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Frage von Eva G. •

Frage an Lothar Binding von Eva G. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Binding,

nach dem Regierungswechsel und insbesondere angesichts der Regierungsbeteiligung der FDP befürchte ich, dass notwendige Reformen der internationalen Finanzmärkte nur noch halbherzig oder sogar gar nicht mehr vorangetrieben werden. Ich habe – auch als interessierte Zeitungsleserin! – den Eindruck, dass viele Ankündigungen und Vorschläge, wie man aus der Krise herauskommen kann, irgendwie im Sande verlaufen sind. Auf einer Ihrer Veranstaltungen haben Sie vor einiger Zeit von neuen „Verkehrsregeln“ für die Zeit nach der Krise und die künftige Gestalt der Finanzmärkte gesprochen.

Welche Vorstellungen haben Sie konkret? Wie kann man vorbeugen, damit sich solche schlimmen Entwicklungen nicht wiederholen können? Was kann man tun, um zu verhindern, dass normale Anleger bei unseriösen Geschäften – bewusst oder unbewusst – ein zu großes Risiko eingehen und unter Umständen ihr ganzes Geld verlieren?

Mit freundlichem Gruß
Eva Grand

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Antwort von
SPD

Sehr verehrte Frau Grand,

vielen Dank für Ihre Frage nach der Umsetzung einer effizienten und guten Finanzmarktregulierung. Ich bitte Sie vorab um Entschuldigung, wenn ich Ihnen eine längere Antwort zumute – aber „konkrete Vorstellungen“ können gelegentlich ausführlicher ausfallen als vielleicht erwartet…

Mit Blick auf die personelle Zusammensetzung der schwarz-gelben Bundesregierung und ihre unkritische Ausrichtung auf den unregulierten Markt teile ich Ihre Skepsis. Denn die marktradikalen Kräfte in der Bundesregierung sind offensichtlich fest entschlossen, das desaströse Scheitern ihrer neoliberalen Wirtschaftsideologie zu ignorieren und die alten Forderungen nur umso lauter vorzutragen: Weniger Staat, weniger Solidargemeinschaft, weniger Steuern sollen aus der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte herausführen – als ob Deregulierung um jeden Preis nicht gerade in fahrlässiger Weise in die internationale Krise hineingeführt hätte.

Die Einflüsterungen des politischen Neo-Liberalismus haben leider viele Menschen in die Irre geführt. Blindes Vertrauen auf die Selbstheilungskräfte des Marktes, populistische Rufe nach lockeren Regeln und weniger Staat – auch in den Wirtschaftsredaktionen vieler Zeitungen – haben unser Leitbild einer sozialen Marktwirtschaft herausgefordert. Denn es waren Fehlentscheidungen privater Marktteilnehmer, die das Vertrauen vieler Bürgerinnen und Bürger in unsere Wirtschaftsordnung nachhaltig erschüttert haben. Die gezielte Umgehung der Finanzmarktsicherungssysteme, die verantwortungslose Missachtung von Eigenkapitalvorschriften, die leichtfertige Kreditvergabe und der Weiterverkauf gebündelter Kreditrisiken, das Versagen von Bankvorständen und Aufsichtsräten, Rating-Agenturen und Wirtschaftsprüfern haben die Krise mitverschuldet.

Wer bisher internationale Regulierungen zum Schutz von Verbrauchern, Arbeitnehmern und Unternehmen vorgeschlagen hatte, wurde sprichwörtlich ausgelacht – unter heftigem Beifall der FDP und Teilen der CDU. Viele kluge Regelungen der letzten Jahre tragen allerdings eine sozialdemokratische Handschrift; ich denke etwa an die neue Eigenkapitalvereinbarung Basel II, an das Investmentgesetz mit der Regulierung von Hedge-Fonds und Anlegerschutzbestimmungen, an die Umsetzung der europäischen Finanzmarktrichtlinie, die Gründung einer Allfinanzaufsicht für Banken, Versicherung und Wertpapierhandelsunternehme oder auch an das Risikobegrenzungsgesetz. Wären Länder wie die USA gefolgt und die innenpolitische Unterstützung für unsere Finanzminister Eichel und Steinbrück größer gewesen, hätte mehr erreicht werden können – und die Krise wäre viel schwächer ausgefallen.

