Frage an Kerstin Vieregge von Simon P. bezüglich Umwelt
Sehr geehrte Frau Vieregge,
ich komme aus dem Extertal und frage deshalb Sie als Abgeordnete für unseren Kreis: Wie stehen Sie zum Slogan "Raus aus der Kohle - rein in Erneuerbare"? Die zugespitzte Lage am Hambacher Forst berührt auch mich. Da der Klimaschutz nicht geografisch gebunden ist, frage ich Sie außerdem, was Sie gedenken, als Maßnahmen durchzuführen bzw. anzustoßen?
Ich freu mich auf Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
S. P.
Sehr geehrter Herr P.,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 11. Oktober 2018 zum Thema erneuerbare Energien und zum Kohleausstieg. Gerne werde ich Ihnen hierzu weitere Informationen geben und meine Meinung mitteilen.
Wie Sie bereits treffend formuliert haben, ist „der Klimaschutz nicht geografisch gebunden“ - das sehe ich genauso. Aus diesem Grund dürfen wir Deutschland nicht als isoliertes Land betrachten, sondern die Sachlage auf europäischer Ebene beziehungsweise aus globaler Sichtweise beurteilen.
Den Rahmen für eine zielführende deutsche Klima- und Energiepolitik bilden die multilateralen Vereinbarungen der UN -Klimakonferenzen (insbesondere von Paris 2016) sowie das Europäische Emissionshandelssystem (ETS) und das sogenannte EU-Effort-Sharing, das die Reduktionsvorgaben für die nicht vom ETS umfassten Wirtschaftssektoren innerhalb der EU regelt. Diese multilateralen Maßnahmen sind die wirksamen Ansatzpunkte für die Reduktion der Treibhausgas-Emissionen auch in Deutschland. Nationale klimapolitische Alleingänge hingegen – wie etwa ein nationaler Kohleausstieg – hätten aufgrund der Einbettung Deutschlands in das o.g. multilaterale Vertragssystem nicht nur keinerlei Aussicht auf Erfolg, sondern wären im Gegenteil klimapolitisch sogar kontraproduktiv.
Innerhalb der EU legt das ETS für die von ihm erfassten Sektoren (darunter auch die gesamte Energiewirtschaft, d.h. alle Kohle-, Gas- und sonstigen Kraftwerke) einen für alle EU-Länder verbindlichen, über die Jahre absinkenden Emissionsreduktionspfad fest. Das ETS ist ein Mengensteuerungsinstrument, das aufgrund der begrenzten Zahl der ausgegebenen
Emissionszertifikate sicherstellt, dass die EU als multilateraler Staatenbund ihre international eingegangenen Klimaschutzziele erreicht.
Aus dem – global ausgerichteten – Pariser Klimaabkommen ist daher auch allein die EU mit verbindlichen Emissionszielen verpflichtet. Deutschland und die anderen EU-Mitgliedstaaten sind zwar ebenfalls Vertragspartner des Pariser Abkommens, haben aber keine eigenen Reduktionszusagen gemacht, sondern übermittelten stattdessen die (gemeinsame) EU-Zusage als eigenen Beitrag (d.h. für Deutschland 40 % bis 2030).
Die relevanten Treibhausgas-Emissionen der EU (und Deutschlands) werden vom ETS europaweit verbindlich und verlässlich erfasst und reduziert, bis 2030 auf ein Niveau von ‐43% im Vergleich zu 2005. Gleichzeitig wird Deutschland im Rahmen des o.g. EU-Effort-Sharings auch für die nicht vom ETS umfassten Sektoren mit ‐38% überproportional zum EU‐Ziel von ‐30 % beitragen.
Da die deutsche Energiewirtschaft wie oben dargestellt vollständig unter das ETS fällt, bewirkt ein nationaler Ausstieg aus der Kohleverstromung lediglich, dass bei gleichbleibendem europäischem Emissions-Cap die Emissionsmengen für andere EU-Länder vergrößert werden. In Deutschland frei werdende Emissionszertifikate (z.B. durch vorzeitig stillgelegte Kohle-Kraftwerke) lassen das Angebot an freien Zertifikaten europaweit wachsen. Dies führt dazu, dass der Zertifikatspreis sinkt und andere EU-Länder (z.B. Polen oder Tschechien) ihren Kohlestrom günstiger anbieten können. Der klimapolitische Effekt wäre aufgrund des festen EU-Caps gleich Null.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines nationalen Kohleausstiegs auf die deutsche Industrie (und zwar nicht nur auf die Kohleindustrie) wären hingegen äußerst negativ. Neben der Gefährdung der Versorgungssicherheit hätte das vorzeitige Abschalten von Kohlekraftwerken einen erheblichen Anstieg der Stromgroßhandelspreise zur Folge. Erste Berechnungen gehen von einer Steigerung von 10 bis 20 €/Megawattstunde aus.
