Frage an Lothar Binding von Gerog E. bezüglich Recht
Hallo Herr Binding,
Sie kennen das PZN in Wiesloch ("Lothar Binding besuchte Psychiatrisches Zentrum Nordbaden"), http://www.lotharbinding.de/Sommer-2010.237.98.html
Ihnen ist sicher inzwischewn auch der Fall Mollath bekannt: http://de.wikipedia.org/wiki/Gustl_Mollath
Wie kann sichergestellt werden, daß es nicht noch mehr solche Fälle im Massregelvollzug (§63) gibt. Laut Statistik waren in 2011 fast 10.000 Personen im Massregelvollzug ( http://de.wikipedia.org/wiki/Ma%C3%9Fregelvollzug ).
Mit Freundlichem Gruß
G. Elser
Sehr geehrter Herr Elser,
vielen Dank für Ihre Frage bei Abgeordnetenwatch.de.
Es handelt sich um ein wichtiges Thema, denn der Fall Mollath hat - wenn ich die Medien richtig interpretiere - bereits Züge eines Justizskandals und erschüttert das Vertrauen der Menschen in die Rechtsprechung. Wir sollten allerdings vorsichtig mit voreiligen Schlüssen sein und genau hinschauen. Ihre Frage ist sehr allgemein formuliert. Beim Nachdenken, in der Diskussion mit meinem Praktikanten und bei der Durchsicht einiger Artikel, bin ich v.a. auf drei Gesichtspunkte einer Antwort gekommen, die Sie bitte vorsichtig lesen, denn Ihnen schreibt ein Starkstromelektriker und Diplommathematiker - kein Jurist.
1.Zuerst ist zu klären, warum Gustl Mollath verurteilt und in Maßregelvollzug eingewiesen wurde und welchen Zusammenhang es gibt zwischen seiner Einweisung in die Psychiatrie und seinen Schwarzgeldvorwürfen. Durch die Medien ist der Eindruck entstanden, dass ein vollkommen Unschuldiger weggesperrt wird, weil er einen Bankenskandal aufdeckte. Diese sehr einfache Sichtweise wird dem Fall aber nicht gerecht. Zuerst muss man sich also ein genaues Bild von diesem Fall machen.
2.Davon zu unterscheiden ist der Umgang der politisch Verantwortlichen mit der Causa. Die zuständige Landes-Justizministerin Beate Merk hat ein desaströses Krisenmanagement zu verantworten und hat massiv an Glaubwürdigkeit verloren. Sie ist ihrer Fürsorgepflicht gegenüber Gustl Mollath, der möglicherweise zu Unrecht einsitzt, nicht nachgekommen und zeigte sich auch nicht bemüht, die mittlerweile erhärteten Anschuldigungen Mollaths aufklären zu lassen.
3.In Ihrer Frage drückt sich aber v.a. eine darüber hinausgehende Besorgnis über den § 63 des Strafgesetzbuches (StGB) aus, der die Einsperrung eines Schuldunfähigen oder vermindert Schuldfähigen in einer Psychiatrie erlaubt. Wie steht es also mit diesem Paragraphen und seiner Vereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Prinzipien, wäre hier zu fragen?
Zum ersten Aspekt ist zu sagen, dass der Fall durch den Druck der Medien, der Öffentlichkeit und der Opposition im Bayrischen Landtag glücklicherweise neu aufgerollt und überprüft wird. Dem kann ich inhaltlich natürlich nicht vorgreifen. Man kann aber zumindest feststellen, dass das Mollath attestierte paranoide Wahnsystem hinsichtlich der Beschuldigungen von Schwarzgeldtransfers in die Schweiz mehr Wahrheitsgehalt zu haben scheint, als anfangs zugegeben wurde. Dennoch ist auch zu bedenken, dass noch weitere Anhaltspunkte diese Attestierung nahegelegt haben. Genau genommen wurde Mollath nicht als geistig gestört eingestuft, weil er Schwarzgeldverschiebungen beschrieb, sondern wegen der Art und Weise wie er alle möglichen Leute damit in Verbindung brachte und eine große Verstrickung von allen Beteiligten sah. Außerdem wurde er nicht wegen dieser Beschreibungen verurteilt, sonder wegen Körperverletzung. Die verminderte Schuldfähigkeit wird an den paranoiden Wahnvorstellungen festgemacht.
In Ansehung der Menschen- und Bürgerrechte, dem drohenden Ansehensverlust der Justiz sowie der - wenn auch schon seit langer Zeit - veränderten Aktenlage durch den Revisionsbericht der HVB, begrüße ich die erneute Überprüfung durch die Staatsanwaltschaft Nürnberg ausdrücklich.
Zum zweiten Punkt: Bisher hat die Justizministerin Bayerns die Causa Mollath ausgesessen und sich geweigert, von ihrem Amt zurückzutreten. Sie hat in ihrer äußerst fragwürdigen Berichterstattung weder eigene Fehler, noch Fehler der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth zugegeben. Sie war auch bislang von der Rechtmäßigkeit des Verfahrens überzeugt und erst durch das Eingreifen des bayrischen Ministerpräsidenten kommt wieder Bewegung in den Fall. Die SPD-Vizefraktionschefin im bayrischen Landtag, Inge Aures, hat dazu nachgehakt (Siehe die Infos der Webpage der Fraktion):
http://www.bayernspd-landtag.de/presse/details.cfm?ID=15426&nav=aktuell#.UP0vVPLNm9
"Es stellt sich schon sehr die Frage, wieso die Justizministerin ein Jahr wartet, bis sie jetzt unter dem wachsenden und inzwischen massiven politischen und öffentlichen Druck endlich aktiv wird. Dass dazu zuletzt auch noch der Ministerpräsident persönlich eingreifen musste, zeigt doch, dass im Fall Mollath höchste Gefahr im Verzug ist".
