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Frage von Johann D. •

Frage an Lothar Binding von Johann D. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Binding,

was hat die Große Koalition in Sachen Regulierung bisher getan, damit sich eine Finanzkrise wie die von 2008 nicht wiederholen kann?

MfG

D.

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SPD

Sehr geehrter Herr Diestelberg,

vielen Dank für Ihre Frage zum Thema Finanzmarktregulierung. Sie fragen, welche Regulierungsmaßnahmen seit der Finanzkrise 2008 durchgeführt wurden, um das Finanzsystem künftig robuster und stabiler zu machen. Konkret fragen Sie „was die Große Koalition in Sachen Regulierung bisher getan hat“. Nun ist es so, dass seit der Finanzkrise 2008 zwar meistens eine große Koalition aus SPD, CDU und CSU regiert hat, aber nicht die ganze Zeit. Von 2009 bis 2013 hat eine schwarz-gelbe Koalition aus CDU, CSU und FDP regiert. Auch in dieser Zeit wurden regulatorische Maßnahmen umgesetzt, zumal es hierbei häufig darum ging und geht europäisches in nationales Recht umzusetzen – ein Prozess.

Im Jahr 2008 wurde die US-Investmentbank Lehman Brothers insolvent. Das löste eine Kettenreaktion aus führte in eine globale Finanzkrise. Die internationalen Finanzmärkte waren zu diesem Zeitpunkt stark dereguliert. Das waren Auswirkungen einer Finanz- und Wirtschaftspolitik, die v.a. in den 1990er- und 2000er-Jahren stark von neoliberalen ökonomischen Konzepten geprägt und in vielen Parlamenten zu finden war. Viele Banken haben in dieser Zeit zur Maximierung von Renditen mit verbrieften Hypothekenkrediten gehandelt, die oftmals ein hohes Ausfallrisiko besaßen. Viele Haushalte in den USA mit niedrigen oder mittleren Einkommen waren gleichzeitig hoch verschuldet, u.a. um Immobilien zu finanzieren, auch wenn ihr Einkommen dies in diesem Maße eigentlich nicht zugelassen hat. Die Folge war zunächst das Anwachsen und schließlich das Platzen einer Immobilienblase – und dann die genannte Kettenreaktion. Das konnte geschehen, weil im Bankensektor bereits das Fundament für die Krise angelegt war. Hier standen vor allem Derivate im Mittelpunkt, die unmittelbar zwischen den Akteuren abgeschlossen wurde. Diesen Vorgang nennt man OTC – Over-the-Counter. Durch die OTC-Derivate wurde der Schock aus der geplatzten Immobilienblase in den USA auf andere Märkte über-tragen.
Die Folge waren große Verluste der Banken aus ihren Geschäften sowie fehlendes Vertrauen der Akteure auf dem Finanzmarkt in die Banken. Das mündete schließlich in Liquiditätsengpässe bei vielen Banken. In Deutschland wurde zunächst bekannt, dass einige Landesbanken riesige Summen abschreiben mussten, z.B. die West-LB, später folgten Geschäftsbanken. Um zu verhindern, dass sehr viele Menschen aus Angst gleichzeitig ihr Geld von der Bank abheben, ein sogenannter Bank-Run, hat die Bundesregierung 2008 verkündet, dass die Spareinlagen sicher sind. Das war ein überaus wichtiges Signal und der Anfang der Stabilisierung. Auch für Geschäfte zwischen den Banken hat der Staat Garantien gegeben. In letzter Konsequenz gab es auch Bankenrettungen, z.B. für die Commerzbank oder die Hypo Real Estate, um weitere Kettenreaktionen zu verhindern.

Die Finanzkrise 2008 hat die Notwendigkeit einer stärkeren Regulierung und besseren Stabilisierung des Finanzsektors deutlich gemacht. Da Kapital mobil ist und die Finanzmärkte international eng verwoben sind, ist es erforderlich, dass internationaler Konsens über die Richtung besteht. Die G-20-Staaten haben Ende 2008 und Anfang 2009 Reformen beschlossen, mit dem Ziel eine Erhöhung der Finanz-stabilität zu erreichen und eine Wiederholung der Finanzkrise zu verhindern.

