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Lothar Binding
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Frage von Martin B. •

Frage an Lothar Binding von Martin B. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Binding,

Ich bin Bürger in Ihrem Wahlkreis und ich mache mir, wie einige meiner Mitbürger ernstahft Gedanken.
Mir ist nicht klar was der Eurorettungsschirm langfristig erreichen soll. Aus kurzfristiger Sicht kann ich nachvollziehen, dass man Länder wie Griechenland, Irland, Portugal erstmal über Wasser halten möchte, um einen halbwegs geordneten Ablauf des aktuellen Geschehens sicherzustellen. Ich denke es ist auch fast jedem Bürger klar, dass es hier nicht primär um unsere Solidarität zu den Griechen geht, sondern um unsere Banken. Viele europäische Banken, Versicherungen und Pensionskassen haben große Mengen an Staatsanleihen von Ländern wie Griechenland, Portugal oder Irland in Ihren Büchern. Der Ausfall diser Forderungen würde zu einem Kollaps des hochgradig vernetzten Bankensystem führen und erhebliche Konsequenzen für unsere Volkswirtschaft haben.
Wenn man das Thema aber mittel- oder langfristig betrachtet kann eine permanete Stützung von insolventen Ländern keine Lösungen sein. Jedem, der sich die "Bilanz" dieser Länder anschaut, ist doch absolut klar dass diese Länder pleite sidn und langfraitig nur über einen Staatsbankrott mit Währungsschnitt wieder auf die Beine kommen können.Über einen REttungsschirm ESM werden uns und unseren Kindern Lasten augebürdet die keiner mit guten Gewissen verantworten kann. Eine geordnete Insolvenz und eine Abstellung der Systemfehler des Vetrages zur europäischen Waährungsunion ist für mich "alternativlos". Das Beschließen des ESM mit den darin festgeschriebenen Rechten kann aus meiner Sicht auf gar keien Fall im Sinne von uns Bürgern sein. Hier werden hoheitliche Rechte in einem Maß abgegeben, dass die Vollmacht für den ESM fast dikatorische Züge annhemen könnte.
Als unserer Vertreter im Deutschen Bundestag würde mich daher interessieren wie sie dieses Thema langfristig sehen und wie sie selbst das Thema ESM bewerten.
Ich und die Bürger denen diese Frage auch sehr am Herzen liegt freuen uns auf Ihre Rückmeldung.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Bernecker,

vielen Dank für Ihre Frage zur Änderung des Vertrages über die "European Financial Stability Facility" (EFSF), die der Deutsche Bundestag am 29. September 2011 beschlossen hat.

Meine Antwort umfasst drei Teile:
* meine Einschätzung der Lage und Darstellung meiner und allgemeiner Lösungsansätze zur Überwindung der Bankenkrise, des Marktversagens am Finanzplatz und der Staatsverschuldungskrise.
* einen Text "Verantwortung für Deutschland und für Europa", der in wesentlichen Elementen auf einem Beschlussvorschlag von Sigmar Gabriel für den Parteivorstand der SPD beruht.
* eine sehr gute Zusammenstellung des SPD-Europaabgeordneten Udo Bullmann über den Stand (20. September 2011) der Finanzmarktregulierung in Europa.

Bitte entschuldigen Sie die Länge meiner Antwort. Mit Ihrer Frage greifen Sie komplexe Zusammenhänge auf, die es verdienen, genauer erläutert und auch bewertet zu werden. Dabei hoffe ich auf den interessierten und geduldigen Laien und den toleranten Fachmann. Die Teile 2 und 3 finden Sie auf meiner Homepage, wenn Sie diesem Link folgen: http://www.lotharbinding.de/fileadmin/downloads/pdf/Briefe/EFSF_6-1_Antwort_a-watch.pdf

Teil 1

Ich habe der EFSF, wenn auch widerwillig zugestimmt, um noch höhere Kosten, Risiken und Belastungen für Europa zu vermeiden. Denn wenn große Banken, das Bankensystem oder ein Staat kollabierten, würde das unabsehbare Konsequenzen für Deutschland als größter Gläubiger mit der stärksten Wirtschaft in Europa in dichter Vernetzung haben. Allerdings darf diese Entscheidung kein Vorbote einer dauerhaften finanziellen Unterstützung praktisch insolventer Staaten sein. Gleichwohl: Europa ist für mich mehr als eine Sache des Geldes. Ich habe der EFSF auch in der Erwartung zugestimmt, dass der private Sektor verpflichtet wird, die Verantwortung für seine Risiken, z.B. durch Schuldenschnitt oder Umschuldung, zu übernehmen. Teil 2 geht etwas genauer auf die konkreten Wirkungen eines Schuldenschnitts ein.

