Frage an Klaus Ernst von Karsten J. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Ernst,
in einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Rundschau befürworteten Sie die Vollendung von "Nordstream 2". Auch ich bin zwar der Meinung, dass eine sichere und kostengünstige Versorgung Deutschlands mit Ergas eine wichtige Aufgabe ist. Aber ist den Ergas denn nicht nur eine Brückentechnologie, und sollte lanfristig aus Gründen den Klimaschutzes aufgegeben werden? Wäre es denn nicht besser, international in Zukunftstechnologien wie "Wüstenstrom" zu investieren?
Besonders erstaunt war ich jedoch über Ihre Aussage, bei "Nordstream 2" und den Verträgen über Ergaslieferungen mit Russland keine Rücksicht auf die Ukraine zu nehmen, weil ja die Europäer nichts dafür können, wenn die Ukraine ihre Gasrechnungen nicht bezahlt (und Sie die Ukraine darstellen, als würde sie vorsätzlich nicht zahlen). Aber ist es denn nicht vielmehr so, dass Russland die Abhängigkeit der Ukranie von russischem Gas ausnutzt, um überhöhte Preise zu erpressen? Oder gar die ukrainische Bevölkerung erpresst, um eine russlandfreunliche Politik zu erreichen, auch in Hinsicht auf die Ostukraine und die Krim?
Ich kenne Ukrainerinnen und Ukrainer. Und diese fühlen sich als Europäer, auch wenn manche davon Russisch als Muttersprache sprechen. Sie mögen die Deutschen, die Franzosen, die Spanier. Aber sie haben auch nichts gegen Russen (wohl aber gegen Putin und die russische Regierung, denn diese haben Schuld an den mindestens 13000 Toten in der Ostukraine. Aber die Ukrainerinnen und Ukrainer gewinnen wir nur für unsere gemeinsame europäische Sache, wenn wir nicht wie jetzt einerseits Hass gegen Russland (und sogar gegen die russischsprachigen Menschen in der Ukraine) sähen, aber anderseits die Ukraine wirtschaftlich in Stich lassen.
Immerhin sollten wir bedenken: Die Ukraine ist das Land mit dem höchsten Anteil von Menschen mit Hoch-und Fachschulabschluss in Europa. Anderseits beträgt das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Arbeites oder Angestellten nur ca. 4000 €.
Sehr geehrter Herr Jordan,
vielen Dank für Ihre Fragen! Ich antworte Ihnen mit einigen Hintergrundinformationen, auf denen meine Einschätzung, die ich in dem Artikel dargelegt habe, beruht.
Erstens befindet sich das Gasnetz in der Ukraine, auch die Durchleitungspipelines, in einem beklagenswerten Zustand. Das liegt vor allem an der dubiosen Struktur der dortigen Energiewirtschaft, die verhindert, dass eingenommene Gelder in die Ertüchtigung des Netzes fließen. Stattdessen wird in die Taschen von Oligarchen gewirtschaftet.
Zweitens ist es in der Vergangenheit schon vorgekommen, dass die Ukraine Erdgas, das eigentlich zum Verbrauch in Westeuropa gedacht war, nicht weitergeleitet und damit die Versorgungslage in der EU gefährdet hat. Darauf bezog ich meine Argumentation, dass die EU nicht davon abhängig sein darf, ob die Ukraine ihre Gasrechnung bezahlt oder nicht.
Dass die Ukraine weiterhin aus Russland versorgt wird, dafür hat sich die Bundesregierung explizit stark gemacht und das finde ich auch richtig. Dass die jeweilig zuständigen Firmen in Russland und der Ukraine einen neuen Versorgungsvertrag abgeschlossen haben, ist wesentlich auf die Vermittlung der Bundesregierung zurückzuführen.
Letztlich geht es auch darum, dass eine notwendige finanzielle Unterstützung der Ukraine nicht einseitig den deutschen und europäischen Gaskunden zugemutet werden kann, indem diese für die Durchleitung des russischen Erdgases bezahlen müssen. Ich fände es sehr viel transparenter und auch nachvollziehbarer, wenn Hilfen an die Ukraine direkt gezahlt würden und nicht über den Umweg von Gasdurchleitungsgebühren.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen damit meine Position etwas klarer vermitteln.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Ernst