Frage an Kornelia Möller von Michael W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Möller,
Ich beziehe mich auf den Art 146 GG:
"Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist."
Seit über 18 Jahren leben wir nun weiter mit dem "Provisorium" GG.
Wie steht Ihre Partei dazu, endlich einmal eine deutsche Verfassung
auf die Beine zu stellen, die :
- ausschließlich von den Bewohnern dieses Landes ohne Fremd- und Zwangseinwirkung verfasst wird,
- spitzfindige Interpretierungen durch Juristen weitgehend verhindert
- es zulässt,dass Abgeordnete zu jedem Zeitpunkt wieder abgewählt und ohne wenn und aber vor ein Gericht gestellt werden können, wenn sie sich einer Straftat schuldig gemacht haben,
- klar festlegt, dass ein politisches Amt in Bund und Land ein Vollzeitjob ist, der keine Nebentätigkeiten zulässt, ein Job, den die gewählten Politiker zu erledigen haben und nicht fremdbezahlte Lobbyisten
- die Macht der Parteien scharf eingrenzt, aber dafür jedem Bürger die Möglichkeit bietet, sich auch ohne Parteizugehörigkeit für ein politisches Amt zu bewerben,
- Bildung zum wichtigsten Gut des Volkes macht und ein Bildungssystem vorschreibt, das ausnahmslos jedem Kind die Möglichkeiten bietet, seine Anlagen und Fähigkeiten zu entwickeln,
- es verbietet, unsere Soldaten für die Interessen von Großmächten wie der USA im Ausland zu verheizen.
Ist seitens Ihrer Partei zu diesem Thema konkret etwas geplant?
Vielen Dank im Voraus für Ihre Antwort
Sehr geehrter Herr Welte,
vielen Dank für Ihre Frage. Die historische Chance, eine neue Verfassung per Volksabstimmung in Kraft zu setzen, wurde 1990 ausgeschlagen. Wäre die Einheit nämlich nach Artikel 146 Grundgesetz vollzogen worden, dann hätte eine neue Verfassung das Grundgesetz ablösen müssen. Stattdessen wurde ein Beitritt der DDR zur BRD und damit zum Geltungsbereich des Grundgesetzes vorgezogen. Dies geschah gemäß Artikel 23 Grundgesetz. Der wiederum schrieb keine neue Verfassung mit Volksabstimmung vor. Die Linke (PDS) war 1990 übrigens für eine Vereinigung beider deutscher Staaten nach Artikel 146 Grundgesetz.
Gleichwohl war mit Artikel 23 Grundgesetz der Weg zu einer neuen Verfassung nicht a priori versperrt. Es gab sogar eine namhafte außerparlamentarische Bewegung, die an entsprechenden Entwürfen arbeitete. Aber insbesondere die Unionsparteien und das Gros der SPD sprachen sich dagegen aus.
Es mangelte also am politischen Willen der Mehrheit des Bundestages und daran hat sich bis heute nichts geändert. Selbst der Versuch, wenigstens Volksabstimmungen auf Bundesebene ins Grundgesetz schreiben, scheiterte erst kürzlich, auch an der Ablehnung des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) und seines Bundesaußenministers, Joseph Fischer (Bündnis 90/DIE Grünen). In der gültigen Rechtssprechung gilt das Grundgesetz übrigens nicht mehr als Provisorium. Das ändert allerdings nichts an dem historischen Fakt, das es nie per Volksabstimmung autorisiert wurde, nicht 1949, nicht 1990, nicht danach.
Diejenigen, die sich in der Fraktion DIE LINKE derzeit mit diesen Themen befassen, sehen aktuell allerdings keine ernsthafte Chance für eine neue, große Verfassungsdebatte. Das ist zwar bedauerlich, aber eben die Realität. Deshalb konzentrieren wir uns darauf, auch auf Bundesebene endlich "mehr Demokratie" durchzusetzen. Denn in Fragen direkter Demokratie ist die Bundesrepublik Deutschland noch immer ein EU-Entwicklungsland. So plädiert DIE LINKE zum Beispiel für eine neue EU-Verfassung, die zeitgleich und EU-weit per Volksabstimmung(en) zu bestätigen wäre.
Mit freundlichen Grüßen
Kornelia Möller