Frage an Klaus Brähmig von Maik B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Brähmig,
vielen Dank für Ihre Stellungnahme zu Online Durchsuchung und Vorratsdatenspeicherung.
Leider war dies nicht meine Frage.
Ich bin mir sicher, dass Sie die Meinung und Linie Ihrer Partei und deren Politik vertreten, wie es ja auch aus Ihrer Antwort deutlich ersichtlich ist.
Die in meiner Frage erwähnte Online Durchsuchung und Vorratsdatenspeicherung waren nur beispielhaft.
Ich versuche die Frage noch einmal anders zu formulieren:
Ist es nötig, dass Gesetze, welche schon im Vorfeld, also während der Diskussion, von der Öffentlichkeit (Bürgern, Experten ...) als nicht Grundgesetz konform dargestellt werden, trotz aller Proteste beschlossen werden und dann im Anschluss vom Bundesverfassungsgericht weitestgehend für ungültig erklärt werden, mit genau den Argumenten die schon seit Monaten vorliegen?
Ist es nicht eher die Aufgabe der Bundesregierung die Gesetze so zu beschließen, dass sie dem Grundgesetz entsprechen und wenn das personelle Know-how nicht ausreicht sich "Experten"-Meinungen (aller Bereiche) anzuhören und diese auch sinnvoll in das Gesetz einfließen zu lassen?
Ich möchte nur noch kurz Stellung zu Ihren Argumenten der Online-Duchsuchung nehmen. Ihr Argument, dass Terroristen Bauanleitungen für Bomben oder Anschlagspläne im Internet diskutieren, hat überhaupt nichts mit der angestrebten Online-Durchsuchung zu tun. Wenn dem so währe, bräuchte man nur Beamte vor den Computer setzen und sie im Internet surfen lassen. Der Grundgedanke des Internets war und ist es ja gerade Informationen öffentlich verfügbar zu machen. Also benötigen sie die heimischen Rechner ja gar nicht, wenn der Terrorist seine Absichten im Internet veröffentlicht.
Ich möchte Ihnen noch den folgenden Podcast ans Herz legen, bevor Sie antworten:
http://chaosradio.ccc.de/cre081.html
Falls Sie den nicht hören können, gibt es dazu auch eine Vortrag zum Thema in Dresden:
http://c3d2.de/news/ta-neusprech.html
Vielen Dank.
Mit freundlichen Grüßen.
Maik Böhme
Sehr geehrter Herr Böhme,
vielen Dank für Ihre nochmalige Stellungnahme, die mich über die Internetseite www.abgeordnetenwatch.de am 27. März 2008 erreichte.
Neben Ihrer freien Meinungsäußerung entnehme ich Ihrem Schreiben zwei Fragen: 1. Ist es nötig, dass Gesetze […] trotz aller Proteste beschlossen werden und dann im Anschluss vom Bundesverfassungsgericht weitestgehend für ungültig erklärt werden […]?
2. Ist es nicht eher die Aufgabe der Bundesregierung die Gesetze so zu beschließen, dass sie dem Grundgesetz entsprechen […]?
Zum leichteren Verständnis habe ich mir erlaubt, die Fragen sinngemäß zu kürzen.
Dazu möchte ich wie folgt Stellung nehmen und zitiere einleitend Winston Churchill in seiner Rede vor dem britischen Unterhaus am 11. November 1947: "Democracy is the worst form of government - except for all those other forms, that have been tried from time to time."
Das politische System der Bundesrepublik Deutschland ist eine parlamentarische Demokratie. Ohne Frage hat auch diese Regierungsform ihre systemeigenen Stärken und Schwächen.
Vieles, was die Verfassungsväter konzipiert hatten, geschah vor allem in Erinnerung an das Scheitern der Weimarer Republik und die nationalsozialistische Schreckensherrschaft. Das Grundgesetz ist ein Beispiel für die erfolgreiche Redemokratisierung eines Landes. Gerade die Einrichtung eines mit weit reichenden Befugnissen ausgestatteten Bundesverfassungsgerichtes, das mit seiner Rechtsprechung die Verfassungsinterpretation und -wirklichkeit entscheidend prägt, war eine Neuerung. Unsere Demokratie bewährt sich nun immerhin seit annähernd 60 Jahren. Und ich denke, ich spreche auch für Sie, dass die Entscheidung für das Politische System der BRD – im Gegensatz zur Beibehaltung einer Diktatur nach SED-Vorbild - im Jahr 1990 gerade für die neuen Bundesländer der richtige Schritt und für alle Menschen ein Gewinn ist.
