Frage an Lothar Binding von Matthias S. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Binding,
ich danke Ihnen für Ihre Antwort. Man spürt, dass Sie die Fragen ernst nehmen und die Dinge differenziert sehen.
Sie haben in mehreren Punkten sicher recht. Es gab in der Vergangenheit vereinzelt negative Realzinsen. Aber kann man Unrecht damit legitimieren, dass es früher auch schon Unrecht gab? Auch hat die heutige Enteignung ganz andere Dimensionen und Ursachen.
Bei der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Geldpolitik denke ich wie viele andere Kommentatoren auch, dass politische Zwänge die Entscheidung der Gerichte beeinflussen. Unabhängig von Gerichtsurteilen handelt es sich de facto um illegale Staatsfinanzierung, wenn von Italien emittierte Staatsanleihen von der Unicredit gekauft und dann an die EZB weitergereicht werden. Die Zwischenschaltung der Geschäftsbank ist ein Trick. Unter normalen Umständen würde jeder Richter ganz klar sagen, dass die rein buchungsmäßige Zwischenschaltung der Geschäftsbank nur dazu dient, damit Draghi sagen kann, er kaufe am Sekundärmarkt. Faktisch kauft er aber illegal am Primärmarkt und finanziert direkt den italienischen Staat durch die Notenpresse.
Jetzt liegt die Inflation schon bei 2%, die Zinsen weiter bei Null. Die Enteignung ist voll am laufen. Sie trifft die einfachen Sparer. Es profitieren in ungeheurem Ausmaß die Reichen, deren Immobilien- und Aktienportfolios steigen, und zwar unverdientermaßen, einfach durch Draghis Geldschwemme. Fast alle Experten kritisieren, dass die Geldpolitik die Fiskalpolitik ersetzt hat. Die Politiker lassen Draghi machen und brauchen daher nicht selbst handeln. Wofür haben wir ein Parlament, wenn die Eurokrise nicht demokratisch über Steuerpolitik und eine faire Lastenverteilung gemanagt wird, sondern durch die Gelddruckerei eines nicht vom Volk gewählten Herrn Draghi, der massiv von unten nach oben umverteilt? Ich sehe hier ein riesiges Demokratiedefizit.
Mit freundlichen Grüßen
M. Schwarzer
Sehr geehrter Herr Schwarzer,
vielen Dank für Ihre Fragen, Hypothesen und Meinungen. Vieles von dem, was Sie schreiben, kann ich unterstützen. So finde ich Ihre Aussage richtig, dass stärkere Schultern mehr tragen sollten als Schwächere. Dies sollte in sich einem progressiv gestalteten Steuersystem auch entsprechend widerspiegeln. Zudem unterstütze ich Ihre Aussage, dass gerade die Reicheren in den letzten Jahren durch boomende Aktienmärkte und Immobilienpreise in besonderem Maße profitiert haben.
Einigen Ihrer Aussagen kann ich nicht folgen.
Ihre Behauptung, dass die EZB eine illegale Staatsfinanzierung betreibt, ist falsch. Es geht dabei ja nicht um Geschmacksfragen bzw. darum ob uns etwas gefällt oder ob wir etwas für richtig oder falsch halten. Mehrere Gerichtsurteile haben bestätigt, dass die EZB bei allen ihren Wertpapierkäufen im Rahmen ihres Mandats gehandelt hat. Die EZB darf Staatsanleihen aufkaufen, wenn dies zur Sicherung der Stabilität des Euro erforderlich ist. Mit dem 2012 angekündigten entsprechenden Outright Monetary Transactions -program, dem „OMT-Programm“ liegt die EZB in ihrem Kompetenzrahmen, urteilte insbesondere am 16. Juni 2015, der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg (Az.: C-62/14). Dieses Urteil wurde auch vom deutschen Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 21.6.2016 so bestätigt.
