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Frage von Wolfgang M. •

Frage an Lothar Binding von Wolfgang M. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrter Herr Bindung,

Sie sind einer der wenigen Kandidaten, welcher sich die Zeit nimmt die Fragen der Wähler zu beantworten, was man über die Kandidaten der beiden großen Parteien im Nachbarwahlkreis Mannheim wirklich nicht behaupten kann.

Mit großem Interesse verfolge ich den Wahlkampf der etablierten Parteien und deren Aussagen über den Arbeitsmarkt und der Sozialpolitik. Eine Bewertung der verschiedenen Äußerungen will und kann ich nicht machen. Nur wundert mich wie oft mit wenig Sachverstand und „Grips“ argumentiert wird, ist zum Teil wirklich erschreckend. Die großen Parteien zerfleischen sich gegenseitig und das Land geht dabei vor die „Hunde“.

Für meinen Teil beschäftigt mich z. Zt. sehr stark das Thema der Altersversorgung. Seit dem Ende meiner Ausbildung (Lehre und Studium) bin ich seit ca. 30 Jahren im Berufsleben und frage mich langsam warum ich eigentlich für das Alter gespart habe. Was passiert wenn ich morgen mit 55 Jahren meinen Job verliere?

Ich bin vor kurzem auf folgenden Fall gestoßen. Einem knapp 18 jähriger Schüler, mit einem nicht gerade überragenden Notendurchschnitt (Faulheit), bekam von der Arbeitsagentur mehrere Ausbildungsverhältnisse angeboten. Aufgrund der mangelnden Motivation kam es bis heute zu keinem Ausbildungsvertrag. Ab nächsten Monat ist dieser junge Mann in der ARGE "Junges ?????" geparkt. Das bedeutet, da er sich seit kurzem in einem eigenen Hausstand befindet, er bekommt ALG 2. Ein Mitbürger/in, welche(r) z.B. bis zum 55 Lebensjahr gearbeitet hat, ein paar Euro für die Altervorsorge/Lebensversicherung ansparte, muss zuerst alles "versilbern" bevor überhaupt ein Euro vom Staat zugeschossen wird. Auf der einen Seite predigt die Politik -Sparen für das Alter-, auf der anderen Seite wird die private Altersvorsorge abgenommen und das ganze Problem bei zu knapper Rente auf die Sozialhilfe im Alter verschoben. Nicht einmal die Länder, welche den Wählern immer wieder als Beispiel in der Sozialpolitik aufgezählt werden, greifen die Rentenfonds, Versicherungen, Konten für die Altersvorsorge an. Ich finde es ungeheuerlich und eine menschenverachtende Politik, dass Mitbürger, die das ganze Leben gearbeitet haben, bei einer Arbeitslosigkeit einige Jahre vor der Rente alles genommen wird. Der Selbstbehalt ein "Witz" und geringer als das, was ein Herr Eichel im Monat an Pension bekommt. Wer bisher noch nie gearbeitet hat und evtl. in der 2. oder 3. Generation von Sozialhilfe lebt oder gelebt hat, muss den Normalbürger für dumm halten. Nie gespart/vorgesorgt und doch gewonnen!!!

"Wer fürs Alter spart ist selbst schuld", Kommentar in der Süddeutschen Zeitung und in der FAZ. Ich persönlich bin für mehr Eigenverantwortung, wehre mich allerdings dagegen, welche Maßstäbe im Bereich der Altersvorsorge getroffen/angewandt werden. Von Ihren Politiker Kollegen wird z.B. die Riesterrente als unangreifbar hingestellt. Für über 50 jährige ist diese Aussage ein Hohn. Diese Generation konnte in die Riesterrente bis heute nur Peanuts ansparen. Des weiteren interessiert mich Ihr Standpunkt, was Sie von einem Gesetz gegen die Altersdiskriminierung halten. Die USA leben z.B. sehr gut damit. Werden Sie diesen Umstand nach der Wahl ändern? Mit Spannung erwarte ich Ihre Antwort.

Mit freundlichem Gruß

Wolfgang Minnig

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Sehr geehrter Herr Minnig,

in Verknüpfung der Altersvorsorge in ihren gesetzlichen, betrieblichen und privaten Ausprägungen mit den Versicherungsleistungen Arbeitslosengeld I, früher Arbeitslosengeld, und den steuerfinanzierten Transferleistungen Arbeitslosengeld II, früher Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, sprechen Sie eine so wichtige wie komplexe Frage an.

Ein zentraler Aspekt Ihrer Frage konzentriert sich darauf, dass es möglich ist, dass jemand der erst kurz in ein System einbezahlt hat evtl. den gleichen Anspruch auf eine Auszahlung hat wie jemand der schon 30 Jahre einbezahlt hat.

Ich verstehe Ihre Empfindung, mir geht es emotional ebenso, ich weiß aber das sie in der Sache falsch ist. Kopf gegen Bauch...

Der Grund für diesen Widerspruch liegt darin, dass wir verdrängt haben wie das "Versicherungsprinzip" funktioniert. Und noch schlimmer: wir nennen das Altersvorsorgesystem oft Rentenversicherung obwohl es im Wortsinn keine Versicherung ist. Die Verwirrung ist perfekt.

