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Frage von Matthias S. •

Frage an Lothar Binding von Matthias S. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrter Herr MdB Binding,

ich bitte um Ihre Meinung der Ursachen zum Thema Ärztemangel.

In jedem Bundesland stehen nachweislich mittlerweile hunderte Arztpraxen ohne Nachfolger da. Glauben Sie, dass das an der finanziellen Ausstattung liegt, oder sehen Sie andere Ursachen?

Auch die Krankenhäuser haben tausende freie Stellen.

Allein im letzten Jahr haben nach offiziellen Quellen über 3000 Ärzte Deutschland verlassen.

Gibt es tatsächlich einen Ärztemangel? Wenn ja, was ist zu tun um den Mangel zu beseitigen?

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Schreiber

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Sehr geehrter Herr Schreiber,

herzlichen Dank für Ihre Fragen. Sie schreiben „nachweislich„ und „nach offiziellen Quellen„ – ohne jedoch den Nachweis zu erbringen oder die offiziellen Quellen zu nennen. Deshalb gebe ich in meiner Antwort einige Quellen an… mit denen sich jedoch Ihre Behauptungen nicht bestätigen lassen:

Gelegentlich erhalte ich Zuschriften zu der sich scheinbar immer mehr zuspitzenden Situation im Arztberuf. Mir wird geschrieben, dass tausende Praxen geschlossen werden müssten, weil das Budget nicht mehr ausreiche, um die Praxen aufrechtzuerhalten. Mitarbeiter müssten entlassen werden. Patienten könnten nicht mehr ausreichend behandelt werden. Viele junge gut ausgebildete Ärzte würden ins Ausland abwandern, immer weniger junge Menschen würden sich für ein Medizinstudium entscheiden etc.

Es macht den Eindruck, dass diese in der Öffentlichkeit kursierenden Informationen gezielt von einer sehr starken Lobby gestreut werden. Denn Datenmaterial bezüglich der von Ihnen ausgeführten bundesweiten Nachfolgerproblematik in Arztpraxen ist mir nicht bekannt. Es lässt sich lediglich ein Hausärztemangel in ländlichen Gebieten Ostdeutschlands erkennen. Die Bereitschaft der Ärzteschaft, Praxen in diesen Gebieten zu übernehmen, scheint gering zu sein. Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben: In der Region um Heidelberg kommen auf einen Arzt 60 Bürger. Das ist ein Verhältnis, das wir fast nirgendwo in Deutschland finden. Die hohe Arztdichte in der Rhein-Neckar-Region hat sicher auch die Ursache darin, dass sich viele Mediziner lieber in Heidelberg niederlassen als in anderen, dünner besiedelten Gebieten. Hier zeigen sich die Spätfolgen der Strukturplanungsfehler in den ersten Jahren nach der Vereinigung.

Ursächlich für die schwache medizinische Versorgung in strukturschwachen Gebieten könnte deshalb auch sein, dass sich Ärzte nicht gerade dort niederlassen wollen wo die Verdienstmöglichkeiten schlechter und die Belastungen höher sind. Wer wollte das nicht verstehen? Angebote für Übernahme von Praxen bestehen gerade in den neuen Bundesländern im ausreichenden Maße. Ich denke, darüber muss offen gesprochen werden und daraus darf den Ärzten kein Vorwurf gemacht werden – dies darf aber auch nicht zur Pauschalkritik an der Politik missbraucht werden.

Um diesem Mangel in – wie es technisch manchmal heißt: Dünnsiedlergebieten – zu begegnen, haben wir die Möglichkeit zur Gründung medizinischer Versorgungszentren geschaffen. Mit Einführung der Medizinischen Versorgungszentren, MVZ, im Jahr 2004 können lokale Versorgungslücken geschlossen werden. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass die Versorgung der Patientinnen und Patienten an einem Standort sinnvoll sein kann, manchmal notwendig ist. Denn die enge Zusammenarbeit von Ärzten, Therapeuten und anderen Heilberuflern, die Verständigung über Krankheitsverlauf, Behandlungsziele und Therapie, kommt den Patientinnen und Patienten unmittelbar zugute. Durch den fachübergreifenden Zusammenschluss der Leistungserbringer unter einem Dach sind die Wege kurz, teure Doppeluntersuchungen können vermieden werden. Die Versorgungszentren bieten jungen Ärzten den Einstieg in die vertragsärztliche Versorgung ohne wirtschaftliches Risiko einer Praxisgründung.

Ebenso große Synergieeffekte sehen Krankenhäuser bei der Kooperation mit Medizinischen Versorgungszentren. Ende 2008 waren 5.536 Ärztinnen und Ärzte in Medizinischen Versorgungszentren tätig. Die Zusammenarbeit mit räumlich angegliederten ambulant tätigen Ärzten hat sich für Krankenhäuser als wirtschaftlich herausgestellt. Ende 2008 betrug die Anzahl der Zulassungen der Medizinischen Versorgungszentren 1.206. Davon befinden sich 37,2 Prozent in Trägerschaft eines Krankenhauses (Vgl. http://www.kbv.de/koop/9173.html ).

Darüber hinaus wurde im vergangenen Jahr die so genannte „68-Jahre-Grenze“ aufgehoben. Ärztinnen und Ärzte über 68 Jahre können nun wieder Kassenpatienten behandeln. Die früher geltende Altersgrenze wurde mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) rückwirkend zum Oktober 2008 aufgehoben. Beschlossen wurde die Altersgrenze im Jahr 1993, unter Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer. Sie galt seit 1. Januar 1999. In Zeiten der Überversorgung ging es darum, jungen Ärzten Möglichkeiten zur Niederlassung zu schaffen. Dafür sollten die Älteren mit 68 in den Ruhestand gehen. Die Zeiten haben sich geändert. Für ländliche Regionen in Ostdeutschland wurde die Altersregelung bereits im Jahr 2007 gelockert: Bei festgestellter Unterversorgung durften Ärzte dort wieder so lange in der Praxis arbeiten, bis die Unterversorgung behoben werden konnte.

