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Klaus Hammer
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Frage von Rüdiger S. •

Frage an Klaus Hammer von Rüdiger S. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrter Herr Hammer,

ich bin über unser Schulsystem entsetzt und da nicht der Einzige. Die Diskussion beherrscht allerdings überwiegend die Frage, wie unsere Kinder lernen sollen. Die Fragen, ob alle Kinder 4 oder 6 Jahre gemeinsam lernen, ob die Ganztagsschule flächendeckend eingeführt werden soll oder die Frage, ob ein Turboabitur Sinn macht oder nicht, sind zweifellos sehr wichtig.
Es wird aber kaum danach gefragt, WAS unsere Kinder lernen. Wenn man sich die Lehrpläne ansieht, wird schnell klar, dass sie überfrachtet sind. Darüber hinaus lassen sie oftmals keine logische Stringenz im Lernstoff erkennen, was vor allem Schüler frustriert. Lehrer sind mit der Situation offenbar auch sehr oft überfordert. Die wachsende Nachfrage zwecks Nachhilfe und vor allem die überfüllten Praxen der Kinder- und Jugendpsychologen geben doch beredtes Zeugnis darüber ab, dass unser Bildungs-/Schulsystem vermurkst ist. Eltern als auch Fachverbänden verwehrt man de facto ein Mitspracherecht. Die Politik überlässt die Umsetzung ihrer Vorgaben oder Ideen der Kultusbürokratie.
Wie gedenken Sie eine Korrektur dieser unerträglichen Situation herbeizuführen oder meinen Sie, dass der derzeitige Kurs der richtige ist? Geben Sie sich wie etwa Herr Pinkwart mit den Angaben des Schulministeriums zufrieden, das unlängst etwa behauptete, die Lehrpläne seien entrümpelt? Es lässt sich leicht das Gegenteil beweisen. Lassen Sie unsere Kinder endlich wieder ohne ideologischen Ballast das lernen, was sie wirklich für ihr weiteres (Berufs-) Leben brauchen!

Freundliche Grüße,

Rüdiger Stritzke

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PIRATEN

Sehr geehrter Herr Stritzke,

Da ich das Bildungsprogramm unserer Partei aktiv mitgestaltet habe, bin ich sehr froh darum, dass Sie mir diese Frage gestellt haben.
„Natürlich kann man das dreigliedrige Schulsystem nicht begründen. Aber wir haben es nun einmal.“ Dieses Zitat eines Vortrages von Hr. Rösner vom Institut für Schulentwcklungsforschung in Dortmund im Zusammenhang mit der Bildungsoffensive Hassel, beschreibt, wie kein anderes die Situation unseres Bildungssystems.

Sie sprechen in Ihrer Anfrage zwei wichtige Punkte in der Bildungspolitik in NRW an. Das sind: Erstens die Lerninhalte und zweitens die Lernmethoden. Beide hängen unmittelbar zusammen und müssen meiner Meinung nach auch zusammen betrachtet werden.

Die Lernmethoden in unseren Schulen stammen noch aus einer Zeit, als der sogenannte "Nürnberger Trichter" noch als zeitgemäßes Lernverfahren galt. Zu dieser Zeit galt es, den Schülern Lesen, Schreiben und ein paar Grundrechenarten zu vermitteln. Im Laufe der Zeit sind immer mehr Themen und Inhalte hinzu gekommen, ohne die Methoden darauf abzustimmen. Dazu kommt eine Einteilung in die drei Begabungstypen, die vor ca. 200 Jahren eingeführt worden sind:
Die handwerkliche, die theoretische und die Begabung dazwischen. (Hauptschule, Gymnasium und Realschule). Inzwischen weiß man, dass diese Einteilung nicht wissenschaftlich zu begründen ist und die Schüler lediglich nach Standeszugehörigkeit verteilt wurden und immer noch werden.
Es gibt Schulen, auch in Gelsenkirchen, die ganzen Jahrgängen Gymnasien empfehlen, andere überwiegend die Haupt- und Realschule. Selbst Schüler, die trotz einer anders lautenden Empfehlung eine "höhere" Schule besuchen, durchlaufen diese gemäß der Hamburger Langzeitstudie KESS zu 70% erfolgreich.

