Frage an Lothar Binding von Friedbert T. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr MdB Binding,
in Ihrer Antwort auf die Frage von Herrn Werner Mahieu vom 11.03.2014 schrieben Sie: „Der SPD ist es wichtig, dass die Versicherten auch in Zukunft auf die Sicherheit und Rendite ihrer Vermögensanlage und Altersvorsorge vertrauen können“. Diese Aussage steht in krassem Widerspruch zur realen Politik der SPD! Zum Beweis meiner Behauptung hier ein Beispiel realer SPD-Politik:
Die Rot-Grüne Regierung unter Gerhard Schröder hat zum 1.1.2004 das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) eingeführt. Das Gesetz hat erhebliche Auswirkungen für Pflichtversicherte und freiwillig Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung. Seitdem sind auch einmalige Kapitalzahlungen aus der betrieblichen Altersvorsorge (Betriebsrenten), Direktversicherungen und Gehaltsumwandlungen beitragspflichtig (gilt auch für Altverträge!). Die Auszahlung wird mit 17,55% KV- und PV-Beiträgen belastet (bei einer Auszahlungssumme von z.B. 100000€ sind dies immerhin 17550€). Falls es sich bei dem Auszahlungsbetrag um eine reine Betriebsrente handelt, für die vom Arbeitnehmer keinerlei Beiträge entrichtet werden mußten, lassen sich KV- und PV-Beiträg vielleicht rechtfertigen, wenn aber die Beiträge vom Arbeitnehmer ALLEIN (z.B. durch Gehaltsumwandlung) getragen wurden, bedeutet die Regelung eine klare Benachteiligung der Gehaltsumwandlung gegenüber anderen Kapitalanlagen (z.B. Lebensversicherungen, Sparvertäge, Aktienfonds,… ), da deren Kapitalerträge (z.B. Zinsen, Dividenten, …) bei der Auszahlung nicht mit KV- und PV-Beiträgen belastet werden.
Meine Fragen an den MdB Binding und an die Fraktion der SPD:
Warum werden Kapitalerträge aus Gehaltsumwandlungen anders behandelt als andere Kapitalerträge?
Denkt die SPD, die momentan im Bereich „Arbeit und Soziales“ den Minister stellt, daran, während der laufenden Legislaturperiode den oben beschriebenen Mißstand zu beseitigen?
Mit freundlichem Gruß
Friedbert Thomas
Sehr geehrter Herr Thomas,
vielen Dank für Ihre Frage zur Erhebung von Krankenversicherungsbeiträgen auf Direktversicherungen etc.
Sie zitieren: "Der SPD ist es wichtig, dass die Versicherten auch in Zukunft auf die Sicherheit und Rendite ihrer Vermögensanlage und Altersvorsorge vertrauen können." Das stimmt. Politisch können wir natürlich weder Markt- noch Zinsrisiko wegbeschließen… wir müssen aber dafür Sorge tragen, dass es keine systemisch bedingten Verwerfungen gibt. Damit meine ich z.B., dass in einer Solidargemeinschaft volatile Parameter dazu führen, dass ein Teil der Gemeinschaft auf Kosten des anderen Teils einen überproportionalen Ertrag abschöpft.
Im Folgenden erläutere ich warum wir 2004 mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) Änderungen am Abgaben- bzw. Beitragssystem vornehmem mussten.
Viele haben bei Vertragsschluss die Kapitalisierung Ihrer Ansprüche aus Ihrer Direktversicherung vereinbart. Bei dieser Variante der betrieblichen Alterssicherung bestand bis zum 31.12.2003 nach den Urteilen des Bundessozialgerichts vom 18.12. 1984 und vom 30.3.1995 keine Beitragspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung.
Das GMG unterwirft seit dem 1.1.2004 die Kapitalabfindungen aus Direktversicherungen, die bei Vertragsschluss bzw. vor Eintritt des Versicherungsfalls (Beispiele: Eintritt in den Ruhestand, Erwerbsunfähigkeit) vereinbart oder zugesagt worden sind, der Beitragspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung. Das GMG verlangt also den Versicherten, die für ihre betriebliche Altersversorgung eine Kapitallebensversicherung mit „Einmalzahlung“ abgeschlossen haben, einen Solidarbeitrag ab. Nebenbemerkung: vor ca. 10 Jahren traf ich mich mit einigen Bürgern, die sich über die unerwartete Verbeitragung ärgerten. Schnell wurde deutlich, dass all jene, die diesen Solidabeitrag zu leisten hatten, zu den gut situierten Rentnerinnen und Rentnern gehören. „Gut“ im Vergleich zu jeden Rentnern - viele - die mit deutlich weniger Einkommen auskommen müssen.
