Frage an Lothar Binding von Susanne Z. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Binding,
gegenwärtig bitten einige Ärzte ihre Patienten Postkarten zu unterschreiben.
Folgender Text steht auf der Postkarte und soll unterschrieben werden:
"Lieber Abgeordneter, die Kassenärztliche Vereinigung erlaubt meinem Arzt nur noch ein Honorar*von 35,77 EUR pro Quartal (*RLV) für meine Behandlung abzurechnen, völlig
unabhängig, wie oft ich da war. Ich sehe bei dieser Bezahlung meine wohnortnahe medizinische Versorgung gefährdet.
Daher fordere ich die angemessene Bezahlung meines Arztes.
Unterschrift ..."
Was halten Sie von dieser Postkartenaktion der Ärzte mit Ihren Patienten und
halten Sie die Bezahlung der Ärzte für angemessen und gerecht?
Mit freundlichen Grüßen
Susanne Zeunert, Weinheim
Sehr verehrte Frau Zeunert,
vielen Dank für Ihre Fragen. Zunächst möchte ich auf die Behauptungen in dem Postkartentext eingehen, später auf den Stil einiger Ärzte und ihren Umgang mit Patientinnen und Patienten. Ich schreibe bewusst „einige Ärzte“, weil der große Teil in dieser Berufsgruppe sicher korrekt arbeitet und informiert und ich Pauschalurteile ablehne.
Zunächst eine wichtige Kleinigkeit: Auf der Postkarte findet man ein Sternchen (*) an dem Wort Honorar. Später findet man das Sternchen mit (*RLV) bezeichnet. Aber erklärt wird die Abkürzung „RLV“ nicht. Darin besteht schon die erste Irreführung der Patienten, weil jeder vermuten muss dass „meinem Arzt nur noch ein Honorar* von 35,77 EUR pro Quartal (*RLV) für meine Behandlung abzurechnen“ erlaubt sei. Das ist aber falsch.
Deshalb möchte ich dies voranstellen: Ein Regelleistungsvolumen ist laut Gesetz „die von einem Arzt in einem bestimmten Zeitraum abrechenbare Menge der vertragsärztlichen Leistungen, die mit den in der Euro-Gebührenordnung enthaltenen Preisen“ zu vergüten ist. Auch oberhalb des Regelleistungsvolumens wird also vergütet, nur nicht zu den gleichen Preisen. Dazu weiter unter mehr.
Es ist außerdem nicht zutreffend, dass ein Arzt für das Jahr 2009 ein Regelleistungsvolumen in Höhe von 35,77€ pro Patient im Quartal erhält. Bei diesem Betrag handelt es sich um den Fallwert. Entgegen der Aussage einer Reihe von Ärzten handelt es sich nicht um ein "Budget pro Fall", welches die pro Quartal abrechenbaren Behandlungskosten in einem konkreten Behandlungsfall begrenzt.
Der Fallwert wird auf Basis von regionalen Honorar- und Abrechnungsdaten der jeweiligen Arztgruppe ermittelt; es handelt sich somit um einen kalkulatorischen regionalen Fallwert der Arztgruppe ihres Arztes. Zum Vergleich: der Fallwert für Frauenärzte in einer anderen Kassenärztlichen Vereinigung liegt bei 16 Euro.
Da die regionalen Vertragspartner, Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen, einige in die Berechnung einfließende Größen unterschiedlich bewerten und die Regionen in Deutschland aufgrund der Durchschnittsfallzahlen und Leistungsmengen der Arztgruppen sehr verschieden sind, variieren die Fallwerte zwischen den Arztgruppen und zwischen den Regionen.
Das Regelleistungsvolumen eines Arztes ist nicht mit seinem tatsächlichen Honorar zu verwechseln, das er für die Behandlung des einzelnen Patienten im Quartal bekommt. Das Regelleistungsvolumen definiert einen Schwellwert, bis zu dem der Arzt seine Leistungen nach der Eurogebührenordnung zu festen Preisen abrechnen darf.