In einer Regelschule in NRW wird unabhängig von der Schulform eine Gleichmacherei betrieben, die den Möglichkeiten und Begabungen der Schüler nicht Rechnung trägt: In jeder Klasse finden sich drei klassische Lerngeschwindigkeiten: Den Durchschnittsschüler, der die jeweilige Schulform regulär durchläuft; den langsameren Schüler, dem mit Förderung oder Nachhilfe auf die Geschwindigkeit des Durchschnittes geholfen werden soll; und den schnellen oder begabten Schüler, der sich entweder langweilt oder auf das Tempo des Durchschnittes gebremst wird. Durch das Lernen im Klassenverband und die Lehrmethoden aus dem vorigen Jahrhundert werden alle Schüler eines Jahrgangs gleich behandelt. Von individueller Förderung oder Entwicklung ist in diesem System nichts zu sehen. Das nenne ich Gleichmacherei.

Daher setzen wir als Piraten uns dafür ein, von den Siegern in der PISA Studie zu lernen. Am Beispiel Finnland kann man erkennen, dass andere Lernmethoden zu viel besseren Ergebnissen führen.
Wir haben uns entschieden, uns für eine wirklich umfassende Reform des Bildungswesens in NRW stark zu machen. Wir wollen den 200 Jahre alten Zopf der standesabhängigen Einteilung von Kindern abschneiden und damit das bisherige Kastensystem abschaffen.

Mit dem von uns vorgeschlagenen Kurssystem können Kinder zukünftig ihr eigenes Lerntempo vorgeben. Das Durchlaufen der Schullaufbahn wird nicht mehr von der Lerngeschwindigkeit des Durchschnittsschülers bestimmt.

Jeder Schüler wird die Möglichkeit haben, jeden, seinen Fähigkeiten entsprechenden Abschluss zu erzielen.

Damit ein Kurssystem an einer allgemein bildenden Schule erfolgreich sein kann, kommen auf die Lehrkräfte große Veränderungen zu:
Lehrer werden zukünftig nicht mehr Lehrende, sondern vielmehr Helfer beim Lernen sein.
Hinzu kommt, dass die Lerninhalte immer noch viel zu getrennt voneinander unterrichtet werden. Inzwischen ist wissenschaftlich belegt, dass unser Gehirn Informationen viel besser aufnehmen kann, wenn die Informationen miteinander vernetzt sind. Das bedeutet, dass die derzeitige Fächertrennung das Lernen zusätzlich erschwert. Die Zahl der zu behandelnden Themen wird weiter zunehmen. Daher fordern wir alle Beteiligten dazu auf, die Lerninhalte gemeinsam aktuell zu halten und nicht essentiellen Stoff zu streichen. Lehrer sollen außerdem die Fähigkeiten dazu vermitteln, ergänzende Inhalte den Interessen der Schüler entsprechend eigenständig zu erarbeiten. Wenn die Lehrer dann auch noch die Talente der Schüler entdecken können und verborgene Interessen wecken, steht dem Lernen für das Leben endlich nichts mehr im Wege. Dann macht Lernen wieder Spaß und wir haben den schwarz-gelben Nürnberger Trichter auf den Kopf gestellt.

Wenn Sie sich informieren möchten, wie solch ein Kurssystem in der Praxis aussehen könnte, dann besteht schon jetzt die Möglichkeit. In Hamburg unterrichtet eine Schule seit 2004 bereits in einem Kurssystem welches alles das umsetzt, was wir in unserem Programm fordern. Und das mit großem Erfolg.
Die Gesamtschule Winterhude hat auf ihrer Webseite ( http://www.gs-winterhude.de ) ausführliches Informationsmaterial hinterlegt und bietet auch Filme an, so dass man einen recht guten Eindruck vom Schulalltag bekommt.

Unser vollständiges Bildungsprogramm finden Sie ebenfalls im Internet unter:
http://wiki.piratenpartei.de/NRW:Landtagswahl_2010/Wahlprogramm#I_Bildungspolitik

Gerne stehe ich Ihnen für weitere Fragen zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Hammer