Frage an Kerstin Tack von Fred G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag Frau Tack,
Drastische Maßnahmen wie ein harter Lockdown sind in der Pandmie sicherlich für einen begrenzten Zeitraum notwendig. Irgendwann sind aber alle Mittel ausgeschöpft, die man der Bevölkerung einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft zumuten kann und man muss möglicherweise den Begriff der Solidarität (nämlich mit allen sozialen Gruppen) umdenken, weil die sozialen, wirtschaftlichen und letztendlich auch gesundheitlichen Folgen zu groß werden und den Nutzen eines Lockdowns überwiegen könnten. Man muss dann vielleicht mit einer höheren Virusverbreitung leben und sich auf verträglichere Maßnahmen wie flächendeckende Schnelltests, Masken usw. beschränken.
Deshalb meine Fragen:
1. Denken Sie über ein solches Szenario nach, in dem man irgendwann nicht mehr vorwiegend auf epidemiologische Werte schaut und trotzdem stufenweise lockert? Oder sind Inzidenzzahlen und die Situation der Krankenhäuser immer das Maß aller Dinge, auch wenn der Lockdown vielleicht 6, 7, 8 Monate dauert und an anderer Stelle teils schwer abzuschätzende Schäden anrichtet?
2. Was tun Sie und Ihre Fraktion, um diese Schäden einzurechnen und mit dem Nutzen eines harten Lockdowns abzuwägen?
3. Setzen Sie sich dafür ein, dass im Bundestag mehr über diese schwierigen Dilemmata diskutiert und auch entschieden wird oder nehmen Sie die aktuelle Dominanz von Kanzleramt und Landesregierungen gegenüber den Parlamenten in Kauf?
Sehr geehrter Herr Goldmann,
vielen Dank für Ihre Frage auf Abgeordnetenwatch.de, die ich gerne beantworte.
Das wichtigste Ziel der getroffenen Maßnahmen war und ist, eine Überlastung unseres Gesundheitssystems zu vermeiden, damit niemand sterben muss, der bei einer ordentlichen Versorgung hätte gerettet werden können.
Dabei bitte ich aber auch Folgendes zu bedenken: Die Maßnahmen dienen im ersten Schritt dem Schutz der vom Virus am stärksten gefährdeten Personen. Aber auch für nicht an Covid 19-Erkrankte besteht eine gefährliche Situation, wenn durch die große Zahl der am Corona-Virus-Erkrankten keine Intensivbetten mehr zur Verfügung stehen oder das medizinische Personal vollkommen überarbeitet ist. Darüber hinaus will ich es den Ärzten auch nicht zumuten in eine vermeidbare Situation zu kommen, in der sie entscheiden müssen, welcher Patient behandelt wird und welcher nicht.
Die Entscheidungen über Einschränkungen in vielen unserer Lebensbereiche fallen nicht leicht und werden auch nicht leichtfertig getroffen. Die Maßnahmen werden immer Abgewogen und viele Aspekte einbezogen. Unter anderem auch, ob eventuell andere Maßnahmen, wie zum Beispiel das Tragen von Masken und (Schnell-)Tests, ausreichend sind. Aus Sicht der allermeisten Experten sind sie zwar wichtige Bausteine, um die Infektionszahlen weiter zu senken und das Geschehen zu kontrollieren, reichen in der aktuellen Lage jedoch nicht aus, um zu substantiellen Lockerungen zu kommen.
Ebenso berücksichtigt werden die zum Teil erheblichen Auswirkungen der getroffenen Einschränkungen. Aus diesem Grund wurden vielfältige, flankierende Maßnahmen beschlossen, wie zum Beispiel die Sozialschutzpakete, die veränderten Regelungen zum Kurzarbeitergeld oder die Hilfen für Unternehmen.
Ich kann verstehen, dass der öffentliche Eindruck entstanden ist, dass alleine die Kanzlerin und die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten entscheiden. Dem ist aber nicht so. Die Diskussion über die Maßnahmen werden auch in der Politik breit geführt und die Bundesregierung - als Bundestagsabgeordnete beziehe ich mich auf die Bundesebene - bewegt sich in dem Rahmen, den der Deutsche Bundestag ihr gesetzlich eingeräumt hat. Im gerade im parlamentarischen Verfahren befindlichen „Gesetz zur Fortgeltung der epidemischen Lage“ ist im Übrigen vorgesehen, dass solch eine Lage, und damit alle einhergehenden Befugnisse der Bundesregierung, spätestens alle drei Monate durch den Deutschen Bundestag, also das Parlament, neu festgestellt werden muss.
Herzliche Grüße
Kerstin Tack