Das bedeutet, dass er bis zum Erreichen des Regelleistungsvolumens den vollen Preis für eine definierte Leistung bekommt. Er kann bis dahin jeden einzelnen Patient im Quartal zum „vollen“ Preis nach der Gebührenordnung behandeln. Wenn er darüber hinaus zusätzliche Leistungen erbringt, werden auch diese bezahlt. Diese Leistungen werden dann allerdings unter Umständen mit abgestaffelten Preisen vergütet. Der Arzt arbeitet dann auch nicht kostenlos, er bekommt in diesem Fall ein abgeschichtetes Honorar für diese Leistung.
Eine weitere Berechnung eines Regelleistungsvolumens finden Sie auf der Internetseite http://www.bmg.de :
„Liegt der relevante Fallwert z.B. bei 35 Euro und die Fallzahl des Arztes im Vorjahresquartal bei 1000, so beträgt sein RLV 35.000 Euro im Quartal. Unabhängig von dem Fallwert rechnet der Arzt alle Leistungen, die er bei der Behandlung eines Patienten erbringt, nach der Gebührenordnung ab, bei einem "schweren" Fall werden dies mehr Abrechnungsziffern sein, bei einem "leichteren" Fall – z.B. der Ausstellung eines Folgerezeptes - entsprechend weniger Abrechnungsziffern. Alle Leistungen, die vom Arzt abgerechnet werden können, sind in einem Leistungskatalog aufgeführt. Dieser gilt für alle gesetzlich versicherten Patienten. Jede Leistung hat eine eigene Abrechnungsziffer.
Bis zu einem Honorarvolumen von 35.000 Euro erhält er für alle Leistungen, welche der Mengensteuerung über Regelleistungsvolumina unterliegen, immer den vollen Euro-Preis aus der Euro-Gebührenordnung.“
Ärzte können weitere Leistungen, für die immer der volle Euro-Preis vergütet wird und die nicht durch das Regelleistungsvolumen definiert sind, abrechnen. Dazu zählen beispielsweise:
• Hautkrebs-Screening
Bei Wikipedia finde ich: „Unter einem Screening (englisch für: Durchsiebung, Rasterung, Selektion, Durchleuchten) versteht man ein systematisches Testverfahren, das eingesetzt wird, um innerhalb eines definierten Prüfbereichs – dieser besteht meist aus einer großen Anzahl von Proben oder Personen – bestimmte Eigenschaften der Prüfobjekte zu identifizieren. Ein Screening ist somit ein auf bestimmte Kriterien ausgerichteter orientierender Siebtest.“)“
• Sämtliche Präventionsmaßnahmen (Prävention = Vorbeugung)
• Ambulante Operationen
• Belegärztliche Leistungen
Belegärzte im Sinne § 121 SGB V sind nicht am Krankenhaus angestellte Vertragsärzte, die berechtigt sind, ihre Patienten (Belegpatienten) im Krankenhaus unter Inanspruchnahme der hierfür bereitgestellten Dienste, Einrichtungen und Mittel vollstationär oder teilstationär zu behandeln, ohne hierfür vom Krankenhaus eine Vergütung zu erhalten.
• Neue Leistungen
• Dringende Hausbesuche
• Leistungen im Notfall
• Akupunktur.
Das Regelleistungsvolumen darf somit auf keinem Fall mit dem Gesamthonorar des Arztes verwechselt werden. Ein Arzt kann viele Leistungen abrechnen, die gar nicht unter sein Regelleistungsvolumen fallen. Zudem erhält er auch nach Überschreitung des Regelleistungsvolumens noch Honorar für die abgerechneten Leistungen – eben die Vergütung mit dem abgestaffelten Preis. Schließlich kann ihm die Kassenärztliche Vereinigung auch noch Zuschläge zahlen, z.B. um ggf. auftretende überproportionale Honorarverluste auszugleichen. Daneben erzielt der Arzt im Regelfall zusätzliche Einnahmen aus privatärztlicher Tätigkeit.