Außerdem wurde das von Budgets und schwankenden Punktwerten geprägte Honorarsystem seit 2009 durch eine Euro-Gebührenordnung abgelöst. Die Euro-Gebührenordnung enthält Pauschalvergütungen in überschaubarer Zahl sowie Einzelvergütungen für besonders förderungswürdige Leistungen, zum Beispiel Hausbesuche. Für Haus- und Fachärzte gelten dabei unterschiedliche Kriterien, die den Unterschieden der hausärztlichen und fachärztlichen Versorgung Rechnung tragen. Im Rahmen der Euro-Gebührenordnung kommt es in den einzelnen Regionen dabei zu einer Preisangleichung, von der insbesondere die KV-Regionen profitieren, beispielsweise im dünner besiedelten Osten, in denen bislang deutlich unterdurchschnittliche Preise gezahlt wurden. Dem Argument der schlechten Verdienstmöglichkeit in diesen Gebieten wurde entgegengetreten.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat im Jahr 2007 eine Studie zur Altersstruktur- und Arztzahlentwicklung veröffentlicht. Die Studie weist aus, dass der Anteil der unter 35 jährigen Ärztinnen und Ärzte im Jahr 2006 15,9 Prozent betrug. Der Anteil der 60 jährigen oder älter lag im Jahr 2006 bei 11,4 Prozent. Im Durchschnitt waren im Jahr 2006 die Krankenhausärzte 40,9 Jahre, die Vertragsärzte 51,1 Jahre alt. Die Studie können Sie auf folgender Seite einsehen: http://www.bundesaerztekammer.de . Eine außergewöhnlich hohe Pensionierungswelle steht derzeit nicht an. Im Jahr 2007 waren im gesamten Bundesgebiet insgesamt 314.912 Mediziner ärztlich tätig, diese Zahl können Sie einsehen unter http://www.baek.de . Laut einer Statistik der Deutschen Krankenhausgesellschaft stieg die Zahl der Krankenhausbeschäftigten im Jahr 2007 um 0,3 Prozent auf 1.074.883 an; für die Zahl der Vollkräfte konnte ein leichter Anstieg auf 792.299 verzeichnet werden, siehe http://www.dkgev.de . Weitere Daten liefert auch die Fachserie 12 Reihe 6.1.1, 2007 vom Statischen Bundesamt.

Laut Bundesarztregister der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, KBV, ist nicht zu erkennen, dass die Anzahl der Vertragsärzte in der Zeit zwischen 1998 und 2007 abgenommen hat. Im Gegenteil: Im Jahr 1998 betrug die Anzahl der Ärzte, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilgenommen haben 125 071. Im Jahr 2007 betrug sie 134 172. Es ist eine deutliche Zunahme um 9101 zu erkennen; sie variiert allerdings unter den verschiedenen Arztgruppen. Es gibt immer mehr Ärzte pro Einwohner. Im internationalen Vergleich gehört Deutschland damit nach wie vor zu den Ländern mit überdurchschnittlicher Ärztedichte. Andere Länder versorgen ihre Bevölkerung mit deutlich weniger Ärzten.

Die von Ihnen angesprochenen Zahlen deutscher auswanderungswilliger Ärzte lassen sich ebenso in keiner mir bekannten Statistik nachweisen. Die Zahl der abwandernden Ärzte ist im Verhältnis zur Gesamtzahl der in Deutschland tätigen Ärzte gering. In der Realität nehmen jedes Jahr zudem etwa gleich viele deutsche Ärzte eine Tätigkeit im Ausland auf, wie ausländische Ärzte in Deutschland. Die Attraktivität des deutschen Gesundheitssystems scheint für Mediziner mit nichtdeutscher Herkunft recht groß zu sein. Denn die Zuwanderungsrate nach Deutschland bleibt hoch. Von den Neuzugängen, die die Ärztekammern in den letzten Jahren verzeichneten, waren 1404 ausländische Ärztinnen und Ärzte, das sind 15 Prozent aller Erstmeldungen im Jahr 2006. Im Jahr 2007 wanderten etwa 2.400 Ärzte ins Ausland ab. Die Zahlen sind in den letzten Jahren relativ konstant. Wanderungsbewegungen in einem zusammenwachsenden Europa sind völlig normal. Die Tatsache, dass Ärzte aus Deutschland abwandern, ist kein Hinweis auf dramatische Zustände. Viele kommen sicherlich mit wertvollen Erfahrungen nach Deutschland zurück. Bitte schauen Sie sich im Internet auf www.bmg-bund.de die Informationen zur Honorarreform an.

Im Gesundheitsbereich werden jährlich circa 260 Mrd. € umgesetzt. Der Anteil der Gesetzlichen Krankenversicherung betrug im Jahr 2006 147,6 Mrd. €. In Deutschland geht etwa jeder neunte Beschäftigte einer Tätigkeit im Gesundheitswesen nach, das sind 4,2 Millionen Personen. Der Gesundheitsbereich ist eine Wachstumsbranche. Im Gegensatz zu anderen Branchen steigt die Beschäftigtenzahl stetig. www.gbe-bund.de . Die finanzielle Ausstattung im Gesundheitswesen ist sehr gut.

Weitere Informationen zu der Situation der deutschen Ärzte finden Sie auf meiner Internetseite www.lothar-binding.de .

In der Hoffnung, dass ich Ihre Fragen konstruktiv aufgegriffen habe,
verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen
Lothar Binding