Frage an Lothar Binding von Frank B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Herr Binding,
leider haben Sie meine Fragen nicht beantwortet. Ich kann jetzt nicht beurteilen, ob dass aus Unwissenheit geschah, oder Sie nicht wollten. Deshalb versuche ich es erneut.
- Wie viel kosten uns die Türken jährlich inklusive Arbeitslosengeld 1 + 2, Renten, Integrationskurse und Justizkosten (Gerichtskosten, Pflichtverteidiger, Gefängnisaufenthalte und Antiaggressionstraining)?
- Was erwirtschaften Türken jährlich für Deutschland?
- Woher haben Sie die Zahlen, und wo kann ich sie nachlesen?
- Wie tief müssen die Löhne sinken, damit die Zuwanderung als Erfolg für Arbeitgeberverbände verbucht werden kann?
- Familienmitglieder (Zweitfrau, Drittfrau, Viertfrau, Eltern und Kinder) von in Deutschland lebenden Türken, sind in der Türkei mitversichert. ( http://www.hermesprojekt.de/downloads/sozialversicherungsabkommen/deutsch_tuerkisches_sozialversicherungsabkommen.pdf ) Wie hoch sind die jährlichen Zahlungen deutscher Krankenversicherungen an die Türkei? Wie hoch sind die gezahlten Renten in die Türkei?
Nachdem Sie sich negativ über ein Führungsmitglied der niederländischen Regierung – Geert Wilders - geäußert haben, habe ich fünf Zusatzfragen:
- Was können Sie für Deutschland positives aus dem Islam (nicht von den Moslems) gewinnen? Damit meine ich Vergleichbares wie die 10 Gebote der Katholiken.
- Woher nehmen Sie Ihre Erkenntnisse?
- Haben Sie sich mit dem Islam befasst, oder kennen Sie die Lehren von Mohammad nur vom Hörensagen?
- Aus welcher Glaubensrichtung (Moslems, Christen, Juden, Buddhisten usw.) wurden nach Ihren Erfahrungen seit dem 9. September 2001 die meisten Terroranschläge verübt?
- Was tun Sie gegen die zunehmende Deutschenfeindlichkeit auf deutschen Schulen? Die GEW hat dazu Stellung bezogen ( http://www.gew-berlin.de/blz/19635.htm )
Verschonen Sie mich bitte mit „Türken sind bestens integriert“, wenn Sie mir keine statistischen Zahlen/Belege vorweisen können.
Ich hoffe, dass Sie mir diesmal meine Fragen ausführlich beantworten werden.
Sehr geehrter Herr Borgmann,
Sie fragen z.B. nach den "jährlichen Zahlungen deutscher Krankenversicherungen an die Türkei". Dies ist in ausländerfeindlichen Kreisen eine alte Frage und deshalb gebe ich auch eine alte Antwort. Meine Antwort zeigt Ihnen, könnte Ihnen zeigen, dass Ihre Grundlage, Ihre mit dieser Frage implizierten Annahmen falsch sind. Da jegliche Implikation ohne Wert ist, wenn der Wahrheitsgehalt ihrer Prämisse zweifelhaft ist, dürfte es Ihnen schwer fallen, meine Antwort zu verstehen - denn Ihre Frage zielt auf einen leeren Anwendungsbereich: Tatsächlich gilt: Keine Mehrbelastungen, sondern sogar Einsparungen bei der Gesetzlichen Krankenversicherung, weil die Familienangehörigen in ihren Herkunftsländern verbleiben und somit nicht zu den deutlich höheren deutschen Sätzen medizinisch versorgt werden.
Darüber hinaus verweise ich auf meine Antwort auf Ihre früheren Fragen.
I. Vorbemerkung
Bereits seit Anfang des Jahres 2003 sind die Regelungen in den von Deutschland mit der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien geschlossenen Sozialversicherungsabkommen über die Mitversicherung von in der Türkei und im ehemaligen Jugoslawien wohnhaften Familienangehörigen in der deutschen Krankenversicherung in den Medien Gegenstand zahlreicher Artikel und Leserbriefe.
