Frage an Lothar Binding von Juergen E. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Binding.
Ich habe einige Fragen zum Ansturm von illegalen Einwanderern nach Wirtschaftsflüchtlingen nach D
1. Lt Handelsblatt vom 31.7.15 kostet uns ein illegaler Einwander / Flüchtling bis zu 50€ / Tag. Das sind bis zu 1500€ im Monat (wir wissen ja erst nach vielen Monaten ob das wirklich ein Flüchtling ist oder ob die Person nur das deutsche Sozialsystem ausnutzen will).
Frage: Wie stehen sie / die SPD zu diesem Sozialmissbrauch und wie erklären Sie das einem deut Renter, der 40 Jahre Steuern gezahlt hat (z.B. für Schulen, Strassen und Beamte) und heute mit ca 1000€ in einer Altbauwohnung überleben muss?
2. LT Statistisches Landesamt BW Ausgabe 2012 ( http://www.statistik-portal.de/veroeffentl/Statistik_AKTUELL/803412001.pdf ) haben 26% der Einwohner Migrationshintergrund. In Mannheim sind es mittlerweile 42% ( https://www.mannheim.de/stadt-gestalten/einwohner-migrationshintergrund )
Frage: Wann ist es nach Auffassung der SPD genug? Wenn wir bei 80% sind oder schon vorher?
3. Wie will die SPD den Zuzug weiterer illegaler Einwanderer und Wirtschaftsflüchtlinge eindämmen?
4. Die Politik suggeriert uns gerne das wir ein Einwanderungsland sind. Wer hat denn das bestimmt? Ist daran gedacht in einer Volksabstimmung das Volk darüber selbst entscheiden zu lassen?
Eine kurze Antwort würde genügen
Gruss
Juergen Engert
Sehr geehrter Herr Engert,
vielen Dank für Ihre Fragen zum Thema Einwanderung, die ich gerne beantworte, auch wenn Ihre Wortwahl gelegentlich überhöht ist. Sie schreiben z.B. von „Ansturm“ und drücken damit Ihre Sorge aus, es kämen zu viele Einwanderer nach Deutschland. Eine Sorge die Sie nicht alleine haben. Natürlich ist die Formulierung „zu viele“ selbsterklärend: wenn „zu viele“ kommen, sind wir überfordert. Dies wollen wir natürlich vermeiden. Wenn wir allerdings schauen, zu welchen Leistungen wir fähig sind, relativiert sich diese Sorge schnell.
So finde ich unter dem folgenden Link
http://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article141112932/Als-Millionen-Deutsche-selber-Fluechtlinge-waren.html
das nachfolgende Zitat:
„Bis zu 14 Millionen Menschen mussten ab 1945 ihre Heimat in Ost- und Ostmitteleuropa verlassen – die nun polnischen Gebiete jenseits von Oder und Neiße, Ostpreußen und die kulturell gemischten Randgebiete von Böhmen und Mähren, nun Teil der Tschechoslowakei, außerdem Ungarn, Jugoslawien und Rumänien. Es war die größte Völkerwanderung seit der Antike.“
Und das hat natürlich große Probleme bereitet – zumal Deutschland als Ergebnis der Nazidiktatur unter Hitler in weiten Teilen zerstört und dezimiert war. 14 Millionen Menschen – und wir haben das geschafft. Besser: unsere Eltern haben es geschafft, diese vielen Menschen zu integrieren. Vielleicht nicht ganz allein, denn schon bald wurden, trotz der vielen Nachkriegsflüchtlinge, deutsche Anwerber in viele Länder geschickt, um ausländische Arbeitnehmer nach Deutschland zu holen, um uns beim Aufbau und dem „Wirtschaftswunder“ zu helfen.
Sie spüren sicher warum ich den Begriff „Ansturm“ in einem technisch hoch entwickelten und reichen Land zu Beschreibung einiger Hunderttausend Flüchtlinge für zu mächtig halte. Gleichwohl verstehe ich Ihre Formulierung, finden wir solche Begriffe ja auch in einigen Zeitungen, die es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen.
