Frage an Lothar Binding von Arnold W.
Mich würde interessieren, weshalb man die Diätenerhöhung nicht begrenzen kann. Es kann nicht sein, dass ich in diesem Jahr mit meinen 800€ EU-Rente im Monat nur 30€ mehr an Rente erhalte und ein Abgeordneter bekommt über 400€ an Diätenerhöhung mehr. Allein die Diätenerhöhung entspricht die Hälfte meiner Rente. Und ich hatte immer zwischen 12 bis 14 Std. täglich gearbeitet, auch am Samstag. Oft habe ich als Schreiner um 5.30Uhr schon begonnen und das bis spät abends um 22.00Uhr. Mehr geht wirklich nicht mehr. Bis ich mein Kreuz kaputt gemacht habe und garnicht mehr arbeiten konnte.
Wenn Sie diese fatale Fehlpolitik nicht begrenzen, geht die Schere zwischen Reich und Arm immer weiter auseinander. Von einer sozialen Partei hätte man erwarten können, dass Sie hier gegensteuert. Leider wurde das in der SPD nicht praktiziert, am ehesten noch von den LINKEN aber leider nicht von der SPD.
Ich sehe die SPD im Zerfallsprozeß, da sie ihre sozialen Werte aufgegeben hat. Es werden nur noch Sprüche geklopft. Alles was die SPD gemacht hat, ist, Hartz 4 einzuführen, was niemandem was gebracht hat, außer totales Chaos, bis hin zu Messerstechereien auf den Arbeitsämtern.
Wann und wie wollen Sie gegensteuern, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht noch größer wird?
Ich denke, dass Abgeordnete hier mit bestem Beispiel vorangehen müssen.
Sehr geehrter Herr Weber,
vielen Dank für Ihre Frage bei abgeordntenewatch.de. Sie sprechen die Höhe
der Abgeordnetendiäten und die wachsende Ungleichheit in der Gesellschaft
an. Wichtige Themen, wenn wir bedenken, dass das Durchschnittseinkommen in
Deutschland pro Jahr bei brutto etwa 30.000 Euro liegt, der Ko-Vorstandschef
von TUI Peter Long aber z.B. „im vergangenen Jahr 19 Millionen Euro
verdient“ hat, also mehr als 50.000 Euro am Tag, wie ich in der
Hannoverschen Zeitung vom 21.April lese. Ich lese weiter, dass bei TUI „ein
Zimmermädchen auf Mallorca für eine halbe Stelle nur rund 600 Euro im Monat
bekommt, dafür aber mehr Stunden arbeiten muss als vereinbart“. Da gibt es
schon gute Gründe sich aufzuregen.
Gestatten Sie mir zu Beginn noch einen kleinen Hinweis. Man kann nur
vergleichbares miteinander vergleichen. Z.B. das Einkommen eines
Abgeordneten mit dem Einkommen einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers
oder die Altersversorgung eines Abgeordneten mit der Rente einer
Arbeitnehmerin oder eines Arbeitsnehmers. Eine aktuelle Rente mit einem
aktuellen Lohn zu vergleichen sehe ich als wenig sinnvoll an, denn die
aktuelle Rente ist ja abgeleitet aus einem früheren Lohn.
Zunächst möchte ich auf das Thema Abgeordnetenentschädigung eingehen.
2014 hat der Bundestag einen Gesetzentwurf zur Abgeordnetenentschädigung
(Drs. 18/477) verabschiedet, der auf den Vorschlägen einer unabhängigen
Expertenkommission beruht. Die Kommission hatte empfohlen, die
Abgeordnetenentschädigung an der Besoldung von Richtern der obersten
Bundesgerichte anzupassen. Das ist schon seit 1995 gesetzlich so festgelegt,
wurde aber bisher nie umgesetzt, die Abgeordneten bekamen/nahmen also diese
Anpassung nicht. Vom 1. Juli 2016 an wird das System nun grundsätzlich
geändert, und die Abgeordnetenentschädigung orientiert sich an dem so
genannten jährlichen Nominallohnindex des Statistischen Bundesamtes. Die
Abgeordnetendiäten steigen also künftig genau in der Höhe des
Bruttodurchschnitts-verdienstes der Arbeitnehmer.