Finanzstabilität ist dann erreicht, wenn das Finanzsystem seine volkswirtschaftlichen Funktionen erfüllt, auch wenn externe Schocks auftreten. Zu diese Funktionen zählen die Allokation der finanziellen Mittel und Risiken sowie die Abwicklung des Zahlungsverkehrs. Ein stabiles Finanzsystem ist die Voraussetzung für nach-haltiges Wirtschaftswachstum und umfasst mehr als die Stabilität der einzelnen Banken. Ein weiteres Ziel der Beschlüsse ist, die Attraktivität einer hohen Risikobereitschaft für Banken zu senken. Zu den zentralen Reformen gehören:

• Eigenkapitalvorschriften: Erhöhung von Qualität, Quantität und internationale Konsistenz der Eigenkapitalbasis,
• Liquiditätsvorschriften: durch Liquiditätsrisikoanforderungen die Gefahr von Liquiditätsengpässen und die Notwendigkeit von staatlichen Liquiditätshilfen vermeiden,
• Verschuldungsbegrenzung: maximale Verschuldungsquote , um als zweiter Sicherheitsmechanismus („Backstop“) die Übernahme von Risiken durch Banken zu begrenzen,
• Vergütungspolitik: Reform der Vergütungspolitik und der Vergütungspraxis in Finanzinstituten, um die Übernahme exzessiver Risiken für die Staaten ein-zudämmen,
• Bankenabwicklung: Errichtung eines Bankenabwicklungsregimes, damit auch die Abwicklung von großen und systemrelevanten Banken möglich wird,
• Bankenaufsicht: Verbesserung und Erweiterung der Mittelausstattung, des Mandats und der Tätigkeit der Bankenaufsicht,
• Infrastruktur Finanzmärkte: Verbesserte Transparenz und Aufsicht v.a. in den kritischen Bereichen OTC-Derivate, Hedge-Fonds und Rating-Agenturen.
Die Beschlüsse der G-20 wurden in der EU im Anschluss in europäisches Recht überführt. Dazu kamen noch weitere, eigene europäische Maßnahmen zur Verbesserung der Funktionsweise der Wirtschafts- und Währungsunion im Euroraum und Maßnahmen zur Errichtung eines stabilen, verantwortungsvollen und effizienten Finanzsektors. Die europäischen Mitgliedstaaten sind dann gefordert das europäische Recht national umzusetzen. Hier ist seit der Finanzkrise 2008 sehr viel passiert. Aus Gründen der Übersicht stelle ich hier einen Ausschnitt von wichtigen Re-gelungen dar.

Bei der Eigenkapitalregulierung wurde die Verlusttragfähigkeit von Banken erhöht. Sowohl in quantitativer wie qualitativer Hinsicht musste die Eigenkapitalausstattung von Finanzinstituten stark verbessert werden. Diese Mindestkapitalanforderungen sind in der sogenannten Säule 1 geregelt. Auch die Säule 2 wurde gestärkt und weiterentwickelt. Hier ist der Überprüfungsprozess der Bankenaufsicht geregelt. Die Aufsicht kann individuell von der Bank weitere individuelle Aufschläge auf das Ei-genkapital fordern.

Im Bereich der Liquiditätsregulierung wurden zwei neue Kennziffern geschaffen. Zum einen der „Liquidity Coverage Ratio“, welcher die Ausstattung einer Bank mit besonders hochwertigen und liquiden Mitteln in einem Stressszenario erfasst. Die nächste Kennziffer ist der „Net Stable Funding Ratio“. Hierüber soll die strukturelle Liquidität über Jahr gewährleistet werden. Die Abhängigkeit von kurzfristigen Refinanzierungen soll darüber hinaus reduziert werden.

Zudem wurde mit der Verschuldungsobergrenze eine neue Kennziffer in das Bankenaufsichtsrecht eingeführt. Die Verschuldungsquote (Leverage-Ration) prüft die Kapitalausstattung einer Bank.

Dann wurde ein gemeinsamer europäischer Abwicklungsmechanismus geschaffen. Dieser nennt sich Single Resolution Mechanism (SRM). Der SRM ist ein zentraler Bestandteil der Europäischen Bankenunion. Diese verfügt über ein gemeinsames Regelwerk für das Aufsichts-, Abwicklungs- und Einlagensicherungsrecht. Durch das Abwicklungsrechts verfügen die Behörden über präventive Befugnisse und spezifische Instrumente für die Abwicklung von Banken. Seine Aufgabe ist es, im Fall von einer drohenden Insolvenz bei einer Bank Steuermittel zu schützen und die Finanzstabilität zu sichern. Für die Gläubiger der Banken besteht ein Haftungsmechanismus. Die Anteilseigner und Investoren sollen bei auftretenden Verlusten („bail-in“) beteiligt werden, so dass nicht die Steuerzahlerinnen und Steuer-zahler aufkommen müssen („bail-out“). Dafür müssen systemrelevante Banken einen entsprechenden „Bail-in“-Puffer vorhalten.

