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Frage von Benjamin P. •

Frage an Lothar Binding von Benjamin P. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Binding,

unmittelbar nach der Finanzmarktkrise in den Jahren 2008 und 2009 war in der EU und in der deutschen Bundespolitik der politische Wille zur Regulierung der Kreditinstitute, insb. des Investmentbanking-Sektors deutlich zu beobachten. Es schien mithin nur eine Frage der Zeit, bis wirksame Kontrollregelungen (ob nun per Gesetz oder nicht) gefunden werden würden. Es mag sein, dass mir wesentliche Fortschritte seit dem entgangen sind aber es scheint mir, als seien wir, fast ein Jahrzehnt nach der Krise, nicht wesentlich weiter gekommen.

In diesem Sinne würde ich mich freuen, wenn Sie mir die folgenden Fragen beantworten könnten:
1) Wie kommt es, dass hochkomplexe Prozesse wie die Bankenrettung in wenigen Wochen und Monaten durchgeführt werden konnten während die Regulierung der Banken Jahrzehnte in Anspruch zu nehmen droht (falls es überhaupt jemals dazu kommt)?
2) Sie haben bereits in früheren Fragen ausführlich zur Finanztransaktionssteuer geantwortet, deshalb würde ich hier gern zu anderen Maßnahmen fragen stellen, insbesondere:
2a) Wie steht es um eine Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen für die Banken?
2b) Sind ein Verbot von Finanzinstrumenten geplant, die auf negative Ereignisse ´wetten´, z.B. Kreditausfallversicherungen oder Leerverkäufe?
2c) Gibt es Ansätze, die unabsichtliche und indirekte Involvierung von Privatanlegern in Hochrisikogeschäfte zu vermeiden, etwa über Lebensversicherungen oder Fonds, die nach mangelnder Beratung abgeschlossen wurden?
2d) Ist geplant, die Geldschöpfung über Giralgeld von den Privatbanken zu Insitutionen der Öffentlichkeit, sei es die EZB oder eine andere Institution, zu verlagern?

Ich danke Ihnen für Ihre Zeit und Ihre Arbeit in diesem Politikfeld.

Herzliche Grüße

Benjamin Paaßen

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Sehr geehrter Herr Paaßen,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Gern beantworte ich Ihnen Ihre Fragen. Vorab möchte ich bemerken, dass nach der Finanzmarktkrise 2008/09 eine Vielzahl von Maßnahmen zur Regulierung der Finanzmärkte beschlossen wurden. Auf der Website des BMF finden Sie dazu sehr viel. Die Regulierung wird aber niemals ganz abgeschlossen sein, sondern muss als ein laufender Prozess angesehen werden.

1) Wie kommt es, dass hochkomplexe Prozesse wie die Bankenrettung in wenigen Wochen und Monaten durchgeführt werden konnten während die Regulierung der Banken Jahrzehnte in Anspruch zu nehmen droht (falls es überhaupt jemals dazu kommt)?

Zu 1) Die Bankenrettungsmaßnahmen mussten zum Teil sehr schnell durchgeführt werden, weil damit akute Ansteckungsgefahren für den gesamten Finanzmarkt verbunden sein konnten (siehe Lehmann-Pleite). Deshalb ist es eines der zentralen Bestreben der Finanzmarktregulierung solche Ansteckungsgefahren maßgeblich zu verringern. Im Rahmen der europäischen Bankenunion wurden deshalb in den letzten Jahren ein einheitlicher europäischer Aufsichts- und Abwicklungsmechanismus implementiert. Beim Aufsichtsmechanismus überprüft nunmehr die EZB systemrelevante Banken mit einer Bilanzsumme von mehr als 30 Mrd. Euro sehr stark und führt auch entsprechende Stresstests durch. Beim Aufbau des europäischen Abwicklungsmechanismus wird ein Abwicklungsfonds aufgebaut, der im Jahr 2024 auf 55 Mrd. Euro angewachsen sein wird. Die Fonds soll letztlich in Schieflage geratene Banken retten können. Die europäischen Banken zahlen dafür jedes Jahr ein Bankenabgabe, damit diese Summe erreicht wird. An diesem Beispiel sehen Sie, warum Finanzmarktregulierung zum Teil so lange dauert. Man kann diese 55 Mrd. Euro von den europäischen Banken nicht in sehr kurzer Zeit verlangen, weil sie dies nicht leisten könnten. Auch die von uns auf europäischer Ebene umzusetzenden Maßnahmen des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht zur Stärkung der Eigenkapitalbasis der Banken kann nicht in sehr kurzer Zeit von den Banken gestemmt werden. Für den Aufbau dieser Eigenkapitalanforderungen bedarf es einer Umstellungsphase.

