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Frage von Peter J. •

Frage an Klaus Buchner von Peter J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Eine lebendige, freie und kritische Zivilgesellschaft ist genauso unverzichtbar für jede demokratische Gesellschaft wie freie Medien. In Ungarn werden unbequeme NGOs von der Regierung mit administrativen Mitteln drangsaliert sowie regelmäßig durch Schmutzkampagnen diskreditiert.

Das “Stop Soros” Gesetz vom Sommer 2018, welches etwa die Unterstützung von Geflüchteten als “Beihilfe zur illegalen Migration” unter Strafe stellte sowie eine Sondersteuer auf Spenden aus dem Ausland einführte, war nur die Spitze des Eisbergs. Bereits 2014 warnte der Menschenrechtskommissar des Europarats vor stigmatisierenden Äußerungen ungarischer Regierungspolitiker über Organisationen, die damals den NGO-Fonds des EWR und Norwegens verwalteten.

2017 nahm die Fidesz-Mehrheit im ungarischen Parlament ein Anti-NGO-Gesetz an, das laut der Venedig-Kommission eine Gefahr für Grundrechte darstellt. Der Menschenrechtskommissar der Vereinten Nationen kritisierte dieses Gesetz und die EU-Kommission reichte deswegen eine Klage beim EU-Gerichtshof ein.

Im April 2018 veröffentlichte die fidesz-nahe Zeitschrift “Figyelö” eine Liste von 200 regierungskritischen Experten und Aktivisten, die angeblich daran arbeiteten, “die Regierung zu stürzen”. Dieser Schritt wurde u.a. auch vom OSZE-Beauftragten für die Freiheit der Medien scharf kritisiert.

Organisationen, die der Regierung Orbán politisch unbequem sind, erhalten schon seit langem keine Zuwendungen aus staatlichen Mitteln und haben auch Mühe, private Spender zu finden. Zudem ist die Regierung bestrebt, finanzielle Unterstützung dieser NGOs aus dem Ausland zu unterbinden.

Die Zerstörung der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie in Ungarn gefährdet die Zukunft der europäischen Integration. Wie kann Europa diejenigen Teile der ungarischen Zivilgesellschaft, die sich der Verteidigung europäischer Werte verschrieben haben, unterstützen? Welche Maßnahmen würden Sie diesbezüglich im Europäischen Parlament initiieren bzw. mittragen?

MdEP Prof. Dr. Klaus Buchner
Antwort von
ÖDP

Sehr geehrter Herr J.,

vielen Dank für Ihre Frage.

In der Tat sind die Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit, wie sie in einigen Mitgliedsländern mittlerweile an der Tagesordnung sind, Besorgnis erregend. Um überhaupt der EU beitreten zu können, müssen die Beitrittskandidaten die sogenannten „Kopenhagener Kriterien“ erfüllen, die 1993 von den Staats- und Regierungschefs der EU festgeschrieben wurden. Darunter ist das "politische Kriterium". Dieses besagt, dass die institutionelle Stabilität, die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und der Schutz von Minderheiten gewährleistet sein müssen.

Falls ein bereits beigetretener Staat gegen diese Prinzipien verstößt, gibt es die Möglichkeit eines Rechtsstaatsverfahrens. Im Europäischen Parlament stimmte vergangenen September eine Zwei-Drittel-Mehrheit für ein Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn, das im äußersten Fall zum Entzug der Stimmrechte im Ministerrat führen könnte. Grund sind Einschränkungen der Meinungs-, Forschungs- und Versammlungsfreiheit sowie auf eine Schwächung des Verfassungs- und Justizsystems und das Vorgehen der Regierung gegen Nichtregierungsorganisationen. Darüber hinaus wurden Verstöße gegen die Rechte von Minderheiten und Flüchtlingen festgestellt sowie Korruption und Interessenkonflikte kritisiert.

Eine etwaige Entscheidung liegt beim Rat der Mitgliedsstaaten, wobei Einstimmigkeit vonnöten ist, um einen Staat tatsächlich zu sanktionieren. Da Ungarn und Polen sich jedoch gegenseitig unterstützen und ihr Veto gegen Maßnahmen gegen das jeweils andere Land angekündigt haben, bleibt das Rechtsstaatsverfahren ein zahnloser Tiger.

Deshalb halte ich einen anderen Vorschlag für interessant: Derzeit gibt es in der EU-Kommission Überlegungen, einen Mechanismus einzuführen, der Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit mit dem Entzug von EU-Geldern ahnden soll. Stellt die Kommission eine systematische Schwächung der Justiz fest, kann sie dem Rat der Mitgliedstaaten empfehlen, dem jeweiligen Land Gelder zu entziehen. Der Vorschlag gilt im Rat automatisch als angenommen - es sei denn, eine qualifizierte Mehrheit von 15 Mitgliedsländern, die zusammen 65 Prozent der EU-Bevölkerung stellen, stimmt dagegen.

Mit freundlichen Grüßen
MdEP Prof. Dr. Klaus Buchner (ÖDP)