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Lothar Binding
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Frage von Stefan H. •

Frage an Lothar Binding von Stefan H. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrter Herr Binding

Dem Leitantrag zur Gesundheitspolitik der SPD anlässlich des Bundesparteitages vom 6.12.2011 entnehme ich, dass die SPD die "Liberalisierung des Arzneimittelvertriebes" anstrebt.
Meine Fragen an Sie lauten:1. Wann nimmt die SPD-Fraktion endlich wahr, dass die Apotheken in Deutschland lediglich 2,5 Prozent aller Kosten im Gesundheitswesen verursachen? 2.Warum zieht die SPD eine Berufsgruppe erneut in das Zentrum der Einsparbemuehungen obwohl diese Berufsgruppe bei der Einkommensentwicklung zu "den groessten Verlierern der vergangenen Jahre" (Zitat aus FOCUS Heft 47/2011) gehoert? 3.Wann nimmt die SPD wahr, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen enorme Summen fuer Fernsehwerbung und prachtvolle Bauwerke verschwenden? 4.Wann fuehrt das o.g. Gebahren der gesetzlichen Krankenversicherungen zu Konsequenzen bei den gesetzlichen Krankenversicherungen?

Vielen Dank fuer Ihre Antworten!
Mit freundlichem Gruss

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Hartert,

vielen Dank für Ihre Fragen zur Zukunft der Apotheken, die Sie u.a. auch meiner Fraktionskollegin Andrea Nahles gesendet haben. Sie beziehen sich auf den Beschluss des SPD-Parteitages vom 4.-6. Dezember 2011 in Berlin mit den Titel „Solidarische Gesundheitspolitik für alle Bürgerinnen und Bürgern“. Auf Seite 8 wird ausgeführt „Deutschland nimmt in Europa den Spitzenplatz bei den Preisen für Arzneimittel ein… Die SPD will den Arzneimittelmarkt umfassend ordnen, um faire Preise für die Versicherten zu erreichen… Daher wollen wir die Preise für Arzneimittel dem durchschnittlichen Preisniveau in Europa angleichen… Den Arzneimittelvertrieb werden wir liberalisieren, um Preisvorteile von größeren Vertriebsstrukturen zu erreichen.“, soweit das Zitat.

Sie schreiben „Wann nimmt die SPD-Fraktion endlich wahr, dass die Apotheken in Deutschland lediglich 2,5 Prozent aller Kosten im Gesundheitswesen verursachen?“ Ich könnte Ihnen entgegenhalten, dass 2,5 Prozent von den Gesamtausgaben für eine flächendeckende Versorgung mit Apotheken ausreichend sind. Unter Berücksichtigung der statistischen Daten der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Ihres Dachverbandes, lässt sich beispielsweise im Zehnjahresvergleich belegen, dass sich die Apothekenzahl nicht verändert hat. Von einem massenhaften Sterben von Apotheken kann keine Rede sein.

Laut ABDA-Statistik erzielte jede Apotheke im Schnitt einen errechneten Umsatz von 1.861 Millionen Euro (ohne Mehrwertsteuer). Den ABDA-Statistiken lässt sich weiter entnehmen, ich zitiere „Der im Rahmen der GKV erzielte Umsatz in Apotheken (GKV-Ausgaben und Zahlungen) machen 2010 gut 64 Prozent des Gesamtumsatzes aus.“ ( http://www.abda.de/fileadmin/assets/Jahresbericht/ABDA_Bericht_2010_2011.pdf , S. 42-43). Die restlichen 36 Prozent der Einnahmen, die dem angeführten Betrag hinzugerechnet werden müssen, dienen als weitere große Einnahmequelle der Apotheken. Nach Aussage des Statistischen Bundesamtes lagen die Ausgaben für Gesundheit in Deutschland im Jahr 2009 bei insgesamt 278,3 Milliarden Euro ( http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Navigation/Statistiken/Gesundheit/Gesundheitsausgaben/Gesundheitsausgaben.psml ). Die enorme Summe weckt Begehrlichkeiten. Um noch einmal auf meine Berechnung zurück zu kommen, ergibt sich eine Einnahmesituation der Apotheken bei einem Anteil von 2,5 Prozent an den gesamten Gesundheitsausgaben von 278,3 Milliarden Euro (2009) bei der Anzahl von 21.441 Apotheken ein Rohertrag (Rohertrag: Umsatz brutto, abzüglich Mehrwertsteuer, abzüglich Einkaufspreis der Waren ohne Vorsteuer) von durchschnittlich 324.495,13 Euro im Jahr. Weiter vorne wird im ABDA-Bericht ausgeführt „Der Gesamtumsatz (ohne Mehrwertsteuer) der öffentlichen Apotheken ist von 39,2 Milliarden Euro auf 39,9 Milliarden Euro im Jahr 2010 angestiegen“.

