Frage an Lothar Binding von Herbert K. bezüglich Verkehr
Hallo Herr Binding,
warum will man in einem "Eilverfahren" die größte Grundgesetzänderung seit über 10 Jahren binnen 48 Stunden "durchpeitschen"?
Sind Sie nicht auch der Meinung, dass hier vollendete Tatsachen vor einer ausführlichen Diskussion in den anstehenden Parteitagen geschaffen werden soll?
Wie wollen Sie Schattenhaushalte zur Umgehung der Verschuldungssgrenzen ausschließen?
Wie beurteilen Sie die Formulierung der neuen Artikel. Ist dadurch eine Privatisierung von Autobahn- und Bundesfernstraßenabschnitten wirklich ausgeschlossen?
Kann man darauf vertrauen, dass die Privatisierung nicht zur Finanzierung zu überhöhten Kosten zu Gunsten von Banken + Versicherungen usw. zu Lasten des Steuerzahlers führt?
Glauben Sie wirklich, dass die Mehrheit der Bürger*innen eine Privatisierung von Bundesfernstraßen, KiTas und Scnhulen möchte? Wird hier nicht die Demokratie parteipolitischem Taktieren geopfert?
Führt die Privatisierung nicht zu einer Umverteilung von unten nach oben?
Sehr geehrter Herr Köhler,
vielen Dank für Ihre Fragen.
Zu Ihren fachlichen Fragen, den Länderfinanzausgleich betreffend, bitte ich Sie, sich meine Antwort auf die Frage von Frau Keaser vom 29. Mai 2017 anzuschauen: http://www.abgeordnetenwatch.de/lothar_binding-778-78033--f466581.html#q466581
Ihre Frage: „warum will man in einem "Eilverfahren" die größte Grundgesetzänderung seit über 10 Jahren binnen 48 Stunden "durchpeitschen"?“ verstehe ich gut, denn leider werden die Abläufe und Entscheidungsprozesse im Deutschen Bundestag nur selten ausführlich dargestellt. Und auch die Website des Bundestages, über die sehr gute Informationen zur Verfügung stehen, gehört nicht unbedingt zur täglichen Lektüre. Der sichtbare Teil eines Gesetzgebungsprozesses in der 2. und 3. Lesung umfasst oft nur 25 oder 38, manchmal 60 oder 96, höchstens 125 oder 219 Minuten Redezeit. In der 1. Lesung sind die Debattenzeiten ähnlich kurz. Wenn Sie so wollen, werden alle Gesetze in wenigen Stunden durchgepeitscht. Allerdings ist daran nicht zu erkennen, wie lange ein Gesetzgebungsprozess tatsächlich gedauert hat. Da gibt es viele Ausschusssitzungen zur Vorbereitung der Plenumsdebatte bzw. bis zur endgültigen Beschlussvorlage im Plenum, endlos viele Arbeitsgruppensitzungen, Berichterstattergespräche, Anhörungen und auch Gespräche im eigenen Wahlkreis – oft über Monate. Dazu kommen die Gespräche mit Ländervertretungen, mit einzelnen Bürgern, Unternehmen, Lobbyisten und Gegenlobbyisten. Das ist ein wenig wie bei einem Eisberg: Wer sich nur auf den sichtbaren Teil konzentriert, hat schnell ein Problem.
Auch die von Ihnen angesprochene Grundgesetzänderung hat üblichen gesetzgeberischen Weg mit all seinen Beratungen und Diskussionen durchlaufen – auch innerparteilich wurde darüber ausführlich diskutiert.
Um auf Ihren dritten Punkt einzugehen: Die Bundesregierung führt keine Schattenhaushalte. Es gibt "Sondervermögen" oder "Sonderfonds", die als Teil des Bundeshaushaltes jährlich vom Parlament beschlossen werden und vollständig bekannt sind. Zudem sind Sondervermögen unter § 48 des Haushaltsgrundsätzegesetzes gesetzlich geregelt und können somit nicht zur Umgehung von Verschuldungsgrenzen genutzt werden. Beispiel hierfür ist u.a. das Bundeseisenbahnvermögen (seit 1. Januar 1994), das die Anteile des Bundes an der privatisierten Deutsche Bahn AG hält und die Gewinne aus den Dividenden der Deutschen Bahn an den ordentlichen Bundeshaushalt abführt.
Ihre allgemeine Anmerkung zur Privatisierung, möchte ich so kommentieren: De facto liegt keine Privatisierung von Autobahnen vor und es wurden durch unser Zutun auch jegliche Hintertüren für nachträgliche Privatisierung geschlossen. Wir wissen, dass die Gesellschaft (wie ich auch) keine zunehmende Privatisierung von Institutionen des öffentlichen Raums, wie Kitas und Schulen, möchte. Auch ich bin dafür, Sorge zu tragen, dass auch künftig ausgeschlossen ist, öffentliche, vielleicht sogar Komponenten der Daseinsvorsorge zu privatisieren. Privates Kapital sucht private Gewinne… Ich suche den Vorteil für das Gemeinwesen.
Die Grundgesetzänderung ist Teil des neuen Bund-Länder-Finanzausgleichs, der sich den Umständen, in den wir heute leben, anpasst. Dabei stehen keine parteipolitischen Taktiken sondern die Bürger*innen im Vordergrund. So wurde mit dem Gesetzes-Paket die Ausweitung des Unterhaltsvorschusses für Alleinerziehende auf 18 Jahre erweitert und das Aufbrechen des Kooperationsverbotes im Bildungsbereich beschlossen.
Da es keine Privatisierung gegeben hat, wird es auch keine Mehrbelastung der Steuerzahler*innen zu Gunsten der Banken und Versicherungen geben. Die von Ihnen gefürchtete Umverteilung von unten nach oben findet demnach auch nicht statt. Ich halte die Gesetzesänderung für klug, denn sie gab uns – der SPD – die Möglichkeit zu belegen, dass soziale Gerechtigkeit unser zentrales Thema und Wurzel unseres Handelns ist. Soziale Gerechtigkeit bedeutet für mich auch, öffentliches Eigentum, das ja von allen Steuerzahler*innen bezahlt wurde, in öffentlichem Eigentum zu behalten.
Ich hoffe sehr, dass Ihnen meine Antwort weiterhilft.
Viele Grüße, Ihr Lothar Binding