Frage an Lothar Binding von Frank K. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Binding,
vielen Dank für Ihren Einsatz Nichtraucher besser zu schützen.
Wieso wird nicht im Vorfeld abgeklärt ,wer ( Bund oder Länder) für ein neues Nichtrauchergesetz zuständig ist?
Mit freundlichen Grüßen
Frank König
Sehr geehrter Herr König,
vielen Dank für Ihre Mail. Die Website „abgeordnetenwatch“, hat mir Ihre Mail weitergeleitet. Sie können sich künftig gerne direkt an mich wenden. Sie fragen, warum nicht schon im Vorfeld geklärt wurde, wer für ein Gesetz zum Schutz vor Passivrauchen zuständig ist.
Zusammenfassung meiner Antwort:
Die Gutachtenlage ist verworren. Für jeden Experten den Sie fragen, finden Sie einen anderen der dem ersten widerspricht. Auch in der Regierung sind die Meinungen der Ministerien unterschiedlich. Wenn wir immer erst ein Gesetz entwerfen würden, nachdem es keine Unwägbarkeiten hinsichtlich der Zuständigkeiten mehr gäbe, würden viele Parlamentsinitiativen schon im Keim erstickt.
Oft wird die Verfassungsfrage auch einfach deshalb gestellt, um etwas in Zweifel zu ziehen, was man aus ganz anderen Gründen, in der Sache selbst, ablehnt. Da Gerechtigkeit und Gleichbehandlung unbestimmte Rechtsbegriffe sind, lässt sich hier jeglicher Zweifel endlos ausdehnen. In diesem speziellen Fall haben wir außerdem auf Bitte unserer Fraktionsspitzen gearbeitet, also auf Bitten von zwei Rechtswissenschaftlern.
Nun haben wir außerdem das Glück, dass unser Anliegen - Schutz vor Passivrauchen – von Kanzlerin Angela Merkel zur „Chefsache“ gemacht wurde und wir sehen können, wie eine Chefsache zum guten Ende gebracht wird…
Etwas ausführlicher:
Zunächst möchte ich Sie über die Entwicklungen in den vergangenen Wochen und Monaten seit der Formulierung des Gruppenantrags im Mai informieren. Der bereits in den Bundestag eingebrachte Gruppenantrag, Drucksachennummer 16/2730 sieht eine umfassende, einfache, klare und bundesweit einheitliche Regelung auf der Grundlage arbeitsschutzrechtlicher Möglichkeiten und einer Abwehr gemeingefährlicher Krankheiten vor. Hierbei bietet sich die Arbeitsstättenverordnung als gesetzliches Instrumentarium an. Der Antrag liegt derzeit in Wartestellung; wir können ihn jederzeit auf die Tagesordnung des Bundestages setzen. Die Zuständigkeit des Bundes für die Arbeitsstättenverordnung oder eine diesbezügliche Gesetzgebung ist unbestritten.
Zur „Abkühlung“ dieses Gruppenantrags wurde eine Koalitionsarbeitsgruppe im Auftrag der Koalitionsspitzen von CDU/CSU, Volker Kauder und SPD, Peter Struck tätig, um einen Kompromiss zwischen jenen Kräften, die weniger Schutz wollten, und jenen, die umfassenden Schutz vor Passivrauchen wollten, zu finden. Die Aufgabe der Arbeitsgruppe bestand darin, einen für beide Seiten akzeptablen Gesetzentwurf zu erarbeiten.
Die gemeinsame Arbeitgruppe wurde seitens der CDU/CSU-Fraktion von dem Parlamentarischen Staatssekretär Gert Müller und den Abgeordneten Klaus Brähmig sowie Annette Widmann-Mauz vertreten. Von unserer Seite haben die Parlamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk, Annette Faße und Lothar Binding teilgenommen.
Meine Position, die wir – Dr. Carola Reimann, Dr. Margrit Spielmann und viele andere – auch mit dem Gruppenantrag verfolgen, sieht einen durchgängigen Schutz der Bürgerinnen und Bürger in allen öffentlichen Gebäuden, Verkehrsmitteln, Schulen und Universitäten vor Passivrauchen vor. Wir fordern künftig ebenfalls den Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an allen Arbeitsplätzen, also auch im Bereich der Gastronomie – ohne Ausnahmen.
