Frage an Lothar Binding von Dorothea D. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Binding,
Ich bin Mutter mehrerer Kindergartenkinder.
Es kann nicht sein, dass Herr Spahn uns Eltern jetzt vorschreiben möchte, wie wir unsere Kinder zu impfen haben.
Die Impfentscheidung für unsere Kinder muss unsere Entscheidung bleiben - wir haben sie nach langer Überlegung verantwortungsvoll getroffen.
Zwang ist beim Impfen der falsche Weg und stellt einen massiven Eingriff in zentrale Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger dar.
Wie können Sie sich bezüglich dieses Themas für Ihre Wählerinnen und Wähler einsetzen?
Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau D. V.,
vielen Dank für Ihre E-Mail zur aktuellen Diskussion über eine Impfpflicht gegen Masern. Auch unsere Kinder waren im Kindergarte und in der Krippe, ebenso unsere Enkel.
CDU/CSU und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, weitere Maßnahmen zu ergreifen, um die notwendigen Impfquoten zum Schutz der Bevölkerung zu erreichen und hierbei auch die Einführung einer gesetzlichen Masern-Impfpflicht in Erwägung zu ziehen. Ich habe mich zur Beantwortung Ihrer E-Mail auch noch einmal mit der Arbeitsgruppe Gesundheit beraten. Teile meiner Antwort beruhen deshalb auf Formulierungen der zuständigen Facharbeitsgruppe Gesundheit.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir mit unseren bisherigen Bemühungen zur Steigerung der Impfbereitschaft das Ziel, Masern in Deutschland zu eliminieren, nicht erreichen konnten. Nach wie vor gibt es zum Teil erhebliche Impflücken bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Immer wieder kommt es, in jährlich schwankenden Zahlen, zu schwerwiegenden Masernausbrüchen, bei denen auch Todesfälle zu beklagen sind. Masern sind keine harmlose Kinderkrankheit, sondern eine hochansteckende, potentiell lebensbedrohliche Virusinfektion. Bereits einige Tage vor Auftreten der Erkrankung ist die Infektion hoch ansteckend - deshalb kommt beispielsweise der Ausschluss von Erkrankten vom Besuch einer Gemeinschaftseinrichtung unter Umständen zu spät. Zirkulierende Masern gefährden alle nichtgeimpften Menschen und unter ihnen vor allem diejenigen, die aus Altersgründen oder auf Grund gesundheitlicher Einschränkungen nicht geimpft werden können.
Ich habe oft den Eindruck, dass vielen Menschen heute nicht mehr bewusst ist, wie verehrend viele Infektionskrankheiten sind und wieviel Leid sie über die Menschheit gebracht haben und in anderen Teilen der Welt noch bringen. Ich nenne als Beispiel Diphterie, genannt "der Würgeengel der Kinder". Früher gehörte Diphterie zu den gefürchteten Seuchen, weil sie lebensbedrohlich war und vor allem die Jüngsten traf. Erst durch das Impfserum von Emil von Behring 1914 gelang es diese tödliche Krankheit in den Griff zu bekommen und so vielen Millionen Kindern das Leben zu retten.
Es ist aber ein Trugschluss zu vermuten, dass Krankheiten wie Masern, Mumps oder Röteln nicht mehr gefährlich seien. Je weniger Eltern Ihre Kinder impfen lassen umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie wieder auftreten.
Wir haben uns in der Vergangenheit darauf konzentriert, die freiwillige Impfentscheidung zum Beispiel durch mehr Impfaufklärung oder den Ausbau der Vorsorgeuntersuchungen und der ärztlichen Impfberatung zu fördern. Eine gesetzliche Impfpflicht hat aber auch die SPD als letztes Mittel keineswegs ausgeschlossen. Sie schreiben: "Wie können Sie sich bezüglich dieses Themas für Ihre Wählerinnen und Wähler einsetzen?" Das versuche ich auf allen Politikfeldern. Dabei geht es mir auch um Schutz und Sicherheit, um gute soziale Verhältnisse, um Gesundheit, gute Altersvorsorge, gute Arbeit und gutes Einkommen, gutes Miteinander... Gelegentlich denken Bürgerinnen und Bürger, speziell jene, die Ihr Wissen aus dem Streifzug durch das Web erlangen und dabei leicht Einzelmeinungen oder pseudowissenschaftlich begründeten Empfehlungen folgen, ihre so gebildete Meinung sei die "Meinung des Volkes" oder "die Meinung der Mehrheit". Ich erhielt einige Post von Bürgerinnen und Bürgern zum Thema Impfen. Ganz oft erhielt ich den gleichen Text gegen die Impfpflicht von verschiedenen Bürgerinnen und Bürgern... das geschieht immer dann, wenn über Plattformen oder interessierter Seite Standardtexte verschickt werden. Ihrer Formulierung vom "massiven Eingriff in zentrale Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger" kann ich nicht folgen. Auch die Schulpflicht wäre danach ein "Eingriff in zentrale Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger" und sollte von den Eltern nach "langer Überlegung verantwortungsvoll getroffen" werden.