Einschnitte gibt es bei der Altersversorgung: Der Höchstsatz wird von 67,5
Prozent auf 65 Prozent gesenkt, und eine vorzeitige Altersentschädigung ist
künftig nur noch mit Abschlägen und erst ab 63 Jahren möglich. Zudem wird
die Kostenpauschale bei entschuldigtem und unentschuldigtem Fehlen sowie
versäumten namentlichen Abstimmungen weiter gekürzt.
Trotzdem halte ich eine ausführliche Auseinandersetzung mit Ihren Argumenten
und denen vieler anderer Kritiker der Abgeordnetenentschädigung für sehr
wichtig, weil ich den verabschiedeten Gesetzentwurf für richtig erachte.
Meine Überlegungen zu unserer parlamentarischen Verantwortung, zu unseren
politischen Zielsetzungen und zu meinen persönlichen Einnahmen und Ausgaben,
mögen Ihnen einen Einblick in meine Beweggründe für diese Haltung geben.
Abgeordnete haben nach Artikel 48 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes (GG)
einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf eine angemessene, ihre
Unabhängigkeit sichernde Entschädigung und entsprechende
Altersentschädigung.
Über die Höhe unserer Entschädigung und Altersabsicherung müssen wir nach
Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts selbst per Gesetz entscheiden - eine
Verantwortung, die ich wie viele andere Abgeordnete gerne abtreten würde.
Sehr gern. Aber die Gesetzgebung kann nicht abgetreten werden. Selbst über
die Höhe des zustehenden Geldes zu entscheiden, klingt zunächst verlockend,
ist allerdings ein großes Ärgernis, weil stets der Vorwurf der
Selbstbedienung im Raum steht. Um solche Eindrücke zu vermeiden, haben die
Abgeordneten seit 1977 14 Nullrunden beschlossen.
Mit der Orientierung an den Gehältern von Richtern an den obersten
Bundesgerichten haben wir einen guten Bezugspunkt für die
Abgeordnetenentschädigung gefunden, weil es unsere Leistungen und unsere
Verdienste in Relation zu anderen Berufsgruppen mit ähnlichen Aufgaben
stellt. Gehälter spiegeln auch Ausbildungsstand und Leistung wider. Dieser
Grundsatz sollte auch für Abgeordnete gelten. Vielleicht abgesehen von den
sehr hohen Wahlkampfkosten, können wir uns hinsichtlich unseres
Arbeitseinsatzes, unserer persönlichen Freiräume oder unserer Zeit für
Familie und Freunde mit anderen gut verdienenden Berufsgruppen, etwa Ärzten
oder Rechtsanwälten vergleichen, auch wenn wir deren Einkommen häufig höher
liegt
Ich denke auch, dass es wichtig ist, nicht nur das reguläre, übliche
Bruttoeinkommen des Abgeordneten zu betrachten, sondern auch, was nach den
notwendigen Ausgaben von der Abgeordnetenentschädigung bleibt. Auch das
Nettoeinkommen ist von Bedeutung.
In einigen Schreiben wird hier allerdings verkürzt argumentiert,
gelegentlich wird sogar das eigene Nettoeinkommen mit dem allgemeinen
Diätenbrutto als pauschaler Einkommensbeschreibung der Abgeordneten
verglichen. Wie soll daraus ein vernünftiger Vergleich werden? Ich will
deshalb einen - einigermaßen detaillierten - Überblick über meine
Einkommensverhältnisse geben. Das mache ich nicht, um meine unvermeidlichen
und freiwilligen Ausgaben zu beklagen, sondern um ein realistisches Bild
meiner finanziellen Verhältnisse zu vermitteln und die Diskussion auf eine
sachliche Basis zu stellen. Außerdem ist eine Kandidatur eine bewusste
Entscheidung und jeder weiß worauf er sich einlässt.
Mein Abgeordnetengehalt beträgt seit dem 1. Januar 2015 9.082,- Euro brutto.
