Frage an Lothar Binding von Jörg P. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Binding,
in der "Spiegel"-Ausgabe 06/15 wurde in einem Artikel über die Betrugsmöglichkeiten an Ladenkassen berichtet. So können bspw. über Stornomöglichkeiten die Umsätze leicht gefälscht werden. Es gibt offenbar technische Möglichkeiten, sämtliche Kassenbons von der Kasse aufzeichnen zu lassen und dadurch für die Finanzbehörden nachprüfbar zu machen. Verringern ließe sich die Problematik sogar noch einfacher, indem die Ausgabe von Kassenbelegen verpflichtend wäre. Das Beispiel anderer Länder zeigt, dass ein solches Vorgehen möglich ist.
Nach Angaben des Artkels sperren sich derzeit jedoch das Finanz- und das Wirtschaftsministerium gegen entsprechende Regeln.
Sollten im Rahmen der Steuergerechtigkeit nicht technische Möglichkeiten zur Verringerung des Steuerbetrugs genutzt werden? Zumal aus meiner Sicht weder ein unzumutbarer bürokratischer Aufwand für die Unternehmen entstände, noch ein unzulässiger Eingriff in den Datenschutz vorliege.
Mit freundlichen Grüßen
Jörg Panhorst-Folz
Sehr geehrter Herr Panhorst-Folz,
vielen Dank für Ihre Frage. Die Bekämpfung der Hinterziehung von Steuern und Sozialabgaben und die Eindämmung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung zählen zu den vorrangigen Zielen der SPD. Wir müssen die Handlungsfähigkeit des Staates und der gesetzlichen Sozialversicherung ebenso schützen wie einen fairen Wettbewerb – im Interesse der ehrlichen Bürger und Unternehmen. Deshalb kommentiere ich den von Ihnen angesprochenen Spiegel-Artikel vom Januar 2015 gern.
Der Bundesrechnungshof (BRH) kritisierte schon 2003 die Manipulierbarkeit elektronischer Registrierkassen und Taxametern. Das stimmt. Diese Analyse blieb aber keineswegs „ohne Konsequenzen“. Natürlich hätten wir „politisch“ eilfertig etwa beschließen können – aber Beschlüsse, deren Umsetzungsmöglichkeit in der Praxis und dessen Vollzug in der Exekutive nicht gegeben sind, sind nicht besonders schlau. Deshalb war der Hinweis des BRH der Ausgangspunkt eines Projekts: INSIKA – INtegrierte SIcherheitslösung für messwertverarbeitende KAssensysteme.
Die Finanzministerien von Bund und Ländern erarbeiteten ein Fachkonzept für einen Manipulationsschutz elektronischer Kassensysteme, auf dessen Basis die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) mit einigen Industrieunternehmen eine technische Lösung entwickelte. Dieses INSIKA-Projekt wurde vom Wirtschaftsministerium finanziell gefördert.
Zur effektiven Bekämpfung der Schwarzarbeit legten der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und der damalige Minister für Arbeit und Soziales Olaf Scholz im Juni 2008 das Aktionsprogramm „Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt“ vor. Es sah unter anderem die Einführung einer Smart Card vor zur kryptographischen Sicherung der Buchungen bei elektronischen Registrierkassen sowie Waagen, Taxametern und Wegstreckenzählern mit Registrierkassenfunktion.
Erwartungsgemäß lehnten die Wirtschaftsverbände – wie im Spiegel-Artikel beschrieben – das Vorhaben als bürokratisch und zu teuer ab. Allein die Erstinvestitionen im Einzelhandel bezifferten sie auf 800 Mio. Euro. Letztlich scheiterten die von den beiden SPD-Ministern geplanten Rechtsänderungen in der Bundesregierung am damaligen CSU-Wirtschaftsminister Glos. Er forderte angesichts der Kosten die Prüfung anderer Maßnahmen. Und leider geht in einer Koalition nichts, wenn ein Partner blockiert. So ging viel Zeit verloren.
Nach der Bundestagswahl 2009 verfolgte die schwarz-gelbe Bundesregierung das Vorhaben nicht weiter. Erst seit 2014 – nach dem Vorstoß des Finanzministers von Nordrhein-Westfalen, Norbert Walter-Borjans – beschäftigt sich das Bundesfinanzministerium wieder mit dem mittlerweile weiterentwickelten INSIKA-Konzept. Nach der jahrelangen Untätigkeit sind jedoch viele rechtliche, technische und organisatorische Fragen noch immer offen:
Zu klären sind beispielsweise der Anwendungsbereich, gegebenenfalls notwendige Ausnahmen und die Voraussetzungen einer Administration über eine Zentralstelle außerhalb der Finanzverwaltung. Wie bei Gesetzgebungsvorhaben üblich, ist auch der Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft zu ermitteln. Insbesondere ist zu überprüfen, ob die Angaben der Verbände (einmalige Umrüstungskosten von 150 bis 300 Euro/Kasse, jährliche Folgekosten von 15 bis 180 Euro/Kasse) plausibel sind. Grundsätzlich sind aber auch andere Möglichkeiten, den Betrug an Registrierkassen zu erschweren, zu erwägen – wie etwa die erwähnte Belegausgabe-pflicht in Italien.
Auf Bitte der Länderfinanzminister erarbeitet das Bundesfinanzministerium derzeit einen Bericht zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Bekämpfung der Manipulation elektronischer Kassensysteme. Selbstverständlich muss es dabei auch frühere Einwände prüfen, die die Wirtschaftsverbände oder auch Fachbeamte des Bundeswirtschaftsministeriums jetzt erneut vortragen.
In Unterstützung der SPD-Finanzminister werde ich darauf dringen, in dieser Legislaturperiode endlich die notwendigen Regelungen zu treffen. Aber auch in der aktuellen Koalition gilt, dass nur geht, was gemeinsam geht. Zur Darstellung im Spiegel möchte ich abschließend auf zwei aktuelle Äußerungen des Bundesfinanzministeriums verweisen:
• Das Ausmaß der jährlichen Steuerausfälle durch Betrug mit manipulierten Registrierkassen kann die Bundesregierung nicht abschätzen. Auch die Länder haben hierzu keine belastbaren Grundlagen geliefert. Dies ist übrigens typisch für den Bereich der Schattenwirtschaft.
• Kein technisches Verfahren kann alle Möglichkeiten der Manipulation elektronischer Kassen- und Buchführungsdaten unterbinden. Laut Physikalisch-Technischer Bundesanstalt (PTB) ist die Entwicklung neuer Manipulationssoftware denkbar. Im Übrigen könnten kleinere Unternehmen (weiterhin) Umsätze nicht in der Kasse erfassen oder sogar auf elektronische Kassen verzichten und zu offenen Ladenkassen übergehen.
Hoffentlich konnte ich erfolgreich erläutern, warum das Vorhaben politisch und technisch nicht ganz so trivial ist, wie der Spiegel-Artikel suggeriert.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Lothar Binding