Frage an Lothar Binding von Andreas R. bezüglich Finanzen
Lieber Herr Binding,
auf meine Frage vom 05.05.2020 haben Sie zwar GEantwortet aber meine EINE Frage nach dem Schaden, welcher der Allgemeinheit angeblich entsteht, nicht BEantwortet! Trotzdem zunächst Chapeau! für ihre Wendigkeit, ihren Humor und die Mühe die Sie sich geben. Zur Klarstellung: Mein Hinweis am Ende war keine Drohung sondern Ausdruck meiner Frustration. Mit dem sprachlichen Bild am Anfang waren nicht Sie gemeint, sondern die "Hölle auf Erden" welche die Neuregelung für viele Anleger, Bankmitarbeiter und Finanzbeamte potentiell bedeutet.
Ihre Beiträge interpretiere ich so, dass Sie den o.g. Schaden in der Kombination aus (1) "Zocken" und (2) Abgeltungssteuer sehen. Sie postulieren (1) sei schädlich für die Allgemeinheit und durch (2) gegenüber anderen Erwerbsarten bevorteilt. Daher wollen sie große "Zocker" lieber im gewerblichen Bereich haben. Anleger mit viel Kapital haben aber oft schon Firmen oder Stiftungen - warum wohl? Die Dummen sind mal wieder die mitbetroffenen Kleinen. Sehe ich das richtig?
Warum werden Privatanleger immer weiter eingeschränkt statt animiert und Institutionen geschont bzw. gefördert? Diese Antworten sind sie bisher schuldig geblieben.
Zu ihrer Argumentationskette:
Schon das Grundaxiom zu (1) ist m.E. falsch, da die entsprechenden Verluste im Wesentlichen nur mit gleichartigen Gewinnen verrechnet werden können, zumal bei einem "Zocker der nur zockt". Er ist also gezwungen "weiterzuzocken" um die Verluste überhaupt abtragen zu können, d.h. die Regelung schafft einen Teufelskreis. Der neue Verlusttopf verstärkt diesen sogar noch, verbaut aber auch den Nicht-Zockern die Absetzbarkeit der Versicherungsprämien für ihre Absicherung. Der Irrsinn, dass künftig quasi der Umsatz(!) abzgl. 10.000 EUR versteuert werden soll - in Abhängigkeit von dessen Zusammensetzung(!) führt dazu, dass der Verlustvortrag de-facto nie abzutragen ist. Ein Zocker der weitermacht generiert versteuerbare Gewinne, ein Zocker der aufhört verwirkt seine absetzbaren Verluste. Der Staat gewinnt immer!
Was (2) betrifft, ist ihre Darstellung vereinfacht. Die Abgeltungssteuer hat Vorteile für Bürger und Staat (Sparanreiz, vereinfachte Erhebung), ist aber gerade für Geringverdiener nicht günstiger und wird mit dem Verzicht auf Werbungskosten und Anrechnung der Körperschaftssteuer "bezahlt". Was hier überwiegt muss also im Einzelfall differenziert betrachtet werden. Sie gilt auch nicht nur für Erträge aus Termingeschäften und "zocken" kann man auch anders (Verbote führen zu Verdrängung und Umgehung).
Schließlich haben sie auch ihre Unterstellung, alle bzw. die meisten Anleger nutzen Termingeschäfte zum "zocken" bisher nicht belegt und davon mit viel Text abgelenkt. Sie nehmen in Kauf, ggf. auch die Falschen zu treffen und in ihrer Freiheit bei der gewinnorientierten Geldanlage erheblich einzuschränken inkl. Folgeschäden für die Allgemeinheit (Reduzierung Handelsvolumen, Rückgang Steuern auf Gewinne und Gebühren, Verlust von Arbeitsplätzen in der Abwicklung) und Anlegern (erhöhtes Risiko beim Risikomanagement (sic!))!
q.e.d es sei denn sie können das Gegenteil belegen
Wenn sie mir zustimmen, das (3) langfristige Altersvorsorge sinnvoll ist sowie (4) angesichts von Minuszinsen und Immobilienblase eine Übergewichtung von Aktien vernünftig ist und auch im Alter einer Umschichtung in Anleihen vorzuziehen ist, dann sollte (5) eine zumindest grobe Absicherung nicht erschwert werden - und das geht bei einem DAX-Depot tatsächich mit einem Dreisatz. Termingeschäfte sind also nicht die Basis aber ein Baustein - auch in Fonds.