Es kam anders: In vielen Fällen wurden Finanzmarktregulierungsvorschriften umgangen, der von deutschen Behörden überwachte Rechtsraum verlassen und die Handlungsmöglichkeiten der Bundesanstalt für Finanzdienstleistung (BaFin) und der Bundesbank unterlaufen. Damit wurden aus Profithunger viele Vorgänge, Produkte und Institute einer Kontrolle durch die Aufsichtsbehörden entzogen. Diese Scheu vor den prüfenden Blicken der Kontrolleure hat letztendlich ein Geschäft mit unkalkulierbaren Risiken befeuert, dem im Herbst 2008 zuerst die amerikanische Lehman-Bank zum Opfer fiel.

Damit griff die Krise auch auf andere Länder wie Deutschland über. Große deutsche Banken hatten diese windigen Produkte auf den deutschen Markt gezogen; vielfach wurden dabei – trotz teils geringer Gewinnsteigerungsmöglichkeiten – Kunden in extrem hohe Risiken geschickt. Leider verloren sie damit auch häufig den Schutz ihrer Einlagensicherungs- und Entschädigungssysteme. Letztlich wusste auch bei uns keine Bank mehr, wie viel „Giftmüll“ die andere in ihren Bilanzen führt. Die Folge: das Kreditgeschäft kam zum Erliegen; zudem fielen die Solvenzkrise in den USA und die Liquiditätskrise in Europa zusammen – eine fatale Situation für jede Volkswirtschaft, für die der Austausch von Geld die gleiche Bedeutung wie der Blutfluss für den menschlichen Organismus hat.

Die Folgen waren schmerzhaft und werden uns noch lange beschäftigen: viele Menschen haben ihren Arbeitsplatz verloren, viele Unternehmen die Krise nicht überstanden; die Haushalte von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen werden über viele Jahre mit einem Anstieg der Verschuldung zu kämpfen haben.

In dieser Situation setzt uns die neue Bundesregierung erneut ihren alten Wein in neuen Schläuchen vor und will uns den Abbau des Sozialstaats, die Privatisierung von Lebensrisiken und wolkiges Marktvertrauen als Medizin gegen die Krise einflößen. Dabei gibt es auch bessere Rezepte: Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode gezeigt, dass eine starke und leistungsfähige Solidargemeinschaft – nicht nur bei Sonnenschein, sondern gerade auch in stürmischen Zeiten – unverzichtbar für eine bessere und gerechtere Gesellschaft ist. Ich erinnere an die Konjunkturpakete, an die Gesetze zur Stabilisierung von Banken und Finanzmärkten, an das Bürgerentlastungsgesetz, an die Ziele und Schritte zur Senkung der Neuverschuldung, an Maßnahmen zur Austrocknung von Steueroasen, an das Einlagensicherungsgesetz, an das Gesetz zur Verbesserung der Finanzmarktaufsicht… Sie finden zu diesen Themen in diesem Forum und insbesondere auf meiner Homepage www.lothar-binding.de viele weiterführende und vertiefende Informationen.

Für eine Veranstaltungsreihe habe ich vor einiger Zeit – gestützt auch auf Vorarbeiten der Arbeitsgruppe Finanzen der SPD-Bundestagsfraktion – einige Aspekte zusammengetragen, die Ausgangspunkt für eine Debatte über Schlussfolgerungen und Lehren aus der Finanz- und Wirtschaftskrise sein können. Einige dieser Punkte greife ich im Folgenden auf, um Ihnen meine Überlegungen und Positionen anzudeuten.

