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Frage von Rainer K. •

Frage an Lothar Binding von Rainer K. bezüglich Soziale Sicherung

Hallo aus Ladenburg,

ich bin 50 Jahre, geschieden und habe 3 Kinder. Als Angestellter im öffentl.Dienst habe ich zwar einen relativ sicheren Job aber auch kein riesiges Einkommen. Eines meiner Kinder ist auf der Universität und bekommt Bafög. Bei meinem Einkommen von 1550 Netto zahle ich Unterhalt und auch einen Anteil zum Bafög dazu. Durch den Wegfall der Pendlerpauschale steigt mein zu versteuerndes Einkommen um Rund 1100 Euro. In Folge dessen muss ich meiner Tochter 160 Euro monatl. zum Studium dazu bezahlen. D.h. der Staat läßt mich auf meinen beruflich bedingten Fahrtkosten sitzen und dafür muss ich dann auch noch 80 Euro mehr für das Studium meiner Tochter bezahlen. Waren diese "Spätfolgen" beabsichtigt oder ist das nur so durchgerutscht ?

Wenn jetzt noch die Studiengebühren dazu kommen werde ich meiner Tochter sagen müssen das ihr Papi sie liebt, aber leider beruflich ein Versager ist und Kinder von armen Leuten nun mal nicht auf die Uni gehen sollten. Warum werden solche Dinge nicht bedacht ? Meine Kinder werden von mir den Rat bekommen ihr Glück in der Welt zu suchen; eigenverantwortlich aber nicht mehr unbedingt in diesem Land.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Kosch-Marek,

vielen Dank für Ihre Frage. Sie sprechen drei Sachverhalte an:

- Verminderung Ihres zu versteuernden Einkommens durch Werbungskosten für Ihren Weg zur Arbeit
- Studiengebühren für Ihre studierenden Kinder
- BaföG in Abhängigkeit vom Einkommens der Eltern

Sie fragen, ob solche Wirkungen und Wirkungszusammenhänge in der Gesetzgebung, also von den Politikern bedacht werden? Ja. Sie werden bedacht. Manchmal gibt es aber Lebenslagen, in denen sich besonders schwierige und belastende Kombinationen bestimmter Regelungen ergeben. Leider können sie nicht sämtlich gesetzgeberisch Berücksichtung finden, denn eine gesetzliche Einzelfallregelung scheidet natürlich aus. Manchmal werden auch in unterschiedlichen Gremien, etwa auch im Bund und einzelnen Ländern, mit unterschiedlichen Mehrheiten Regelungen getroffen, die sich im Ergebnis so addieren, wie es eigentlich keiner der Beteiligten möchte. Leider führen die einzelnen Regelungen in Ihrem Fall zu kumulierten negativen Effekten auf Ihr Familieneinkommen, was ich sehr bedauere.

Deshalb möchte ich Ihnen meine Positionen zu Ihren Fragen darstellen:

Zur Pendlerpauschale habe ich im Bundestag bei der Abstimmung im letzten Jahr eine sog. Persönliche Erklärung nach §31 der Geschäftsordnung des Bundestages abgegeben. Nachfolgend zitiere ich aus dieser Erklärung, mit denen ein Abgeordneter sein Abstimmungsverhalten verdeutlichen und bestimmte Aspekte und Bewertungen, die für ihn besondere Bedeutung haben, hervorheben kann:

„Mit Wirkung zum 1.1.2007 soll das so genannte "Werkstorprinzip" eingeführt werden. Aufwendungen für den Weg zum Arbeitsplatz gehören dann zum Privatbereich und können nicht mehr steuerlich geltend gemacht werden. Lediglich als "Härtefallausgleich" sollen ab 1.1.2007 für Fernpendler die Fahrtkosten ab dem 21. Entfernungskilometer mit 30 Cent/Kilometer von der Steuer als Werbungskosten anerkannt werden. Die Entfernungspauschale wird aber auf die Werbungskostenpauschale von 920 Euro angerechnet.

Gegen die Verschlechterungen beim Werbungskostenabzug habe ich verfassungsrechtliche Bedenken. Hintergrund ist die Tatsache, dass es sich bei den Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz um klassische Werbungskosten handelt. Da derartige Aufwendungen dem Steuerpflichtigen zum Lebensunterhalt nicht zur Verfügung stehen, müssen sie steuerlich als Werbungskosten berücksichtigt werden. Dementsprechend hat auch der Bundesverband der Lohnsteuerhilfevereine angekündigt, gegen die Pläne durch alle Instanzen bis hin zum Bundesverfassungsgericht klagen zu wollen.