Ich bin formal selbständig mit Sonderstatus. Zur Verdeutlichung zitiere ich
aus Wikipedia:
Gemäß § 12 Abs. 2 AbgG erhalten die Bundestagsabgeordneten eine
Kostenpauschale, die insbesondere zur Bezahlung von Bürokosten zur
Einrichtung und Unterhaltung von Wahlkreisbüros außerhalb des Sitzes des
Deutschen Bundestages (Miete, Porto, Inventar, Literatur), Mehraufwendungen
für Unterkunft und Verpflegung am Sitz des Bundestages und bei Reisen,
Fahrtkosten für Fahrten in Ausübung des Mandats, soweit sie nicht erstattet
werden und sonstige Kosten für andere mandatsbedingte Aufwendungen
(Repräsentation, Einladungen, Wahlkreisbetreuung usw.), dient. Die
Kostenpauschale beträgt derzeit 4.305,45 Euro pro Monat. … In der Regel
deckt die Kostenpauschale die mandatsbedingten Aufwendungen ab, daher können
mandatsbedingte Aufwendungen, die diesen Betrag übersteigen, weder beim
Bundestag noch beim Finanzamt geltend gemacht werden. Da die Kostenpauschale
lediglich der Erstattung von mandatsbedingten Aufwendungen dient, ist sie
steuerfrei und gilt nicht als Einkommen.
Die Formulierung „in der Regel“ hat es in sich. Pointiert formuliert
bedeutet sie: Je fauler Du bist, umso mehr hilft Dir die Pauschale. Und
umgekehrt. Nun sind 4.300 Euro ja viel Geld. Allerdings sind auch die
Ausgaben zur Ausübung meines Abgeordnetenmandats hoch.
Der Sonderstatus bedeutet aber auch, dass ich Kosten für meine Arbeit nicht
von der Steuer absetzen kann. Früher, als ich viel weniger verdiente oder
deutlich mehr verdiente, haben entweder meine Arbeitgeber oder Auftraggeber
alle Betriebsausgaben bezahlt, oder ich konnte sie als Betriebsausgabe oder
Werbungskosten von der Steuer absetzen. Heute muss ich solche Ausgaben,
sofern sie nicht aus der Pauschale bezahlt werden dürfen oder können, selbst
aus meinen Diäten bezahlen.
Natürlich sind meine Diäten zu versteuern. Und weil die SPD Fraktion bewusst
für einen progressiven Tarif in der Einkommensteuer ist, greift auch hier
natürlich die Progression. Das ist gerecht: wer mehr verdient, bezahlt auch
einen höheren Steuersatz. Es ist aber auch gerecht, dies nicht zu vergessen.
Von den Diäten in Höhe von 9.082 Euro sind also Steuern,
Solidaritätszuschlag und Vorsorgeaufwendungen abzuziehen.
Meine zahlreichen Vereinsmitgliedschaften sind freiwillig. Und doch ändert
sich hier etwas, sobald man in einem Parlament arbeitet. Früher war ich in
etwa 10 Vereinen, heute bin ich in etwa 40 Vereinen. Leider kann ich aus
zeitlichen Gründen dort oft nicht aktiv sein und bin froh, wenigstens eine
kleine Unterstützung durch Mitgliedsbeitrag, Pokale oder Spenden leisten zu
können. Und ich bekenne mich gern zu den Zielen vieler Vereine.
Es gibt auch Kolleginnen und Kollegen, die noch niemals einen Wahlkampf ohne
sicheren Listenplatz führen mussten. Allein hier entstehen große
Belastungsunterschiede. Nur ein Beispiel: mein erster Wahlkampf kostete
meine Familie etwas mehr als 50.000 DM. Übrigens nicht von der Steuer
absetzbar, daher Bruttokosten gleich Nettokosten. Deshalb startet der
Abgeordnete häufig mit einigen Schulden.
Zu ungläubigem Staunen führt häufig auch ein Vergleich meiner Arbeitszeiten
mit denen eines „normalen“ Arbeitnehmers. Ein Bürger hat mir ganz offen
geschrieben, er sei „neidisch“ und gebe das auch zu. Als ich ihn anrief,
stellte sich heraus, dass er neidisch auf meine Bruttoeinnahmen war. Auf
meine Ausgaben und meinen Arbeitsaufwand war er nicht neidisch. Er dachte,
auch ich würde fünf Tage in der Woche arbeiten, weil er den Samstag und den
Sonntag vergessen hatte. Ich fragte dann, von wann bis wann er arbeiten
würde. Mit Fahrzeiten sei er von 6.30 Uhr bis ca. 17.00 Uhr unterwegs,
freitags etwas kürzer. Er war dann überrascht von meiner Arbeitszeit, die
inklusive Fahrzeiten im Regelfall um 8.00 Uhr beginnt und nicht vor 1.00 Uhr
in der Nacht endet, abzüglich der Pausen für Essen, eine Stunde Sport und
Erholung etc. Samstags und sonntags ist die Arbeitszeit etwas kürzer. Es
gibt nur wenige Ausnahmetage im Jahr.