Ich lehne die Neuregelung nicht ab "weil sie mir nicht gefällt" und ich "mein Gold behalten" will sondern weil ich sie sachlich für falsch halte. Ich zahle gerne nachvollziehbare Steuern auf echte Gewinne. Darf ich da nicht erwarten, meine Verluste zu Lebzeiten gegenrechnen zu dürfen? Weder Staat noch Bürger dürfen einseitig Rosinen picken!
Sie wollen die Zocker zügeln und treffen dabei auch Nicht-Zocker. In Summe geht es beiden Seiten der Diskussion um gefühlte Gerechtigkeit. Möglicherweise ist nicht die Höhe der Verluste das richtige Kriterium um Zocker von Nicht-Zockern zu unterscheiden, sondern eher die Anzahl oder Frequenz der Trades - unabhängig davon ob gewerblich oder privat! Was meinen Sie dazu?
A. R.
PS: Die Schuhe, die Anleger sich von ihren Gewinnen kaufen, bezahlen deren Kontrahenten, denen Sie die Verluste versagen...
Sehr geehrter Herr Rau,
vielen Dank für Ihre erneute Frage zum Thema zum Thema § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG. Wir haben uns ja bereits hier auf Abgeordnetenwhatch und per E-Mail final ausgetauscht. Wie sie wissen erreichen mich zur diesem Thema viele, nahezu inhaltsgleiche Fragen. Bei eine kurzen Internetrecherche konnte ich feststellen, dass die Regelung aus § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG auch im Forum "wallstreet-online.de" intensiv diskutiert wird und sich dort außerdem Nutzer verabreden, um mir hier möglichst viele Fragen zu schicken. Dies habe ich in der Antwort auf die Frage von Herrn Schönamsgruber etwas humoristisch aufgegriffen. Daraus möchte ich hier zitieren:
"Nach einiger Zeit entstand der Eindruck, als hätten sich die Fragesteller hier miteinander abgestimmt. Deshalb habe ich in dieser Richtung eine kurze Internetrecherche betrieben und bin auch schnell fündig geworden. Im Forum der Webseite „wallstreet-online.de“ wird über die Regelung aus § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG diskutiert. Schnell lassen sich die Einträge zu meinem Namen filtern. Das können Sie hier einsehen: https://www.wallstreet-online.de/diskussion/1317120-21-30/tradings-steuerregel#k:Binding. Es treten teils abenteuerliche, wütende und schräge Einträge zu Tage.
Einige Nutzer präsentieren ganz eigene, interessante Theorien zur Entstehung der genannten gesetzlichen Regelung. Am 15.05.2020 schreibt bsw. der Nutzer „startvestor“: „Die Bindingsteuer wird 2021 zum Einsatz kommen“. Bislang war mir noch gar nicht bekannt, dass eine Steuer nach mir benannt wurde. Die Kolleginnen und Kollegen im Bundestag wählen meist die nüchterne Variante § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG. Besagter Nutzer „startvestor“ ist sich sicher, dass ich die Regelung irgendwie alleine durchgesetzt hätte und es mir gelungen ist „…die CDU und vermutlich auch [seine] SPD-Kollegen auszutricksen“ (29.12.2019).
Es ist in der Tat üblich, dass ich Gesetze, die mir besonders am Herzen liegen, im Alleingang formuliere, im Kabinett durchdrücke und im Bundesrat und Bundestag beschließe. Deshalb verteidige ich auch unsere Demokratie. Es geschieht was ich sage. Deshalb ist der Provisionsdeckel für die Lebens- und Restschuldversicherungen auch bereits umgesetzt, ebenso die Finanztransaktionsteuer, die Grundrente, eine gerechte Reform der Erbschaftsteuer, eine Reaktivierung der Vermögensteuer. Auch der Mindestlohn war mein Werk, die SPD Fraktion hat sich lediglich später dazu bekannt, besonders wichtig: die zur sozial-ökologischen Transformation notwendigen Gesetze habe ich schon beschlossen: keine prekäre Beschäftigung mehr, keine fossilen Brennstoffe, ein exzellent regulierter Finanzplatz. Leider war ich allerdings mal eine Sekunde abwesend und prompt haben CDU/CSU die Gunst der Sekunde genutzt und die diskriminierende Maut beschlossen und die Schlupflöcher im Kassenbetrugsbekämpfungsgesetz. Ich habe mir vorgenommen, künftig besser aufzupassen.