Warum ist der Rettungsfonds überhaupt nötig?

Lassen Sie es mich am Beispiel von Griechenland erläutern: Wenn sich ein Staat Geld leihen möchte - oder muss -, gibt er Staatsanleihen aus, bekommt dafür Geld und muss für diesen Kredit Zinsen bezahlen. Von einem Staat, der schlecht gewirtschaftet hat, niedrige Steuereinnahmen und eine schlechte Infrastruktur hat, werden höhere Zinsen verlangt als von einem Staat mit guten volkswirtschaftlichen Grunddaten. Ein höheres Risiko, sein Geld zurück zu bekommen, kostet mehr Zinsen. Wenn nun gegen einen solchen Staat spekuliert wird, ist es möglich, dass die Zinsen sehr stark ansteigen.

Das wiederum kann dazu führen, dass der Staat sich keine Kredite mehr leisten kann, womöglich sogar bei der Bezahlung der Zinsen Schwierigkeiten bekommt und in eine Phase der Insolvenz gerät. In eine solche Situation gerät ein Staat schneller, wenn er "über seine Verhältnisse gelebt" hat. Allerdings haben viele Menschen in vielen Staaten nicht über ihre Verhältnisse gelebt, und trotzdem ist der Staat überschuldet. Das kann viele Gründe haben, etwa weil bestimmte Schichten keine Steuern zahlen, viele Geschäfte im informellen Sektor ablaufen, Unternehmen ihre Gewinne ins Ausland bringen, Sozialsysteme unterfinanziert sind, Verwaltungen ineffizient arbeiten oder die wenigen Einnahmen des Staates in Prestigeobjekte fließen. Nun gibt es Vorschläge, Griechenland "einfach pleite gehen zu lassen, die Drachme wieder einzuführen, Inseln zu verkaufen" (FDP-Kollege) und andere vermeintlich intelligente Vorschläge mehr. Griechenland müsste die Drachme kräftig abwerten. Seine Altschulden bestünden aber weiterhin in Euro - könnten also niemals zurück bezahlt werden. Griechenland hätte mit einer schwachen Währung extreme Importprobleme. Andererseits fehlen für den Export industrielle Kerne und Produktion. Die Infrastruktur, der Aufbau der Wirtschaft und der Sozialsysteme würden gravierend gestört. Den armen Schichten ginge es noch schlechter. Damit müssten alle Gläubiger Griechenlands ihre Kredite praktisch zu 100 Prozent abschreiben. Die Spekulanten könnten sich dem nächsten Land zuwenden. Auf Deutschland würde eine kaum kalkulierbare Gläubigerbelastung im Milliardenbereich zukommen, weil im Zuge dieser Entwicklung weitere Staaten und Banken insolvent werden könnten.

Zwischenbemerkung: Damit Sie nicht denken, ich würde die Ursachen der Misere nur Einzelnen oder einzelnen Gruppen zuschreiben: Der Teil der globalen Krise, der auf Staatsversagen, Staatsverschuldung oder schlechte Regierungsführung zurückzuführen ist, muss auch von dort behoben werden. Würde der Finanzplatz allerdings auf realwirtschaftlichem Niveau angesiedelt sein statt mit virtuellen Werten unverantwortlich hohe Risiken anzuhäufen, dann wäre die Krise, auch die Krise der Staaten, viel schwächer, viel leichter beherrschbar. Jedenfalls müssen wir von Staaten mit Zahlungsschwierigkeiten erwarten, dass sie die innerstaatlichen Ursachen ihrer Krise beheben. Für Griechenland bedeutet das sicher mehr als hier angedeutet: Abbau der Staatsverschuldung und der Günstlingswirtschaft, Bekämpfung der Korruption, Aufbau einer funktionierenden Steuerverwaltung inklusive brauchbaren Liegenschaftskatastern, Ausbau der Infrastruktur und einer gesunden Wirtschaft - und das alles, ohne die Binnennachfrage abzudrosseln und mit Blick auf die soziale Lage der Bevölkerung.