Fast noch dramatischer als der Verlust von hunderttausenden Arbeitsplätzen wäre im Falle einer Abwanderung der energieintensiven Industrie der Verlust des Know-how und die drohende Zerstörung gewachsener industrieller Wertschöpfungsketten (mit den energieintensiven Grundstoffindustrien als Fundament), die seit Jahrzehnten maßgeblich für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes sind. Ohne Übertreibung lässt sich sagen, dass damit die Axt an die Wurzel unseres Wohlstands gelegt würde.
Schließlich wäre ein solcher Schritt auch klimapolitisch kontraproduktiv, denn die energieintensiven Produkte (wie z.B. Aluminium, Kupfer, Stahl oder chemische Grundstoffe) würden dann im Ausland produziert – mit hoher Wahrscheinlichkeit unter weniger strengen Umweltauflagen als in Deutschland und damit unter höherem CO2-Ausstoß. Für das Weltklima ist es jedoch egal, ob die Treibhausgase in Deutschland, China oder den USA ausgestoßen werden.
Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass Deutschland nur dann klimapolitisch Vorreiter sein wird, wenn es gelingt, den Umbau der Energieversorgung mit wirtschaftlichem Wachstum und einem Zuwachs an Arbeitsplätzen zu verbinden. Mit dem Energiekonzept von 2010 haben wir das weltweit ambitionierteste Programm zur Reduktion von Treibhausgasemissionen auf den Weg gebracht. Ob das langfristige Reduktionsziel ein Jahr früher oder später erreicht wird, ist für das Weltklima irrelevant, Hauptsache die Richtung stimmt und das tut sie. Seit 1990 konnten die Emissionen in Deutschland deutlich vermindert werden. Die Gesamtemissionen sanken bis 2015 um rund 349 Millionen Tonnen, das sind 28,1 Prozent, und betrugen im Jahr 2015 noch 902 Mio. Tonnen. Das ist der niedrigste Wert seit 1990, und das trotz boomender Wirtschaft.
Deutschland mit seinen nur noch rund 2 Prozent Anteil an den globalen Emissionen kann die Welt nicht im Alleingang retten. Vielmehr gilt es, zum Vorbild für andere Länder wie China oder Indien zu werden. Das wird aber nur gelingen, wenn der Umbau der Energieversorgung einhergeht mit der Stärkung des Wirtschaftsstandortes. Daher gilt es, nicht sklavisch auf ein einzelnes Reduktionsziel zu schielen, sondern immer auch die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Klimapolitik im Blick zu behalten.
Europa wie auch Deutschland brauchen eine Vielzahl von Energieträgern, um eine sichere, bezahlbare und saubere Energieversorgung in Zukunft gewährleisten zu können. Aus meiner Sicht eignet sich nur ein breiter und technologieoffener Energiemix, ohne ideologische Scheuklappen. Der Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022 ist beschlossene Sache und wird zügig umgesetzt. Die Kohleverstromung hat mit einem Anteil von derzeit rund 40 Prozent an der Stromerzeugung nach wie vor eine sehr hohe Bedeutung für Versorgungssicherheit und bezahlbare Strompreise in Deutschland. Braun- und Steinkohle sind wichtige steuerbare und grundlastfähige Erzeugungsträger, wobei Braunkohle zudem der einzige bedeutende steuerbare heimische Energieträger ist. Überdies hat die Braunkohleförderung für strukturschwache Regionen etwa in Brandenburg oder Nordsachsen eine hohe wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Bedeutung und genießt vor Ort hohe Akzeptanz. Statt plumper und populistisch angehauchter Verbotspolitik empfiehlt sich ein intelligentes, koordiniertes Vorgehen.
Gemäß der drei Säulen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Ökonomie, Soziales – ist es für mich wichtig, den Menschen in den betroffenen Regionen eine Zukunftsperspektive zu geben. Daher begrüße ich sehr, dass die Bundesregierung die Kommission für „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ diesen Sommer eingesetzt hat. In dem Expertengremium suchen Wissenschaft, Politik und Wirtschaft gemeinsam nach Lösungen zu den Herausforderungen, die der Strukturwandel in Regionen der Energieerzeugung hervorruft. Als Ergebnis soll ein Aktionsprogramm vorliegen, das eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in den betroffenen Regionen bietet.
Ich hoffe, dass meine Ausführungen zu Ihrer Frage Ihnen bei der Meinungsbildung weitergeholfen haben. Sollten Sie noch weitere Fragen haben, können Sie sich auch gerne direkt an mich wenden (E-Mail: kerstin.vieregge@bundestag.de – Web: www.kerstin-vieregge.de ).
Mit freundlichen Grüßen
Kerstin Vieregge, MdB