Verbraucherschutz
• Offenlegung aller Abschluss-, Verwaltungs- und Kapitalanlagekosten
• Verlängerung der Verjährungsfrist bei Falschberatung
• Umkehrung der Beweislast bei fehlerhafter Anlageberatung
• Dokumentation des Anlageberatungsgesprächs
• Einführung einer klaren und verständlichen Risikokennzeichnung für Finanzprodukte

Wir haben die staatlichen Eingriffsmöglichkeiten, etwa im Bank- und Kreditwesen, im Wertpapierhandel, in der Investment- und der Versicherungsbranche gesetzgeberisch weiterentwickelt und insbesondere beim Anlegerschutz in der vergangenen Legislaturperiode deutliche Verbesserungen erreicht: Das von der damaligen Bundesjustizministerin Zypries initiierte „Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung“ stärkt die Rechtsposition der Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich, etwa durch die Einführung einer umfassenden Beratungs- und Dokumentationspflicht für das Anlagegespräch und die Abschaffung der kurzen Sonderverjährungsfrist. Der Anwendungsbereich des Gesetzes ist allerdings auf Wertpapiergeschäfte und die Anlageberatung von Banken beschränkt – es umfasst damit leider nicht alle Produkte, die auf dem Kapitalmarkt erhältlich sind, und nicht alle Finanzvermittler, die in diesem Bereich arbeiten.

Nach meiner Einschätzung ist dieses Nebeneinander von Norm und Ausnahme, von guter Regulierung und unzureichendem Verbraucherschutz, von Transparenz und bewusster Falschberatung, von aufsichtlicher Kontrolle und dunklen Nischen, von Seriosität und Verantwortungslosigkeit … kurz: von weißem und sog. grauem Kapitalmarkt eine der wichtigsten Ursachen dafür, dass viele Menschen ihr Geld und Vertrauen in die Finanzbranche verloren haben – die Schattenseiten der „liberalisierten“ Märkte.

Das Verbraucherschutzministerium hat im vergangenen Jahr eine Studie veröffentlicht, der zufolge 50 bis 80 % aller langfristigen Vermögensanlagen mit Verlust vorzeitig abgebrochen werden und sich die Vermögensschäden aufgrund falscher oder mangelhafter Finanzberatung auf jährlich 20 bis 30 Mrd. Euro belaufen. Auch wenn die individuellen Lebensumstände und Entscheidungen sowie die persönliche Verantwortung der Geschädigten hinter diesen Zahlen verschwinden, enthalten diese erschreckenden Zahlen doch einen deutlichen politischen Handlungsauftrag. Dies gilt umso mehr, wenn man weiterliest: „Je weniger Geld [bei den Anlegern; L.B.] vorhanden ist, um so höher die proportionalen Vermögensverluste durch schlechte Beratung. Diese Verteilung ist ordnungspolitisch problematisch und führt zu Kosten im Sozialsystem: Schlecht beratene Niedrigverdiener enden im Ruhestand oder bei Arbeitslosigkeit eher in der Sozialhilfe als schlecht beratene Verbraucher aus finanziell stärkeren Schichten.“ (Studie Anforderungen an Finanzvermittler – mehr Qualität, bessere Entscheidungen, S. 12)

Der Finanzausschuss des Bundestags hat in der abgelaufenen Legislaturperiode eine erste Anhörung zum Grauen Kapitalmarkt durchgeführt und dabei verschiedene Aspekte diskutiert, die als Ansatzpunkte für mehr und besseren Verbraucherschutz dienen können. Ich denke dabei etwa an die Einführung einer wirksamen und einheitlichen aufsichtlichen Kontrolle über alle Arten von Vermögensanlageprodukten und Finanzinstrumenten sowie über freie und gebundene Vermittler; an höhere Qualifikationsanforderungen; an eine Änderung der Anreizstrukturen in der Finanzvermittlung und -beratung; an eine obligatorische Berufshaftpflichtversicherung, an Registrierungs- und Dokumentationspflichten. Ich bin auf das Engagement der schwarz-gelben Bundesregierung an diesem Themenbereich und ihre Vorschläge zur Verbesserung des Anlegerschutzes gespannt…

Ich denke an Anreiz- und Vergütungssysteme in Kreditinstituten
• Ausrichtung der Anreiz- und Vergütungssysteme an der nachhaltigen Wertsteigerung eines Unternehmens und nicht am kurzfristigen Risiko
• Persönliche Haftung von Managern und Vorständen, Aufsichtsräten und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Begrenzung der Anzahl von Aufsichtsratsmandaten

