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Frage von Adrian W. •

Frage an Lothar Binding von Adrian W. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrter Herr Binding,

ich habe gerade den Spiegel-Artikel zum Thema Nichtraucherschutz-Chaos und möchte Ihnen für Ihren Einsatz gratulieren und danken.
Es fällt mir (und nicht nur mir) schwer zu verstehen, wieso es bei uns so viel schwieriger als in anderen Ländern ist, entsprechende Regelungen zu finden. Ich hätte nie gedacht, daß Italien und Spanien es eher schaffen...
Könnten Sie versuchen zu erklären, woran es im Wesentlichen liegt? Ist die Tabak-Lobby so stark? Spendet die Tabak-Industrie doch so viel? Ist es nicht eine Schande?

Mit freundlichen Grüssen,
Adrian Wiener

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Wiener,

vielen Dank für Ihre Eingabe und den freundlichen Zuspruch zu unserer parlamentarischen Initiative zum besseren Schutz vor Passivrauchen. Sie hinterfragen zu Recht, warum es in Deutschland nur schwer möglich ist, die wissenschaftlich nachgewiesen dringend notwendige gesetzliche Regelung zum Schutz vor Passivrauchen auf den Weg zu bringen. Es gibt, wie in den meisten Entscheidungsprozessen, eine Vielzahl von Gründen, die den heutigen Sachstand erklären. Die beiden wichtigsten sind vielleicht erstens die Lobbyarbeit - aber etwas anders betrachtet als gemeinhin vermutet und zweitens der Föderalismus, der zu einer oft unübersichtlichen Verantwortungsdiffusion führt, die sich die Gegner bestimmter Entwicklungen zu nutze machen. Und bekanntlich ist es viel leichter etwas zu verhindern als etwas konstruktiv zu entwickeln.

Dass Lobbyisten Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen ist völlig legitim und gehört zum politischen Entscheidungsprozess. Die wirtschaftlichen Interessen der von Ihnen angesprochenen Tabakindustrie sind aus diesem Grund nachvollziehbar. Ob sie allerdings in der politischen Entscheidungsfindung gegenüber den triftigen Argumenten für einen verbesserten Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens Bedeutung haben sollten, ist doch sehr fraglich. Der unmittelbare Einfluss der Lobbyisten ist gering. Im Regelfall heben sich die widerstreitenden Interessen gegenseitig auf.

In diesem Fall ist es noch offensichtlicher: hier wird ein schlechtes Produkt verkauft, eines das Süchtig macht, teuer ist, das Risiko für eine Krebserkrankung, für Kindstod oder Herz-Kreislauferkrankungen drastisch erhöht. Deshalb schaltet die Lobby auch auf andere Assoziationsmuster um. Gemütlichkeit, Zugehörigkeitsgefühl oder Macht etc. Aber das glauben heute ja nur noch wenige. Warum also ist der Einfluss dieser Lobby heute stärker als ihre schwachen Argumente wert sind? Ich denke, dass wir im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte entsprechend konditioniert und manipuliert wurden.
Die Macht der Fernseh- und Kinobilder, die Lächerlichmachung von Nichtrauchern, die Ignoranz gegenüber physikalischen und chemischen aber auch medizinischen Erkenntnissen, auch deren Verfälschung über die gesamte Zeit seit der Tabak bzw. Nikotin in den Schützengräben des 1. Weltkriegs zur Wahrnehmungsdämpfung verabreicht wurde sind nicht spurlos an uns vorüber gegangen. Heute genügt manchmal schon ein Wort, um unsere alten Konditionierungen wieder zu aktivieren. Etwa: nach dem Essen "gemütlich" eine Rauchen. Das wird dann noch von der FDP als Freiheit verkauft. Erst langsam lernen wir diese jahrzehntelange Manipulation abzuschütteln. Auch wenn der Raucher niemanden schädigen möchte, er möchte ja nur sein Nikotin genießen, werden alle anderen im Raum zwanghaft mitrauchen müssen. Natürlich könnte man aus dem Zimmer herausgehen um sich zu schützen; aber das könnte der Raucher ja auch um niemanden zu gefährden... Hier zeigt sich die über die Lobby vermittelte Schieflage des Freiheitsbegriffs zum Schaden einer liberalen Gesellschaft.

Ich will sagen: der Einfluss der Lobby geht auf die zermürbende Bewusstseinsbildung in der Vergangenheit zurück, heute genügen kurze mediale Impulse um viele Menschen zu steuern.

Wenn ich an einige Entscheidungsträger denke, macht es den Anschein, dass diese Langzeitwirkung der Manipulation auch durch ganz profane Gründe ergänzt wird: mancher hochrangiger Politiker ist selbst Raucher. Diese körperliche und mentale Abhängigkeit scheint stärker zu sein, als den Forderungen und Interessen der Mehrheit der Deutschen nach einer rauchfreien Gastronomie nachzukommen. Glücklicherweise gibt es aber viel mehr Kolleginnen und Kollegen, die selbst Raucher sind und gleichwohl die Initiative zum Passivraucherschutz unterstützen. In der SPD Fraktion ist dies die Mehrheit.

Das zeigt, wie der Einfluss der Lobby langsam aber sicher zerfällt.

Die zweite Ursache für die Probleme in Deutschland in solchen Zusammenhängen zu Lösungen zu finden liegt darin, dass es mühelos gelingt, via Verfassung ist das relativ leicht, die jeweilige Verantwortung - übersetzt mit Zuständigkeit - in Zweifel zu ziehen. Das Bundesinnenministerium hat z.B. in einem "Gutachten" versucht zu zeigen, dass wir es hier weder mit Giften, noch Genussmitteln, noch einer Frage der Gesundheit zu tun haben. Es gelte das Gaststättengesetz - und da seien ja schließlich die Länder zuständig. Sie spüren, wo das Problem liegt. Also setze ich mal den Gedanken fort: wenn Sie das Rauchen in einer Sauna verbieten möchten, damit die anderen Saunagäste nicht gefährdet werden - brauchen Sie natürlich ein Saunagesetz.

Ich hoffe sehr, dass Ihnen meine Antwort weiterhilft und verbleibe

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Lothar Binding