Frage an Lothar Binding von Leah O. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Binding,
das Bundesverfassungsgericht hat in verschiedenen Urteilen bereits große Teile des Transsexuellengesetz von 1981 für verfassungswidrig erklärt.
Auch viele der bestehenden Paragraphen werfen schwerwiegende grund- und menschenrechtliche Bedenken auf. Es besteht somit dringender Reformbedarf.
Das TSG in seiner aktuellen Fassung geht von einer medizinisch-diagnostischen Vorstellung von „Transsexualität“ als psychischer Erkrankung aus, die nach den aktuellen Erkenntnissen der Forschung nicht zu vertreten ist. Auch wird es nicht der Lebensrealität vieler Menschen gerecht.
Viel mehr stellt es die von diesem Gesetz betroffene Menschen vor enorme Herausforderungen und setzt diese gleichzeigt einem extremen Druck aus. Nicht zuletzt ist das ganze Verfahren doppelter Begutachtung, das auch finanziell für Betroffene nicht leicht zu stemmen ist, nicht akzeptabel.
Zu diesem Schluss kommt auch ein aktuelles Gutachten[1] der Humboldt-Universität im Auftrag des BMFSFJ.
"Insgesamt ist zu konstatieren, dass die Ausgestaltung des Verfahrens nach dem TSG nicht den Empfehlungen des Menschenrechtskommissars oder den Vorgaben der Resolution 2048 entspricht, da das Verfahren weder schnell, noch transparent, noch leicht zugänglich oder auf Selbstbestimmung basierend ist."
In diesem Gutachten befindet sich auch der Entwurf für die Schaffung eines neuen "Geschlechtsidentitäts und -zuordnungsgesetz".
Diese soll die alten Regelungen des TSG durch neue und zeitgemäße Regelungen ablösen und Betroffenen ein angemessenes Verfahren ermöglichen.
Ich möchte Sie daher nicht nur Auffordern auf eine entsprechende Gesetzesänderung hinzuwirken, sonder wüsste auch gerne, welche expliziten Schritte Sie gehen werden, um eine entpreschende Neuregelung auf Grund dieses Gutachtens schnellstmöglich zu verwirklichen?
Sehr geehrte Frau Oswald,
vielen Dank für Ihre Frage zur Reformierung des Transsexuellengesetzes. Entschuldigen Sie bitte die verspätete Antwort, aber das Zusammentragen der Informationen nahm etwas Zeit in Anspruch.
Der Koalitionsvertrag der aktuellen Legislaturperiode legt einen Fokus auf die besondere Situation von trans- und intersexuellen Menschen. Deshalb wurde 2014 von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig ein Referat für „gleichgeschlechtliche Lebensweisen, sexuelle Identitäten“ im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eingerichtet. Dort wurde eine interministerielle Arbeitsgruppe zur Situation inter- und transsexueller/-geschlechtlicher Menschen ins Leben gerufen. Diese hat sich drei Schwerpunkte gesetzt:
1. Die Medizinische Behandlung von trans- und intersexuellen Menschen.
Dabei beruft sich die Arbeitsgruppe auf eine Stellungnahme der Bundesärztekammer vom März 2015 zum Thema „Varianten/Störungen der Geschlechtsentwicklung", die sich mit Menschen befasst, deren biologisches Geschlecht nicht eindeutig den Kategorien "männlich" oder "weiblich" zuzuordnen ist. Hierin wird klargestellt, dass bei Neugeborenen und Kleinkindern, die intersexuell geboren werden, grundsätzlich keine Operationen zur Geschlechtsangleichung durchgeführt werden sollten. Dem Recht auf Selbstbestimmung und dem "Recht auf eine offene Zukunft" des Kindes müsse Rechnung getragen werden.
2. Ausbau und Stärkung von Beratungs-, Aufklärungs- und Präventionsstrukturen.
Die Arbeitsgruppe will, dass örtliche Beratungsstellen besser geschult werden, sodass Trans- und intersexuelle Personen und ihre Angehörigen eine gute diskriminierungsfreie Beratung und Unterstützung zur Verfügung stehen.
3. Prüfung erforderlicher Gesetzesänderungen.
Der Koalitionsvertrag schreibt die Evaluation der Änderung des Personenrechts vor, weshalb es seit 2013 möglich ist den Personenstand bei Abfragen offen zu halten. Somit wurde ein erster Schritt gegen das Transsexuellengesetz von 1981 getan, dass nicht nur vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt, sondern auch stark vom Deutschen Ethikrat kritisiert wurde.
Zu dem von Ihnen genannten Gutachten der Humboldt-Universität, wurde ein weiteres Gutachten beim Deutschen Institut für Menschenrechte unter dem Titel: "Geschlecht im Recht: Status Quo & Entwicklung von Regelungsmodellen zur Anerkennung und zum Schutz von Geschlechtsidentität" in Auftrag gegeben, dessen Ergebnisse in Kürze erwartet werden.
Des Weiteren wurde ein Fachaustausch angeregt, der die Thematik einer stets größer werdenden Öffentlichkeit bekannt machen soll und versuchen soll Vorurteile aus der Welt zu schaffen.
Ergänzende Informationen zur Initiative der Bundesregierung bezüglich einer Gesetzesänderung können Sie der Website des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend entnehmen: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/gleichgeschlechtliche-lebensweisen-geschlechtsidentitaet/arbeitsgruppe--intersexualitaet-transsexualitaet-/73928
Ich hoffe sehr, dass ich Ihr Anliegen auf diese Weise konstruktiv aufgreifen konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Lothar Binding