Frage an Lothar Binding von Melanie B. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Wie werden Sie am 3.7. im Bundestag stimmen, wenn das neue Kohleausstiegsgesetz verabschiedet werden soll? Die Mitglieder der Kohlekommission kritisieren, dass es in seiner jetzigen Version signifikant hinter dem ausgehandelten Mindestkompromiss zurückbleibt. Die nun vorgesehenen Fördermengen liegen deutlich höher als im Entwurf vereinbart.
Zudem zementiert es Kohleverstromung für 18 weitere Jahre, obgleich sie schon jetzt nur durch Subventionen von Steuerzahlenden wirtschaftlich ist. Durch öffentlich-rechtliche Verträge mit RWE und LEAG würde ein früherer Ausstieg (und er wird kommen) die Steuerzahlenden > 4 Milliarden Euro kosten, Geld welches wir dringend für den sozialverträglichen ökologischen Wandel brauchen werden, insbesondere, weil wir schon jetzt die Mittel künftiger Generationen für Konjunkturhilfen ausgeben.
Bitte denken Sie an unsere Kinder und Enkel !
Sehr geehrte Herr Frau Dr. Bergmann,
vielen Dank für Ihre Frage und Bemerkungen. Am Freitag, den 3. Juli, Gestern, hat der Deutsche Bundestag das Kohleausstiegsgesetz und das Strukturstärkungsgesetz beschlossen.
Das Kohleausstiegsgesetz (KAG) einerseits – gemessen an unserer klimapolitischen Zielsetzung – eine massive Schwäche: die Zeit, das Enddatum. Andererseits regelt es auch ein sozial vertretbares Ende der Kohleindustrie. Und es regelt ein Ende. Soweit ich weiß, ist schon das allein einmalig in der Welt. Leider stehen wir bei der Entscheidung um das KAG zwischen „nichts tun“ oder einem ungeliebten Kompromiss mit CDU und CSU, die keinen Kohleausstieg wollen, wie sie schon keinen Ausstieg aus der Atomstromproduktion wollten.
Ihren kritischen Ton verstehe ich sehr gut – wenn Sie meine politische Arbeit beobachtet haben, werden Sie wissen, dass ich diese Kritik teile. Den politischen Durchbruch für das Ende der Atomkraftwerke in Deutschland verdanken wir der Katastrophe Fukushima. Ich hoffe, dass die Erkenntnisse zum Ausstieg aus der Kohle sich nicht erst nach einer Klimakatastrophe einstellen. Deshalb brauchen wir weiterhin Engagement.
Leider setzt sich das Parlament nach dem Wahlergebnis von 2017 zusammen. Die SPD hätte gerne mit Grünen zusammen eine progressive Politik umgesetzt. Natürlich nicht a la Kretschmann in Baden-Württemberg, aber entlang der Programmatik der grünen Bundestagsfraktion. Stattdessen befinden wir uns aber bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen in der dritten Großen Koalition dieses Jahrtausends und müssen CDU und CSU jede kleine Veränderung in Richtung Klimaschutz oder sozialer Sicherung durch lange Verhandlungen abringen. Das Ergebnis von Wahlen. Leider sind nur zwei Prozent der Bevölkerung in Parteien. Von den 98 Prozent könnten sich noch einige z.B. in der SPD engagieren, um die Weichen bei Wahlergebnissen und die Weichen bei Entscheidungen in Parlamenten schneller richtig zu stellen.
Sie wünschen sich starke klimapolitische und soziale Reformen in Deutschland? Dann helfen Sie eine schwarz-grüne Regierung ab 2021 zu verhindern. Die Grünen werden sich mit CDU und CSU genauso abmühen, wie die SPD in der derzeitigen Koalition. Klimagerechtigkeit geht nur mit Roten und Grünen. Inzwischen sind sogar Leute im Parlament angekommen, die den Klimawandel überhaupt leugnen. Deren Obstruktion ist auch ein Motiv dem KAG zuzustimmen.
Warum stimme ich außerdem für das Kohleausstiegsgesetz? Wenn wir nichts tun, vergeht wertvolle Zeit. Wenn das KAG kommt, gehen bereits dieses und kommendes Jahr die ersten Kraftwerke vom Netz. Ja, der Ausstiegspfad der danach folgt ist zu lang, aber die ersten Schritte und ein Enddatum für Kohleverbrennung in Deutschland sind zwei große Durchbrüche, die mit dem KAG erreicht werden. Wenn wir gegen das Gesetz stimmen passiert auf unbestimmte Zeit – nichts. Wenn wir für das KAG stimmen, könnten wir nach der Wahl 2021 in einer Koalition mit den Grünen und Linken die Fehler im Gesetz korrigieren.
Sie schreiben: „Zudem zementiert es Kohleverstromung für 18 weitere Jahre …“ Das ist falsch. Das KAG regelt beispielsweise nur die maximale Leistung die Kohlekraftwerke bis 2038 leisten dürfen. Derzeit werden die Kraftwerke teilweise schon vom Netz genommen, weil die Erneuerbaren Energien den Strombedarf decken. Nur weil es rechtlich erlaubt ist, müssen die Kraftwerke also nicht zwangsweise bis in die 2030er im Betrieb bleiben. Ein schnellerer Ausstieg bleibt möglich.
Die Verträge, die mit den Braunkohlekraftwerkbetreibern geschlossen werden sollen, werden erst im September im Parlament diskutiert. Gerade hier müssen wir auf eine frühere Ausstiegsoption hinarbeiten! Durch das KAG wird also nichts zementiert. Aber jeder nächste Schritt, von den Verträgen bis zur Überprüfung ob unsere Maßnahmen Erfolg haben, sollte weiter kritisch von Ihnen begleitet werden. So merkwürdig es klingt, der öffentliche Druck hilft, in dieser schwierigen Koalition Klimapolitik voranzubringen.
Der Kampf gegen den Klimawandel geht weiter. Ich danke Ihnen und allen Aktivst*innen die geholfen haben, den Fortschritt in der vergangenen Woche möglich zu machen und hoffe, dass wir in Zukunft schnellere und größere Schritte zusammen gehen können.
Mit freundlichen Grüßen, Ihr Lothar Binding