Frage an Lothar Binding von Stefan D. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Binding,
einige Ihrer Antworten zu Fragen der Neuregelung der Verlustverrechnung von Termingeschäften sind mir nicht klar:
Ihre Antwort auf die Frage von Herrn Martin: "Der Grund, der Hintergrund dieser Regelung liegt darin dass wir bestimmte spekulative Geschäfte nicht auf Kosten der Allgemeinheit möglich machen, beziehungsweise erleichtern Wollen."
Mit der Neuregelung haben Sie den Bürgern ein Stück Freiheit weggenommen.
Leider wird dies nirgendwo begründet, und im Sinne einer "Evidence based Policy" wäre es für Politiker, die die Allgemeinheit von der Sinnhaftigkeit ihrer Politik überzeugen wollen, angebracht, diese Evidenzen offen zulegen, sollte es sie geben.
Also: Welche Kosten der Allgemeinheit sind das? Auf welche wissenschaftlichen Grundlagen berufen Sie sich hier?
Ihre Antwort auf die Frage von Herrn Schmidt: "Die Beschränkung der Verlustverrechnung betrifft typischerweise Kleinanleger nicht, denn Investmentfonds sind ausgenommen. Diese Kapitalanlage entspricht typischerweise den Bedürfnissen von Bürgerinnen und Bürgern die ihr Erspartes am Kapitalmarkt zur Vermögensbildung und Altersvorsorge anlegen, denn Sie bieten eine breite Risikostreuung."
In der Finanzwelt unterscheidet zwischen institutionellen Anlegern und Kleinanlegern (= Privatanleger). Woher wissen Sie, dass die Beschränkung der Verlustverrechnung typischerweise Kleinanleger nicht betrifft? Und warum ist dies ein Argument? Warum darf es den Bürgern nicht überlassen bleiben in welche Wertpapiere sie ihr Geld investieren? Warum haben Sie den Bürgern diese Freiheit entzogen?
Vielen Dank für die Antworten und mit freundlichen Grüssen,
S. D.
Sehr geehrter Herr Decker,
vielen Dank für Ihre Fragen zum Thema steuerliche Berücksichtigung von Verlusten aus Termingeschäften. Die Fragen auf Abgeordnetenwatch beantworte ich, wie auch alle ersten E-Mails von Bürgerinnen und Bürgern, gerne. Leider wächst mein Mailberg oft schneller als ich ihn abtragen kann. Daher bitte ich die etwas längere Bearbeitungsdauer zu entschuldigen. Manchmal erhalte ich auch Fragen, die nicht verbergen, dass der oder die Fragende sich die Antwort doch besser selber geben kann. In solchen Fällen sind dann Frage und Antwort entbehrlich.
Sie machen den größten Vorwurf mit Ihrer Frage nach dem Freiheitentzug. Deshalb beschreibe ich nachfolgend, warum Ihre Frage in einen sehr reduzierten Anwendungsbereich von Freiheit führt, weil sie vergisst, dass die Freiheit des Einen, dort aufhört, wo die Freiheit des Anderen beginnt.
Im Dezember 2019 wurden mit dem „Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen“ auch die Möglichkeiten der steuerlichen Berücksichtigung von Verlusten aus bestimmten privaten Kapitalanlagen, z.B. aus Termingeschäften, neu geregelt. Verluste aus Termingeschäften können nach § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG nun mit Gewinnen aus Termingeschäften und mit Erträgen aus Stillhaltergeschäften ausgeglichen werden. Dies kann z.B. beim Verfall von Optionen relevant werden.