Ausgelöst wurde die Debatte durch verschiedene Artikel in der dem rechtsextremistischem Spektrum zuzuordnenden Zeitung „Unabhängige Nachrichten“. Diese behaupteten, die deutsche Krankenversicherung werde durch die Regelungen zur Familienversicherung in den o.g. Sozialversicherungsabkommen bei Aufenthalt in den jeweiligen Abkommensstaaten finanziell ausgebeutet. Die Bürger wurden in diesem Zusammenhang aufgefordert, sich zu diesem „unglaublichen Vorgang“ an die Bundesregierung und die Abgeordneten des Deutschen Bundestages zu wenden. In der Folgezeit verselbständigte sich die Diskussion, und zahlreiche besorgte Bürger verlangten, oft über ihre Bundestagsabgeordneten, Aufklärung.
In diesem Zusammenhang wird immer wieder behauptet, dass Deutsche auch aufgrund der Maßnahmen im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform immer mehr Opfer bringen müssten, gleichzeitig aber „Milliarden von Euro“ zur gesundheitlichen Versorgung von Familienangehörigen in die Türkei und ins ehemalige Jugoslawien transferiert würden. Dort würden Eltern, Geschwister und sogar Zweitfrauen auf Kosten der deutschen Krankenversicherung Leistungen beziehen, ein Zustand von dem „deutsche Versicherte nur träumen könnten“.
Nachdem die Diskussion dieses Themas abgeebbt war, begann sie wieder aufzuleben, aufgrund zahlreicher Wahlkämpfe. Insbesondere im letzten Europawahlkampf wurde dieses Thema von CDU/CSU-Politikern wieder verstärkt zum Diskussionsgegenstand in der Öffentlichkeit gemacht.
II. Sachverhalt und Bewertung
In der Türkei oder im ehemaligen Jugoslawien lebende Familienangehörige eines in Deutschland krankenversicherten Arbeitnehmers erhalten im Krankheitsfall Leistungen der Krankenversicherung ihres Wohnsitzstaates. Die der Krankenversicherung des Wohnsitzstaates hierdurch entstehenden Kosten sind von der deutschen Krankenversicherung zu erstatten. Rechtsgrundlage dieser Regelung sind im Verhältnis zur Türkei das deutsch-türkische Abkommen vom 30.4.1964 über Soziale Sicherheit und im Verhältnis zu Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Serbien und Montenegro das deutsch-jugoslawische Abkommen vom 12.10.1968 über Soziale Sicherheit. Mit Slowenien und Kroatien wurden eigene Sozialversicherungsabkommen am 24.9.1997 bzw. am 24.11.1997 geschlossen.
Bei diesen Regelungen handelt es sich um keine(!) Besonderheit in den von Deutschland mit anderen Staaten geschlossenen Sozialversicherungsabkommen. Sie entsprechen vielmehr internationalem Standard, wie er bereits seit vielen Jahrzehnten üblich ist. Diese Regelungen finden Anwendung in der allgemeinen Praxis sowohl des zwischenstaatlichen Sozialversicherungsrechts (bilaterale Sozialversicherungsabkommen) als auch des überstaatlichen Sozialversicherungsrechts (EU-Regelungen über Soziale Sicherung - VO (EWG) Nr. 1408/71 ). Sie beinhalten u.a., dass die Beiträge der Versicherten in aller Regel nicht nur der Abdeckung des eigenen Krankenversicherungsschutzes dienen, sondern zusätzlich auch der Abdeckung des Schutzes der nicht erwerbstätigen Familienangehörigen, die im Herkunftsland des Versicherten wohnhaft geblieben sind.