2) Sie haben bereits in früheren Fragen ausführlich zur Finanztransaktionssteuer geantwortet, deshalb würde ich hier gern zu anderen Maßnahmen fragen stellen, insbesondere:
2a) Wie steht es um eine Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen für die Banken?

Zu 2a) Kernelement von Basel III ist die Stärkung von Qualität und Quantität des Eigenkapitals der Banken. Darüber hinaus geht es um die Einführung einer Verschuldungsobergrenze und um die Einführung von zwei neuen Liquiditätskennziffern sowie um verbesserte Corporate Governance (innere Unternehmensführung) und höhere Transparenz. Das Eigenkapital eines Kreditinstituts setzt sich zusammen aus dem Kernkapital und dem Ergänzungskapital. Das Kernkapital lässt sich wiederum in zwei Arten unterteilen: Eigene Aktien, bestimmte Rücklagen und einbehaltene Gewinne der Bank bilden das harte Kernkapital. Es ist in Turbulenzen besonders wichtig, da es der Bank in der Krisensituation helfen soll, sich selbst zu stabilisieren. Das zusätzliche Kernkapital hingegen setzt sich aus anderen Kapitalinstrumenten mit weniger stark ausgeprägten Merkmalen unter anderem hinsichtlich der Verlustteilnahme zusammen. Die allgemeine Eigenkapitalanforderung in Höhe von 8 Prozent der sogenannten Risikogewichteten Aktiva wird bei Basel III beibehalten, wobei künftig mindestens 6 % der Risiken mit Kernkapital, davon mindestens 4,5 % mit hartem Kernkapital, unterlegt werden müssen. Als weitere gesonderte Vorsorge für unvorhergesehene Risiken verlangt Basel III zusätzliche Puffer aus hartem Kernkapital, darunter einen so genannten Kapitalerhaltungspuffer in Höhe von 2,5 % der Risikogewichteten Aktiva.

2b) Sind ein Verbot von Finanzinstrumenten geplant, die auf negative Ereignisse ´wetten´, z.B. Kreditausfallversicherungen oder Leerverkäufe?

Zu 2b) Die EU hat bereits in 2012 hierzu eine EU-Leerverkaufsverordnung erlassen, die zur Harmonisierung nationaler Gesetze geführt hat. Die Neuregelung beinhaltet drei zentrale Punkte:
1. müssen größere "Short-Positionen" durch Leerverkäufe, also Wetten, dass ein bestimmter Kurs fällt, ab einem bestimmten Betrag den Behörden gemeldet werden. In Deutschland galten diese Regeln teilweise schon vor 2012. In Deutschland müssen größere "Netto-Leerverkaufpositionen" - also ungedeckte Wetten - bei der Finanzaufsicht Bafin registriert und im Bundesanzeiger veröffentlicht werden.
2. sind "nackte" oder "ungedeckte" Leerverkäufe" ganz verboten. So bezeichnet man Wetten auf Papiere, die der Leerverkäufer selbst nicht besitzt.
3. dürfen auch Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps - CDS) auf Staatsschulden nicht mehr ungedeckt sein. CDS sind wie Leerverkäufe eigentlich Sicherheitsinstrumente - sie werden zum sogenannten Hedging benutzt, also um Investitionen abzusichern, die man selbst getätigt hat. Ein Händler darf CDS nun nur noch in ihrem ursprünglichen Sinne nutzen: Er muss mit ihnen Staatsanleihen, die er tatsächlich besitzt, absichern.