Die Verlustverrechnung kann aber nicht unbegrenzt erfolgen. Die Grenze liegt bei 10.000 Euro pro Jahr. Wenn Verluste größer als 10.000 Euro vorliegen, bleiben diese aber auch nicht unberücksichtigt. Die Verluste können auf Folgejahre vorgetragen und dann jedes Jahr jeweils in Höhe von 10.000 Euro mit Gewinnen aus Termingeschäften oder mit Stillhalterprämien verrechnet werden. Voraussetzung dafür ist, dass nach der unterjährigen Verlustverrechnung ein verrechenbarer Gewinn verbleibt. Das bedeutet zusammengefasst: Die Verlustverrechnung aus den beschriebenen Kapitalanlagen ist möglich, sie wird aber unterjährig begrenzt, verbunden mit der Möglichkeit des Vortrags nicht verrechneter Verluste auf Folgejahre.
Bisher wurden Verluste von Privatanlegern aus dem Verfall von Optionen und Forderungen von der Finanzverwaltung gar nicht anerkannt. Im hierfür relevanten BMF-Schreiben zur Abgeltungsteuer vom 18. Januar 2016 wurde die Berücksichtigung der Verluste aus dem Optionsverfall versagt. Auch in der vorherigen Regelung in § 23 EStG fanden die Verluste aus dem Verfall von Optionen keine Berücksichtigung. Die neue Regelung ermöglicht hingegen eine steuerliche Berücksichtigung von Verlusten aus jeder Art von Termingeschäften. Daher ist unklar, wieso die Rahmenbedingungen für Privatanleger nun ungünstiger geworden sein sollten. Kleinanleger können ihre Verluste aus Termingeschäften Verluste sogar sofort in vollem Umfang verrechnen. Denn Kleinanlagern entstehen üblicherweise keine Verluste größer 10.000 Euro pro Jahr.
Termingeschäfte können grundsätzlich zum Zwecke der Absicherung eingegangen werden (sogenanntes Hedging), z.B. von Kursrisiken aus anderen Wertpapieranlagen oder auch von Preisrisiken von Rohstoffen. Ein anderes Motiv für diese Geschäfte ist die Erzielung von Arbitragegewinnen. Gerade Privatanleger gehen Termingeschäfte jedoch meistens zum Zwecke der Spekulation ein. Denn die Kalkulation einer wirksamen Absicherung von Depots über Termingeschäfte ist komplex und erfolgt daher in erster Linie durch professionelle Marktteilnehmer. Alleine schon die Abgrenzung von Termingeschäften, die reinen Absicherungszwecken dienen, gegenüber Termingeschäften, die in spekulativer Absicht abgeschlossen wurden, ist in der Praxis ohne genaue Kenntnis der Berechnung von Derivatepreisen nicht möglich. Wenn ein Privatanleger ein Termingeschäft eingeht, geschieht das also in der Regel in der Hoffnung auf einen hohen Gewinn, ermöglicht durch die Hebelwirkung des Produkts. Das Gegenereignis hierzu ist ein hoher Verlust, der dem Anleger ebenso entstehen kann. Dieses Risiko geht der Privatanleger bewusst ein.
Termingeschäfte werden von privaten Anlegern also nicht zur Absicherung von Fremdwährungsrisiken, Marktrisiken oder zur Absicherung von Zins-, Preis- oder Kursniveaus getätigt, wie es bei Unternehmen aus realwirtschaftlichen Motiven die Regel ist, sondern lediglich zum „Zocken“. Deshalb ist eine unterjährige Begrenzung der steuerlichen Verlustberücksichtigung auf 10.000 Euro sinnvoll. Denn die steuerliche Berücksichtigung von Verlusten schmälert die Bemessungsgrundlage der Steuer und somit die Steuerzahlung an die Gemeinschaft. Wieso sollte die Gemeinschaft eine weitgehendere Verlustverrechnung von risikoreichen „Zockereien“ mitfinanzieren?
