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Lothar Binding
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Frage von Mathias T. •

Frage an Lothar Binding von Mathias T. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Bundestagsabgeordneter Lothar Bindung,

was mich schon lange sehr bewegt:

1. Warum müssen in Deutschland so sehr viele "arme Menschen" unter der von der statistisch errechneten Armutsgrenze leben?
2. Warum kümmern sich gerade die SPD-Bundestagsabgeordneten, immerhin eine der mitregierenden Koalitionsparteien, schon seit vielen Jahren nicht um die unverzügliche Beseitigung dieses unzumutbaren Zustandes?
3. Welche ersten kurzfristigen Maßnahmen sehen Sie, als Finanzfachmann im Bundestag, damit die notwendigen Vorbereitungen und danach Beschlußfassung im Bundestag zur kurzfristigen Beseitigung, also möglichst bis spätestens noch vor der Sommerpause 2020 in Gesetzen verankert sind?
4. Welche "Spezialisten" in den Fraktionen des Bundestages sollten zur qualitativen Vorbereitung mit hinzugezogen werden?

Mit erwartungsvollen und optimistischen Grüßen

M. T.
Bürger

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr T.,

vielen Dank für Ihre Frage hier bei abgeordnetenwatch.de Sie schreiben als „Bürger“, da kam mir die Frage in den Sinn, als was wir sonst noch schreiben könnten? Ich bin auch ein Bürger, der für vier Jahre gewählt wurde, um unser Zusammenleben zu erleichtern, zu organisieren…
Jedenfalls stellen Sie eine auch mir sehr wichtige Frage. Dabei beziehe ich Ihre Frage auf Einkommen und Vermögen, reduziere auf Geld und lasse anderes, wie menschliche Wärme, Zeit für einander… weg.

Ein Teil der Antwort auf ihre erste Frage liegt in der Definition von Armut. Während es Länder gibt, in denen man leider mit der Definition der absoluten Armut (weniger als 1,90 Dollar pro Tag) arbeiten kann, macht im europäischen Kontext nur die relative Armut Sinn. In Deutschland gilt man als armutsgefährdet, wenn man über weniger als 60% des Medianeinkommens der Bevölkerung verfügt. Das Medianeinkommen ist das Einkommen, das die Bevölkerung in zwei genau gleich große Hälften teilt und die eine Hälfte über dem Einkommen und die andere Hälfte darunter liegt. Diese Orientierung am Einkommen führt dazu, dass quasi per Definition immer ein Teil der Menschen arm ist – außer alle Menschen in unserem Land bekämen gleich viel Geld, hätten ein gleich großes Vermögen…

Die Gründe, warum Menschen von Armut betroffen sind, sind sehr vielfältig. Und so wie man das Glück haben kann, in einer reichen Familie geboren worden zu sein, so kann man auch Pech haben, in einer armen Familie geboren zu sein. Die Startchancen sind extrem ungleich verteilt. Und sicher finden wir alle Konstellationen im Verlauf des Lebens reicher oder ärmer zu werden. Und manchmal gibt es auch selbst verschuldete oder selbst bewirkte Entwicklungen. Aber selbst wenn jemand durch eigene Fehlentscheidungen in Armut lebt, gebieten es unsere humanen Grundsätze, Grundsätze der Menschlichkeit, vielleicht sollten wir Nächstenliebe sagen, allen Menschen zu helfen, ihre Armut zu überwinden. Oft ist Armut aber eine Folge von schweren Schicksalsschlägen.
Sie reichen von Krankheit, schwierigem Elternhaus, Arbeitslosigkeit in Verbindung mit fehlenden Jobperspektiven, geringe Renten oder Erwerbsminderungsrenten in Folge geringer Löhne, brüchiger Erwerbsbiographien vielleicht auch aus anderen Gründen.

Wir, alle Fraktionsmitglieder in der SPD Bundestagsfraktion ebenso wie in den Landtagen und den Kommunalparlamenten, aber auch die Mitglieder der SPD setzen sich dafür ein, das Leben für alle besser zu machen, gerechter, menschlicher, demokratischer und – in internationaler Dimension gedacht – auch friedlicher. Das gilt schon seit unserer Gründung vor 156 Jahren, denn das ist der inhaltliche Grund, warum wir in der SPD zusammenkommen. „Das Leben besser machen“ in Kombination mit Gerechtigkeit und Menschlichkeit führt unmittelbar dazu, die Armut zu überwinden. Oder anders: wir stellen die Frage: „Wie wollen wir morgen leben?“ Und geben Antworten, mit denen auch unsere Enkel, Urenkel… zufrieden sein können. Ökologisch für Umwelt und Natur, sozial für alle Lebensbereiche, kulturell für eine humanistische Basis der künftigen Gesellschaften, sozial gerecht und für eine friedliche Welt. Und das alles wollen wir demokratisch erreichen.