Der Nutzer „startvestor“ steigert sich immer weiter in sein Sündenbock-Denken hinein und stellt im weiteren Verlauf auch mal meine verfassungstreue in Frage: „Bindings Grundgesetz ist nicht unser Grundgesetz. Bei seinem steht in Artikel 1 die führende Rolle der marxistisch-leninistischen Partei.“ (14.02.2020). Der Nutzer will fortan darauf achten, ob ich mal „das Kapital von Marx“ zitiere „oder eine anderweitige Dummheit“ begehe, „damit klar wird, dass er [Binding] nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht“ (06.03.2020). Er stellt dann noch richtigerweise fest: „Binding kommt nicht aus der DDR“, rutscht dann aber wieder gedanklich ab: „aber sein Denken hängt offensichtlich tief in der Ideologie des Kommunismus fest“ (02.03.2020).
Dieser kurze Blick in das Forum zeigt, wie sachlich und inhaltlich zielgerichtet dort diskutiert und argumentiert wird. Vor allem aber wird für alle deutlich, wie die inhaltsgleichen Fragen zu dieser Debatte hier auf Abgeordnetenwhatch zu bewerten sind.
Der Nutzer „whatTheFunk“ erneuert am 15.05.2020 noch einmal die Aufforderung mir Fragen zu stellen: „Wenn ihr Lust habt, könnt ihr den Lothar Binding gerne weiter mit Fragen zubomben.“. Gibt es eine eigene Zockersprache?
Weiter führt er aus: „Ich denke zwar nicht, dass man ihn, den Ideologen schlechthin (der ja hinter dem Gesetz steht), zum Umdenken bewegen wird, aber besser als nix zu tun.“ Im Forum wird auch diskutiert, wie die Fragen gestellt werden sollten. Wohl möglichst so, dass ich nicht gut aussehe, aber jedenfalls nicht so, dass ich die Möglichkeit bekomme „ein Referat zu halten“. Da wird auch schon mal hart mit anderen Nutzern ins Gericht gegangen: „Das Problem bei der Frage an Binding, war halt die Frage selbst“. Das schreibt „bomike“ am 02.02.2020 und gibt der Community noch mit, sie solle nicht „dem Binding einen Elfmeter nach dem anderen [zu] schenken.“
Ich weiß nicht, ob auch Ihre Frage dem Aufruf im Forum von Wallstreet-Online folgt. Wie dem auch sei, mein Eindruck ist, dass sämtliche Argumente mit Kritik an der Neuregelung § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG hier bereits diskutiert wurden. Eine gute Übersicht über die Debatte finden Sie z.B. über diese Links:
* https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/lothar-binding/fragen-antworten/508766
* https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/lothar-binding/fragen-antworten/507082
* https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/lothar-binding/fragen-antworten/327679
Dort finden Sie auch nicht die Behauptung bestätigt, dass ich etwas gegen Derivate hätte. Dann wäre sie doch längst verboten. Im Gegenteil: ich denke Derivate haben ihre Berechtigung. Und sie haben auch unter Beachtung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG weiterhin ihre Bedeutung. Aber zum Thema Besteuerung, Anerkennung der Verluste, Privat- und Betriebsvermögen muss ich hier nichts wiederholen.
Ich hoffe, dass Ihnen meine Ausführungen weiterhelfen. Schließen möchte ich mit einem schönen Zitat über Karl Marx, genauer gesagt, über das zitieren von Karl Marx: „"Marx geht es wie der Bibel: Er wird viel zitiert und kaum verstanden." (Erich Fromm, Humanismus als reale Utopie)."
Ich hoffe, dass Ihnen meine Ausführungen weiterhelfen.
Mit freundlichen Grüßen, Ihr Lothar Binding