchtete aufnähmen – Deutschland hätte ein anderes Gesicht. Gleichwohl würde ich mich über andere Mitgliedstaaten ärgern, die ihre Verpflichtungen auf Griechenland und Italien abladen und Menschlichkeit gegenüber Geflüchteten vermissen lassen. Dass es auch noch ökonomisch eine große Dummheit ist, sich der Zuwanderung zu verweigern, steht auf einem anderen Blatt.

Eben sehe ich die Meldung, dass 1.553 Menschen aufgenommen werden sollen – Sie sehen, dass wir etwas fordern, die Union will das Gegenteil und am Ende müssen wir mit einem schlechten und ungenügenden Kompromiss leben.

Ein Wort zu den Grünen, die sich mit ihrem Antrag (von dem alle im Parlament natürlich wussten, dass er nicht angenommen werden würde) als letzte Retter der Humanität inszeniert haben: auch sie stimmen nicht gegen ihre Koalitionspartner, wenn sie in Regierungsverantwortung sind. Schauen Sie z.B. auf die Beschlüsse der Grünen in Regierungsverantwortung in den betroffenen Bundesländern. Ich möchte an dieser Stelle aber keinen Streit mit den Grünen aufmachen, denn ohne Grüne, Linke und SPD gibt es keine Asyl- und Einwanderungspolitik, wie Sie und ich uns das vorstellen.

Bitte helfen Sie weiterhin ein humanes Deutschland zu schaffen.

Mit freundlichen Grüßen, Ihr Lothar Binding