Ihre Zweifel an der Effizienz des Gesetzgebungsprozesses in Deutschland kann ich nicht nachvollziehen. Gesetze werden in Deutschland im Rahmen der Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative erarbeitet. Die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Organe ist Grundlage unserer Demokratie. Das Grundgesetz (GG) bildet als höchstrangiges Recht den Handlungsrahmen für die staatlichen Gewalten, so auch für die Bundesregierung als „ausführende Gewalt“ (Exekutive).
Die jeweiligen Gesetzesvorlagen werden im Bundestag durch die Bundesregierung, von den Abgeordneten oder durch den Bundesrat eingebracht (GG Art. 76 (1)). Die Bundesgesetze werden vom Bundestag beschlossen. Sie sind nach ihrer Annahme durch den Präsidenten des Bundestages unverzüglich dem Bundesrat zuzuleiten (GG Art. 77 (1)). Die verschiedenen Instanzen arbeiten im Gesetzgebungsverfahren eng zusammen und stehen nicht in Konkurrenz zueinander. Ob der Vielzahl der Themen und Aufgabengebiete in unserem Land sind die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag Experten für einen speziellen Bereich. Wie Sie wissen, liegen meine Arbeitsschwerpunkte im Bereich Tourismuspolitik. Tagtäglich streben wir nach Verbesserungen in den politischen Rahmenbedingungen – zum Wohle der Menschen in unserem Land. Ein jeder Abgeordneter des Deutschen Bundestages wird in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Er ist ein Vertreter des ganzen Volkes. An Aufträge und Weisungen ist er jedoch nicht gebunden, sondern nur seinem Gewissen unterworfen (GG Art. 38 (1)).
Wo gehobelt wird – da fallen Späne: wie sich innerhalb der vergangenen Monate vereinzelt gezeigt hat, ist es ein normativer Ansatz, die Gesetzesvorlagen in Ihrem Prozess explizit auf die Konformität mit dem Grundgesetz zu prüfen. Aber lassen Sie mich betonen: während der Großen Koalition hat der Deutsche Bundestag 249 Gesetze verabschiedet. Etwa 70 Prozent dieser Gesetze werden einstimmig zusammen mit allen Parteien beschlossen. Seit 2005 sind von diesen 249 Gesetzen gerade einmal zwei aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken von Seiten des Bundespräsidenten Professor Horst Köhler (Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung – BT-Drs. 16/240; 16/1161, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation – BT-Drs. 16/1408, 16/2011) zurückgewiesen worden.
Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist es, als unabhängiges Verfassungsorgan die Rechtmäßigkeit der durch Bundestag und Bundesrat verabschiedeten Gesetze zu prüfen und eventuelle Defizite bezüglich des Grundgesetzes aufzuzeigen. In der vergangenen Wahlperiode – die Daten der laufenden 16. Wahlperiode sind leider noch nicht vollständig auswertbar – verabschiedete der Deutsche Bundestag exakt 400 Gesetze. Nur ein einziges dieser Gesetze wurde durch das Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt (Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz – EuHbG)). Dies ist sicherlich auch ein Zeichen für die professionelle und effiziente Arbeit von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung.
Abschließend betone ich deshalb nochmals ausdrücklich: Die Pluralität in unserer Demokratie ist das höchste Gut. Bei sensiblen Themen sind unterschiedliche Betrachtungsweisen und Auslegungen naheliegend, wie der Fall der Online-Durchsuchungen gezeigt hat. Mit dem Urteil über die entsprechenden Vorschriften des Verfassungsschutzgesetzes von Nordrhein- Westfalen hat die Bundesregierung wichtige Hinweise für die Erarbeitung des Bundeskriminalgesetzes erhalten. Und Sie können sich sicher sein, dass die Ministerien, die für die Ausarbeitung der jeweiligen Gesetze zuständig sind, über eine ausreichende Anzahl von Experten im Bereich Verfassungsgesetzgebung verfügen. Weiterhin werden bei fast allen Gesetzentwürfen Expertenanhörungen durchgeführt, wodurch auch externer Sachverstand einbezogen wird. In der Hoffnung wenigstens ein wenig zur Versachlichung der Diskussion beigetragen zu haben verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Klaus Brähmig