Frage an Lars Holster von Elke D. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Holster,
bisher konnten Grundschullehrer in Hamburgs Schulen selbst entscheiden, mit welcher Methode sie Schülern Lesen und Schreiben beibringen. Mein Sohn wurde nach Jürgen Reichen (Lesen durch Schreiben) unterrichtet und hatte schnell einen Stempel (LRS). Förderung max. 1 Std. pro Woche. Er hat einen IQ von 115. Hätte ich nur meinem Bauchgefühl vertraut, dass die Methode nicht die richtige war, aber die Lehrerin beschwichtigte und ich vertraute ihr. Seit dem schnitt mein Sohn bei der HSP stets etwas besser als 5 Prozentpunkte ab. In der 6. Klasse rutschte er unter 5 und bekommt nun ein Jahr die dringend benötigte Lerntherapie bezahlt. Sie wird nur bis zur 6. Klasse gewährt - also kommt er ein Jahr in diesen Genuss. Das wird seine Defizite nicht ausgleichen. Wahrscheinlich wird er keinen Schulabschluss erreichen, obwohl wir kein bildungsferner Haushalt sind. Mein Sohn wird nicht der einzige Betroffene sein. Warum hat der Senat so lange zugesehen? Hier wurden ohne Not zukünftige Hartz 4 Empfänger herangezüchtet. Bereits 2004 wurde die Marburger Studie veröffentlicht. Die Ergebnisse der Studie belegen beispielsweise, dass der Unterricht mit "Lesen durch Schreiben" 16 % rechtschreibschwache Kinder produziert hat. Nach Klasse 2 steigt die Zahl der geschädigten Kinder auf dramatische 23 % an. Mein Sohn wurde 2007 eingeschult! Jürgen Reichen war in der Hamburger Lehrerfortbildung tätig-ein charismatischer Mensch. Es gibt also viele Geschädigt. Viel zu spät wurde seine Methode in Hamburg verboten. Die Schulen können selbst entscheiden, ob sie Lehrer, Lerntherapeuten oder Oberschüler in der Förderung einsetzen. Mein Sohn war an drei Schulen. An einer Schule war der Unterricht/die Förderung sehr gut, an den beiden anderen wirklich sehr schlecht. Eine der letzteren soll meinen Sohn zum Schulabschluss führen. Fördern statt wiederholen? - das machen Oberstufenschüler! Soll man den Schulen weiterhin diese Freiheiten lassen?
Herzlicher Gruß Elke Duhnert
Sehr geehrte Frau Duhnert,
zunächst möchte ich auf Ihre kritischen Ausführungen zur Methode „Lesen durch Schreiben“ eingehen und danach aufzeigen, welche weiteren Unterstützungsmöglichkeiten es für Ihren Sohn geben könnte.
Schon zum Zeitpunkt der Einschulung Ihres Sohnes war die ausschließliche Anwendung der umstrittenen Methode „Lesen durch Schreiben“ in Reinform nicht zulässig. Im damals gültigen Rahmenplan Deutsch von 2003 steht im Kapitel „Lesen und Schreiben im Anfangsunterricht“, richtig schreiben lernen:
„Der Anfangsunterricht regt die Kinder durch das gemeinsame Nachdenken über Schreibweisen, durch die kontinuierliche Erarbeitung und Sicherung eines Rechtschreib-Grundwortschatzes, durch vielfältige Übungen sowie durch verstehendes Abschreiben dazu an, rechtschriftliche Strukturen der Schrift zu durchschauen. Damit fordert der Unterricht die Kinder heraus, ihr anfänglich meist an der Artikulation orientiertes Schreiben zunehmend der Norm anzunähern und langfristig orthografisch richtig zu schreiben“ (S. 13).
Einschlägige Untersuchungen haben gezeigt, dass die Kompetenz des Unterrichtenden und ein strukturierter Unterricht für den Lernerfolg größeres Gewicht haben als die eingesetzte Methode. Methoden haben zumeist Vor- und Nachteile, die es jeweils abzuwägen und auszugleichen gilt. So finden sich inzwischen auch in vielen Fibellehrwerken Anleihen an unterschiedliche Methoden.