Hinzu kommt eine konservative Opposition, die zuvor als konservative Regierung einen übergroßen Teil der Misere verursacht hat, sich aber nun Lösungsvorschlägen der Regierung verweigert. Die Quadratur des Kreises scheint dagegen ein Kinderspiel.
Die Konservativen in Europa sehen in schlechter öffentlicher Finanz- und Haushaltspolitik die Hauptgründe für die Probleme in den EU-Krisenstaaten. Damit steht dann schon fest, dass die Steuerzahler einspringen müssen. Mit dieser falschen bzw. halben Analyse genügt es den Konservativen, öffentliche Rettungstöpfe einzurichten und ansonsten "eisernes Sparen" zu fordern. "Eisernes Sparen" klingt gut, wie "eiserne Kanzlerin", würgt aber die Binnennachfrage ab, und die Zeche bezahlen schließlich jene, die die Krise bestimmt nicht zu verantworten haben: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Löhne gekürzt und deren Sozialleistungen geschliffen werden. Eine Abwärtsspirale. Tatsächlich liegen die Hauptursachen der Krisen aber in Spekulationen, die schließlich die Banken- und Finanzkrise zur Folge hatten. Also gilt es auch, die privaten Markteilnehmer an den Kosten der Krise zu beteiligen. In der Spekulation liegen Gewinn und Verlust eng beieinander, und wer in der Erwartung hoher Gewinne hohe Risiken eingeht, sollte sich auch auf einen hohen Verlust einstellen und nicht auf die Steuerzahler hoffen.

Wie Politik und Medien den Spekulanten helfen und den Ruin befördern
Schauen wir auf die internationalen Märkte, sehen wir Spekulanten. Die aggressivsten, die mit dem höchsten Schadenspotential, die mit der wirklichen oder virtuell größten Kapitalausstattung, die mit der größten Skrupellosigkeit, sind Hedgefonds-Manager. Nicht alle. Es gibt auch die Guten. Aber ich meine hier die anderen. Einige davon haben gegen bestimmte Länder spekuliert. Der Startpunkt war die Verbreitung schlechter Nachrichten z.B. über Griechenland. Neben den Spekulanten gibt es bestimmte Politiker, die gut beraten wären, gelegentlich ihren Mund zu halten, um gefährliche Wirkungszusammenhänge zu vermeiden: Ein starkes Land bekommt Geld für die Ausgabe von Staatsanleihen zu niedrigen Zinsen, weil der Kredit als sicher angesehen wird. Ein Land, das starke Freunde hat, wird auch als sicher angesehen. Wenn nun die Freunde, z.B. die EU oder eine sich als eiserne Kanzlerin andienende Staatschefin ankündigen, "mer gebbet nix für Griechenland", schießen die Zinsen für Staatsanleihen nach oben. Griechenland muss noch mehr bezahlen und die Spekulanten, die auf steigende Zinsen gewettet haben, machen den Gewinn.

Es kommt noch schlimmer. Wenn dann nach einigen Wochen doch wieder Freundschaftsgefühle aufkommen, weil halb Europa über eine solche Finanzpolitik lacht, sinken die Zinsen wieder - nun freuen sich jene Spekulanten, die auf sinkende Zinsen gewettet haben. Wenn die Kanzlerin diesen Zick-Zack-Kurs zeitlich ungeschickt fährt, zahlt der deutsche Steuerzahler zuerst den Gewinn des einen Spekulanten und dann auch noch den des anderen Spekulanten. Und weil Vizekanzler Rösler offensichtlich stark mit Westerwelle beschäftigt war und sich nicht um Deutschland kümmern konnte, wiederholte er den Fehler der Kanzlerin 1:1. Besonders teuer werden solche Vorgänge auch deshalb, weil sich die Effekte am Markt der Kreditversicherungen (Credit Default Swap, CDS-Markt) mit noch größerer Wucht niederschlagen. Neuerdings wird öfter von der "Krise des Euro" gesprochen. Im Kontext der eben beschriebenen Zusammenhänge wird deutlich, dass "die Rettung Griechenlands vor den Spekulanten (...) ein Akt notwendiger Solidarität, aber nicht eine Notmaßnahme zur Rettung des Euro" (Karl-Peter Wettstein, 1972 bis 2000 MdL, Dozent an der Fachhochschule des Bundes und der Berufsakademie Mannheim, in einem Aufsatz "Ist der Euro wirklich in Gefahr?").