Um nicht in jedem einzelnen Behandlungsfall eine verwaltungsaufwändige Abrechnung mit der Krankenversicherung des Wohnsitzstaates der Familienangehörigen durchführen zu müssen, erfolgt die Abrechnung der Kosten in Bezug auf die Türkei, Serbien-Montenegro, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien durch kalenderjährlich zu vereinbarende Monatspauschalbeträge je Familie. Diese Beträge basieren auf den Durchschnittskosten der in den Wohnsitzstaaten geschützten Personen nach dortigem Recht und berücksichtigen die durchschnittliche Zahl der in diesen Staaten wohnenden Familienangehörigen. Bei der Abrechnung wird auf das Kostenniveau in den Wohnsitzstaaten der Familien abgestellt, also den durchschnittlichen monatlichen Aufwand in der jeweiligen Landeswährung. Der vereinbarte Monatspauschalbetrag wird je Familie unabhängig von der Zahl der anspruchsberechtigten Familienangehörigen gezahlt. Wichtig ist es in diesem Zusammenhang zu betonen, dass das pauschalierte Abrechnungsverfahren den Verwaltungsaufwand wesentlich verringert und daher auch im Interesse der deutschen Krankenkassen liegt.
Im Verhältnis zu Kroatien und Slowenien erfolgt die Abrechnung der Kosten durch kalenderjährlich zu vereinbarende Monatspauschalbeträge je Familienangehörigen.
Zu der Diskussion um die Kosten einige Fakten:
Für das Jahr 1999 (letzter mir bekannter vollständig abgerechneter Zeitraum) belief sich beispielsweise der vereinbarte Monatspauschalbetrag für die Betreuung einer Familie in der Türkei auf umgerechnet 17,75 €. Der türkischen Krankenversicherung wurden für die Betreuung von durchschnittlich 33.630 Familien im Jahre 1999 insgesamt umgerechnet ca. 7,1 Mio. € von der deutschen Krankenversicherung erstattet. Die gegenüber den übrigen genannten Staaten vorgenommenen Erstattungszahlungen (jeweils letzte abgerechnete Zeiträume) betrugen in 1999 für Bosnien und Herzegowina und Mazedonien zusammen ca. 1,22 Mio. €, in 2000 für Serbien und Montenegro ca. 0,21 Mio. €, für Kroatien und Slowenien in 2000 zusammen 1,87 Mio. €.
Die Erstattungsbeträge gegenüber den vorgenannten Abkommenstaaten zusammengefasst betragen noch nicht einmal 0,01 % der Gesamtausgaben der deutschen Gesetzlichen Krankenversicherung.
Die Familienversicherung der in den genannten Ländern lebenden Familienmitglieder ist schon deshalb eine sinnvolle Einrichtung, weil sie dazu beiträgt, dass sich ein Teil der aus diesen Ländern angeworbenen Arbeitnehmer dafür entschieden hatte, ihre Familienangehörigen nicht(!) mit nach Deutschland zu nehmen.
Nicht zu vernachlässigen ist, dass diese Regelung auch heute noch für einen Teil der über 500.000 aus der Türkei und ca. 280.000 aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer in Deutschland von Bedeutung ist, deren Familienangehörigen nicht nach Deutschland nachzogen, sondern aufgrund der Familienversicherung im jeweiligen Heimatland geblieben sind.
Der deutschen Gesetzlichen Krankenversicherung entstehen durch diese Regelungen keine Mehrbelastungen, sondern sogar erhebliche Einsparungen. Die Ausgaben der Krankenkassen würden deutlich steigen, wenn die Familienangehörigen nicht in ihren Heimatstaaten, sondern in Deutschland wohnen würden bzw. nach Deutschland nachzögen. Dies wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass sich im Jahr 2001 die Kosten der deutschen Gesetzlichen Krankenversicherung je Mitglied im Durchschnitt auf monatlich 213,- € beliefen.
Hinzu kommen die bereits oben erwähnten erheblichen Einsparungen an Verwaltungskosten durch das unbürokratische Verfahren der Monatspauschalbeträge.
Zum versicherten Personenkreis:
Für den Fall der Kostenabrechnung auf der Grundlage von familienbezogenen Monatspauschalbeträgen, folglich im Verhältnis zur Türkei, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Serbien und Montenegro, richtet sich der Kreis der anspruchsberechtigten Familienangehörigen nach den Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaates der Familienangehörigen.
Zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehören im Verhältnis zu den vorgenannten Vertragsstaaten regelmäßig die Ehefrau, sofern sie nicht selbst versichert ist, und die minderjährigen Kinder eines Versicherten. Zu der immer wieder aufgestellten Behauptung der Mitversicherung einer moslemischen Zweitfrau ist zu sagen, dass bereits 1926 die Einehe in der Türkei unter Mustafa Kemal Atatürk gesetzlich verpflichtend eingeführt wurde.
Eltern eines Versicherten mit Wohnsitz in der Türkei, Bosnien und Herzegowina oder in Serbien und Montenegro sind nur dann ausnahmsweise anspruchsberechtigt, wenn sie nicht ohnehin leistungsberechtigt nach den Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaates aufgrund einer eigenen Versicherung oder der Versicherung einer anderen Person sind und der Versicherte ihnen gegenüber unterhaltsverpflichtet ist. Eltern in Mazedonien sind nicht anspruchs-berechtigt. Geschwister eines Versicherten gehören in keinem der Länder zu den anspruchsberechtigten Personen.
Es wird zusätzlich immer wieder vorgetragen, dass Eltern eines türkischen oder jugoslawischen Versicherten, wenn sie sich nach Deutschland begeben, hier zu dem versicherten Personenkreis gehörten und folglich Leistungen der Gesetzlichen Krankenkassen erhielten. Hierzu ist zu sagen: Bei Verlegung des Aufenthalts nach Deutschland gilt deutsches Krankenversicherungsrecht mit der Folge, dass Ansprüche gegenüber der deutschen Krankenversicherung nicht bestehen; Eltern werden nach deutschem Recht nicht von der Familienversicherung erfasst.
Keine Anwendung der genannten Regelungen auf andere Vertragsstaaten:
Zu den immer wieder auftretenden Behauptungen, dass auch im Verhältnis zu weiteren Staaten mit denen Abkommensregelungen im Bereich der Krankenversicherung bestehen, solche Regelungen gelten würden, ist Folgendes bemerken:
Regelungen in bilateralen Sozialversicherungsabkommen, die auch die Krankenversicherung einbeziehen, sind mit den Ländern Israel, Polen, Marokko, Tschechien, Tunesien und Ungarn nicht vereinbart worden.
• Im Hinblick auf Israel beschränkt sich der deutsche Krankenversicherungsschutz auf die Mutterschaftshilfe;
• Im Verhältnis zu Polen kommt eine Mitversicherung von Familienangehörigen nur für entsandte Arbeitnehmer in Betracht;
• Im Verhältnis zu Marokko sind die Regelungen über die Sachleistungsaushilfe nicht in Kraft gesetzt worden;
• In Bezug auf Tschechien, Tunesien und Ungarn ist keine Kostenabrechnung durch Monatspauschalbeträge vereinbart worden, so dass die Mitversicherung von Familienangehörigen sich allein nach den deutschen Rechtsvorschriften richtet;
• In Bezug auf Kroatien und Slowenien richtet sich der Kreis der mitversicherten Familienangehörigen immer nach deutschem Recht.
Mit dem EU -Beitritt Polens, Tschechiens, Ungarns und Sloweniens zum 1. Mai 2004 gelten auch die o.g. europarechtlichen Regelungen, also insbesondere die Regelungen der o.g. Verordnung (VO (EWG) Nr. 1408/71).
III. Fazit
Keine ungerechtfertigte Besserstellung ausländischer Versicherter in der deutschen Gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund der genannten Sozialversicherungsabkommen;
Strikte Einhaltung der internationalen und supranationalen Standards wie sie innerhalb der EU bestehen;
Keine Mehrbelastungen, sondern sogar Einsparungen bei der Gesetzlichen Krankenversicherung, weil die Familienangehörigen in ihren Herkunftsländern verbleiben und somit nicht zu den deutlich höheren deutschen Sätzen medizinisch versorgt werden;
Erhebliche Kostenreduzierung bei den gesetzlichen Krankenkassen aufgrund des unbürokratischen Verwaltungsverfahrens (Abrechnung aufgrund von Monatspauschalen).
Ich hoffe sehr, Ihnen mit diesen Informationen Ihre Unterstellungen korrigieren zu können und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Lothar Binding