Frage an Lothar Binding von Dieter S. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Herr Binding,
mit Interesse habe ich gerade einen Bericht zum Thema aktive Sterbehilfe in dem Ärzteportal http://www.praktischarzt.de/ verfolgt.
Man spricht von der aktiven Sterbehilfe, wenn ein Patient ausdrücklich nach der Tötung seiner selbst verlangt und der Tod durch ein Eingreifen von außen eintritt.
Dies ist natürlich ein brisantes Thema. In Deutschland ist es nicht erlaubt, in Belgien zum Beispiel hingegen schon.
Was tun zum Beispiel, wenn eine sehr alte Person über Monate starke Schmerzen hat und nicht mehr Leben will? Davon ist meine Familie selbst betoffen.
Sehr geehrter Herr Sobig,
vielen Dank für Ihre Frage. Sie haben Recht: eine sehr brisante Frage. Im Bundestag haben wir lange um Antworten gerungen. Es gab verschiedene Anträge bzw. Gesetzesentwürfe. Ich habe den nachfolgend zitierten Gesetzesentwurf unterstützt.
Die Hauptinitiatoren dafür waren meine Kollegin Dr. Carola Reimann und die Kollegen Peter Hintze, Dr. Karl Lauterbach, Burkhard Lischka.
Gute Darstellungen unserer komplexen Abwägungsprozesse finden sich auch in den Protokollen des Deutschen Bundestages. Dabei möchte ich Sie besonders auf die abwägenden, warmherzigen und von Empathie getragenen Reden von Peter Hinze, dem in der Nacht zu Sonntag im Alter von 66 Jahren an einem Krebsleiden verstorbenen Bundestagsvizepräsidenten, hinweisen.
Nachfolgend der Auszug aus der Drucksache 18/5374 18.
„Deutscher Bundestag Drucksache 18/5374 18.
Wahlperiode 30.06.2015
Gesetzentwurf der Abgeordneten Peter Hintze, Dr. Carola Reimann, Dr. Karl Lauterbach, Burkhard Lischka, …
Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz)
A. Problem
Der medizinische Fortschritt ermöglicht eine Verlängerung des menschlichen Lebens und eine Verbesserung der Lebensqualität. Zugleich führt die medizinisch Drucksache 18/5374 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode ermöglichte Lebensverlängerung zu immer neuen Herausforderungen in der Behandlung eines krankheitsbedingten Leidens in der Sterbephase. In den Fällen, in denen die Möglichkeiten einer kurativen Behandlung von Krankheiten ausgeschöpft sind, kann eine Schmerzbelastung von Menschen in der letzten Lebensphase durch eine Vielzahl von palliativmedizinischen Maßnahmen sowie durch die Betreuung in Hospizeinrichtungen in aller Regel erheblich reduziert oder ganz verhindert werden.
Da es in vielen Regionen derzeit noch an genügend Palliativangeboten fehlt, besteht auch angesichts der demografischen Veränderung die Aufgabe, flächendeckend in ausreichendem Maße eine stationäre wie ambulante Palliativversorgung sicherzustellen und hierfür die erforderlichen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.
Obgleich die Palliativmedizin in der Regel eine ausreichende Schmerzlinderung ermöglicht, stößt sie in der Praxis in sehr wenigen Fällen an Grenzen. Dies ist dann der Fall, wenn eine ausreichende Schmerzbehandlung nach Maßgabe der für die Durchführung palliativmedizinischer Maßnahmen geltenden fachlichen Richtlinien ausnahmsweise nicht ermöglicht werden kann oder das Leiden daher rührt, dass der Patient – etwa aus einem Ekel vor sich selbst – seine Situation nicht mehr anzunehmen vermag. Das körperliche und psychische Leiden seiner Patienten stellt auch für das medizinische Personal eine äußerst belastende Situation dar.
Demoskopische Erhebungen belegen einen ausgeprägten Wunsch nach Selbstbestimmung in der letzten Lebensphase. Die klare Mehrheit der Bevölkerung spricht sich für die Möglichkeit aus, im Fall einer unheilbaren, irreversibel zum Tode führenden Erkrankung zur Abwendung eines starken Leidensdruckes eine ärztliche Hilfe bei der selbstvollzogenen Lebensbeendigung in Anspruch nehmen zu können. Diese Überzeugung ist getragen von dem unserer Rechtsordnung zugrunde liegenden Grundsatz, dass die Statuierung einer Rechtspflicht zum Leben illegitim ist.
Abgesehen vom strafrechtlichen Verbot der Tötung auf Verlangen sowie von bestimmten, im Fall einer Selbstgefährdung geltenden ordnungsbehördlichen Eingriffsbefugnissen genießt im Geltungsbereich des Grundgesetzes jeder Mensch grundsätzlich eine umfassende Dispositionsfreiheit im Hinblick auf das eigene Leben. Insbesondere sind der Suizid und infolgedessen auch die Beihilfe zum Suizid nach den Vorschriften des Strafgesetzbuches erlaubt.