Weiterhin berichtet die SPD-Landtags-Fraktion: Die SPD-Vizefraktionschefin pocht gleichzeitig weiter darauf, dass die Ministerin dem Landtag und insbesondere den Ausschuss für Recht und Verfassung (.) umfassend und detailliert über die Erkenntnisse aufklärt, was sie bisher mehrfach versäumt habe. "Der Landtag hat ein Recht darauf, den Sachverhalt umfassend klären zu können", so die SPD-Fraktionsvizin. "Neben dem persönlichen Schicksal Mollaths kann es nicht sein, dass die Ministerin einen solchen Ansehensverlust des bayerischen Justizsystems billigend in Kauf nimmt!"
Aures warnt gleichzeitig vor der drohenden Verjährung möglicher Straftaten, auf die Mollath 2003 in seinen Beschuldigungsschreiben über seine frühere Frau und weitere Mitarbeiter der HypoVereinsbank sowie 24 Kunden der HVB hingewiesen haben soll. "Die Verweigerungshaltung von Ministerin Merk darf auf keinen Fall dazu führen, dass hier auch noch potentielle Straftäter dadurch, dass die Verjährung eintritt, ungeschoren davon kommen und auch noch dem Staat hohe Geldsummen wegen möglicher Steuerbetrügereien entgehen", so die SPD-Politikerin.
Die Ministerin Merk hat unterdessen nur zu sagen, dass die Behauptungen Mollaths, soweit sie verfolgbar waren, sich als nicht zutreffend herausgestellt hätten. Nur weil manche Beschuldigungen sich auf mittlerweile verjährte Tatbestände beziehen, suggeriert sie also, dass Mollaths Aussagen nicht der Wahrheit entsprechen. Damit leistet sie den attestierten Wahnvorstellungen weiter Vorschub. Das ist inakzeptabel. Ich blicke ebenso gespannt wie Sie, Herr Elser, nach Bayern und hoffe auf eine baldige Aufklärung des Falles.
Nun zum Paragraphen 63 StGB an sich: Hier muss man unter-scheiden zwischen dem, was das Gesetz vorsieht und dem, wie es im Fall Mollaths angewendet wurde. Anscheinend wurden im Verfahren von Mollath Fehler begangen, sofern seine Beschuldigungen als Wahnvorstellungen abgetan wurden. Offenbar hatten es spätere Gutachter aber auch schwer, weil Mollath mehrere von ihnen abgelehnt hat und sie sich nur auf die Aktenlage beziehen konnten.
Ob der § 63 tatsächlich "ein dunkler Ort des deutschen Straf-rechts" ist, "der einen Straftäter flugs in die Psychiatrie bringt, aus der er dann gar nicht mehr flugs herauskommt", das kann ich nicht beurteilen.
(Vergleichen Sie dazu bitte folgenden Link: http://www.sueddeutsche.de/bayern/fall-mollath-die-psychiatrie-der-dunkle-ort-des-rechts-1.1533816 )
Der Maßregelvollzug nach § 63 StGB ist jedenfalls gedacht - und das sollte bei der Debatte nicht vergessen werden - als Möglichkeit der Besserung und Sicherung der als Patienten verstandenen Insassen. Deshalb werden psychisch kranke und suchtkranke Straftäter nicht einfach ins Gefängnis gesteckt, sondern medizinisch behandelt. Dieses Konzept ist doch wesentlich adäquater und sollte auch wertgeschätzt werden. In Wiesloch konnte ich mich persönlich von der Sinnhaftigkeit der Arbeit der Ärzte dort überzeugen. Sie verstehen den Maßregelvollzug gerade nicht als Sackgasse für die Patienten, wie es im Fall Mollath den Anschein hat.
Die Zahl, die Sie ansprechen, von an die 10.000 Personen in Maßregelvollzug sagen in diesem Zusammenhang weder etwas Positives noch Negatives aus. Es handelt sich ja nicht um 10.000 vergleichbare Fälle, sondern um vermindert schuldfähige und suchtkranke Straftäter, die dort behandelt werden.
Wenn Sie fragen, wie solche Fälle in Zukunft vermieden werden können, setzen Sie damit die Unschuld Mollaths voraus, die von der Justiz erst noch festgestellt werden muss. Es werden von den Insassen der Psychiatrien auch jedes Jahr neue Gutachten erstellt. Dennoch: Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth hätte den Anschuldigungen Mollaths nachgehen müssen. Der Fall wird nun überprüft und Ungerechtigkeiten können aufgedeckt werden, wenn es sie gegeben hat. Darüber hinaus haben wir gute Gründe, in unser Rechtssystem und die im Regelfall korrekte Anwendung seiner Regeln zu vertrauen.
Viele Grüße, Lothar Binding