Wir haben die Vergütungsvorschriften von Vorstandsmitgliedern, Geschäftsführern und Bankmitarbeitern in Positionen, die hohe Risiken begründen, geändert; damit wollen wir schädliche Anreize unterbinden, die leider viele Manager dazu verleitet haben, aus Eigennutz unverhältnismäßig hohe Risiken einzugehen. Häufig haben sie dabei die eigene Bank in spekulative Geschäftsfelder und abenteuerliche Anlagemodelle getrieben und dabei die eigentlichen Kernaufgaben der Kreditversorgung der Wirtschaft und der Betreuung von Sparerinnen und Sparern vernachlässigt.

Die Entwicklung der Managergehälter hatte in vielen – insbesondere börsennotierten – Unternehmen eine falsche Richtung eingeschlagen und sich immer stärker von der allgemeinen Einkommensentwicklung abgekoppelt. Die Einkommen der Chefs der DAX-Unternehmen stiegen dabei vom 14fachen des jeweiligen durchschnittlichen Belegschaftsgehalts auf das 44fache. Joachim Poß, der im SPD-Fraktionsvorstand für den Arbeitsbereich Finanzen zuständig ist und das Thema Managervergütung in den Verhandlungen mit der CDU/CSU betreute, hat darüber informiert, dass ein Großteil der variablen Bezüge dieser Manager in den letzten Jahren immer stärker auf kurzfristige Erfolgsindikatoren ausgerichtet wurden, anstatt auf eine nachhaltigen Unternehmenserfolg.

Die Vorstandsvergütung bleibt im Verantwortungsbereich des Aufsichtsrats – und dabei bei den Vertretern von Eigentümern und Belegschaft – und wird sich künftig u.a. nach folgenden gesetzlichen Vorgaben richten:

• Im Sinne der Förderung einer nachhaltigen Unternehmensführung sollen variable Gehaltsbestandteile künftig einen mehrjährigen Bezugszeitraum haben. (§ 87 Abs. 1 AktG)
• Aktienoptionen sollen künftig statt nach zwei, frühestens nach vier Jahren eingelöst werden können. (§ 193 AktG)
• Um Vorstandsvergütung und Vorstandshaftung künftig wieder in ein ausgewogeneres Verhältnis zu bringen, muss künftig bei sog. D&O-Versicherungen, d.h. Haftpflichtversicherungen, die für Schäden aus einem Fehlverhalten von Managern eintreten, ein Selbstbehalt zwingend vorgesehen sein. Für mindestens 10% jedes Schadens bis hin zu einer Gesamthöhe von anderthalb Jahresfixgehältern, muss jedes Vorstandsmitglied künftig selbst aufkommen. (§ 93 Abs. 2 AktG)
• Über Vorstandsvergütungen muss künftig stets der gesamte Aufsichtsrat entscheiden. Eine Delegation der Entscheidung an einen Präsidial- oder Personalausschuss ist nicht mehr möglich. Geheimen Kungelrunden wird so ein Riegel vorgeschoben. (§107 Abs. 3 AktG)
• Der Wechsel vormaliger Vorstandsmitglieder in den Aufsichtsrat eines Unternehmens kann grundsätzlich erst nach Ablauf einer Frist von zwei Jahren erfolgen.

Transparenz und Kontrolle der internationalen Finanzmärkte
• Zusammenarbeit der nationalen und internationalen Finanzmarktaufsicht
• Verbesserung der Aufsicht und Kontrolle für neue Finanzprodukte
• Verbindliche und einheitliche Regelungen für Rating-Agenturen
• Straffe Regulierung bei Hedge-Fonds, Private Equity-Fonds und Staatsfonds
• Dauerhaftes Verbot schädlicher Leerverkäufe

Damit sich eine derart schlimme Krise nicht wiederholt, ist auch eine wirksamere Überwachung der Finanzmärkte unverzichtbar. Denn „Verkehrsregeln“ für die weltweiten Finanzmärkte in Form kluger nationaler Gesetze und ehrgeiziger internationale Vereinbarungen greifen nur dann, wenn ihre Einhaltung auch kontrolliert und Fehlverhalten bestraft werden.