Der Spekulation gegen einzelne Banken oder Länder soll der Boden entzogen werden; oder wenigstens sollen Regelungen gefunden werden, sodass sich hochriskante Spekulationen nicht mehr lohnen. Zu diesem Zweck soll die EFSF umfänglich am Markt agieren: Erstens darf sie Banken stützen, indem sie Eigenkapital zur Verfügung stellt (Rekapitalisierung). Zweitens darf sie "vorbeugend" Kredite an Staaten vergeben und drittens Staatspapiere aufkaufen, also am Sekundärmarkt aktiv werden. Damit wird die EFSF Marktteilnehmerin. Dieser Rettungsfonds muss sich Geld leihen, wofür aber die EU-Staaten gerade stehen. Zinsen für diese Kredite sind günstiger, wenn der Fonds ein gutes Rating hat. Die Ratingagenturen haben definiert, dass ein Rating mit der Bestnote AAA nur gegeben werden wird, wenn die Staaten für 780 Milliarden Euro bürgen, aber der Fonds konkret nur über 440 Milliarden Euro verfügen darf. Hier merkt man schon, wie krank das System ist. Staaten müssen auf Agenturen Rücksicht nehmen, die sich etwa in der Früherkennung der Krise als höchst unfähig erwiesen haben. Jedenfalls ist in der gegenwärtigen Struktur der Rettungsfond EFSF mit einem endlichen Festbetrag ausgestattet.

Hier sehe ich ein grundsätzliches großes Problem. Mit einem endlichen Rettungsfonds kann gegen diese definierte Grenze spekuliert werden, weil der Spekulant weiß, ab welchem Risiko oder ab welchem Betrag der Fonds nicht mehr mithalten kann. Auf den Exkurs über gedeckte und ungedeckte Leerverkäufe verzichte ich hier. Mit Blick auf die im Markt verfügbare Liquidität, die enormen Summen, die dort gehandelt werden, dürfte es nicht zu schwer sein, den Topf anzugreifen, indem sukzessive gegen einzelne Länder spekuliert wird. Deshalb wäre ein Rettungsmechanismus besser gewesen, der auf eine feste Obergrenze verzichtet hätte. Dann wüssten die Spekulanten, dass die Staaten unter keinen Umständen bereit sind, sich auseinander dividieren und durch Spekulation zerstören zu lassen - das Risiko für den Spekulanten würde unberechenbar groß. Gleichwohl bildet die EFSF eine Art Schutzschirm zwischen der Spekulation und der Geldbeschaffung von Staaten oder auch Banken in Not - wenn entsprechende Marktregulierungen durchgesetzt werden. Deshalb halte ich die Grundidee - Schutzschirm bzw. Rettungstopf - für richtig. Allerdings muss der Finanzmarkt künftig der Realwirtschaft dienen und nicht der spekulativen Geldvermehrung ohne jede Wertschöpfung. Weiter unten schlage ich als regulatorische Differenzierung das Trennbankensystem vor, um die schwierige Abgrenzung zwischen abstrakten Finanzprodukten und Produkten, die der Realwirtschaft dienen, zu definieren.

Mit der Erfahrung der Selbstzerstörungskräfte in den Finanzmärkten ergibt sich jedoch hier ein weiterer Grund, warum die Märkte, insbesondere zum Schutz solch öffentlich gespeister Rettungstöpfe eine schärfere Regulierung brauchen. Die SPD-Fraktion hat dazu einen Entschließungsantrag eingebracht, der leider von Schwarz-Gelb abgelehnt wurde.

Die G20-Länder hatten sich viel vorgenommen - und scheiterten in neoliberalen Nationalismen
Es gab schon vor den Staatsschuldenkrisen in Griechenland, Irland etc. gute Vorsätze, und wahrscheinlich würde es genügen, die im Jahr 2009 in Pittsburgh beim G20-Treffen der Staats- und Regierungschefs euphorisch verkündeten 128 Übereinkünfte umzusetzen. Leider ist aus Pittsburgh wenig geworden. Ein Beispiel: Dass die privaten Banken mit ihren Spekulationen und Fehlspekulationen nicht nur das Weltfinanzsystem in den Abgrund reißen konnten, sondern auch ganze Staaten in den Ruin treiben, hing mit ihrer Größe und mit ihrer Vernetzung mit Unternehmen, anderen Banken, Versicherungen, Staaten, privaten Ratingagenturen, etc. zusammen. Die Banken waren zu groß und systemisch zu stark vernetzt, um sie einfach pleite gehen zu lassen. Zu groß wären die Rückwirkungen auf Gläubiger gewesen, die vielleicht noch gar nichts davon gewusst haben, wer wo mit wie viel ihres Geldes spekuliert hat. Wir sprechen von "too big to fail" und "too connected to fail". Und was ist aus den Ankündigungen der Staatschefs in der Praxis geworden? Die Deutsche Bank, eine der Schuldigen, die toxische Papiere aus Amerika nach Europa gebracht hat, kauft die BFH Bank, das Bankhaus Oppenheim und die Postbank. JPMorgan, Erfinder toxischer Produkte in den USA, übernimmt Bear Stearns. Der Würgegriff der nun noch größeren Banken ist noch fester geworden, und die Staaten können kaum noch atmen.

