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Lothar Binding
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Frage von Horst W. •

Frage an Lothar Binding von Horst W. bezüglich Senioren

S.g.Herr Binding,
zunächst danke ich Ihnen für Ihre Antwort zum Thema Abgeltungssteuer. Ein kürzeres präziseres Statement wäre mir lieber gewesen.
Zu meinem Hinweis in der Einleitung zum Thema "Plünderung der Rentenkasse" bitte ich noch auf diese meine Frage einzugehen:
Warum schreiben Sie, in der Rentenkasse ist niemals ein nennenswerter Betrag gewesen? Sind die seinerzeitigen 14,5 Mrd. DM kapitalgedeckte Rücklagen, die 1955 durch das Kriegsfolgenschlußgesetz entnommen wurden, kein nennenswerter Betrag?
Mir geht es heute vornehmlich um die versicherungsfremden Leistungen, die, alle Fachleute sehen das auch so, eine Zweitsteuer darstellen, weil sie eine gesamtgesellschaftliche Leistung sind, aber z.L. der Deutschen Rentenversicherung bezahlt werden, mit nur einer Teilrückerstattung durch den Bund.
Hat nicht die SPD im Vorwahlkampf 1996 diese Unterdeckung mit ca. 110 Mrd.DM beziffert? Ich habe das schriftlich vorliegen - also, wie verhält es sich damit? Vielleicht gehen Sie darauf nochmal - aber bitte kurz - ein.
Danke für Ihre Mühe!
H.Weise

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Weise,

auch ich bevorzuge kurze Antworten. Gelegentlich sind aber in einer Antwort zunächst die fachlichen Grundlagen zu legen. Sie vergleichen Unvergleichbares. Ich möchte trotzdem versuchen eine Plausibilitätsüberlegung anzustellen um die hinter Ihrem Vergleich vermuteten Annahmen zu reflektieren.

Zu Ihrer ersten Bemerkung:
Sie sprechen von „… 14,5 Mrd. DM kapitalgedeckte Rücklagen…“ und beziehen sich auf die ersten 10 Nachkriegsjahre in einem System, das den Rentnern ein Taschengeld gewährte und hinsichtlich der demographischen, ökonomischen, sozialen und anderen, insbesondere auch der rentensystematischen Situation, nicht mit der heutigen Situation vergleichbar ist. Rücklagen sind eine Funktion vieler Parameter – aber eben auch eine der Auszahlung. Wären damals halbwegs mit den heutigen vergleichbare Renten ausbezahlt worden, es wäre schnell aufgefallen, dass die diese Rücklagen, sogar bezogen auf die damals noch sehr kurzen Rentenbezugszeiten, nicht nennenswert waren. Hätte es damals so lange Rentenbezugszeiten gegeben wie heute, der Betrag wäre noch unbedeutender gewesen.

Die 14,5 Mrd. DM entsprachen damals etwa dem halben Bundeshaushalt. Mit dem Kriegsfolgenschlussgesetz wurde dieser Betrag zugunsten der Staatskasse überführt mit der Begründung dass die Rentenversicherung der Arbeiter der Angestellten durch Artikel 120 GG garantiert wird und ihre Leistungsfähigkeit notfalls durch den Einsatz von Haushaltsmitteln des Bundes sichergestellt wird.

Auf dieser Grundlage wurde dann 1957 das System so umgestellt, dass nach und nach Renten bezahlt werden konnten, von denen die meisten Rentnerinnen und Rentner besser leben konnten als vor 1957.

Zur Erinnerung, warum Rücklagenvergleiche in verschiedenen Systemen stets einer besonderen Betrachtung bedürfen, nachfolgend eine Ultrakurzdarstellung der Geschichte verschiedener Systeme in der Altersvorsorge:

1889: Einführung der paritätisch finanzierten Rentenversicherung
...
1945 bis 1957: Anwartschaftsdeckungsverfahren
Beim Anwartschaftsdeckungsverfahren müssen die von einem Versicherten eingezahlten Beiträge plus Zinsen bei Eintritt des Versicherungsfalles noch verfügbar sein. Das bedeutet, die Sozialleistungsträger müssen dann die verzinsten Beitragsleistungen des Versicherten zur Leistungsgewährung bereithalten. Dabei werden nicht nur individuelle Kapitalkonten der Rentner, es müssen auch individuelle Kapitalkonten der Beitragszahler geführt werden. Faktisch hatte diese Altersvorsorge aber nur Taschengeldfunktion – die Versorgung wurde nach wie vor ganz wesentlich von den Kindern/ Familien sichergestellt.

1957 bis 1969: Abschnittsdeckungsverfahren
Das Abschnittsdeckungsverfahren ist eine Variante der Anwartschaftsdeckung. Für einen bestimmten Zeitraum, genannt Deckungsabschnitt, sollen die Beiträge so bemessen sein, dass alle laufenden Rentenzahlungen finanziert werden können. Dies war die - übergangslose - Einführung der Rentenversicherung zur eigenständigen Sicherung des Lebensstandards im Alter.

1969 bis heute Umlageverfahren, vgl. Abschnitt Umlageverfahren in meinem Aufsatz unter http://www.lothar-binding.de/19.0.html

1992: Übergang von der bruttolohn- zur nettolohnbezogenen Rente

2002: Kombination aus Umlageverfahren und Kapitaldeckungsverfahren

Zu Ihrer zweiten Bemerkung:

Sie schreiben: „Hat nicht die SPD im Vorwahlkampf 1996 diese Unterdeckung mit ca. 110 Mrd. DM beziffert?“ Das war eine kluge Feststellung. Deshalb fließen inzwischen ca. 80 Milliarden Euro pro Jahr in die Rentenfinanzierung - unsere Minister und die SPD-Fraktion haben dies in der rot-grünen Koalition seit 1998 sehr schnell bewirkt. Nun sind einige Jahre vergangen… aber 80 Milliarden Euro sind ja auch deutlich mehr als 110 Milliarden DM.

Gelegentlich werden Zahlen aus den Rentenversicherungsberichten der Bundesregierung zitiert, die unterhalb der 80 Milliarden liegen, weil nur der allgemeinen Rentenzuschuss und die Knappschaftsversicherung in den Blick genommen wird. Hinzuzurechnen sind natürlich auch die Beiträge für Kindererziehungszeiten, der Ostzuschuss, Beiträge für Zusatzversicherungen aus der ehemaligen DDR etc.

Mit diesen Beträgen sind alle Leistungen, die der Rentenversicherung vom Gesetzgeber übertragen wurden, aus dem Steuertopf ausgeglichen. So hat sich eine neue Parität entwickelt. Während früher die Renten je zur Hälfte vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer bezahlt wurden, finden wir heute eine Drittelparität: ein Drittel der Arbeitnehmer, ein Drittel der Arbeitgeber, ein Drittel Steuern aus dem Bundeshaushalt.

Heute würde also eine Rücklage in Höhe des halben Bundhaushalts nicht einmal für steuerfinanzierten Zuschuss in die Rentenkasse für zwei Jahre ausreichen. Allerdings sind die Rentenbezugszeiten statt der damals kaum sieben Jahre auf inzwischen 17 Jahre gestiegen.

Deshalb war es gut, das Umlagesystem im Generationenvertrag einzuführen, höhere Rentenzahlungen zu gewährleisten und für die künftigen Generationen neben der betrieblichen Altersvorsorgemöglichkeit eine zusätzliche geförderte Riesterrente einzuführen.

Auf diesen drei Säulen, solidarisch, privat und betrieblich ruht gegenwärtig das Altersvorsorgesystem.