Frage an Klaus-Heiner Lehne von Guido S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Lehne,
schränkt Ihrer Meinung nach der Lissabon-Vertrag das Recht auf Dokumentenzugang ein?
Dies scheint zumindest die Meinung der EU-Kommission zu sein. Im letzten Oktober hatte ich nach Verordnung 1049/2001 Zugang zu Dokumenten eines abgeschlossenen Gerichtsverfahrens vor dem EuGH beantragt und vollständig, d.h. inklusive der Schriftsätze des Klägers erhalten.
Im Januar 2010 hatte ich dann einen entsprechenden Antrag für ein anderes abgeschlossenes Gerichtsverfahren gestellt und jetzt wird mir zu den Dokumenten des dortigen Klägers (also z.B. zur Klageschrift), obwohl diese bei der Kommission vorliegen, der Zugang verweigert.
Begründet wird diese Verweigerung mit dem neuen Artikel 15 Abs. 3 AEUV, der entgegen dem früheren Artikel 255 EU-Vertrag jetzt auch den Gerichtshof erwähnt. Im Ablehnungsbescheid des juristischen Dienstes der Kommission - auf meinen Zweitantrag erhielt ich keinerlei Reaktion heißt es dazu:
"Zwar wird durch Artikel 15 Absatz 3 AEUV das Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union erweitert, doch wird in seinem vierten Abschnitt festgelegt, dass »[djieser Absatz [...] für den Gerichtshof der Europäischen Union, die Europäische Zentralbank und die Europäische Investitionsbank nur dann [gilt], wenn sie Verwaltungsaufgaben wahrnehmen".
Somit ist klar, dass dem Gerichtshof vorgelegte Dokumente - wie in diesem Fall die
Schriftstücke der Antragsteller - auch nach der Anpassung der Verordnung (EG)
Nr. 1049/2001 an den Lissabon-Vertrag nicht unter die Regelung für den Zugang der
Öffentlichkeit zu Dokumenten fallen werden."
Teilen Sie diese Rechtsauffassung nach der der Lissabon-Vertrag zu einer Einschränkung der Bürgerrechte im Bezug auf Dokumentenzugang geführt hat und wenn nein, wären Sie bereit dies im EP zu thematisieren?
Mit freundlichem Gruß
Guido Strack
Sehr geehrter Herr Strack,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Im Europäischen Parlament befassen wir uns zurzeit mit dem Vorschlag einer Verordnung über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission. Der Rechtsausschuss wies nachdrücklich in diesem laufenden Verfahren darauf hin, dass Artikel 1 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union fordert, dass die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft Entscheidungen möglichst offen und bürgernah treffen. Bürgerinnen und Bürger sollen daher einen möglichst weit reichenden Zugang zu den Dokumenten europäischer Organe haben.
Das Recht des Bürgers auf Information steht jedoch in einem Spannungsfeld zu dem Datenschutz und anderen schützenswerten Interessen. Naturgemäß handelt es sich hierbei auch um den problematischsten Aspekt der Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001. Schon die Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 sieht Ausnahmeregelungen zum Schutz gegenläufiger Interessen vor. Insbesondere enthält Art. 4 der Verordnung den Schutz von Gerichtsverfahren und Rechtsberatung als hinreichendes, dem Dokumentenzugang entgegenstehendes Interesse.
Art. 15 Absatz 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union unterstreicht den Rechtsgedanken, der auch hinter Art. 4 der VO Nr.1049/2001 findet, nämlich den Besonderheiten der Rechtssprechung Rechnung zu tragen. Dokumente des Gerichtshofes der Europäischen Union sind danach nur herauszugeben, wenn sie der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben zuzuordnen sind. Herkömmlich umfasst der Begriff der Verwaltung alle Tätigkeiten, die nicht der Gesetzgebung oder Rechtsprechung zuzuordnen sind. Erst der Vertrag von Lissabon erweitert in seinem Art. 15 entsprechend seinem Ziel eines demokratischeren und transparenteren Europas in grundsätzlicher Art und Weise das Recht auf Zugang zu Dokumenten auf solche des Gerichtshofs, begrenzt diese aber ob der Besonderheiten der Aufgabe der Rechtssprechung gleichsam auf die zu den Verwaltungsaufgaben gehörenden Dokumente. Durch den Vertrag von Lissabon werden somit die Rechte der Bürgerinnen und Bürgern auf Dokumentenzugang erweitert.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus-Heiner Lehne