Frage an Klaus-Heiner Lehne von Peter K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Abgeordneter,
wie stehen Sie zu der Tatsache, dass Deutschland nicht zu Ländern gehört, gegen die keine Klagen wegen Verletzung der Europäischen Verträge geführt werden müssen, weil sie die Richtlinien der Europäischen Union fristgerecht in das jeweilige nationale Recht umsetzen?
Liegt es vielmehr daran, dass seit dem Ende der Vorbehalte der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs die deutschen Landes- und Bundesregierungen und 17 Parlamente des Bundes und der Länder immer öfter angebliche nationale deutsche Interessen gegenüber dem Ziel der europäischen Integration bevorzugen?
Ich erinnere mich eines Ausspruchs des früheren bayerischen Mininisterpräsidenen Dr. Steuber, dass es die Vereinigten Staaten Europas nie geben solle und werden.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Kort
Sehr geehrter Herr Kort,
herzlichen Dank für Ihre E-Mail vom 21.11.2008.
Es gibt praktisch keinen Staat in der Europäischen Union, gegen den nicht Vertragsverletzungsverfahren laufen. Das betrifft natürlich auch Deutschland. Die Europäische Kommission hat die Aufgabe, die Einhaltung der Europäischen Verträge zu überwachen und dabei auch dafür Sorge zu tragen, dass die Mitgliedstaaten europäische Rechtsakte ordnungsgemäß in eigenes Recht umsetzen. Dabei kommt es oftmals zu Interpretationsunterschieden und unterschiedlichen Rechtsauffassungen. Manchmal gibt es auch bewusste Verstöße der Mitgliedstaaten gegen europäisches Recht. Dies ist, zumindest in Deutschland, die absolute Ausnahme. Die Umsetzung europäischer Richtlinien funktioniert immer besser, jedenfalls besser als dies in der Vergangenheit der Fall war. Ich glaube, dass die aktuelle Situation mit dem Ende der Vorbehalte der Siegermächte nichts zu tun haben. Was ich allerdings schon glaube, ist, dass durch den Umzug der Bundesregierung nach Berlin und durch die deutsche Wiedervereinigung eine Verschiebung des politischen Fokus auf die nationale Ebene stattgefunden hat.
Um es kurz zu machen: Berlin nimmt sich wichtiger als Bonn. Das führt oft zu Konflikten mit Brüssel. Unsere Regierungen müssen manchmal erst einen Lernprozess durchlaufen, um zu wissen, was sie im europäischen Rechtsrahmen dürfen und was nicht. Dies hat übrigens nichts mit dem mehr theoretischen Streit zu tun, ob wir auf Dauer einen europäischen Bundesstaat haben wollen oder einen europäischen Staatenbund. Die Europäische Union ist weder das eine noch das andere. Sie ist eine Einrichtung besonderer Art, die dem klassischen Staatsverständnis nicht folgt. Sie verfügt über eigene Souveränitätsrechte, die ihr von den Mitgliedstaaten übertragen worden sind, aber hat dadurch, dass dies in einem beschränkten Umfang passiert ist und nicht die klassischen staatlichen Kompetenzen enthält, nicht die Funktion eines Bundesstaates. In diesem Sinne ist die Aussage von Herrn Dr. Stoiber durchaus richtig.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Angaben geholfen zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus-Heiner Lehne MdEP