In den Fragen ist auch zu lesen, dass die Regelung zur Verlustverrechnung bei Termingeschäften die Altersvorsorge erschweren würde. Auch wenn ich keine Anlagetipps gebe: Die Altersvorsorge auf hochriskante Derivate aufzubauen halte ich für unklug. Und wenn Jemand schreibt, dass er aber dies tut, halte ich das auch nicht für glaubwürdig. Das widerspricht dem Wesen der Altersvorsorge. Diese wird üblicherweise über einen langen Anlagezeitraum betrieben. In Kombination mit einer weiten Diversifikation der Assets kann das Schwankungsrisiko niedrig gehalten werden. Dieses Vorgehen lässt sich nicht durch kurzfristiges Hebeln oder durch riskante Finanzwetten ersetzen. Ich empfehle hier die Lektüre verbraucherfreundlicher Publikationen zur privaten Altersvorsorge.
Auch von einer möglichen „Flucht ins Betriebsvermögen“ ist zu lesen. Für Verluste aus betrieblichen Termingeschäften gibt es aber gemäß § 15 Abs. 4 EStG ebenfalls eine Abzugsbeschränkung. Dies ist in Verbindung mit § 8 Absatz 1 KStG insbesondere bei der Einkommensermittlung von Körperschaften zu berücksichtigen. Die Abzugsbeschränkung umfasst Termingeschäfte des betrieblichen Bereichs, „durch die der Steuerpflichtige einen Differenzausgleich oder einen durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmten Geldbetrag oder Vorteil erlangt“. Die Verluste dürfen nur mit Einkünften aus Termingeschäften aus vorangegangenen oder sich anschließenden Geschäftsjahren verrechnet werden. Eine Verrechnung mit Einkünften aus Gewerbebetrieb oder anderen Quellen ist nicht möglich. Ausgenommen von der Beschränkung sind Termingeschäfte, welche der Absicherung von Geschäften des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs dienen. Kapitalgesellschaften verfügen anders als Personengesellschaft nicht über eine private Sphäre, somit sind Termingeschäft dort immer dem Betriebsvermögen zuzuordnen. Bei Personenunternehmen muss geprüft werden, ob die Termingeschäfte überhaupt dem Betriebsvermögen zugeordnet werden können. Wenn Termingeschäfte branchenunüblich sind, können sie auch dann nicht zum Betriebsvermögen gezählt werden, wenn generell die Möglichkeit besteht damit Gewinne zu erzielen. Wird aus dem Betriebsvermögen eines Personenunternehmens Geld für private Kapitalanlagen entnommen, werden die daraus resultierenden privaten Kapitalerträge über die Abgeltungsteuer versteuert. Wenn hingegen betriebliche Kapitalerträge entstehen, unterliegen diese dem persönlichen Steuersatz im Einkommensteuertarif. Anders als im Betriebsvermögen steht der Verlustverrechnungsbeschränkung beim Privatanleger der günstige Zinssatz der Abgeltungssteuer gegenüber.
Darüber hinaus ist von negativen Auswirkungen der Regelung zur Beschränkung der Verlustberücksichtigung bei Termingeschäften auf den Arbeitsmarkt zu lesen. Ob ein Zusammenhang mit der Personalpolitik in der Bankenbranche besteht, wäre noch zu hinterfragen. Für mich ist es wichtig, dass die Branche nicht die Zockermentalität fördert, sondern sich auf seriöse, wirtschaftsdienliche Absicherungs-, Kurssicherungs- oder Hedgegeschäfte konzentriert. Wir sehen immer wieder, dass in guten Zeiten Gewinne mitgenommen werden, in schlechten Zeiten doch einigermaßen schnell nach der Gemeinschaft, dem Staat, den Steuerzahlern gerufen wird. Hier gibt es für die Krisenprophylaxe enormen Beratungs- und damit auch Arbeitskräftebedarf. Für hauptberufliche Trader mit einem eigenen Unternehmen muss nach der Rechtsform unterschieden werden. Die von Ihnen vermisste Freiheit ist also durch richtige Wahl der Rechtsform zu finden. Leider bleibt dabei die Freiheit einen verminderten Steuersatz in Anspruch nehmen zu können nicht erhalten.
Ich hoffe, dass Ihnen meine Ausführungen einen Schritt weiterhelfen.
Mit freundlichen Grüßen, Ihr Lothar Binding