Es gibt eine ganze Reihe von Erkenntnissen zum Schriftspracherwerb, auf denen der aktuelle Bildungsplan Grundschule Deutsch von 2011 beruht. Demzufolge ist die Arbeit mit Anlauttabellen in der Anfangszeit ein geeignetes Mittel für das freie Schreiben von Anfang an, dem - vor allem in Bezug auf die Motivation - hohe Bedeutung zukommt. In der deutschen Rechtschreibung spielen weitere Prinzipien eine zentrale Rolle. Es ist daher unabdingbar, dass Kindern bereits zu einem frühen Zeitpunkt die Möglichkeit gegeben wird, Schriftstrukturen zu entdecken und mit rechtschriftlich korrekten Schreibweisen vertraut zu werden. Sowohl ein alleiniger und längerfristiger Einsatz der sog. Reichen-Methode als auch der Einsatz jeder anderen Methode, die diesen Grundsätzen nicht entspricht, würde den Festlegungen des Bildungsplans entgegenstehen.
Die Behörde für Schule und Berufsbildung wird zur Verdeutlichung der geltenden Grundsätze vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um die Rechtschreibleistungen zum kommenden Schuljahr eine Handreichung zur Rechtschreibung für alle Lehrkräfte der allgemeinbildenden Schulen vorlegen.
Ich möchte nun auf die von Ihnen geschilderte Lernentwicklung Ihres Sohnes eingehen. Ihren Informationen entnehme ich, dass die Schulen, die Ihr Sohn besucht hat bzw. z. Zt. besucht, im Rahmen der Vorgaben (Hamburger Sprachförderkonzept, Richtlinie zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen) zur Förderung beigetragen haben und aktuell eine außerunterrichtliche Lernhilfe (AuL) gewährt wird.
Dabei muss der von Ihnen angedeutete ursächliche Zusammenhang zwischen der angewandten Methode „Lesen durch Schreiben“ und der bei Ihrem Sohn identifizierten Lese-Rechtschreib-Schwäche nicht zwingend gegeben sein. Als vordringlicher gegenüber einer Forschung nach möglichen Ursachen sehe ich zum jetzigen Zeitpunkt eine wirkungsvolle Unterstützung der weiteren Lernentwicklung Ihres Sohnes an.
Hierzu gehört nach der oben zitierten Richtlinie neben den schulischen Fördermaßnahmen auch eine abgestimmte Zusammenarbeit mit den Sorgeberechtigten. Die Schule informiert zu diesem Zwecke die Eltern u. a. über besondere Lehr- und Lernmittel, geeignete Fördermaterialien sowie über altersgemäße häusliche Unterstützungsmöglichkeiten. Vielleicht gibt es in diesem Bereich noch weitere Handlungsmöglichkeiten seitens der Schule.
Sollten Sie mit der Förderung durch die aktuelle Schule Ihres Kindes nicht zufrieden sein, möchte ich Sie ermutigen, das Gespräch mit der Schule zu suchen und sich beraten zu lassen. Ebenso können Sie sich direkt an das für die Schule Ihres Kindes zuständige Regionale Bildungs- und Beratungszentrum (ReBBZ) wenden. Auch dort werden Eltern beraten.
Auf Ihre Befürchtung, dass Schülerinnen und Schüler mit einer Lese-Rechtschreibstörung keinen Schulabschluss erreichen, möchte ich mit dem Hinweis antworten, dass es Schülerinnen und Schüler mit Beeinträchtigung der Entwicklung der Lesefertigkeit und der Rechtschreibfähigkeiten gibt, die die Schulabschlüsse bis hin zum Abitur ablegen. Hier unterstützt der vorgesehene Nachteilsausgleich; auch hierzu kann eine Beratung durch das ReBBZ erfolgen.
Mit freundlichen Grüßen
Lars Holster