In der konkreten Politik, wenn es um Anträge und Gesetze geht, gestaltet sich diese Arbeit oft schwierig, weil die Überwindung von Armut auch immer jene tangiert, die nicht (mehr) arm sind. Und plötzlich stellen sich unangenehme Verteilungsfragen. Es geht dann auf einmal um die Freiheit des Marktes, darum, dass „jeder seines Glückes Schmid ist“, im Parlament wird das mit „der Staat soll sich nicht überall einmischen“ übersetzt.

In den letzten Jahren wurden vielfältige Maßnahmen beschlossen oder angestoßen. Als gutes Beispiel sei die kürzlich mit CDU/CSU vereinbarte Grundrente genannt, die das Leben von vielen Renter*innen einfacher machen wird, weil Ihnen mehr Geld zur Verfügung steht. Ihre Lebensarbeitsleistung wird endlich besser gewürdigt, die Zeiten, in denen Renter und Rentnerinnen als Bittsteller*in gegenüber dem Staat auftreten mussten, sollen vorbei sein. Leider schämen sich viele Menschen dafür, aufs Amt gehen zu müssen, um nach Unterstützung zu fragen – und so bekommen sie nicht einmal das, was ihnen zusteht.
Als weitere Beispiele seien Verbesserungen in der Grundsicherung, beim Wohn- und Kindergeld, bei der Erwerbsminderungsrente, die Einführung des Mindestlohns, Übernahmen des Gehaltes im Rahmen des Sozialen Arbeitsmarktes oder das Rückkehrrecht von Teil- in Vollzeit genannt.

Auch das eben erst im Dezember 2019 beschlossene Klimapaket gehört in diese Zukunftsüberlegungen. Leider gestalten sich die Lösungen im Kompromiss der Wahlergebnisse einer Demokratie nicht immer so eindeutig wie es mir lieb wäre.

Wir, „der Gesetzgeber“, können Hilfestellungen und Anreize schaffen, aber alleine kann er es auch nicht schaffen. Die Wirtschaft muss auch erkennen, dass z. Bsp. Langzeitarbeitslosen ein enormes Potential haben, das es zu beachten und zu schätzen gilt. In Heidelberg unterstütze ich seit knapp 30 Jahren ein Projekt für die Beschäftigung von Langzeitarbeitslose, dort bauen Langzeitarbeitslose und schwer vermittelbare Arbeitslose Spielplätze – jede*r so gut sie*er kann. Und wir lernen, dass die damit eröffneten Chancen zu gesellschaftlich sehr wertvollen Ergebnissen führen.

Neben der Umsetzung der Grundrente hat der SPD-Parteivorstand in seiner Sitzung kürzlich ein Konzept zur Einführung einer Kindergrundsicherung beschlossen (https://www.spd.de/standpunkte/kindergrundsicherung/). Damit wollen wir Kinder aus dem ALG II Bezug lösen.

Aus der steuerlichen Sicht, mein Fachgebiet, lässt sich leider wenig an der Bekämpfung von Armut machen, da sehr kleine und kleine Einkommen gar keine Steuern zahlen. Eine Entlastung, sprich Steuersenkung des Eingangssteuersatzes, hätte folglich gar keine Wirkung bei ihnen, würde nicht helfen.
Entlastungen bei den Sozialabgaben wirken aber sehr wohl, daher hat die Große Koalition auch die Rahmenbedingungen für die Midi-Jobs verbessert. Damit werden Arbeitnehmer*innen bei den Rentenbeiträgen entlastet, ohne gleichzeitig dadurch einen geringeren Rentenanspruch in Kauf nehmen zu müssen.
Sie sehen, die SPD-Bundestagsfraktion arbeitet mit all ihren Abgeordneten aktiv am Kampf gegen Armut.

Mit freundlichen Grüßen, Ihr Lothar Binding