Frage an Klaus Uwe Benneter von Elisa B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Benneter,
Was halten Sie von den nachfolgend zitierten, in einen Interview mit dem Deutschlandfunk getätigten Äußerungen Ihres Parteikollegen Thierse? Zitat:
Frage " Wenn es einer erklecklichen Anzahl von Bürgern gelingt, eine genehmigte Demonstration zu verhindern, ist das nur ein Grund zum Feiern?
Antwort Thierse: Es kommt schon auf die Art der Demonstration auch an. Ich finde ja den Vorgang deshalb von manchen Einzelheiten, die ich aus der Ferne nicht beurteilen kann, sympathisch, weil daran wieder sichtbar wird, unsere Demokratie muss verteidigt werden nicht nur von denen da oben, den Politikern oder von Staatswegen, von Polizei und Justiz, sondern es sind die Bürger selber, die ihre Demokratie verteidigen, ihre Straßen, ihre Plätze, ihre Städte, gegen rechtsextremistische Inanspruchnahme.,,,
Frage: Ich frage jetzt mal provokativ. Man stelle sich die umgekehrte Variante vor: Eine Bewegung zur Unterstützung einer multikulturellen Gesellschaft wird von einer Mehrheit der Bürger, die eine andere Meinung vertreten, am Demonstrieren gehindert. Das würde vermutlich gar nicht gut ankommen, wäre aber juristisch gesehen das gleiche, oder?
Antwort Thierse: Ja, aber man kann eben in der Politik und in der Demokratie nicht nur formaljuristisch argumentieren, sondern es geht schon darum, welches Anliegen welche Gruppierung vertritt, ob es dem friedlichen Zusammenleben der Gesellschaft dient, oder ob es stört, welche historische Erfahrung, welche historischen Erinnerungen wir mit welcher Art von Anliegen welcher politischen Position haben. Zitat Ende.
Gibt es Bestrebungen, innerhalb Ihrer Fraktion ein gesinnungsabhängiges Demonstrations- und Versammlungsrecht zu etablieren? Sollen verfassungsmäßige Grundrechte erst nach einem politischen Gesinnungstest gewährt werden? Und: Kennen Sie Voltaire? Wissen Sie, was er über das Recht zur Äußerung auch ihm missliebiger Meinungen sagte? Bitte weisen Sie als mein Wahlkreisvertreter Herrn Thierse auf Voltaire hin!
Sehr geehrte Frau Brandt,
herzlichen Dank für Ihre Frage zum Versammlungs- und Demonstrationsrecht.
Zunächst ganz klar: Nein, es gibt in meiner Fraktion selbstverständlich keine Bestrebungen, ein gesinnungsabhängiges Demonstrations- und Versammlungsrecht zu etablieren. Genauso wenig gibt es derartige Bestrebungen bei den anderen im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien.
Was am Samstag in Köln passiert ist, lässt sich aber auch nur bedingt mit dem Demonstrationsrecht erklären. Organisator des sogenannten "Anti-Islamisierungskongresses" war die im Kölner Stadtrat vertretene Partei /Pro Köln/. Diese Partei wurde 1996 als Ableger der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" von ehemaligen Mitgliedern der NPD und der Republikaner gegründet und ist unter anderem durch die Sammlung von Unterschriften gegen Kölner Flüchtlingsheime oder Moscheebauten bekannt geworden. Sie wird vom Nordrhein-Westfälischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft und beobachtet. Auf der geplanten Kundgebung des Kongresses sollte neben Mitgliedern der rechtsextremistischen Lega Nord aus Italien der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche sprechen. Nitzsche hatte mit "Arbeit, Freiheit, Vaterland" nicht nur den Wahlkampfslogan des französischen Vichy-Regimes wortwörtlich kopiert, sondern zudem auf einer öffentlichen Veranstaltung gefordert, dass "/Deutschland nie wieder von Multikultischwuchteln in Berlin regiert/" werde.
Sie verweisen auf Voltaire, sicher auf sein Zitat "Du bist anderer Meinung als ich und ich werde dein Recht dazu bis in den Tod verteidigen." Hier möchte ich in Ergänzung einen anderen Franzosen - Jacques Chirac - zitieren, der die Grenzen eben dieser Meinungsfreiheit deutlich macht: "Antisemitismus ist keine Meinung, sondern eine Aufforderung zum Töten!"
Was ich damit deutlich machen möchte: Jeder Deutsche genießt nach Artikel 8 des Grundgesetzes das Recht auf Versammlungsfreiheit. Dieses Recht ist ein elementarer Bestandteil unseres demokratischen Gemeinwesens. Auch die Abschlusskundgebung des sogenannten "Anti-Islamisierungskongresses" auf dem Heumarkt war genehmigt. Parallel zum Versammlungsrecht und dem Recht auf freie Meinungsäußerung (Artikel 5 Grundgesetz) sehe ich es aber als legitim an, dass Menschen Ihre Missbilligung von Meinungen äußern, die nicht in Einklang mit den Grundwerten und Zielen unseres demokratischen Gemeinwesens stehen. Insofern stimme ich Wolfgang Thierse zu, der es in dem Interview als "sympathisch" bezeichnete, dass 40.000 Menschen in Köln zum Ausdruck brachten, dass sie eine Meinung nicht tolerieren wollen, die andere Menschen gezielt ausgrenzt und stigmatisiert. Formaljuristisch war es mithin nicht im Sinne unserer Gesetze, dass die Kundgebung in Köln aufgrund der großen Anzahl an Gegendemonstranten abgesagt werden musste. Als deutscher Mitbürger begrüße ich es jedoch, wenn sich Mitmenschen gegen eine derartige rechtsextremistische Inanspruchnahme unserer Straßen und Plätze engagieren.
Denn Religion, das Christentum genauso wie der Islam, erschließt sich nicht in populistischen Verkürzungen. Vier Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung sind muslimischen Glaubens, jeder vierte von ihnen besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Etwa jedes zehnte in Deutschland geborene Kind hat Eltern muslimischen Glaubens. Sicherlich stimmen Sie mit mir überein, dass von der Mehrzahl dieser mehr als drei Millionen Menschen nicht die Bestrebung ausgeht, Deutschland in einen muslimischen Gottesstaat zu verwandeln. Im Gegenteil: Die große Mehrheit dieser Menschen bekennt sich zu unserer Gesellschaftsordnung und will seinen Teil zum Gelingen unseres Gemeinwesens beitragen.
Populistische Veranstaltungen wie die geplante Kundgebung in Köln laufen jedoch sämtlichen Integrationsbestrebungen -- sowohl seitens der Politik als auch der islamischen Gemeinden -- entgegen. Auf der anderen Seite sind wir gegenüber religiösem Extremismus nicht untätig: Die islamische Organisation Kalifatstaat aus Köln wurde 2001 in Deutschland verboten. Grundlage hierfür waren die unter der Regierung Gerhard Schröder beschlossenen Antiterrorgesetze. Der Anführer des Kalifatstaates, Metin Kaplan, wurde in der Türkei vor Gericht gestellt.
Sehr geehrte Frau Brandt, gerade in Berlin haben wir gelernt, dass Integration eine Sache von Geben und Nehmen ist. Wenn heute in der Öffentlichkeit unter "Multikulti" verstanden wird, dass jeder hier macht was er will, dann ist das nicht die Position meiner Partei. Aber wir wollen denjenigen, die hier leben, das Angebot machen, integrierte und vor allem gleichberechtigte Mitglieder unserer Gesellschaft zu werden.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Uwe Benneter, MdB