Die derzeit bestehende EZB-Nullzinspolitik bezeichnen Sie als "kalte Enteignung". Aus Sicht der Sparerinnen und Sparer ist zwar es auf dem ersten Blick verständlich, dass sie die gegenwärtige EZB-Nullzinspolitik negativ bewerten, weil sie den Nominalzins im Blick haben. Dass Sparbücher, Tagesgeld- und Festgeldkonten kaum noch Rendite bringen, ist ein ernstzunehmendes Problem der EZB-Politik. Solche Wertverluste hat der Sparer aber nicht nur, wenn der festgesetzte EZB-Leitzins so wie derzeit bei null ist. Dieses Phänomen ist immer dann zu beobachten, wenn die Inflationsrate höher als der nominale Zins ist. Der Realzins wird negativ, und Sparer machen einen Verlust. Diesen Umstand muss ich nicht für gut halten, er ist aber in der deutschen Geschichte keineswegs eine Seltenheit. Seit 1967 machten die Sparer in mehr als der Hälfte aller Jahre Realzins-Verluste. Ich fand es schon oft merkwürdig, dass dies bisher (über Jahrzehnte hinweg) zu wenig Aufregung geführt hat - und erst seit kurzem von Einzelnen als Thema entdeckt wurde.
Auf der anderen Seite gibt es auch gerade für Deutschland offensichtlich positive Effekte der EZB-Nullzinspolitik: Noch nie waren die Kreditzinsen für den Immobilienkauf und für Konsumentendarlehen so niedrig. Unternehmen investieren, und es haben so viele Menschen in Deutschland Arbeit wie nie zuvor. (Vorsichtig formulierte Ergänzung: Wenn auch viele Arbeitgeber nicht immer so beschäftigen wie es wünschenswert wäre.) Die bisherige relative Schwäche des Euros gegenüber dem Dollar wirkt auf exportorientierte Unternehmen wie ein zusätzliches Konjunkturprogramm. Auch gerade der deutsche Staat kann sich zu so günstigen Bedingungen refinanzieren, wie nie zuvor. Es gibt durchaus die Dualität, dass aus Sicht der Individuen ärgerlich ist, was für das Kollektiv von Vorteil - obwohl es immer dieselben Menschen sind.
Auch ist es aus meiner Sicht nicht richtig, dass allein die Reichen von zinsgünstigen Wohnimmobilien- und Konsumentenkrediten profitieren, sondern auch und gerade junge Berufseinsteiger, Familien und ältere Menschen. Durch die niedrigen Zinsen ist der Staat zudem auch in der Lage, mehr zu investieren. Aus SPD-Sicht wäre es durchaus wünschenswert, dass Deutschland noch mehr in Bildung, Digitalisierung, Pflege und Infrastruktur investiert oder jedenfalls diese Investitionen so vorbereitet, dass in der entsprechenden Konjunkturlage schnell gehandelt werden kann. Aber leider bremst hierbei unser Koalitionspartner.
Der angeblich von Helmut Schmidt kommende Satz "Nichts ist unfairer als die Inflation" ist mir so nicht bekannt. Allerdings hat Helmut Schmidt deutlich gesagt, dass ihm 5% Inflation lieber sind als 5% Arbeitslosigkeit. Diesem Satz kann ich insoweit zustimmen, dass ich Arbeitslosigkeit für eine der größten Ungerechtigkeiten unserer Gesellschaft halte. Von daher begrüße ich es sehr, dass wir derzeit ein so niedriges Arbeitslosenniveau in Deutschland haben. Eine Inflation, die bei rund 2% liegt, halte ich für sinnvoll. Zu hohe Inflation führte zu einer Preisspirale, die das Geld in der Tat zu stark entwerten würde. Eine Inflationsrate von deutlich unter 2% halte ich für zu niedrig, da hiermit die Gefahr deflationärer Tendenzen einhergeht. Verbraucherinnen und Verbraucher würden in einem solchen Szenario ihre Kaufentscheidungen in der Erwartung künftig sinkender Preise weiter aufschieben. Dies würde die wirtschaftliche Entwicklung lähmen und in einem Folgeschritt zu rezessiven Tendenzen und in der Folge zu höherer Arbeitslosigkeit führen.
Ich habe allerdings die Erwartung, dass sich die Wachstumsaussichten in der Eurozone in den nächsten Jahren weiter stabilisieren. Diese würde dazu führen, dass die EZB ihre Anleihekaufprogramme auf dem Sekundärmarkt weiter herunterfahren könnte und in einem nächsten Schritt auch die Zinsen wieder - wie jetzt bereits in den USA geschehen - anheben könnte.
Mit freundlichen Grüßen, Ihr Lothar Binding