Deshalb zunächst ein Wort zum Versicherungsprinzip:

Jeder und Jede zahlt jährlich in den Versicherungstopf ein. Aus diesem Topf werden die individuellen Risiken abgedeckt. Für eine Schadenserstattung oder im Fall von Arbeitslosigkeit in der Arbeitslosenversicherung kommt also immer die Gemeinschaft der Versicherten auf. Alle früheren Einzahlungen dienten der Risikoabsicherung in früheren Zeitabschnitten. Es wird kein Kapitalstock gebildet. Wer sich nach dreißigjähriger Einzahlung den Arm bricht bekommt nicht mehr aus dem Topf um seinen Arm zu kurieren als jemand der erst ein Jahr eingezahlt hat. Die Einzahlungen sind deshalb so niedrig, weil das Risiko jeweils nur für wenige in jedem Jahr eintritt und finanzielle Hilfe aus dem Topf benötigt wird. Eigentlich will keiner in den Topf greifen, aber jeder der muss, will natürlich so kurz wie möglich und so selten wie möglich etwas aus diesem Topf erhalten, denn etwas aus dem Topf zu bekommen bedeutet ja, dass man ein großes Problem hat.

Bei der Arbeitslosenversicherung ist es genau so. Alle zahlen ein, damit die wenigen, die ihre Arbeit verlieren unterstützt werden können. Wenn nun die Arbeitslosenzahl groß wird, also die Zahl der Einzahler klein und die Arbeitslosigkeit länger andauert, so müssen die weniger werdenden Einzahler mehr einzahlen. Jedenfalls wird die jährliche Einzahlung jeweils für die dann aktuell Arbeitslosen verbraucht. Deshalb ist auch nicht mehr Geld für jemand vorhanden, der schon 30 Jahre einzahlt, als für jemand, der erst 3 Jahre einbezahlt hat.

Will man nun in schwierigen Zeiten am Arbeitsmarkt den Versicherungsbeitrag nicht unbegrenzt steigen lassen, muss die Dauer der Zahlung von Arbeitslosengeld begrenzt werden. Wenn die Dauer der Einzahlung aber die Dauer der Auszahlung bestimmen würde, so müssten die aktuell Beschäftigten im Zweifelsfall sehr hohe Beiträge bezahlen. Wollen wir das vermeiden, muss die Dauer der Auszahlung begrenzt werden und anschließend durch eine Zahlung aus dem Steuertopf ersetzt werden. Deshalb schließt sich an das Arbeitslosengeld I aus der Versicherungsleistung das Arbeitslosengeld II, finanziert aus dem Steuertopf des Bundes, an.

Der Generationenvertrag ist keine "Versicherung" sondern ein Versprechen

Bei der Rente ist es ganz anders. Alle möchten in den Topf greifen und jeder möchte so lange wie möglich daraus schöpfen. Deshalb liegt der gesetzlichen Rentenversicherung ein anderes Prinzip zugrunde. Nicht das Versicherungsprinzip, sondern der Generationenvertrag. Im Rententopf ist deshalb auch kein Geld, sondern ein Versprechen. Das Versprechen nämlich, dass die aktiv Beschäftigten, den nicht mehr aktiv arbeitenden einen Teil ihres Einkommens Monat für Monat abgeben. Das Geld, dass früher einbezahlt wurde ist schon lange an die damals älteren Rentenempfänger ausbezahlt worden. Das Geld, was ich diesen Monat einbezahle, wird im kommenden Monat an die Rentnerinnen und Rentner ausbezahlt.

Deshalb ist auch von meinen bisherigen und künftigen Einzahlungen nichts mehr vorhanden wenn ich eines Tages in Rente gehe. Ich hoffe auf die dann aktiven Jüngeren, die für mich Monat für Monat in den Rententopf einbezahlen.

Sie haben recht. Die Riesterrente lohnt sich mit zunehmendem Abstand zum Renteneintrittsalter. Sie ist aber auch für ältere weniger wichtig, weil sich die Lücke zwischen dem früheren Rentenniveau von 70% und dem künftig angenommenen von etwa 64% erst allmählich aufbaut. Von großem Vorteil ist der hohe Förderanteil, der es auch den schwächeren Einkommensbeziehern erlaubt für diese private Vorsorge zu sorgen. Von großer Bedeutung sind dabei auch die fünf Förderwege in der betrieblichen Altersvorsorge, die schon von mehr als 15 Millionen Versicherten in Anspruch genommen wurden.

Insgesamt konnten wir durch die Altersvorsorgegesetzgebung die Altersvorsorge deutlich zukunftsfester machen. Gleichwohl, auch mit Blick auf den Übergang von der vorgelagerten zur nachgelagerten Besteuerung, ist der Systemwechsel in ein zukunftssicheres Modell ein stetiger Prozess, der von vielen, auch internationalen Einflussfaktoren abhängt.

Bitte schauen Sie auch auf meine Homepage www.Lothar-Binding.de, dort habe ich einen längeren Aufsatz zur Altersvorsorge und einige Briefe zu den Themen Arbeitslosengeld II bzw. Grundsicherung eingestellt.

Mit der Hoffnung, dass meine Antwort Ihre Frage angemessen reflektiert, verbleibe ich,

mit freundlichen Grüßen, Ihr Lothar Binding (Heidelberg)