In dieser Berechnung sind die Einnahmen, die Sie durch den Verkauf von weiteren Produkten, die nicht dem Gesundheitssystem zuzuordnen sind, noch nicht enthalten. Jedem Apothekenkunden fallen viele Produkte ins Auge, die zusätzlich angeboten und auch verkauft werden.

Vielleicht unterhalten ja auch Sie mehr als eine Apotheke? Mit dem Gesundheits-modernisierungsgesetz wurde für Apothekerinnen und Apotheker die Möglichkeit geschaffen, neben der Hauptapotheke bis zu drei Filialapotheken zu betreiben.

Mein Hauptarbeitsgebiet im Bundestag liegt in der Finanzpolitik. Gerne können Sie mir Ihre Einkommensteuerbescheide der letzten drei Jahre zukommen lassen. Unter der Einhaltung der strengen Vertraulichkeit prüfe ich, gerne auch zusammen mit dem Bundesfinanzministerium, Ihre Einkommensentwicklung. Sollte sich daraus in der Zusammenfassung eine deutliche Verschlechterung Ihrer Einkommenssituation erkennen lassen, wende ich mich gerne an den zuständigen Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP).

Erfreulich für Ihren Berufsstand ist auch die Beschäftigungssituation, hier wird ausgeführt, dass die Gesamtzahl von Beschäftigten um rund 1.000 im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist. Es lässt sich auch eine Verschiebung hin zu mehr Personal mit höherer Qualifikation ausmachen. Ich freue mich, dass der Apothekenmarkt nicht im Zusammenhang mit dem von der SPD geforderten Mindestlohn steht, gute Arbeit soll auch angemessen bezahlt werden. Die Tätigkeit in Apotheken lässt sich mit der Familie leichter vereinbaren, als in anderen Bereichen, auch das hebt die ABDA positiv hervor – das ist sehr vorbildlich. Folgt man den Zahlen der ABDA, so lässt sich augenscheinlich eine prekäre Situation im Berufsstand der Apotheker nicht ausmachen. Die Apothekendichte im europäischen Vergleich zeigt, dass Deutschland eine überdurchschnittlich gute Versorgung vorhält.

Zu Ihrer 2. Frage: Leider kann ich den von Ihnen erwähnten Artikel nicht ausfindig machen, vielleicht schicken Sie mir bei Gelegenheit diese Textpassage zu.

Zu Ihrer 3. und 4. Frage: Seit Jahren belaufen sich die Verwaltungskosten der gesetzlichen Krankenkassen konstant auf einem Niveau von ca. 5,2 Prozent ( http://www.gkv-spitzenverband.de/upload/Faktenpapier_Verwaltungskosten_GKV_012010_11711.pdf ). Ich stimme Ihnen zu, dass auch die gesetzlichen Krankenkassen einer stetigen Effizienzkontrolle unterliegen müssen, was ja auch geschieht.

Mit dem Gesetz zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz) ist festgeschrieben, dass die Verwaltungskosten in den Jahren 2011 und 2012 im Vergleich zum Jahr 2010 nicht ansteigen dürfen - auch sie wurden zur Kostendämpfung herangezogen.