Unser Vorschlag, einfache und klare Regelungen zu erarbeiten, wurde zu unserem großen Bedauern in der Arbeitsgruppe von CDU/CSU nicht mitgetragen. Gleichwohl ist es wichtig zu bemerken, dass alle Mitglieder der Arbeitsgruppe sehr konstruktiv um einen Kompromiss gerungen haben. Wer mit bedenkt, wie weit doch die Positionen zunächst auseinander lagen, erkennt, wie wertvoll der Kompromiss ist – auch weil alle Kolleginnen und Kollegen im Grundsatz eine Verbesserung des Schutzes befürworten.
Am 30. November 2006 hat die Arbeitsgruppe ihre Vorschläge vorgelegt:
Zukünftig soll in allen öffentlichen Gebäuden, in Krankenhäusern, Bussen und Bahnen, in Diskotheken und Restaurants Rauchverbot herrschen. Eigens gekennzeichnete, belüftungstechnisch zuverlässige und baulich getrennte Raucherräume können eingerichtet werden. Schankwirtschaften und Bierzelte sollen vom Verbot ausgenommen werden.
Diese "Lösung" ist suboptimal, insbesondere vor dem Hintergrund, dass viele Bürgerinnen und Bürger, Vereine und Gruppierungen große Erwartungen an die Arbeit gerichtet haben, sie ist aber als erster großer Schritt in die richtige Richtung erträglich. Wichtig ist dabei der Ansatz, dass hier eine Regel-Ausnahmebeziehung definiert wird, die den Schutz zur Regel und die Gefährdung zu Ausnahme macht – anders als bisher.
Wer die großen Gesundheitsrisiken bedenkt - 130.000 Tote durch Aktivrauchen, 3.000 Tote durch Passivrauchen und die vielen Krankheiten, die dabei nicht gezählt wurden -, der ist froh, dass wir nun endlich handeln können.
Eine Regelungskompetenz auf Bundesebene für diesen Kompromiss ist im Grundgesetz gegeben. Der Bund hat das Gesetzgebungsrecht für umfassende Rauchverbote als Maßnahme zur Abwehr gemeingefährlicher Krankheiten. Studien beweisen eindeutig, dass Passivrauchen in hohem Maße krebserregend ist und Herz- Kreislauferkrankungen zur Folge hat. Es handelt sich also unstrittig um eine gemeingefährliche Krankheit nach GG Artikel 74 Abs. 1 Nr. 19. Daher ist die Vermeidung von Passivrauchen durch möglichst umfassende Rauchverbote eine direkte bzw. unmittelbare Maßnahme zur Bekämpfung der genannten Krankheiten.
Wir berufen uns dabei auf Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages und des Frankfurter Rechtsprofessors Helmut Siekmann. Eine Stellungnahme des Innenministeriums von Oktober 2006 zeigt verfassungsrechtliche Probleme auf – eine verwirrende Gutachtenlage. Wir haben ja erst eben im Zusammenhang mit dem Verbraucherschutz erlebt, wie selbst dann ein Gesetz vom Bundespräsidenten verfassungsrechtlich in Frage gestellt wird, wenn BMI und BMJ Verfassungsfestigkeit bestätigt haben. In einer solchen Lage ist es wichtig, sich in Parlament und Regierung der übernommenen Verantwortung bewusst zu werden und eilig weiteren Schaden durch Passivrauchen von den Menschen abzuwenden. Das Risiko einer Verfassungsklage ist gering, und dass der Bundespräsident die Verantwortung für das große Leid der Familien, die Krebsleiden oder Herzinfarkt in Folge des Passivrauchens zu erdulden haben, übernehmen würde, möchten wir bezweifeln.