Statistiken belegen, dass ein Arzt durchschnittlich 200.000 Euro im Jahr erwirtschaftet. Bei einem unterstellten Praxiskostenanteil von rund 55,6 Prozent verbleibt somit ein jährlicher GKV-Überschuss in Höhe von rund 88.000 Euro. Geht man davon aus, dass der Arzt 20 Prozent seiner Einnahmen mit Privateinnahmen erzielt, so kommt er auf ein Gesamteinkommen von rund 110.000 Euro. Andere Berechnungen führen ein durchschnittliches Einkommen von 120.000 Euro an. Mit diesem Einkommen gehören Ärzte zu den Spitzenverdienern in Deutschland.
Soweit meine fachliche Antwort, nun zum Stil jener Ärzte, die ihre Patienten für Ihre politische Agitation missbrauchen.
Ich halte es für bedenklich, wenn Ärzte, wie die von Ihnen zitierte Postkarte belegt, falsch informieren. Noch bedenklicher ist es, wenn Patienten einen vom Arzt vorgelegten Text unterschreiben sollen, der bedeutet, dass der Arzt (Spitzenverdiener) von seinen Patienten mehr Geld bekommen will, weil andernfalls ihre Behandlung/Versorgung gefährdet sei, ohne dass die Patienten dies durchschauen können, weil der zur Unterschrift vorgelegte Text unverständlich bis falsch ist.
Seit einigen Monaten bekomme ich solche Postkarten mit einem Text wie er von Ihnen in Ihrer Frage zitiert wird. Anfangs war der Absender der Patienten eingefügt. Ich habe die Absender also anrufen können und angerufen, um sie über den Sachverhalt korrekt aufzuklären. Viele Patienten waren über ihren Arzt, ihre Ärztin erschrocken. Ich habe auch die Ärzte angerufen und mit Ihnen darüber gesprochen, unter welchen Druck sie Patienten setzen. Eine Patientin sagte mir: „ich fühle mich regelrecht missbraucht, denn wenn ich nicht unterschreibe – werde ich dann künftig noch gut behandelt? Da habe ich natürlich unterschrieben.“ Auch deshalb habe ich Ärzte angerufen. Seither enthalten bestimmte Postkarten keine Absender mehr, sind zwar (unleserlich) unterschrieben, aber meine Adresse hat offensichtlich/vermutlich eine Helferin des Arztes geschrieben. Solche Verfahren halte ich für unerträglich. Einige Ärzte haben mir versichert, sich künftig an solchen Aktionen nicht mehr zu beteiligen. Auch hier sind also Pauschalurteile nicht angebracht.
Allerdings ist dies nicht meine erste Erfahrung in dieser Richtung. Vor einigen Jahren begann die Politisierung der Ärzteschaft durch MEDI. MEDI hatte über Flugblätter, mit falschem, Angst einflössendem Inhalt, die in Arztpraxen verteilt wurden, große Verunsicherung gestiftet. Es ging damals um die ddd, die „daily defined dose“, also die definierte, täglich zu verschreibende Dosis. Diese Falschinformation habe ich auf meiner Website dokumentiert. MEDI hat dies nicht korrigiert. Ich vermute, MEDI will sich bundesweit aufstellen, um mit bezahlten Funktionären Verbandspolitik zu betreiben. Um mehr Mitglieder zu finden, die hohe Beiträge bezahlen, wird das Mittel der Polarisierung gewählt. Ein altes Muster. Ich hoffe sehr, das sich die Kommerzialisierung der medizinischen Versorgung und die Politisierung des Gesundheitswesens wieder auf ein erträgliches Maß zurückführen lässt.
In der Hoffnung Ihre Fragen nicht zu ausführlich aber ausführlich genug
beantwortet zu haben, verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Ihr Lothar Binding