Bei den 20 Marktführern der privaten Krankenversicherungen stellt die durchschnittliche Kostenquote übrigens ca. 16 Prozent der Einnahmen durch Prämien dar, sie ist damit dreimal so hoch wie bei den gesetzlichen Kassen ( http://www.gkv-spitzenverband.de/upload/Faktenpapier_Verwaltungskosten_GKV_012010_11711.pdf ).

Nicht umsonst wird das Gesundheitssystem als „Haifischbecken“ bezeichnet. Die vielen Zuschriften die ich von Akteuren erhalte, verdeutlichen mir, das fast immer die Höhe der Vergütung der erbrachten Leistungen thematisiert wird. Häufig wird eine ganze Werbemaschinerie in Gang gesetzt, erstklassige Agenturen werden beauftragt und bezahlt, ganzseitige Zeitungsanzeigen in großen Tageszeitungen werden geschaltet, Lobbybüros und Stiftungen werden unterhalten, Verbandszeitungen und Hochglanzpublikationen werden gedruckt und verschickt, Veranstaltungen an erstklassigen Adressen werden ausgerichtet etc., um den Forderungen der Akteure Nachdruck zu verleihen. Auch für diese Lobbyaktivitäten der Akteure steht offensichtlich genug Geld von den Geldern, die Bürgerinnen und Bürger zunächst erwirtschaften müssen, zur Verfügung, bevor sie diese dann im Gesundheitssystem verausgaben können.

Wie eingangs erwähnt, setzt die Politik die Rahmenbedingungen. Dass wir alle die optimale Versorgung, aber gleichzeitig bevorzugt niedrige Krankenversicherungsbeiträge bezahlen wollen, versteht sich fast von selbst. Dieser Widerspruch bietet sich zwar gut für eine politische Debatte an, aber hilfreicher ist eine fachlich gut begründete Sachdiskussion. Dabei sollten sich die mehr als 40 beteiligten Gruppen im Gesundheitssystem, Ärzte, Krankenkassen, Krankenhäuser, Pharmazeutische Industrie, Apotheken etc. nicht nur um den großen Topf streiten und von „der Politik“ mehr fordern, wir alle sollten uns stärker um die Belange aller Patienten kümmern. Das V. Sozialgesetzbuch schreibt vor, dass die Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, dass die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, die Apothekerinnen und Apotheker sind weder ein „Stör- noch ein Kostenfaktor“, sie sollen von „der Politik“ auch so nicht wahrgenommen werden. Im Gegenteil, Ihre Kompetenz schätzen meine Fraktionskolleginnen und -kollegen, wie auch ich, im Allgemeinen sehr. Mit Herrn Becker und Frau Hofferberth vom Landesapothekerverband stehe ich im Dialog. Kürzlich habe ich mich mit der Kritik Ihres Verbandes an den Auswirkungen des AMNOG auf die Zusammenarbeit von Großhandel und Apotheken an Bundesgesundheitsminister Bahr gewandt.

Bedauerlicherweise scheint die schwarz-gelbe Bundesregierung ihren großen Ankündigungen, die sie im Gesundheits- und Pflegebereich eilfertig in die Welt geschickt hat, nicht gerecht werden zu können. Dabei denke ich an das „Jahr der Pflege“, an die fehlende tragende Lösung des Landarztmangels usw. Lediglich zur schnellen Einführung des unsozialen Zusatzbeitrags für die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung konnte sich die Koalition gegen die Interessen der Mehrzahl der Versicherten zügig durchringen. Die Irritationen aller Beteiligten sind groß, das spiegelt sich in den Zuschriften an mich deutlich wieder. Mit unserem Konzept der Bürgerversicherung haben wir, die SPD-Bundestagsfraktion, eine solidarische und tragfähige Alternative für die Zukunftsfähigkeit des Gesundheitssystems erarbeitet.

In der Hoffnung, Ihre Kritik konstruktiv aufgegriffen zu haben, verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen

Lothar Binding