Deutschland hat in den vergangenen zwei Jahren einiges versucht.
Der zaghafte Versuch in Deutschland mit dem Restrukturierungsgesetz die Abwicklung von Banken zu ermöglichen und Gläubiger im Ernstfall auch an Verlusten zu beteiligen, ist so stark verwässert, dass wohl kaum jemand Angst haben muss, tatsächlich für seine Risiken einzustehen. Das zeigt sich auch daran, dass Banker schon bald nach der Krise wieder in alter Manier Geschäfte machten. Hier haben CDU/FDP/CSU alle gute Vorschläge und Anträge der SPD-Fraktion niedergestimmt. Einige führe ich unten genauer aus.

Nachdem das von Peer Steinbrück eingeführte, zunächst befristete Verbot von Leerverkäufen auslief, hat die schwarz-gelbe Regierung dieses Verbot von ungedeckten Leerverkäufen erneut in Kraft gesetzt - eine gute Maßnahme, die allerdings viel intensiver mit den anderen EU Ländern diskutiert und auch dort eingeführt werden sollte. Eine notwendige aber nicht hinreichende Maßnahme.

Dass die Finanztransaktionssteuer - inzwischen macht ein Börsenhändler viele Millionen Geschäfte am Tag - noch immer von der FDP abgelehnt wird, wirft ein Schlaglicht auf die Verhandlungsstärke der schwarz-gelben Regierung in Europa. Es zeigt sich auch hier, dass die FDP nicht nur im Schwitzkasten der Hotellobbyisten steckt.

Wenn Sie an weiteren technischen Fragen interessiert sind, verweise ich Sie auf das "Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus" (StabMechG) mit den innerstaatlichen Ermächtigungen zur Bedienung der EFSF sowie die Verfahrensregeln für die Beteiligung des Bundestages.

Warum ist Regulierung neben der EFSF notwendig?
Geld allein genügt nicht. Die Hilfe aus der EFSF und ihrem Nachfolger, dem ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) dürfen nur vergeben werden, wenn sich die Mitgliedstaaten der EU zu Reformen verpflichten. Es braucht eine schärfere Regulierung von Banken und Finanzmärkten und deren Beteiligung. Sonst werden die EFSF ebenso wie der ESM Treibsätze zur Verlängerung und Verschärfung der aktuellen Krise auf dem Rücken aller Steuerzahler. Der Grund ist einfach: Private Marktteilnehmer auf dem Weltfinanzplatz gehen exorbitante Risiken ein und haben exorbitante Gewinnerwartungen. Wird der Gewinn erzielt, wird er privat eingestrichen; tritt das Risiko ein, entstehen dann riesige Verluste, und die Steuerzahler sollen dafür gerade stehen.

Dies ist eine Folge neoliberaler Politik und blinder Marktgläubigkeit. Durch die unkontrollierte Klumpenbildung nicht beherrschbarer Risiken in Wettgeschäften wurden Staaten, Gesellschaften, die Steuerzahler in Haftung genommen: Sie mussten hohe Beträge und Bürgschaften in Rettungsschirme einbringen, um die Zahlung noch höherer Beträge und die Haftung für noch höhere Risiken zu vermeiden. In einer solchen Phase ist es an der Zeit, jene "Genies", die den Finanzplatz bis zu seinem Untergang beherrschen, auch an den Kosten ihrer Investmentgeschäfte zu beteiligen. Risiko und Haftung gehören zusammen. Und wer schlecht mit dem Geld anderer Leute arbeitet, soll auch entsprechend schlecht bezahlt und nicht auch noch durch Bonuszahlungen belohnt werden.