Zu Ihrer Frage 1:
Sie schreiben, dass uns ein „illegaler Einwanderer“ bis zu 50,- Euro am Tag kostet. Woher wissen Sie, dass die Menschen illegal hier sind? Kein Mensch ist illegal. Entweder gibt es ein Bleiberecht oder nicht. Bei einigen Flüchtlingsgruppen werden fast alle Flüchtlinge wieder nach Hause geschickt, bei anderen erhält ein bestimmter Prozentsatz ein Aufenthaltsrecht. Flüchtlinge und andere Schutzsuchende haben einen verfassungs-, europa- und völkerrechtlichen Anspruch auf ein Asylverfahren. Mit der Gewährung auf Asyl kommt Deutschland seiner historischen, humanitären und rechtlichen Verpflichtung nach. Für mich gilt, dass der Schutz vor Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen immer frei von Nützlichkeitserwägungen bleiben muss. Aber wie gesagt: wer gemäß der (nicht vorhandenen) Bedrohungslage in seiner Heimat keinen Anspruch auf Asyl hat, bekommt es auch nicht gewährt.
Ich halte es für falsch, Flüchtlinge vor allem als Kostenfaktor zu sehen. Sicher: Manche Gewaltopfer, kranke oder traumatisierte Flüchtlinge sind langfristig auf Unterstützung angewiesen. Ihnen zu helfen, ist ein Gebot der Humanität. Unsere starke Gesellschaft lebt von Nächstenliebe und sozialer Gerechtigkeit. Sicher werden aber viele andere Flüchtlinge sehr tatkräftig, motiviert und qualifiziert sein, wollen lernen und arbeiten – wie ehemals die angeworbenen „Gastarbeiter“. So werden aus Hilfebedürftigen mit der Zeit Steuerzahler/innen, die auch in die Rentenkasse einzahlen und damit Ihre Rente mitfinanzieren.
Frage 2:
Die prozentuale Angabe „Einwohner mit Migrationshintergrund“ hängt natürlich davon ab, wie groß der betrachtete Zeitraum ist. Außerdem können wir froh sein, dass so viele Gastarbeiter (wie wir früher gesagt haben) hier geblieben sind. Gingen plötzlich alle wieder in ihre Heimatländer… wir wären aufgeschmissen. Ihre hinter Ihrer Frage liegende Vorstellung, dass es das „reine deutsche Volk“ oder die „deutsche Kultur“ gibt, führ mich zu der Frage, woher eine solche Vorstellung kommen kann? Im Laufe der Geschichte hat es große Völkerwanderungen gegeben, die auch in Deutschland zu einer Vermischung von Menschen unterschiedlicher Herkunft geführt hat. Migrantinnen und Migranten waren schon immer da.
Deutschland ist die „Kelter Europas“, wie es der Schriftsteller Carl Zuckmayer formulierte. Dazu ein Zitat aus dem Theaterstück „Des Teufels General“ aus dem Jahr 1942.
(Sie kommen) vom Rhein. Von der großen Völkermühle. Von der Kelter Europas! Und jetzt stellen Sie sich doch mal Ihre Ahnenreihe vor – seit Christi Geburt. Da war ein römischer Feldhauptmann, ein schwarzer Kerl, braun wie ne reife Olive, der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht. Und dann kam ein jüdischer Gewürzhändler in die Familie, das war ein ernster Mensch, der ist noch vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haustradition begründet. Und dann kam ein griechischer Arzt dazu, oder ein keltischer Legionär, ein Graubündner Landsknecht, ein schwedischer Reiter, ein Soldat Napoleons, ein desertierter Kosak, ein Schwarzwälder Flözer, ein wandernder Müllerbursch vom Elsass, ein dicker Schiffer aus Holland, ein Magyar, ein Pandur, ein Offizier aus Wien, ein französischer Schauspieler, ein böhmischer Musikant – das hat alles am Rhein gelebt, gerauft, gesoffen und gesungen und Kinder gezeugt – und der Goethe, der kam aus demselben Topf, und der Beethoven, und der Gutenberg, und der Matthias Grünewald. Es waren die Besten, mein Lieber! Die Besten der Welt! Und warum? Weil sich die Völker dort vermischt haben.