Erste Schritte in diese Richtung haben wir noch in der abgelaufenen Legislaturperiode unternommen. Mit dem „Gesetz zur Stärkung der Finanzmarkt- und der Versicherungsaufsicht“ erhält die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) innerstaatlich mehr Befugnisse. Um den laufenden Regulierungsvorhaben auf europäischer Ebene nicht vorzugreifen, konzentriert sich unser Gesetz auf besonders wichtige Ziele:

• Stärkung der Prävention,
• bessere Information der Aufsicht durch zusätzliche aufsichtliche Meldungen,
• verbesserte Eingriffe in Krisensituationen und
• Stärkung der Verantwortung der handelnden Personen.

In Zukunft kann die Finanzmarktaufsicht die gesetzlich vorgeschriebene Höhe des Eigenkapitals eines Finanzinstitutes in Abhängigkeit von Geschäftsrisiken heraufsetzen. Unsere Zielsetzung ist klar und einleuchtend: Je größer das Risiko für eine Bank ist, dass ein Schuldner seinen Kredit nicht mehr bedienen kann, desto dicker muss das Eigenkapitalpolster der Bank sein, um für den Ernstfall – sprich das Ausbleiben der Zins- und Tilgungszahlungen – gerüstet zu sein.

Weiter können bankaufsichtsrechtliche Maßnahmen wie das Kredit- und Gewinnausschüttungsverbot an die Anteilseigner frühzeitiger als bisher ausgesprochen werden. Änderungen im Bereich der Versicherungsaufsicht sollen u. a. die Aufsicht über Versicherungsholding-Gesellschaften verschärfen sowie vertiefte Informationen über die Kapitalmarktaktivitäten von Versicherungsgesellschaften und ihren Zweckgesellschaften erbringen.

In Ergänzung zu diesen gesetzlichen Regelungen hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in einem Rundschreiben die sog. „Mindestanforderungen an das Risikomanagement von Banken und Versicherungen“ (MaRisk) konkretisiert. Dabei wurden einige Vorgaben europarechtlicher Aufsichtsgesetze – im Bereich der Eigenkapitalvorschriften und der Versicherungsaufsicht – in den deutschen Anwendungsbereich übertragen. Künftig sind also nicht mehr nur die Geschäftstätigkeit und Marktposition von Kreditinstituten, sondern auch ihre Vergütungssysteme Gegenstand der Risikoüberwachung durch die Finanzaufsicht.

Mit diesen Verbesserungen hat die Finanzmarktaufsicht die Möglichkeit, schärfer zu kontrollieren und Fehlverhalten strenger zu ahnden. Die Befugnisse von Bundesbank und BaFin stoßen allerdings leider häufig noch auch auf Hindernisse, die ihre Arbeit erschweren. Denn die Finanzmarktaufsicht – ihre politisch-gesellschaftliche Ausrichtung, ihr gesetzlicher Auftrag, ihre rechtliche Handlungsgrundlage, ihre Eingriffsmöglichkeiten und insbesondere auch ihre grenzüberschreitende Einbindung in den europäischen und weltweiten Finanzmarkt – liegt an der Nahtstelle verschiedener Rechtsräume: Nationalstaat, Europäische Union, Internationale Wirtschaftsordnung. Die Aufsicht ist nationalstaatlich organisiert oder, wie insbesondere im Fall der EU, auf nationalstaatliche Umsetzung angewiesen. Die zahlreichen unterschiedlichen Marktteilnehmer – etwa Banken und Versicherungsunternehmen, Investmentgesellschaften und Fonds, die miteinander vernetzten Steuerrechtsabteilungen international operierender Großkonzerne, Rating-Agenturen, Wirtschaftsanwälte und Buchprüfer, institutionelle Großanleger und zunehmend auch private Kleinanleger – hingegen agieren in einem grenzüberschreitenden, tendenziell sogar grenzenlosen Umfeld.