Falsche Ratgeber
Investmentbanker, Hedgefonds-Manager, Rater in Ratingagenturen, also jene, die sehr viel mit den Ursachen der Krise zu tun haben, wollen uns glauben machen, die Verschuldung der Staaten sei die Hauptursache für die Krise: Bankenkrise, Marktversagen, Staatsschuldenkrise. Damit wäre dann auch eilfertig erklärt, warum die Steuerzahler die Krise zu bezahlen haben. Aber wir erinnern uns, dass es ursächlich die fehl gelenkte Zinspolitik der US-Notenbank FED unter Alan Greenspan war, die uns im Frühjahr 2007 mit der US-Immobilienkrise (Subprimekrise) den Zusammenbruch von Lehman Brothers beschert hat, dass es die Produktentwicklungen von Banken, speziell auch von JPMorgan waren, die uns toxische Bankbilanzen in Deutschland beschert haben, und dass es die Deutsche Bank mit einem Schweizer an der Spitze war, die sich als Brücke zwischen den USA und Europa andiente und so den Markt in eine Vertrauenskrise stürzte.

Im Moment hören wir viele gut gemeinte Ratschläge aus den USA, die allerdings mit Vorsicht zu betrachten sind. Die Übertragung US-amerikanischer Verhältnisse führt in die Irre: Die USA haben seit Jahren ein Außenhandelsdefizit, Deutschland hat einen großen Überschuss; die USA hatten viele Jahre eine negative Sparquote, heute ist sie schwach positiv, in Deutschland liegt sie bei 10 Prozent (leider können viele Menschen aber aufgrund niedriger Einkommen nicht sparen); die Gläubiger der USA sind nicht in den USA, die Gläubiger gegenüber dem deutschen Wirtschaftsraum sind innerhalb Europas, und last but not least wird die FED neben ihren Aufgaben zur Schaffung der Geldwertstabilität sehr stark zu fiskalischen Aufgaben eingesetzt, die EZB aber soll sich fiskalpolitisch nicht engagieren. Geld zu drucken ist für Europa keine Lösung. Aber das ist der Hauptvorschlag, den wir aus den USA hören. Und ob sich die Chinesen als Hauptgläubiger der USA wohl fühlen bei dem Gedanken an die Druckmaschine der FED, bleibt abzuwarten.

Fragen im Zusammenhang mit der Gründung der Eurozone
Schauen wir genauer auf die Europäischen Verträge: Schon nach den Vorschriften des Maastrichter Vertrags hätten z.B. Deutschland oder Belgien nicht in die Eurozone aufgenommen werden dürfen, hatten sie doch eine Gesamtverschuldung von mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Im Vergleich zu Italien oder Belgien in der Beitrittsphase wären Griechenland, Spanien oder Irland heute nicht besonders erwähnenswert. Die Krise dieser Staaten lässt sich also nicht einfach mit der Staatsverschuldung erklären. Karl-Peter Wettstein schreibt in dem oben bereits genannten Aufsatz "Ist der Euro wirklich in Gefahr?" zur Krise: "Hauptursache ist vielmehr die Spekulation gegen diese Staaten und gegen den Euro, nun wird es vielfach so dargestellt, als sei diese Spekulation einfach die Folge der Überschuldung. Aber weshalb wird dann nicht gegen den Yen spekuliert? Die Gesamtverschuldung Japan beträgt 270 Prozent gemessen am BIP. Oder warum wird dann nicht gegen den Dollar spekuliert? Immerhin sind die USA hoch verschuldet...". Wir müssen uns auf die Suche nach weiteren Ursachen machen - auch um herauszufinden, wer sich außer dem Steuerzahler, der Steuerzahlerin, noch an den Kosten der Krise zu beteiligen hat.