Ich weiß, dass das nicht glaubhaft klingt, aber was soll ich machen, wenn
die Wahrheit nicht glaubhaft ist. Er vermutete auch, dass ich Weihnachtsgeld
und Urlaubsgeld bekäme. Diesen Irrtum konnte ich aufklären. Er dachte
außerdem, „Parlamentsferien“ wären arbeitsfreie Zeiten. Er war ein wenig
verwundert zu hören, dass ich zwei, manchmal drei Wochen Urlaub im August
habe und im Regelfall eine Woche im Frühjahr. Im August gibt es eine weitere
Woche ohne Termine, um sich der liegengebliebenen Post - auch das kommt
leider vor - zu widmen.
Sie schreiben, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter
auseinandergeht und sich die SPD zu wenig für die sozialen Belange einsetzt.
Natürlich ist die wachsende soziale Ungleichheit ein Problem. Seit der
letzten Bundestagwahl haben wir deshalb, im Rahmen der Möglichkeiten einer
großen Koalition versucht, zentrale sozialdemokratische Vorhaben umzusetzen,
die wir zu Beginn der Wahlperiode im Koalitionsvertrag durchgesetzt haben:
wie z.B. den Mindestlohn für alle, Rente mit 63, höhere Mütterrente, mehr
Erwerbsminderungsrente und die Mietpreisbremse.
Ich freue mich auch, dass die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland eine
kräftige Rentenerhöhung erhalten. Zum 1. Juli 2016 steigen die Renten nahezu
um 4,25 Prozent (in Ostdeutschland um 6 Prozent. Die diesjährige
Rentenanpassung ist das stärkste Plus seit vielen Jahren.
Vizekanzler Sigmar Gabriel hat sich nach harten Verhandlungen mit
Finanzminister Wolfgang Schäuble auf Mehrausgaben von mehr als fünf
Milliarden Euro pro Jahr für Integration, Wohnungsbau und
Arbeitsmarktpolitik geeinigt. Damit hat Gabriel wesentliche Teile seines
geforderten „Sozialprojekts“ für den Zusammenhalt der Gesellschaft
durchgesetzt.
Wir sind 2013 mit der Forderung nach einem Spitzensteuersatz von 49 % in den
Bundestagswahlkampf gegangen. Tatsächlich beträgt der Höchststeuersatz in
Deutschland gegenwärtig nur 42 %. Ab einem Einkommen von 254.447 Euro werden
45 % fällig. Dies stellt jedoch nur den sogenannten Grenzsteuersatz für
jeden Euro dar, also jenen Steuersatz der auf den jeweils letzten
verdienten Euro des Einkommens zu bezahlen ist.
Das Einkommen darunter wird zu einem niedrigeren Steuersatz besteuert,
sodass die durchschnittliche Steuerlast bei Einkommen bis etwa dem doppelten
Durchschnittseinkommen, deutlich unter 42 bzw. 45 % liegt.
Unser Koalitionspartner lehnt jedoch bislang - trotz Vorstößen unsererseits
- jegliche Steueranpassung ab. Ein Kompromiss oder gar eine Erhöhung des
Einkommensteuersatzes in dieser Legislaturperiode erscheint aussichtslos. Um
regieren und so auch unser Land gestalten zu können, bedarf es jedoch
Mehrheiten im Parlament. Zwar haben wir in dieser Legislaturperiode vieles
erreicht, dennoch werden wir an unserem und Deinem Ziel - gerechtere
Besteuerung - festhalten und weiter für eine Erhöhung des
Spitzensteuersatzes kämpfen, um die Reichen stärker an der Finanzierung der
Ausgaben für die Allgemeinheit zu beteiligen.
Insgesamt geht es bei der ganzen Diskussion um Würde. Deshalb habe ich auch
Verständnis für den Vergleich von Lohn-, Renten- bzw. Einkommenszuwächsen
untereinander und mit den Steigerungen der Diäten. Dass bei diesen
Vergleichen auch die Randbedingungen berücksichtigt werden sollten, wollte
ich mit meinen Überlegungen aufzeigen.
In der Hoffnung, Ihr Verständnis gefunden zu haben, verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen, Ihr Lothar Binding