In diesem Zitat steckt eine wichtige Botschaft – nämlich dass es keine „reinrassige“ Gesellschaft gibt. Nicht in Deutschland, und auch nirgendwo sonst.
Frage 3:
Die SPD hat sich Anfang August auf Eckpunkte sozialdemokratischer Flüchtlingspolitik geeinigt. Dazu gehört unter anderem, dass die Asylverfahren beschleunigt werden. Nach wie vor ist die Verfahrensdauer sowohl für diejenigen zu lang, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Asyl in Deutschland erhalten werden, als auch für diejenigen, die nicht in Deutschland bleiben dürfen. Es wird überlegt die Länder des westlichen Balkans zu sicheren Herkunftsländern zu erkläre – hier bin ich noch unsicher, ob dies ein gangbarer Weg sein kann.
Darüber hinaus will die SPD die zahlreichen Vorschriften für Ausländer in einem Zuwanderungsgesetz bündeln. Mehr als 50 verschiedene Aufenthaltstitel sind bisher über mehrere Gesetze verstreut. Deshalb sollen die Vorschriften in einem Gesetz zusammengefasst werden. Auf diesem Weg soll deutlich gemacht werden, dass Deutschland um gut ausgebildete junge Zuwanderer wirbt und seinen selbst gesetzten humanen Verpflichtungen nachkommt. Sicher brauchen wir langfristig mehr Zuwanderung, aber das sollte langsam und verträglich geschehen. Wir dürfen ja auch nicht vergessen, dass jährlich viele Deutsche in andere Länder auswandern. Es kommt stets auf das rechte Maß an.
Frage 4.
Sie schreiben „Die Politik“. Dabei ist mir nicht klar, mit welchen Politikern Sie darüber gesprochen haben oder worauf sich Ihre pauschale Behauptung gründet.
Wenn Sie z.B. an die Bergleute denken die Ende des 19.Jhd. z.B. ins Ruhrgebiet kamen, wenn Sie an Namen wie Podolski oder Schimanski denken… bemerken Sie schnell, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Entgegen ihrer Wahrnehmung hatte ich eher den Eindruck, dass viele Politiker, vor allem von CDU/CSU, in den vergangenen Jahrzehnten gebetsmühlenartig wiederholt haben, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, obwohl die Realität sie schon lange Lügen gestraft hatte.
Deutschland ist laut OECD inzwischen sogar das zweitbeliebteste Einwanderungsland weltweit. Darauf dürfen wir stolz sein. Die meisten Einwanderer kommen aus der Europäischen Union. Die hohe Einwanderung aus der EU wird aber nicht von Dauer sein. Wir werden unsere demografische Herausforderung wahrscheinlich nur meistern, wenn es uns gelingt qualifizierte Einwanderer aus Drittstaaten nach Deutschland zu holen. Vertreterinnen und Vertreter der großen Wirtschaftsverbände haben in den vergangenen Wochen immer wieder erklärt, dass in Deutschland Fachkräfte fehlen und dadurch auf Dauer die hohe Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf dem Spiel steht. Sie glauben, dass nur durch den Zuzug ausländischer Arbeitskräfte das Problem gelöst werden kann.
Dass Deutschland ausländischer wird, liegt neben der niedrigen Geburtenrate auch an der Abwanderung. Seit Jahren wandern mehr Deutsche aus als wieder zurückkehren. Deutschland verliert so pro Jahr 25.000 deutsche Staatsbürger.
Vor diesem Hintergrund halte ich es für falsch einen Volksentscheid durchzuführen. Es gibt gesellschaftliche Realitäten, denen man sich stellen muss, die man nicht per Volksentscheid aus dem Weg schaffen kann. Mit einer Abstimmung kann man die Wirklichkeit nicht negieren.
Ich hoffe sehr, dass ich Ihnen mit meinen Ausführungen deutlich machen konnte, dass Einwanderung zwar eine Herausforderung für unser Gemeinwesen ist aber auch ein großer Gewinn, jedenfalls eine für uns alle sein kann.
Mit freundlichen Grüßen, Ihr Lothar Binding