Es versteht sich von selbst, dass ein Staat mit stetig steigender - strukturell zukunftsgefährdender - Verschuldung stetig größere Probleme bei der Beschaffung von Geld hat. Seine Refinanzierung wird stetig schlechter, er muss ständig höhere Zinsen an seine Gläubiger bezahlen, öffentliche Investitionen gehen zurück, Aufträge und Beschäftigung geraten unter Druck, die Binnennachfrage lässt nach, das Steueraufkommen sinkt, die Infrastruktur wird schlechter - ein Teufelskreis. Also müssen sich alle Staaten anstrengen, ihre Verschuldung in den Griff zu bekommen. In einem solchen Fall, etwa in den USA, hilft es kurzfristig, Geld zu drucken - Inflationsgefahr inklusive. Im Fall Griechenlands z.B. würde eine Abwertung der Währung helfen, um preiswerter im Weltmarkt anbieten zu können, den Export anzukurbeln, um aus dem Teufelskreis heraus zu kommen. Die bereits genannten Risiken in puncto Schuldenrückzahlung bestünden hingegen fort. Griechenland kann aber sowieso nicht abwerten, weil der Euro in Europa als Ganzes nicht überbewertet ist. Im Gegenteil: schon heute leiden einige Länder unter dem Exportdruck des Export-Europameisters Deutschland, der lange Jahre sogar Exportweltmeister war. Export-Europameister wurde Deutschland auch, weil z.B. die Reallöhne seit vielen Jahren sinken und die fehlende Binnennachfrage bei hoher Sparquote relativ schwach ist. Hieraus ergeben sich weitere Notwendigkeiten, wollen wir künftige Krisen vermeiden helfen: Kohl und Waigel haben gedacht: "Geld". Und sonst nichts. Ehrenwort. Sie dachten, der Euro, eine gemeinsame Währung halte alles zusammen.

Obwohl es in Europa andere Kräfte gab, wurden die Kriterien im Vertrag von Maastricht auf wenige fiskalische und monetäre Vorgabewerte reduziert, die "seit Lissabon" unter Art. 140 im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union zu finden sind:
* Die Inflationsrate darf nicht mehr als 1,5 Prozent über derjenigen der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten liegen.
* Der staatliche Schuldenstand darf nicht mehr als 60 Prozent und die jährliche Nettoneuverschuldung nicht mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen.
* Der Aufnahmestaat muss mindestens zwei Jahre lang ohne Abwertung am Wechselkursmechanismus II (bei einer Bandbreite von 15 Prozent vom Eurokurs) teilgenommen haben.
* Der Zinssatz langfristiger Staatsanleihen darf nicht mehr als zwei Prozentpunkte über dem Durchschnitt der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten liegen.

Reduziert auf diese rein monetär und fiskalisch geprägten Parameter als Beitrittsvoraussetzungen geraten im Zweifelsfall andere Werte unter Druck, so z.B. Konvergenz der Sozialsysteme, wirtschaftspolitische Koordinierung, Beschäftigungs- bzw. Arbeitsmarktpolitik, fiskalische Koordinierung unter Einschluss der Steuerpolitik.

In diesem Zusammenhang hat Deutschland gegenwärtig die größten Probleme. Es ist absolut schädlich für die Regulierung der Finanzmärkte und ihrer Durchsetzung, wenn die deutsche Regierung im Klein-Klein über Steuersenkungen streitet anstatt verlässliche und europataugliche Entscheidungen zu treffen.

Und so bleiben die größten Probleme weiter bestehen: Keine klaren Regeln für Schattenbanken, keine klaren Verantwortlichkeiten für Finanzmanager, übermächtige US-Ratingagenturen mit gravierenden Fehleinschätzungen etc. etc. Hierzu finden Sie mehr im zweiten Abschnitt meiner Antwort.

Herr E. fragt an anderer Stelle unter www.abgeordnetenwatch.de und schränkt meine Antwort ein: "... nicht das Argument das wir in D am meisten von Euro profitieren." Was soll ich machen, wenn ein Bürger nur an der halben Wahrheit interessiert ist? Er fragt ja vermutlich in der Gewissheit, die ganze Wahrheit schon zu kennen. Ich kenne nicht die ganze Wahrheit, leide unter dem Restzweifel, auch falsch zu entscheiden. Das wäre dann später wieder zu korrigieren - ist aber besser, als im Schlingerkurs erst gar nicht zu entscheiden.

Ich halte es für wesentlich, die Vorteile des Euro für Deutschland und Europa zu erwähnen: Auch wenn sich die Stabilität einer Währung nicht hauptsächlich an ihrem Außenwert misst - ein stabiler Wechselkurs hat Vorteile. Und beim Start des Euro kostete er 1,18 Dollar, sein Außenwert stieg dann bis auf 1,60 Dollar... mit der letzten Abwertung liegt er heute mit 1,25 Dollar noch deutlich über seinem Einstandswert. Auch der Blick auf die Preisstabilität bestätigt die Bedeutung des Euro. Noch in den 70er Jahren lag die Inflation im Durchschnitt bei ca. 5 Prozent pro Jahr, in den 80er und 90er Jahren bei etwa 2,6 Prozent, und zwischen 1999 und 2009 bei nur 2,1 Prozent. Die Verbraucherpreise hätten sich auch ganz anders entwickeln können. Mit Blick auf die Stärke der deutschen Wirtschaft und ihrer Verflechtung in Europa sind auch die gesparten Kosten zur Absicherung von Währungsgeschäften von Bedeutung. Größere Preistransparenz, geringere Transaktionskosten und der vollständige Wegfall des Wechselkursrisikos sind weitere Effekte, die ich positiv erwähnen möchte, auch wenn sich diese nicht ganz leicht in Wachstumszahlen umrechnen lassen.