In den 80iger und 90iger Jahren wurde seitens der Kohl-Regierung die Losung auszugeben „die Renten sind sicher“. Als die rot-grüne Bundesregierung 1998 übernommen hat, hat sie damit begonnen die Alterssicherungssysteme zu analysieren und musst feststellen, dass das System der altersvorsorge chronisch und systemisch unterfinanziert war. Die Einnahmen stagnierten und die Ausgaben wuchsen aufgrund der steigenden Lebenserwartung immer weiter.
Die Regelung im GMG soll dazu beitragen die Unterdeckung in der Krankenversicherung der Rentner zu verringern: Im Jahre 2002 haben die Krankenkassen für jeden Rentner im Durchschnitt 3.907 € aufgewandt. Ihre durchschnittlichen Beitragseinnahmen je Rentner beliefen sich dem gegenüber auf lediglich 1.716 €. Damit deckten die Beitragszahlungen der Rentner 2002 knapp 44 Prozent ihrer Leistungsausgaben. 1973 finanzierten die Rentenversicherungsträger, die bis 1983 den gesamten Beitrag für die Krankenversicherung der Rentner zahlten, die Gesundheitskosten der Rentner hingegen noch zu gut 70 Prozent.
Diese Gegenüberstellung zeigt, dass die Gesundheitsausgaben für die ältere Generation im Gegensatz zu früher jetzt überwiegend von der erwerbstätigen Generation finanziert werden. Die jüngere Generation hilft der älteren Generation, die finanziellen Lasten ihres höheren Krankheitsrisikos zu tragen. Dieser Ausgleich zwischen den Generationen war, ist und bleibt ein untrennbarer Bestandteil des Solidarprinzips. Die SPD hält an der solidarischen Krankenversicherung fest. Wir wollen dass auch in Zukunft die Jungen für die Alten, die Gesunden für die Kranken, die wirtschaftlich Starken für die wirtschaftlich Schwachen und die Alleinstehenden für die Familien eintreten.
Deshalb würde das Solidarprinzip außer Kraft gesetzt, wenn man forderte, dass jede Altersgruppe die auf sie entfallenden Gesundheitskosten selbst finanzierte. Solidarität ist vielmehr gegenseitiges Geben und Nehmen. Jeder Einzelne hat einerseits Anspruch auf die Hilfe der Gemeinschaft, wenn ein Lebensrisiko - wie Krankheit - seine Leistungskraft überfordert. Andererseits muss der Einzelne im Rahmen seiner individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zur Finanzierung der Gesundheitskosten beitragen.
Hinzu kommt, dass die Krankenkassenbeiträge der Erwerbstätigen voll auf die Arbeitskosten durchschlagen. Und während die Steuern tendenziell gerecht sind - weil progressiv - sind die Abgaben tendenziell ungerecht - weil regressiv. Auch deshalb ist es wichtig die Lohnnebenkosten in den Blick zu nehmen.
Die stetig wachsende Deckungslücke in der Krankenversicherung der Rentner war eine der Ursachen für die Beitragserhöhungen der Krankenkassen in den letzten Jahrzehnten. Sie hat zu Steigerung der Arbeitskosten geführt. Die Einnahmen der Krankenversicherung der Rentner sollten daher erhöht werden, ohne die Arbeitskosten zu belasten und damit zugleich die Chancen für mehr Beschäftigung zu verringern. Die Rentner sollten wieder in angemessenem Umfang an der Finanzierung ihrer Gesundheitskosten beteiligt werden.
Die SPD tritt seit jeher dafür ein, dass die breiten Schultern eine schwerere Last tragen als die schmalen Schultern. Sie hat sich deshalb dafür entschieden, nur jene Rentner verstärkt an der Beitragszahlung zu beteiligen, deren gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eine solche Mehrbelastung erträglich zulässt. Das ist insbesondere bei den Rentnern der Fall, die zusätzlich zu ihrer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung Einkünfte aus Versorgungsbezügen - hier in Form einer Lebensversicherung mit Kapitalabfindung - erzielen.
Die Regelung beseitigt darüber hinaus eine Verwerfung im Beitragsrecht. Denn auf regelmäßig wiederkehrende Leistungen (Rentenzahlungen) aus Direktversicherungen waren nach § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V alter Fassung Beiträge zur Krankenversicherung zu bezahlen. Beitragspflicht bestand nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch für Kapitalabfindungen, die erst nach Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart wurden (Beispiel: Umwandlung einer laufenden Rentenzahlung in eine Kapitalabfindung).
Direktversicherungen mit Kapitalabfindung waren also gegenüber anderen Direktversicherungsformen beitragsrechtlich begünstigt, wenn die Kapitalisierung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart worden war. Für diese Differenzierung gibt es unter dem Blickwinkel der Belastungsgerechtigkeit keinen sachlichen Grund. Die konsequente Umsetzung des Solidarprinzips gebietet es vielmehr, alle Einkünfte aus Direktversicherungen gleich zu behandeln.
In der Hoffnung, dass ich Ihre Kritik am GMG konstruktiv aufgreifen konnte, verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen, Ihr Lothar Binding