Frage an Lothar Binding von Torsten G. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Binding,
die Schweizer Analysehaus Independent Credit View bescheinigt Deutschland eine wirtschaftlich problematische Zukunft ( http://www.fondsdiscount.de/nachrichten/artikel/4914/maerkte/eurokrise/deutschland-verliert-topnote.html ).
Als Hauptgrund nennt es die durch die Euro-Rettung eingegangenen Verpflichtungen.
Herr Peer Steinbrück hat vor kurzer darüber informiert, dass die Belastungen Deutschlands aufgrund der Euro-Rettung auf über 1 Billion liegen (man kann zwischenzeitlich auch höhere Zahlen nachlesen).
Bereits heute sind die Zinszahlungen des Bundes der zweitgrößte Einzelposten.
Wenn die Rating-Agenturen Deutschlands Bonität schlechter einschätzen, werden sich die Finanzierungskosten erheblich erhöhen.
+ Wie wird eine SPD-Regierung damit umgehen?
+ Ist überhaupt noch geplant, die Schulden Deutschlands zurück zu zahlen? Welchen Zeitraum haben Sie im Auge (10-15 Jahre?)?
Mit freundlichem Gruß
Torsten Gerdes
Sehr geehrter Herr Gerdes,
vielen Dank für Ihre Fragen zu den Kosten der staatlichen Schulden und unseren Überlegungen zur ihrer Rückzahlung. Viele Bürgerinnen und Bürger, auch Kolleginnen und Kollegen denken beim Thema Haushaltssanierung an “Schulden-abbau“ und meinen damit die zwei Billionen Euro Alt-Schulden des Staates. Auch wenn es Sie vielleicht überrascht: die zwei Billionen Euro Schulden (das sind die gesamten Staatsschulden, also die Bundesschulden, der Bundesländer, der Kommunen und der Sozialkassen) will ich nicht „auf Nähe Null“ tilgen. Würde ich vielleicht gerne – aber das wäre ein unerreichbares Ziel und vielleicht auch nicht klug, weil etwa Rentenversicherungen sehr sichere Assetklassen für ihre Investitionen am Kapitalmarkt benötigen; die Zinszahlungen auf Staatsanleihen kommen als Rentenleistung bei den Versicherten an. Wollte ich drei Milliarden Euro an Zinsen sparen, müsste ich 100 Milliarden Euro Schulden abbauen. Bei einem Steueraufkommen von 250 Milliarden im Bund und einer Haushaltsstruktur, bei der ein großer Teil der Einnahmen für soziale Zwecke und Investitionen in Forschung, Bildung, Infrastruktur etc. ist das ausgeschlossen.
Deshalb verstehe ich unter Haushaltssanierung eine strukturelle Absicherung, wobei die jährlichen Ausgaben kleiner oder gleich den jährlichen Einnahmen zu halten sind. Das bedeutet zunächst den Abbau der Neu(!)verschuldung und anschließend die Sicherung eines in jedem Jahr ausgeglichenen Haushalts. Damit würden die Altschulden konstant bleiben und auch bei kleinen Wachstumsraten nach und nach im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) und zum Bundeshaushalt kleiner werden. Dieser Zielsetzung dient auch die Schuldenbremse, die das strukturelle jährliche Defizit im Bundeshaushalt und den Haushalten der Länder begrenzt. Wenn es gelänge, mit Haushaltsüberschüssen auch die Altschuldentilgung zu beginnen, wäre das prima und gemäß der Defizitvorgaben der Schuldenbremse auch notwendig. Es ist aber klüger, sich erreichbare Ziele zu setzen… und planerisch Schritt für Schritt vorzugehen.
Neben den eher geringen Möglichkeiten des Sparens sind in einem ersten Schritt zur Haushaltskonsolidierung die Abschaffung von Ausnahmen zu nennen, also die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und bestimmte Steueranhebungen, die den Grenzsteuersatz nach dem SPD-Steuerkonzept für Einkommen ab 100.000 Euro (Ledige) bzw. 200.000 Euro (Verheiratete) auf etwa 49 % führt.
Ein zweiter wichtiger Schritt zur Haushaltssanierung besteht darin, dass Gewinne und Einkommen, die in Deutschland zu versteuern sind, auch hier versteuert werden. Also müssen jene Schlupflöcher, die eine Verlagerung von Gewinnen und Einkommen ins steuergünstige Ausland ermöglichen, geschlossen werden.
Wir setzen uns auch für die Wiedererhebung der Vermögensteuer ein und diskutieren derzeit gemeinsam mit den Ländern, denen das Aufkommen aus der Vermögensteuer vollständig zusteht, über unterschiedliche Überlegungen zur Ausgestaltung der Steuer, die wirtschaftliche Betätigung und betriebliche Investitionen nicht beeinträchtigen und über Freibeträge nur wirklich vermögende Einzelpersonen erfassen soll. Ich kann mir mit Blick auf das in den letzten zehn Jahren auf rund 10.000 Mrd. Euro mehr als verdoppelte private Nettovermögen gut vorstellen, die angestrebten Einnahmen nicht bei 10 Mrd. Euro zu deckeln, sondern ein Steueraufkommen von 40 bis 50 Mrd. Euro anzustreben, um die Besitzer sehr hoher Vermögen wieder stärker an der Finanzierung staatlicher Leistungen zu beteiligen – schließlich wollen wir ja auch niemanden mit hohem Vermögen davon ausschließen, auf den gemeinschaftlichen finanzierten Straßen zu fahren, in die Oper zu gehen oder die Feuerwehr zu rufen, wenn es brennt.
Wir benötigen auch neue Ansätze, um Haftung und Risiko auf den Finanzmärkten wieder zusammenzuführen und die Verursacher der Krise an ihrer Bewältigung zu beteiligen. Einige Überlegungen hierzu finden Sie auf meiner Homepage in einer Broschüre, die sich mit den Ursachen und Hintergründen der Finanzkrisen und den Schlussfolgerungen der SPD beschäftigt; Sie finden diese Broschüre unter folgendem Link: http://www.lotharbinding.de/uploads/media/Broschuere_Finanzkrise.pdf .
Über ihren Besuch auf meiner Homepage würde ich mich freuen und verbleibe
mit freundlichem Gruß,
Ihr Lothar Binding