Wir begünstigen wie bisher pauschal auch jene Arbeitnehmer durch die Werbungskostenpauschale, die keine Kosten haben, belasten aber jene, die echte Kosten, nämlich Fahrtkosten haben, zusätzlich. Da nun Kosten für die ersten 20 Km nicht berücksichtigt werden, ergibt sich ein Verfassungsproblem, denn Werbungskosten - Erwerbsaufwendungen - sind beim Arbeitnehmer ebenso zu berücksichtigen, wie Betriebsausgaben beim Unternehmer. Und das muss auch für die ersten 20 Km gelten. Mir tut die Einführung des Werkstorprinzips besonders weh weil man in unserem Kulturkreis, anders als z.B. in den USA, zu Hause wohnt und zum Zwecke der Einkommenserzielung an den Arbeitsplatz fährt.

Zur Umgehung dieses Verfassungsrisikos hatte ich vorgeschlagen, die Arbeitnehmerpauschale auf 500 Euro zu senken und die Entfernungspauschale künftig nicht mehr mit der Arbeitnehmerpauschale zu verrechnen. Die Entfernungspauschale sollte auf 20 Cent/Km für die ersten 20 Km und auf 25 Cent/Km für die weiteren Km festgelegt werden. Dieser Vorschlag hätte der Haushaltssituation und den notwendigen Einsparungen ebenso Rechnung getragen, wie die nun beschlossene Regelung. Leider hat die CDU/CSU Fraktion diesen gerechteren Vorschlag scheitern lassen.“

Die gegenwärtige Behandlung vor dem Bundesverfassungsgericht deutet darauf hin, dass meine Überlegungen in die richtige Richtung weisen.

Ich trat und trete gegen die Einführung von Studiengebühren ein, weil sie die soziale Differenzierung hinsichtlich der Ausbildungschancen verstärken. Unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit ist es allerdings noch wichtiger, die vorschulische Betreuung gebührenfrei anzubieten. Studiengebühren will ich mir nur dann kreditfinanziert und mit einer späteren Rückzahlungsverpflichtung vorstellen, wenn ein angemessenes Einkommen nach dem Studium gesichert ist.

Hier spreche ich auch aus eigener Erfahrung. Da mein Vater starb, als ich nach der Lehre Mittlere Reife und Abitur nachholte, musste ich fast die Hälfte meines Studiums als Elektriker arbeiten, um den Lebensunterhalt während des Studiums finanzieren zu können. Die Halbwaisenrente und das BaföG waren nicht ausreichend. So dauerte mein Studium etwas länger, kaum vorzustellen, wenn ich auch noch Studiengebühren hätte bezahlen müssen. Das BaföG hatte ich als Kredit erhalten, den ich später zurück bezahlt habe.

Leistungen nach dem BaföG vom Einkommen der Eltern abhängig zu machen, halte ich für richtig. Denn dies berücksichtigt das Prinzip der Leistungsfähigkeit, das wir im Steuerrecht und bei Transferzahlungen zugrunde legen, auch im Bereich der staatlichen Bildungsfinanzierung. Wer den Großteil seines monatlichen Nettoeinkommens für konsumtive Zwecke, d.h. Miete, Lebensunterhalt, Heizkosten u.ä., ausgeben muss, dem bleibt nur ein kleiner Teil, um in die Bildung seiner Kinder zu investieren. Ich halte es daher für gerecht, wenn der Staat hier einen finanziellen Ausgleich vornimmt und Kindern aus Haushalten mit geringerem verfügbarem Nettoeinkommen stärker unter die Arme greift als Kindern, deren Ausbildungsfinanzierung aufgrund des Einkommens ihrer Eltern strukturell begünstigt ist.

Für die Stärkung des Gedankens der Chancengerechtigkeit haben sich die bildungspolitischen Experten der SPD- Fraktion erfolgreich eingesetzt. Sie haben bei der BaföG- Neuregelung während der laufenden Haushaltsverhandlungen eine Erhöhung der Bedarfsätze um zehn Prozent und der Freibeträge um acht Prozent durchgesetzt, die zum Wintersemester 2008 in Kraft treten wird. Die Finanzierung erfolgt – darauf möchte ich besonders hinweisen – nicht durch Umschichtungen im Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, sondern durch die Einstellung zusätzlicher Mittel aus dem Gesamthaushalt.

Nach einer Untersuchung des Deutschen Studentenwerks studieren von 100 Akademikerkindern 83, wohingegen aus 100 Nicht-Akademiker-Haushalten lediglich 23 Kinder ein Hochschulstudium aufnehmen. Wir setzen uns dafür ein, diese Schieflage zu beseitigen und den Grundsatz der Chancengleichheit auch auf ein festes finanzielles Fundament zu stellen. Dafür ist unsere Gesellschaft auf Solidarität und Unterstützung angewiesen, um im Gegenzug Aufstiegschancen zu eröffnen und eine eigenverantwortliche Lebensplanung zu ermöglichen.

Mit freundlichem Gruß, Ihr Lothar Binding