In Deutschland galten viele Vorgaben schon seit 2010 und ungedeckte Leerverkäufe auf Papiere wurden verboten, die im Inland zugelassen worden waren. Nun gilt das Verbot EU-weit und für alle Aktien und Anleihen, die in Europa ihren Haupthandelsplatz haben. Zudem wurden durch eine EU-Verordnung in 2012 die Derivate-Spekulationen reguliert durch die sog. EMIR-VO („EMIR“ - European Market Infrastructure Regulation). Demnach müssen in Zukunft alle außerbörslich getätigten Derivategeschäfte an die zuständigen Aufsichtsbehörden gemeldet werden. Neben neuen Informationspflichten wird auch die weit reichende Abwicklung der Geschäfte über so genannte zentrale Clearingstellen (CCPs) eingeführt. Diese übernehmen gegen Gebühr einen Großteil des Kreditrisikos beider Vertragsparteien. Außerdem müssen Sicherheiten in Geldform hinterlegt werden.

2c) Gibt es Ansätze, die unabsichtliche und indirekte Involvierung von Privatanlegern in Hochrisikogeschäfte zu vermeiden, etwa über Lebensversicherungen oder Fonds, die nach mangelnder Beratung abgeschlossen wurden?

Zu 2c) Insbesondere das in 2015 verabschiedete Kleinanlegerschutzgesetz stellte die Regulierung des Grauen Kapitalmarktes auf eine neue Grundlage. Mit dem Kleinanlegerschutzgesetz bekommt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erstmals ein Mandat für den kollektiven Verbraucherschutz. Damit kann sie gezielt Missstände auf dem Markt bekämpfen. Zugleich erhält die BaFin auch die Befugnis, den Vertrieb von unseriösen Finanzprodukten zu beschränken oder das Produkt ganz zu verbieten. Nachrangdarlehen und Beteiligungsdarlehen werden künftig als Vermögensanlagen definiert und fallen damit unter die Regelungen des Vermögensanlagengesetzes. Damit wurden bestehende Regelungslücken geschlossen und die Transparenz für Privatanleger umfassend gestärkt. Insbesondere wurde der Verbraucherschutz gestärkt. Es gilt ein generelles Provisionsverbot bei dem Vertrieb von Vermögensanlagen von genossenschaftlichen, gemeinnützigen und sozialen Projekten. Außerdem haben Privatanleger künftig ein 14-tägiges Widerrufsrecht, um ihre Anlageentscheidung überdenken zu können. Schließlich wurde der verpflichtende Warnhinweis bei der Werbung für Vermögensanlagen verschärft. Im vieren Quartal 2016 wird sich der Deutsche Bundestag zudem mit der Umsetzung des sog. europäischen MiFID-II-Pakets (MiFID = Markets in Financial Instruments Directive) beschäftigen. Hier geht es auch um klare Verbesserungen im Bereich des finanziellen Verbraucherschutzes. Z.B. werden die Beratungsprotokolle in Banken von sog. Geeignetheitsprüfungen abgelöst. Zudem wird es schärfere Vorschriften beim Hochfrequenzhandel geben.

2d) Ist geplant, die Geldschöpfung über Giralgeld von den Privatbanken zu Institutionen der Öffentlichkeit, sei es die EZB oder eine andere Institution, zu verlagern?

Zu 2d) Das Giralgeld wird vorrangig zur Abwicklung von Zahlungsvorgängen von einem Konto auf ein anderes verwendet und von den Geschäftsbanken "geschaffen". Änderungen bei dieser Vorgehensweise gibt es nach m.E. nicht.

Mit freundlichen Grüßen,

Ihr Lothar Binding