Für die Einführung einer gesetzlichen Impfpflicht sehen wir eine breite Mehrheit in der Bevölkerung. Der Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Spahn wird derzeit innerhalb der Bundesregierung und mit den Fachverbänden besprochen. Im Anschluss daran werden wir ihn, nachdem sich auch die Bundesländer mit dem Vorhaben befasst haben, im parlamentarischen Verfahren beraten. Dabei werden alle Argumente pro und contra nochmals abgewogen.
Von Impfgegnern wird immer wieder behauptet, dass es beim Impfen nur um finanzielle Vorteile für die Pharmaindustrie geht. Diesen Vorwurf halte ich für falsch. Natürlich wollen privatwirtschaftliche Unternehmen mit ihren Produkten Geld verdienen. Die Pharmaindustrie macht hier keine Ausnahme. Allerdings sollten wir uns klar machen, dass es einen großen Unterschied zwischen dem Geschäft mit Arzneimitteln und dem mit Impfstoffen gibt. Laut dem Robert-Koch-Institut in Berlin entfielen von den knapp 194 Mrd. Euro, die die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) im Jahr 2014 ausgegeben hat, 33 Mrd. Euro (17%) auf Arzneimittel und lediglich etwas mehr als 1 Mrd. Euro (0,65%) auf Impfstoffe. Ein Grund dafür ist, dass Medikamente etwa von chronisch Kranken ein Leben lang eingenommen werden müssen, während Impfstoffe in der Regel nur wenige Male verabreicht werden.
Aus Sicht der Pharmaindustrie ist das Geschäft mit Impfstoffen auch deshalb weniger attraktiv, weil die Herstellung von Impfstoffen weitaus komplexer und teurer ist als die von Arzneimitteln. So gibt es weltweit immer weniger Impfstoffhersteller, wozu auch wirtschaftliche Erwägungen beigetragen haben dürften. Andererseits sollte auch nicht außer Acht gelassen werden, dass durch Impfungen viel Leid und kostenintensive Behandlungen vermieden werden. Dies wurde in vielen gesundheitsökonomischen Evaluationen errechnet.
Immer wieder ist in den vergangenen Jahren darüber gestritten worden, ob Autismus, Diabetes oder selbst Multiple Sklerose durch Impfungen ausgelöst werden könnten. Einen Nachweis dafür gibt es allerdings bis heute nicht.
Gleichwohl ist unbestritten, dass Impfstoffe Nebenwirkungen haben können. Eine Hauptschwierigkeit liegt hier in der Risikobewertung: Impfungen werden fast allen Kindern gegeben. Es ist somit nicht verwunderlich, dass Gesundheitsstörungen und Erkrankungen, die im Kindesalter gehäuft auftreten, zufällig im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung registriert werden. Ein echter ursächlicher Zusammenhang muss deshalb, laut dem Robert-Koch-Institut allerdings nicht bestehen.
Generell gilt, dass es sowohl nach ärztlichem Standesrecht wie auch nach Infektionsschutzgesetz vorgeschrieben ist, Verdachtsfällen auf Impfkomplikationen an das Paul-Ehrlich-Institut zu melden. Das Institut bewertet diese Meldungen im Hinblick auf einen ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung mit dem Ziel, mögliche Risikosignale sehr seltener Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen und entsprechende Maßnahmen ergreifen zu können. Somit ist sichergestellt, dass auch nach der Zulassung die Impfstoffe einer kontinuierlichen Sicherheitskontrolle unterliegen.
Wir versprechen uns von einer gesetzlichen Impfpflicht für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die in einer Gemeinschaftseinrichtung betreut werden, und für Erwachsene, die in einer Gemeinschaftseinrichtung oder in einer medizinischen Einrichtung beschäftigt sind, die notwendige Erhöhung der Masern-Impfquote in der Bevölkerung und damit mittel und langfristig eine hohe Bevölkerungsimmunität. Es ist wichtig, diejenigen zu erreichen, die nicht zeitgerecht impfen oder Impftermine versäumen. Gleichzeitig muss die Information und Aufklärung über die Masern-Erkrankung und die Impfung verstärkt werden, um Menschen, die einer Impfung skeptisch gegenüberstehen, stärker als bisher anzusprechen. Wir werden aber auch weitere Maßnahmen zu beraten haben, mit denen die erheblichen Impflücken bei Erwachsenen geschlossen werden können.
Gegenstand der Beratungen sind selbstverständlich auch die mit der Regelung verbundenen verfassungsrechtlichen Fragen. Ich meine, dass die individuelle Entscheidungsfreiheit dort ihre Grenze finden muss, wo die Gesundheit und sogar das Leben anderer gefährdet ist und andere geeignetere Mittel nicht zur Verfügung stehen.
Ich bin ja oft in Dossenheim – vielleicht kreuzen sich unsere Wege und wir können unseren Dialog fortsetzen.
Mit freundlichen Grüßen, Ihr Lothar Binding