Dass Deutschland vergleichsweise gut durch die letzten Krisen gekommen ist, verdanken wir auch den Konjunkturprogrammen und den neuen Regeln zur Kurzarbeit - aber was wäre nicht alles denkbar, hätten wir in einer solchen Phase - angewiesen auf den Export - eine latent überbewertete DM statt der Gemeinschaftswährung gehabt? Es geht dabei um nennenswerte Größen: Der deutsche Warenexport betrug im Jahr 2000 knapp 600 Milliarden Euro, zehn Jahre später mehr als 950 Milliarden. Noch besser wäre es natürlich gewesen, wären zusätzlich die Reallöhne gestiegen, um die Binnennachfrage zu stärken.

Deutschland haftet für insgesamt 253 Milliarden Euro
Nun wäre noch zu fragen, ob die EFSF ausreicht. Zunächst sollte sie bis zu 440 Milliarden ausleihen können. Wie oben erläutert, machten jedoch die Ratingagenturen deutlich, dass sie ein AAA-Rating nur vergeben würde, wenn maximal nur 255 Milliarden entliehen werden dürften. Es war schnell klar, dass diese Summe nicht ausreichen würde. Um nun die ursprünglich geplanten 440 Milliarden Euro verfügbar zu machen, musste der Gesamtrahmen auf 780 Milliarden Euro aufgestockt werden. Von diesem Betrag ist Deutschland für 27 Prozent, also 211 Milliarden Euro, verantwortlich, Frankreich für 20,3 Prozent und die Niederlande für 5,7 Prozent, etc. Der IWF beteiligt sich leider auch - leider, denn seine Beteiligung zwingt oft zu unsozialen und für die Binnennachfrage schädlichen Maßnahmen. Darüber hinaus verantwortet Deutschland (die anderen Länder entsprechend) noch eine "Notfallreserve" von 20 Prozent der 211 Milliarden Euro - insgesamt haftet Deutschland damit für 253 Milliarden Euro. Die gute Nachricht: wenn alles gut geht, kein Land endgültig zahlungsunfähig wird, keine Bank insolvent wird, entstehen dem deutschen Staat keine Kosten.

Die EZB wieder konsolidieren
Ich meine, im Zuge der EFSF müssen wir auch die EZB wieder auf das konzentrieren, wofür sie gedacht ist: als Hüterin der Währung, deren primäres Ziel die Regulierung der Preisstabilität ist. Dass die EZB toxische Staatspapiere aufgekauft hat und sich so zu einer Bad Bank entwickelte, muss korrigiert werden. Hier hat die EZB fiskalpolitische Aufgaben - Notfallmaßnahmen - übernommen, weil die Staaten bzw. die Staatengemeinschaft die notwendigen Regulierungen und Rettungsmechanismen nicht schnell genug entwickelt hatten. Hier rächen sich Zögerlichkeit und Unentschlossenheit einiger Regierungen.
Über die jüngst auf der IWF-Tagung aufgeworfene "Hebelung", das Leveraging, der EFSF oder die Idee, die Fortsetzung der EFSF zum ESM so zu gestalten, dass der ESM Bankencharakter hat und sich Geld bei der EZB leihen kann, benötigen eine eigene Betrachtung.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meinen Ausführungen weiterhelfen. Weitere Überlegungen zu den Grundforderungen der SPD-Fraktion zur Lösung und zur Vorbeugung von Krisen (Teil 2) sowie eine Zusammenstellung des SPD-Europaabgeordneten Udo Bullmann über den Stand der Finanzmarktregulierung in Europa vom 20. September 2011 (Teil 3) finden Sie unter folgendem Link: http://www.lotharbinding.de/fileadmin/downloads/pdf/Briefe/EFSF_6-1_Antwort_a-watch.pdf

Ich würde mich über Ihren Besuch auf meiner Homepage freuen.

Mit freundlichem Gruß,
Lothar Binding