Die Kapitalverkehrsfreiheit, eine der vier Grundfreiheiten innerhalb der EU, ist eine der Ursachen für die Entstehung dieser globalen, lange unregulierten und „liberalisierten“ Handelsplätze. Aus dieser Grundstruktur des internationalen Finanzmarkts entstanden Schwierigkeiten für die Durchsetzung unseres demokratischen Gestaltungsauftrags und des Prinzips der Verantwortlichkeit für politische Entscheidungen. Denn das Bewusstsein für den sozialen Mehrwert guter Finanzmarktregulierung oder fairer Steuergesetzgebung war und ist zwischen verschiedenen Staaten und Rechtsgebieten sehr unterschiedlich ausgeprägt. Einige Steueroasen, Off-Shore-Finanzzentren und Hoheitsgebiete erheben keine oder nur sehr geringe Steuern und drücken bei Finanzmarktregulierung und Verbraucherschutz beide Augen fest zu. Aber auch Mitgliedstaaten der EU oder der OECD verschafften sich mit ihrem Steuerrecht lange Zeit einen wichtigen Standortvorteil im internationalen Wettbewerb, fügte gleichzeitig aber vielen anderen Ländern empfindlichen Schaden zu. Es entstand ein „Aufsichtsgefälle“ zwischen regulierten und unregulierten Bereichen, denn Anlagemodelle oder Geschäftsfelder, die in einem Staat mit guten Gründen unter staatlicher Kontrolle stehen oder sogar verboten wurden, sind im nächsten Staat ohne Auflagen erlaubt – ein Umstand, den viele Spieler auf den Finanzmärkten gerne ausnutzten, um sich demokratischer Kontrolle zu entziehen.

Auch andere Faktoren erschwerten die dringend erforderliche internationale Abstimmung bei der Finanzmarktaufsicht, die ich hier nur andeute: Abstimmungen und Entscheidungen durchlaufen im institutionellen Gefüge der EU einen langwierigen, oft mühsamen Prozess; zudem stehen nationale Eigeninteressen, die etwa an der Frage nach Auftrag und Kompetenz von Aufsichtsbehörden offensichtlich werden, einheitlichen Lösungen im Weg. Wo eine Harmonisierung oder Koordinierung der Finanzmarktregelungen und der Aufsichtsbehörden in der EU erfolgte, stand sie häufig alleine unter dem Leitmotiv, Wettbewerbsbeschränkungen im Binnenmarkt abzubauen. Man folgte dabei der Logik, aus den unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Aufsichtsniveaus dürften den Marktteilnehmern keine Nachteile entstehen. Leider ließ sich nach meiner Einschätzung daraus allerdings noch keine wirkliche gemeinwohlorientierte Wirtschaftsordnung mit einheitlichen und verbindlichen Schutzregelungen für Verbraucher und Anleger entwickeln.

Diese Mehrebenenstruktur des internationalen Finanzmarktes bietet allerdings auch Anknüpfungspunkte für kluge und wirksame Finanzmarktregulierung. Denn viele wichtige Partner, etwa die EU, die OECD und die G 20, haben derzeit die gleiche Denk- und Arbeitsrichtung. In vielen Bereichen wurden Debatten angestoßen und Entscheidungsverfahren eingeleitet, die zu guten Verkehrsregeln auf den internationalen Finanzmärkten führen können. Ich denke etwa an das Legislativ-Paket der EU-Kommission zur Reform der Finanzmarktaufsicht, an die Vorschläge zur Kontrolle von Rating-Agenturen, an die Abstimmung von Konjunkturprogrammen, an die Vorarbeiten für einheitliche Bilanzierungsstandards, Verbriefungsregelungen und Eigenkapitalvorschriften, an die Reform der Einlagensicherung und der Anlegerentschädigung, an die Erfolge bei der Bekämpfung der internationalen Steuerhinterziehung.

Ich hoffe, dass die neue Bundesregierung die entschlossenen und weitsichtigen Vorarbeiten Peer Steinbrücks in diesen Arbeitsgebieten weiterführt.

Mit freundlichen Grüßen,

Ihr Lothar Binding