Seitens der Bundesregierung wurde am 7. Dezember 2006 nun öffentlich verkündet, dass die Bundesministerien für Inneres und für Justiz die Regelungsmöglichkeit im Grundgesetz für nicht gegeben ansehen und die Zuständigkeit bei den Bundesländern liege. Hier wäre die Verankerung im Gaststättenrecht (?!) möglich, so die Regierung. Ein Flickenteppich verschiedener Regelungen soll vermieden werden, ist meines Erachtens aber vorprogrammiert, wenn wir die Äußerungen der Ministerpräsidenten aus dem Saarland oder Niedersachsen ernst nehmen.
In diesem Zusammenhang rief auch bereits der EU-Gesundheitskommissar Markos Kyprianou Deutschland auf, weiter auf einen bundesweiten Schutz zu setzen. Laut Kyprianou könnte ein totales Rauchverbot in Deutschland der EU im Kampf gegen den Tabakkonsum enorm helfen. „Am besten für die öffentliche Gesundheit ist es, alle Arbeitsstätten und öffentlichen Gebäude einschließlich Bars und Restaurants vollständig nikotinfrei zu machen“, betonte er. So im Ärzteblatt vom 11. Dezember 2006 nachzulesen.
Die Bundeskanzlerin hat das Thema nun zur Chef-Sache erklärt und sich am 13. Dezember 2006 mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer getroffen, um ein gemeinsames Handeln zu erörtern. Beschlossen wurde eine Arbeitsgruppe, die bis März 2008 einen Vorschlag erarbeiten soll. Eine Arbeitsgruppe – nach der bisherigen Entwicklung, Gruppenantrag, Arbeitsgruppe im Bundestag: kein gutes Zeichen. Wenn diese Chef-Sache Erfolg hat, gibt es ebenso schnell eine bundeseinheitliche Regelung, wie mit einer bundesgesetzlichen Regelung. Damit könnten wir zufrieden sein. Als Minimalkonsens für eine Regelung in allen Ländern wurden im Fraktionsvorstand der SPD-Bundestagsfraktion die Ergebnisse der Bundestagsarbeitsgruppe vorgeschlagen. Falls diese Chef-Sache keinen Erfolg hat, wollen wir den Gruppenantrag reaktivieren. Das wollen wir genauer erst im neuen Jahr abwägen.
Die Zuständigkeit ist also nicht sehr leicht zu beweisen. Bisher stehen sich die Rechtsauffassungen des BMELF, des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und des BMG, des Bundesministeriums für Gesundheit und die des BMJ, und des BMI gegenüber. Natürlich kann ein Gesetzesentwurf von der Bundesregierung nur eingebracht werden, wenn die sog. Verfassungsressorts, das BMI und das BMJ Verfassungskonformität bestätigen. Das Parlament kann dies auch ohne deren Zustimmung. Es liegt dann, wie üblich, beim Bundespräsidenten, das Gesetz zu prüfen.
Da wir im Grundgesetz neben der Zuständigkeit für die Anforderungen an die Arbeitsstätten – übrigens wurde 2003 die Arbeitsstättenverordnung um Regelungen zum Nichtraucherschutz ergänzt – auch Zuständig sind für Maßnahmen gegen gemeingefährliche Krankheiten, für das Recht der Gifte und das Recht der Genussmittel, gibt es genügend Anknüpfungspunkte im Grundgesetz für die Zuständigkeit des Bundes. Sich rechtlich nun auf bestimmte Räume, etwa die Gaststätten, zu reduzieren, um sich damit auf das Gaststättenrecht beziehen zu könne scheint mir nicht plausibel. Oder umgekehrt: Wenn es tatsächlich so sein sollte, dass ein solch einfaches Gesetz zum Schutz vor dem Passivrauchen aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich sein sollte, dann stimmt etwas mit der Verfassung oder deren Interpretation oder deren Anwendungsbereich nicht. Gesundheitsschutz ist nicht teilbar.
Stellen Sie sich vor. Eine Landesgrenze geht mitten durch einen Gastraum einer Gaststätte. Was macht nun ein krebserregendes Feinstaubteilchen an der Landesgrenze…?
Viele Grüße, ein geruhsames Weihnachtsfest und alles Gute für 2007!
Ihr Lothar Binding (Heidelberg)