Bei den OTC-Derivaten wurden die Verlustrisiken begrenzt. Es besteht bei standardisierten Derivaten die Pflicht, diese über Börsen oder elektronische Börsen zu handeln (Handelspflicht) und mit Hilfe von zentralen Gegenpartien (Central Counter Party, CCP) abzuwickeln (Clearingpflicht). Wenn die Derivate nicht der Clearingpflicht unterliegenden, müssen die Vertragsparteien gegenseitig gewährleisten. So sollen mögliche Verluste in Stressszenarien zu reduziert werden.

Für Ratingagenturen besteht eine Registrierungspflicht in der EU. Darüber hinaus sollen durch die Gesetzgebung Interessenkonflikte vermieden, die Ratingqualität erhöht und bessere Transparenz geschaffen werden. Die Beaufsichtigung erfolgt über die neu geschaffene europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA (European Securities and Markets Authority). Manager von alternativen Investmentfonds (u.a. Hedgefonds und Private-Equity-Fonds) unterliegen einer Zulassungspflicht und werden fortlaufend beaufsichtigt.

Der Anlegerschutz wurde über die zweite Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MifID II) verbessert und in Deutschland mit dem Finanzmarktnovellierungs-gesetz umgesetzt. Hier gab es auf zahlreichen Gebieten des Kapitalmarktrechts Änderungen zur Verbesserung der Transparenz und Integrität der Märkte. Anlegerempfehlungen müssen Anforderungen in Bezug Markterwartungen und Risikoprofils des Anlegers, sowie seines Erfahrungs- und Verständnishorizontes entsprechen. Wertpapierfirmen sind verpflichtet die besten Ausführungsplätze in Bezug auf Kos-ten, Ausführungswahrscheinlichkeit und Schnelligkeit der Ausführung auszuwählen. Darüber hinaus müssen Finanzmarktgeschäfte so dokumentiert und archiviert werden, dass die Aufsichtsbehörden die Einhaltung der Anforderungen überprüfen können.

Vor der Finanzkrise waren die Vergütungsstrukturen im Finanzsektor stark auf kurzfristigen Erfolg ausgerichtet. Hier wurde gesetzlich geregelt, dass Finanzinstitute über angemessene, transparente und auf nachhaltige Entwicklung ausgerichtete Vergütungssysteme verfügen müssen. Zusätzlich ist die Finanzaufsicht ermächtigt, die Auszahlung variabler Vergütungsbestandteile in bestimmten Fällen zu untersagen.

Die europäische Einlagensicherung schützt Sparguthaben bis zu einer Höhe von 100.000 Euro innerhalb der EU. Zu diesem Zwecke muss jeder EU-Mitgliedstaat bis 2024 einen Einlagensicherungsfonds aufbauen. Die Finanzierung wird durch risikogewichtete regelmäßige Beiträge der Banken gewährleistet.

Abschließend möchte ich hier noch das Verbot von ungedeckten Leerverkäufe auf europäische Aktien und öffentliche Schuldtitel in allen EU-Mitgliedstaaten erwähnen. Ein Leerverkauf ist nur erlaubt, wenn eine Deckung vorliegt. Um einen Leerverkauf handelt es sich, wenn z.B. eine Aktie verlauft wird, diese sich aber noch gar nicht im Besitz des Verkäufers befindet. Hat der Verkäufer darüber hinaus auch keinen Anspruch diese Aktie zu erwerben, ist es also nicht sicher, dass er die Aktie auch liefern kann spricht man von einem ungedeckten Leerverkauf. Leerverkäufe können zur Absicherung von Risiken, z.B. Preisschwankungen eingesetzt werden (sogenanntes „hedging“). Oft werden sie jedoch zu Spekulationszwecken eingesetzt und können große finanzielle Verluste entstehen lassen, z.B. wenn die Aktie nicht zum gewünschten Wert oder gar nicht geliefert werden kann. Auch im Vorfeld der Finanzkrise haben Leerverkäufe eine unrühmliche Rolle gespielt.

Ich hoffe, dass Ihnen meine Antwort weiterhilft. Zur Vervollständigung finden Sie sehr viele Hinweise und Gesetze auf der Website des Bundesfinanzministeriums und des Deutschen Bundestages.

Mit freundlichen Grüßen, Ihr Lothar Binding