Ungeachtet dessen untersagt das ärztliche Standesrecht in 10 von 17 Ärztekammerbezirken in Deutschland jede Form der Hilfestellung zur selbstvollzogenen Lebensbeendigung der Patienten. Dies sowie eine in Bezug auf Grenzfälle komplizierte Rechtslage führen zu Rechtsunsicherheit bei Ärzten und Patienten. Schwerkranke Menschen in auswegloser Lage werden hierdurch zusätzlich belastet.
In einer pluralistischen Gesellschaft unterliegt die Hilfe zum Suizid einer unterschiedlichen normativen Bewertung je nachdem, welche religiösen, weltanschaulichen oder moralischen Einstellungen hierbei den Ausschlag geben. Während die katholische Kirche die Suizidbeihilfe grundsätzlich ablehnt, konzediert die Evangelische Kirche in Deutschland bei ebenfalls grundsätzlicher Ablehnung jedenfalls die Möglichkeit einer individualethisch begründeten, vom individuellen Gewissen und vom Gedanken der christlichen Nächstenliebe getragenen Suizidhilfe (vgl. „Wenn Menschen sterben wollen – Eine Orientierungshilfe zum Problem der ärztlichen Beihilfe zur Selbsttötung“, 2008). Da die fortschreitende Ausdifferenzierung der Gesellschaft mit einem zunehmenden Wertepluralismus einhergeht, haben moralische Einstellungen tendenziell eine immer geringere Chance, eine gesamtgesellschaftliche Prägekraft zu entfalten. Aus diesem Grund sind moralische Bewertungen auch innerhalb der Glaubensgemeinschaften zunehmend Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5374 eine Angelegenheit des individuellen Dafürhaltens. Dem weltanschaulich neutralen Staat des Grundgesetzes obliegt es, im Fall einer gesetzlichen Regelung des ärztlich assistierten Suizids ausreichend Raum für vom individuellen Gewissen und von individueller religiöser Überzeugung geleitete Entscheidungen zu lassen.
B. Lösung
Um Rechtssicherheit für Ärzte und Patienten herzustellen und die Selbstbestimmung von unheilbar erkrankten Patienten zu stärken, ist das Bürgerliche Gesetzbuch um eine Regelung zu ergänzen, die es Ärzten ausdrücklich ermöglicht, dem Wunsch des Patienten nach Hilfe bei der selbstvollzogenen Lebensbeendigung entsprechen zu können. Eine solche Regelung soll zivilrechtlich ausgestaltet werden, da sie eine von einer Vielzahl physischer und psychischer Faktoren abhängende Entscheidung betrifft, die den Kern der personalen Autonomie berührt. In den Fällen von irreversibel zum Tode führenden Erkrankungen können Entscheidungen im Hinblick auf das Lebensende nur im Rahmen eines zwischen Arzt und Patient bestehenden Vertrauensverhältnisses und in Ausübung der nach Artikel 12 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes gewährleisteten Berufsausübungsfreiheit der Ärzte sowie der ärztlichen Gewissensfreiheit gemäß Artikel 4 Absatz 1 des Grundgesetzes in angemessener Weise getroffen werden. Die behandelnden Ärzte können aufgrund ihrer zum Teil sehr langen und intensiven Begleitung der jeweiligen Patienten am ehesten beurteilen, was im konkreten Einzelfall medizinisch angezeigt und in Würdigung der Gesamtsituation des Patienten zu verantworten ist.
Bereits mit der Einführung der Patientenverfügung wurde dem Bedürfnis nach mehr Patientenautonomie Rechnung getragen. Obgleich die Regeln zur Patientenverfügung die Durchführung medizinischer Maßnahmen zu einem Zeitpunkt betreffen, in denen es an der Einwilligungsfähigkeit des Patienten fehlt, eine eigenverantwortliche Entscheidung über eine Hilfestellung bei der selbstvollzogenen Lebensbeendigung demgegenüber nur dann getroffen werden kann, wenn der Patient aktuell einwilligungsfähig ist, dienen diese Regelungen in vergleichbarer Weise der Stärkung der Patientenautonomie. Daher soll die Regelung der ärztlichen Suizidassistenz wie die Patientenverfügung im Buch 4 des Bürgerlichen Gesetzbuches erfolgen.
Angesichts der Entscheidungstiefe, zur Vermeidung von Missbräuchen und zur Wahrung der Berufsausübungs- und Gewissensfreiheit des Arztes wird die ausdrückliche gesetzliche Gestattung einer ärztlichen Suizidassistenz an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Ungeachtet der grundsätzlichen Straffreiheit jeder Suizidbeihilfe soll eine ärztliche Suizidassistenz nur dann gesetzlich ausdrücklich erlaubt und deshalb vor möglichen berufsrechtlichen Sanktionen geschützt werden, wenn der Patient volljährig und einwilligungsfähig ist, die ärztliche Hilfestellung freiwillig erfolgt, eine umfassende Beratung des Patienten stattgefunden hat und das Vorliegen einer unheilbaren, unumkehrbar zum Tod führenden Erkrankung nach dem Vier-Augen-Prinzip durch einen anderen Arzt bestätigt wurde.“
Soweit der Auszug.
Mit freundlichen Grüßen, Ihr Lothar Binding